Baurecht

Zur Heranziehung zu einem Herstellungsbeitrag

Aktenzeichen  20 B 16.1695

Datum:
13.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 712
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) bb) Alt. 1, Art. 19 Abs. 2
BayGO Art. 84
VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Wird nach nichtigem Satzungsrecht erstmals eine Beitrags- und Gebührensatzung erlassen, die den Geschossflächenbeitrag nach der zulässigen Geschossfläche abrechnet, so können Altanschließer nur zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen werden, wenn die Zwanzigjahresfrist nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG noch nicht abgelaufen ist.
2. Gleiches gilt für einen Nacherhebungstatbestand, der für Altanschließer vorsieht, dass sie zu einem Beitrag für die zulässige Geschossfläche erst herangezogen werden, wenn eine Veränderung der baulichen Ausnutzung vorgenommen wird.
3 Überträgt eine Gemeinde die Aufgabe der Abwasserbeseitigung an ihre als Kommunalunternehmen organisierte Stadtwerke, sind diese zur Erhebung des Herstellungsbeitrags für die Entwässerungsanlage befugt (Anschluss an BayVGH BeckRS 2017, 105239). Als selbständiges Kommunalunternehmen (Art. 84 BayGO) in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts sind diese dann richtige Beklagte (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Erhebung eines Herstellungsbeitrags nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 KAG oder eines zusätzlichen Beitrags nach Art. 5 Abs. 2a KAG haben sich am Vorteilsbegriff zu orientieren. Daran anknüpfend kann ein Beitragstatbestand, der einmal verwirklicht wurde und damit eine Beitragspflicht entstanden ist, nicht mehr zur Beitragserhebung führen, wenn die Festsetzungsverjährung eingetreten ist oder wenn nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) bb) KAG die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
5 Der Begriff des Vorteils ist zwar rein tatsächlich zu verstehen, kann aber immer nur unter Berücksichtigung des vom Beitragsgläubiger in seiner Satzung gewählten Beitragsmaßstabs bestimmt werden. Unter Zugrundelegung des Beitragsmaßstabes der zulässigen Geschossfläche handelt es sich beim Dachgeschossausbau gerade nicht, wie beim Maßstab der tatsächlichen Geschossfläche, um die Abschöpfung eines zusätzlichen, durch die Geschossflächenmehrung vermittelten Vorteils. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 8 K 15.499 2016-02-15 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Februar 2016 wird geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 17. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung der Oberpfalz vom 24. Februar 2015 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Beklagte. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. Februar 2016 wird geändert und der Bescheid der Beklagten vom 17. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung der Oberpfalz vom 24. Februar 2015 aufgehoben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte ist als selbständiges Kommunalunternehmen (Art. 84 BayGO) in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts richtige Beklagte (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil sie den streitgegenständlichen Bescheid erlassen hat. Die Beklagte ist auch für den Erlass des Herstellungsbeitragsbescheids sachlich zuständig und befugt. Die Aufgabe der Abwasserbeseitigung hat die Stadt … an die Stadtwerke … durch § 2 Abs. 1 der Unternehmenssatzung des Kommunalunternehmens Stadtwerke … vom 28. Juni 2012 übertragen. Damit war sie zur Erhebung des Herstellungsbeitrags für die Entwässerungsanlage befugt (BayVGH, U.v. 16.2.2017 – 20 BV 16.90 – juris).
Nach Art. 5 Abs. 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Zu diesen Einrichtungen zählen auch die öffentlich betriebenen Entwässerungseinrichtungen, wie die der Beklagten. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte durch den Erlass einer Beitrags- und Gebührensatzung vom 25. Juni 2013 (BGS/EWS 2013) Gebrauch gemacht. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Beitragssatzung und der zugrundeliegenden Entwässerungssatzung vom 21. Dezember 2012 (EWS 2012) sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auf die Beitrags- und Gebührensatzung der Stadt … vom 28. Juli 2009 kommt es entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht an, weil nicht die Stadt …, sondern die beklagten Stadtwerke Beitragsgläubigerin sind. Gemäß Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG entsteht ein zusätzlicher Beitrag, wenn sich nachträglich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände ändern und sich dadurch der Vorteil erhöht.
Die Erhebung des Herstellungsbeitrags war jedoch nicht mehr zulässig, weil die Beitragserhebung nach Ablauf der Zwanzigjahresfrist nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) bb) 1. Spiegelstrich KAG erfolgte, denn das Grundstück der Klägerin wurde bereits im Jahre 1969 an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen, so dass die Zwanzigjahresfrist mit Ablauf des Jahres 1989 abgelaufen war. Auch die Dreißigjahresfrist des Art. 19 Abs. 2 KAG für Beiträge, die vor dem 1. April 2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt sind, war bereits abgelaufen, so dass es auf deren Anwendbarkeit hier nicht ankommt. Die Erhebung eines Herstellungsbeitrags nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG oder eines zusätzlichen Beitrags nach Art. 5 Abs. 2a KAG haben sich am Vorteilsbegriff zu orientieren. Daran anknüpfend kann ein Beitragstatbestand, der einmal verwirklicht wurde und damit eine Beitragspflicht entstanden ist, nicht mehr zur Beitragserhebung führen, wenn die Festsetzungsverjährung eingetreten ist oder wenn nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) bb) KAG die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist.
Rechtsgrundlage für die Nacherhebung des Herstellungsbeitrags für das Grundstück der Klägerin ist § 9 Abs. 1 der BGS/EWS (2013). Dieser lautet:
㤠9
Übergangsregelung
(1) Bei einem bebauten Grundstück, für welches aufgrund einer früheren (auch nichtigen) Satzung eine Anschlussgebühr/ein Beitrag erhoben worden ist, ist eine Beitragsnachberechnung aus der Differenz der vor dieser Erhebung vorhandenen Geschossfläche zur zulässigen Geschossfläche vorzunehmen, wenn eine Veränderung der baulichen Ausnutzung vorgenommen wird. Ist aufgrund dieser Veränderung die nunmehrige tatsächliche Geschossfläche größer als die zulässige Geschossfläche, so ist jene für die Nachberechnung maßgeblich.“
Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, nach vorhergehendem nichtigen Satzungsrecht bei sogenannten Altanschließern die Beitragsschuld für die zulässige Geschossfläche erst dann entstehen zu lassen, wenn auf dem Grundstück bauliche Veränderungen, wie hier eine Geschossflächenmehrung durch einen Dachgeschossausbau, vorgenommen werden. Es handelt sich somit um einen Nacherhebungstatbestand für den Beitragsmaßstab der zulässigen Geschossfläche. Nach nichtigem Satzungsrecht entsteht der Herstellungsbeitrag mit dem erstmaligen Inkrafttreten einer rechtmäßigen Beitragssatzung. Für Altanschließer wird die Entstehung des Beitrags für die zulässige Geschossfläche bis zum Eintritt eines zukünftigen Ereignisses hinausgeschoben. Damit zeigt sich aber, dass diese Regelung an die Vorteilslage beim erstmaligen Entstehen der Beitragsschuld anknüpft und die Geschossflächenmehrung lediglich den Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld festlegt. Der Begriff des Vorteils ist zwar rein tatsächlich zu verstehen, kann aber immer nur unter Berücksichtigung des vom Beitragsgläubiger in seiner Satzung gewählten Beitragsmaßstabs bestimmt werden. Unter Zugrundelegung des Beitragsmaßstabes der zulässigen Geschossfläche handelt es sich beim Dachgeschossausbau gerade nicht, wie beim Maßstab der tatsächlichen Geschossfläche, um die Abschöpfung eines zusätzlichen, durch die Geschossflächenmehrung vermittelten Vorteils. Die Erhebung eines zusätzlichen Beitrags nach Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG setzt aber voraus, dass sich nachträglich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände ändern und sich dadurch der Vorteil erhöht. Die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände, also entsprechend der der Beitragserhebung zugrundeliegenden BGS/EWS (2013) die zulässige Geschossfläche, haben sich durch den Dachgeschossausbau aber nicht geändert, sondern die tatsächliche Geschossfläche, was für die Beitragserhebung nach dem Maßstab der zulässigen Geschossfläche allerdings ohne Belang ist. Selbst wenn man im Dachausbau eine Änderung der maßgeblichen Umstände sehen möchte, würde sich der zusätzliche Vorteil in diesem erschöpfen und nicht durch die zulässige Geschossfläche wiedergespiegelt werden. Hält man sich dann noch vor Augen, dass die Beitragssatzung die Erhebung von zusätzlichen Beiträgen entsprechend Art. 5 Abs. 2a KAG in § 5 Abs. 9 BGS/EWS (2013) geregelt hat, so wird deutlich, dass es sich bei der Übergangsregelung des § 9 BGS/EWS (2013) um eine aufschiebend bedingte erstmalige Entstehung der Beitragsschuld handelt. Demgemäß ging der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes über die Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 1. April 2014 davon aus, dass solche Übergangsregelungen wie hier als rein rechtliche Aspekte des Entstehens der Beitragsschuld keinen Einfluss auf das Entstehen der Vorteilslage besitzen (vgl. LT-Drucksache 17/370 S. 13). Deshalb muss hier bei der Beitragserhebung genauso die Zwanzigjahresfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) 1. Spiegelstrich KAG beachtet werden. Ein Herstellungsbeitrag kann für das Grundstück der Klägerin damit nicht mehr festgesetzt werden.
Dieses Ergebnis wird dadurch bestätigt, dass auch ohne Erlass der Übergangsregelung des § 9 BGS/EWS (2013) kein Herstellungsbeitrag für das Grundstück der Klägerin mehr verlangt werden konnte und kann, weil nach dem Satzungsrecht der Stadt … bis zum Ablauf der Zwanzigjahresfrist nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) 1. Spiegelstrich KAG und dem Ablauf der Dreißigjahresfrist des Art. 19 Abs. 2 KAG keine wirksame Beitragssatzung vorgelegen hat und somit auch keine Beitragsschuld für das Grundstück der Klägerin entstehen konnte. Der Beitragstatbestand der Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Stadt … vom 28. April 1967 war unwirksam, weil er in § 32 Abs. 1 einen sog. Frontmetermaßstab enthielt. Der Frontmetermaßstab ist für sich allein ungeeignet, die durch die Anschlussmöglichkeit erlangten Vorteile sachgerecht zu bewerten und abzugelten (BayVGH, U.v. 23.4.1998 – 23 B 96.3932 – juris). Auch die Satzung zur Änderung der Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Stadt … vom 26. Juli 1972 war u.a. unwirksam, weil sie in § 32 Abs. 3 eine unzulässige Privilegierung für bestimmte Nutzungsarten enthielt und in § 32 Abs. 5 im unbeplanten Bereich auf die tatsächliche Geschossfläche abgestellt hat. Die Satzung zur Erhebung von Beiträgen für die öffentliche Entwässerungseinrichtung vom 15. Januar 1980 war u.a. aus den gleichen Gründen (vgl. § 5 Abs. 3 und 6) unwirksam. Die Satzung zur Erhebung von Beiträgen für die öffentliche Entwässerungseinrichtung vom 15. Oktober 1985 war in jedem Fall unwirksam, weil sie in § 5 Abs. 6 für Grundstücke im Außenbereich als zulässige Geschossfläche ein Viertel der Grundstücksfläche in Ansatz gebracht hat. Bei einem Grundstück im Außenbereich ist es ohne Bedeutung, ob die Satzung im Maßstab auf zulässige oder vorhandene Geschossfläche abstellt, weil sich die zulässige Geschossfläche eines Grundstücks im Außenbereich ausschließlich nach der tatsächlich vorhandenen Bebauung bestimmt; das heißt, zulässige Bebauung und vorhandene Bebauung sind in diesem Fall identisch (vgl. Driehaus, Kommunales Abgabenrecht, § 8 Anm. 740i Buchst. c). Die Änderungssatzungen vom 17. Novem-ber 1987 und vom 22. Oktober 1998 führten zu keinen wirksamen Satzungsregelungen, weil die Nichtigkeit einer Satzung grundsätzlich nicht allein durch die Änderung der die Nichtigkeit bewirkenden Bestimmungen behoben werden kann; vielmehr bedarf es des Neuerlasses der gesamten ungültigen Satzung bzw. des gesamten ungültigen Satzungsteils, hier der Beitragssatzung (vgl. BayVGH, U.v. 19.2.2003 – 23 B 02.1109 – BayVBl 2003, 435). Im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Beitragssatzung für die Entwässerungsanlage vom 18. Dezember 2001 zum 1. Januar 2002 waren die Ausschlussfristen des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG und des Art. 19 Abs. 2 KAG jedoch abgelaufen. Eine Beitragsfestsetzung war jedenfalls mit dem Ablauf des Jahres 1999 nicht mehr möglich.
Ergibt sich nach alledem, dass für das Grundstück der Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheids keine Festsetzung eines Herstellungsbeitrags für die Entwässerungseinrichtung mehr möglich war, kommt es auf die Frage der Wirksamkeit der Übergangsregelung des § 9 BGS/EWS 2013 nicht mehr an. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die Veränderung der baulichen Ausnutzung tatsächlich ein sachlicher Anknüpfungspunkt für die Nacherhebung im Allgemeinen und hier im Besonderen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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