Erbrecht

Intendiertes Ermessen bei Heranziehung Angehöriger zu Bestattungskosten

Aktenzeichen  M 12 K 16.214

Datum:
28.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 2
BayBestG BayBestG Art. 14 Abs. 1, 2, Art. 15
BayBestV BayBestV § 1, § 15
VwGO VwGO § 114 S. 2

 

Leitsatz

1 Bestattungspflichtige Angehörige sind regelmäßig zu den Kosten der von Amts wegen durchgeführten Bestattung ohne Rücksicht darauf heranzuziehen, ob die familiären Verhältnisse gestört waren (sog. intendiertes Ermessen). Etwas anderes kann nur bei außergewöhnlichen Umständen gelten, zB einer schweren Straftat des Verstorbenen gegen den Betattungspflichtigen (BayVGH BeckRS 2009, 39214). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Heranziehung zu den Bestattungskosten ist auch verhältnismäßig, wenn der Bestattungspflichtige nicht Erbe des Verstorbenen ist und keinen zivilrechtlichen Regressanspruch hat, da die Möglichkeit einer Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger im Fall der Unzumutbarkeit besteht. (redaktioneller Leitsatz)
3 Nimmt die Behörde die Bestattungspflichtige zunächst irrtümlich als Schwester des Verstorbenen in Anspruch und erkennt sie später, dass es sich um die Tochter handelt, kann sie diese richtige Begründung auch im Verwaltungsprozess noch nachholen.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO-.
1. Die Klage hat nicht bereits deshalb Erfolg, weil die Beklagte in der Begründung ihres Bescheides vom 3. Dezember 2015 irrtümlich davon ausgegangen ist, dass die Klägerin die Halbschwester des Verstorbenen ist.
Entgegen den Ausführungen der Beklagten im verfahrensgegenständlichen Bescheid ist die Klägerin die Tochter des am … April 2012 in München verstorbenen Herrn … Dies hat die Klägerin selbst mit Schreiben vom … April 2016 richtiggestellt. Inzwischen wurde auch von Seiten des Standesamtes … eine Geburtsurkunde der Klägerin vorgelegt, aus der die Vaterschaft des Verstorbenen nachweislich hervorgeht. Gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach Art. 44 BayVwVfG nichtig machen, jedoch unbeachtlich, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Diese Handlung kann bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG). Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat vorliegend mit Schreiben vom 25. April 2016 ausgeführt, dass die Klägerin als Tochter des Verstorbenen ebenfalls dem Kreis der bestattungspflichtigen Angehörigen angehört und mit dem Verstorbenen sogar noch näher verwandt sei als bislang angenommen wurde. Der Umstand, dass sie nicht die Halbschwester, sondern die Tochter des Verstorbenen sei, ändere daher nichts an ihrer Kostentragungspflicht. Hiermit hat die Beklagte die dem Bescheid vom 3. Dezember 2015 zugrunde gelegten Gründe auf die Klägerin als Tochter des Verstorbenen erstreckt und die erforderliche Begründung in hinreichender Weise nachgeholt.
2. Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht zur Tragung der entstandenen Bestattungskosten in Anspruch genommen.
2.1. Der verfahrensgegenständliche Bescheid vom 3. Dezember 2015 findet seine Rechtsgrundlage in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 Bestattungsgesetz – BestG. Danach kann eine Gemeinde von einem Bestattungspflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen, wenn sie gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG für die Bestattung des Verstorbenen Sorge tragen musste, weil der nach § 15 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Bestattungsverordnung -BestV- Bestattungspflichtige seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist und Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 BestG nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgsversprechend gewesen sind.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Als Tochter der Verstorbenen gehört die Klägerin zum Kreis derjenigen Angehörigen, die gemäß Art. 15 Abs. 1 BestG i. V. m. §§ 15, 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b BestV bestattungspflichtig sind. Die Bestattung der Verstorbenen musste vorliegend von der Beklagten von Amts wegen durchgeführt werden, da eine Bereitschaft der Klägerin, selbst für die Bestattung ihrer Mutter Sorge zu tragen, nicht erkennbar war. Weitere bestattungspflichtige Angehörige, die ggf. gemäß § 15 Satz 2 BestV vorrangig zur Tragung der Bestattungskosten herangezogen werden müssten, sind nicht bekannt.
2.2. Die Ermessensausübung der Beklagten ist nach Maßgabe des § 114 VwGO ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat ihr Ermessen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in zulässiger Weise gemäß § 114 Satz 2 VwGO dahingehend ergänzt, dass die Klägerin auch als Tochter des Verstorbenen zur Tragung der entstandenen Bestattungskosten verpflichtet sei, da sie dem Kreis der bestattungspflichtigen Angehörigen angehöre und die Voraussetzungen für eine behördliche Anordnung der Bestattung erfüllt gewesen seien. Diese Ermessensentscheidung der Beklagten begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Die Beklagte ist bei ihrer Entscheidung, die Klägerin zur Tragung der entstanden Bestattungskosten heranzuziehen, zutreffend davon ausgegangen, dass es sich um einen Fall des sog. intendierten Ermessens handelt. Daraus folgt, dass in der Regel nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei ist (BayVGH, B. v. 9. 6. 2008 – 4 ZB 07.2815 – juris Rn. 6). Anders als im Zivilrecht besteht die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und infolgedessen auch die Verpflichtung, die Kosten der Ersatzvornahme zu tragen, unabhängig davon, ob die Familienverhältnisse zu dem Verstorbenen intakt gewesen waren (Klingshirn in Klingshirn/Drescher/Thimet, Bestattungsrecht in Bayern, Stand April 2014, Erl. XIX Rn. 7). Da die Bestattungspflicht vorrangig der Gefahrenabwehr und der Einhaltung der Bestattungsfristen dient, knüpft das Gesetz die Bestattungspflicht vielmehr formal an die Verwandtschaft zum Verstorbenen. Hintergrund der gesetzlichen Regelung in Art. 15 Abs. 2 BestG und §§ 1, 15 BestV ist dabei der Gedanke, dass die in diesen Vorschriften genannten Angehörigen eines Verstorbenen diesem im Sinne einer Solidargemeinschaft – ungeachtet ihrer persönlichen Beziehungen zueinander – allein schon aufgrund der familiären Verbundenheit regelmäßig näher stehen als die Allgemeinheit (BayVGH, B. v. 17.1.2013 – 4 ZB 12.2374 – juris Rn. 7). Dies entspricht auch dem Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen, wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Steuergeldern. Eine Pflicht, im Bestattungsgesetz eine Ausnahme oder Einschränkung der Bestattungspflicht in Fällen vorzusehen, in denen die familiären Verhältnisse gestört waren, besteht aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht (BayVGH, B. v. 9.6.2008 a. a. O.).
Ermessenserwägungen sind deshalb lediglich im Fall außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen können, angezeigt (BayVGH, B. v. 9.6.2008 a. a. O.). Solche außergewöhnlichen Umstände kommen nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen, die zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben, in Betracht (HessVGH, U. v. 26.10.2011 – 5 A 1245/11 – juris; BayVGH, B. v. 9.6.2008 a. a. O.; BayVGH, U. v. 17. 1. 2013 – 4 ZB 12.2374).
Ein derartiger Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Die von der Klägerin geschilderten Unterhaltspflichtverletzungen ihres Vaters stellen zwar Verfehlungen des Verstorbenen dar; diese sind jedoch nicht mit schweren Straftaten von erheblichem Gewicht gleichzusetzen (HessVGH, U. v. 26.10.2011 a. a. O.; BayVGH, B. v. 17. 1. 2013, a. a. O.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass nach den Angaben der Klägerin zwischen ihr und ihrem Vater weder Kontakt noch in sonstiger Weise ein familiäres Verhältnis bestand. Wie oben ausgeführt, knüpft die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht gerade nicht daran an, ob die familiären Verhältnisse zwischen dem Verstorbenen und seinen Angehörigen intakt waren. Da die familiäre Verbundenheit nicht Voraussetzung der Bestattungspflicht ist, besteht diese auch in Fällen, in denen die familiären Verhältnisse gestört waren. Der fehlende Kontakt vermag ein Absehen von der Kostentragungspflicht folglich nicht zu begründen (vgl. HessVGH, U. v. 26.10.2011 a. a. O., BayVGH, B. v. 17.1.2013 a. a. O.).
Ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsgebot liegt hierin nicht. Denn soweit der Bestattungspflichtige nicht der Erbe ist und keine zivilrechtlichen Regressansprüche gegenüber anderen Privatpersonen hat, besteht nach § 74 Abs. 3 SGB XII die Möglichkeit der Übernahme bzw. Erstattung der Kosten durch den Sozialhilfeträger, soweit es den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Eine Unzumutbarkeit der Kostentragung kann dabei nicht nur aus finanziellen Gründen gegeben sein, sondern auch bei einer Unbilligkeit der Kostentragung aus persönlichen Gründen (BayVGH, B. v. 9.6.2008 – 4 ZB 07.2815 – juris Rn. 8). Ob sich eine Unzumutbarkeit im vorliegenden Fall aus den vorgetragenen persönlichen Gründen ergibt und die Ablehnung der Kostenerstattung durch den Sozialhilfeträger rechtmäßig war, vermag im verwaltungsgerichtlichen Verfahren jedoch nicht überprüft zu werden.
Einwände gegen die Höhe der von der Beklagten geltend gemachten Bestattungskosten wurden nicht erhoben. Berechnungsfehler sind nicht ersichtlich.
Aus alledem ergibt sich, dass der angegriffene Bescheid rechtmäßig und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt ist.
2. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 3.690,31 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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