Europarecht

15 U 2169/21

Aktenzeichen  15 U 2169/21

Datum:
20.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG Koblenz 15. Zivilsenat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OLGKOBL:2022:0620.15U2169.21.00
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend LG Trier, 3. November 2021, 5 O 61/21, Urteilvorgehend OLG Koblenz, 4. April 2022, 15 U 2169/21, Beschlussvorgehend OLG Koblenz 15. Zivilsenat, 4. April 2022, 15 U 2169/21, Beschluss

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 03.11.2021 (5 O 61/21) wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das vorbezeichnete Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 24.404,39 € festgesetzt.

Gründe


I.
Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen, an dem der Senat festhält.
Auch die Ausführungen in der Stellungnahme der Klägerin vom 07.06.2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass. In dieser Stellungnahme macht die Klägerin keine konkreten Einwendungen gegen die bereits erteilten Hinweise geltend, sondern wiederholt lediglich ihren Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die Vorlagefragen in dem Vorabentscheidungsverfahren C-100/21.
Der Senat hat bereits mit Verfügung vom 04.05.2022 mitgeteilt, dass eine Aussetzung gemäß § 148 ZPO mangels Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen nach vorläufiger Rechtsauffassung nicht in Betracht kommt. Hieran hält der Senat auch nach der Stellungnahme der Klägerseite vom 07.06.2022 fest.
Zwar führt die Klägerin zutreffend an, dass es auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht ankommt, sondern ein fahrlässiger Verstoß gegen ein Schutzgesetz im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB ausreichend ist, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Entgegen ihrer Auffassung stellen Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007, §§ 6, 27 EG-FGV jedoch keine diesbezüglichen Schutzgesetze dar, deren Verletzung den geltend gemachten Schaden begründen kann. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. diesen Normen scheitert schon daran, dass das hier geltend gemachte Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich dieser Normen liegt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rn. 73 ff. und Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, Rn. 12, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2020 – 3 U 1283/20 -, BeckRS 2021, 1744 Rn. 25).
Zwar verleihen die relevanten Normen dem Einzelnen Rechte, wie die Klägerin zutreffend anmerkt. Hierfür genügt es bereits, dass eine Norm darauf abzielt, einem hinreichend bestimmten Personenkreis ein Recht einzuräumen, dessen Inhalt sich anhand der verletzten Norm ermitteln lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 10.02.2022 – III ZR 87/21 -, Rn. 9, juris; vgl. auch EuGH, Urteil vom 19.11.1991, NJW 1992, 165 Rn. 11 f.). Auch haben die RL 2007/46/EG und die VO (EG) Nr. 715/2007 insofern drittschützende Wirkung zugunsten der Fahrzeugerwerber, als deren Interesse betroffen ist, „dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird“. Die Verletzung dieses Interesses macht die Klägerin jedoch nicht geltend. Ihr Fahrzeug ist zugelassen und die Betriebserlaubnis nicht wieder entzogen worden. Eine konkret drohende Entziehung der Fahrerlaubnis ist nicht dargetan. Vielmehr macht die Klägerin als verletztes Schutzgut ihr wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden jedoch vom Schutzzweck der RL 2007/46/EG und der VO (EG) Nr. 715/2007 nicht erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 10.02.2022 – III ZR 87/21 -, Rn. 13 f., Beschluss vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, Rn. 12 ff., juris).
Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den in Rede stehenden Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und bereits an die fahrlässige Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – VII ZR 438/21 -, Rn. 3, juris).
Nichts anderes ergibt sich aus den Schlussanträgen des Generalanwalts beim Gerichtshof der Europäischen Union vom 02.06.2022 zu dem Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022, C-100/21, Celex-Nr. 62021CC0100, juris), der entsprechend der Schutzrichtung der RL 2007/46/EG und der VO (EG) Nr. 715/2007 einen individuellen Schutz des Erwerbers aus dem Vorliegen einer ordnungsgemäßen Übereinstimmungsbescheinigung für das erworbene Fahrzeug ableitet. Auch eine Verletzung dieses Interesses macht die Klägerin hier nicht geltend (vgl. hierzu bereits BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 -, Rn. 76). Die Klägerin verlangt von der Beklagten nicht etwa die Erstattung von Schäden, die ihr durch eine verzögerte (Erst-)Zulassung ihres Fahrzeuges entstanden sind. Tatsächlich ist ihr Fahrzeug auch zugelassen und verfügt über eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung, die es ihr erlaubt, das Fahrzeug innerhalb der Mitgliedstaaten der EU zuzulassen und zu veräußern.
Die an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichteten Vorabentscheidungsersuchen geben daher keinen Anlass, das Verfahren auszusetzen, da sie die tragenden Erwägungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht betreffen (BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – VII ZR 491/21, Rn. 14 zum Vorabentscheidungsersuchen des LG Ravensburg, Beschluss vom 09.03.2021 – 2 O 315/20 -, das dieselben Vorlagefragen zum Gegenstand hat, zu denen sich die Schlussanträge des Generalanwaltes vom 02.06.2022 in der Sache C-100/21, Celex-Nr. 62021CC0100, verhalten).
Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 2 AEUV bedarf es im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage („acte claire“) nicht (vgl. BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 -, Rn. 77, und vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, Rn. 10 ff.; Beschlüsse vom 12.01.2022 – VII ZR 268/21, 438/21 und 580/21, jeweils Rn. 1,- VII ZR 491/21 -, Rn. 12 ff., jeweils zitiert nach juris).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO und der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 3 ZPO, § 47 GKG.


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