Europarecht

Abänderung eines Dublin-Bescheids nach Ablauf der Überstellungsfrist

Aktenzeichen  AN 17 K 20.50258

Datum:
23.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26547
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) 604/2013 Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1, Art. 27 Abs. 4, Art. 29 Abs. 2 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Entscheidung, einen bestandskräftigen Dublin-Bescheid nicht abzuändern bzw. aufzuheben, ist allein mit einer Verpflichtungsklage angreifbar (Bestätigung von VG Ansbach BeckRS 2019, 29394 Rn. 13). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei dem Begehren auf Abänderung eines „Dublin-Bescheides“ handelt es sich nicht um einen Asylfolgeantrag i.S.v. § 71 AsylG. Hierfür ist die Vorschrift des § 51 VwVfG unmittelbar heranzuziehen (Anschluss an VG Müchen BeckRS 2019, 7048). (Rn. 24 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein der Gang in das sog. „offene Kirchenasyl“ führt für sich gesehen nicht zur Annahme des Merkmals „Flüchtig Sein“, weil es jedenfalls aufgrund der Praxis der Ausländerbehörden im Freistaat Bayern hinsichtlich der Nichtabschiebung aus dem Kirchenasyl heraus an der Kausalität zwischen dem Scheitern der Überstellung und einer in Entziehungsabsicht erfolgten Ortsveränderung fehlt (Bestätigung von VG Ansbach BeckRS 2019, 18511). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit des von der Klägerin gestellten Asylantrages wiederaufzugreifen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte eine Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung treffen, da die Parteien hierzu ihr Einverständnis gemäß § 101 Abs. 2 VwGO erteilt haben (Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 27. August 2020 und Allgemeine Prozesserklärung des Bundesamtes an die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 27. Juni 2017).
Die im Umfange der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) zulässige Klage hat Erfolg. Soweit sie zulässig ist, ist sie begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens.
1. Die Klage ist nur im Umfang des Verpflichtungsbegehrens, nicht jedoch auch mit ihrem Anfechtungsantrag statthaft. Insoweit war die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhobene Klage mangels Zulässigkeit des Anfechtungsantrages teilweise abzuweisen.
Die Entscheidung im Bescheid vom 1. Juli 2020, den ursprünglichen Bescheid vom 18. Oktober 2019 nicht abzuändern, ist allein mit einer Verpflichtungsklage angreifbar (VG Ansbach, B.v. 14.11.2019 – 17 S 19.51068, BeckRS 2019, 29394 Rn. 13; VG München, B.v. 15.4.2019 – M 9 E 19.50335, BeckRS 2019, 7048 Rn. 16 ff. und GB v. 23.8.2019 – M 19 K 18.53026, BeckRS 2019, 46749 Rn. 16 f.).
Da vorliegend die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 26. Mai 2020 auf Abänderung des Bescheids „als unzulässig“ (und nicht als unbegründet) abgelehnt hat, ist der Bescheid vom 1. Juli 2020 so auszulegen, dass die Beklagte es bereits abgelehnt hat, das Verfahren überhaupt wiederaufzugreifen. Die Klägerin verfolgt daher bei sachgerechter Auslegung ihres Begehrens (§ 88 VwGO) das Ziel, die Beklagte zum Aufgreifen des Verfahrens zu verpflichten, weil entweder bereits die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen und die Beklagte zum Aufgreifen des Verfahrens verpflichtet war oder weil zumindest ihr Anspruch auf ermessensgerechte Ausübung der Aufhebungsermächtigung aus §§ 48 f. VwVfG (sog. Wiederaufgreifen i. w. S. als „erste Stufe“ des Verfahrens nach §§ 48 f. VwVfG – hierzu Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 48 Rn. 166a) nicht erfüllt wurde.
Statthaft ist daher im vorliegenden Fall (nur) eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel, die Beklagte durch das Gericht zum Aufgreifen des Verfahrens zu verpflichten. Die Auslegung des gestellten Klageantrags vom 7. Juli 2020 in dieser Weise ist möglich. Insbesondere geht die Klägerseite auch dem Wortlaut der Anträge nach nicht über die Durchführung eines nationalen Verfahrens als solches hinaus und begehrt vorliegend nicht schon ein „Durchentscheiden“ des Gerichts im Hinblick auf die materiell-rechtlichen Fragen der Zuerkennung internationalen Schutzes.
Die Verpflichtungsklage ist auch sonst zulässig erhoben worden.
2. Die Verpflichtungsklage ist begründet. Der Bescheid vom 1. Juli 2020 ist rechtswidrig, da ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gemäß § 51 VwVfG besteht.
Bei dem Begehren auf Abänderung eines „Dublin-Bescheides“ handelt es sich nicht um einen Asylfolgeantrag i.S.v. § 71 AsylG. Ein Asylfolgeantrag kann nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG erst gestellt werden, wenn ein erster Asylantrag in der Sache bereits unanfechtbar abgeschlossen ist. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2019 wurde die Klägerin lediglich (bestandskräftig) mit ihrem Asylbegehren auf die Zuständigkeit Rumäniens verwiesen, das Asylbegehren aber inhaltlich nicht geprüft und nicht abgelehnt. Das Bundesamt hat den Antrag vom 26. Mai 2020 deshalb im Ergebnis richtigerweise nicht als Asylfolgeantrag verbeschieden und zu Recht keine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG getroffen (ebenso VG München, B.v. 15.4.2019 – M 9 E 19.50335 – juris Rn. 19 ff, VG Regensburg, B.v. 13.3.2019 – RO 9 E 19.50172 – juris Rn. 24 ff, anders VG Ansbach, U.v. 20.8.2019 – AN 17 K 19.50538 – juris Rn. 19, Bergmann/Dienelt, AsylG 13. Aufl. 2020 § 71 Rn. 7). Dass das Bundesamt in den Gründen des Bescheides vom 1. Juli 2020 (hilfsweise) auch § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG erwähnt, führt noch nicht zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung. Eine entsprechende Unzulässigkeitstenorierung wurde vom Bundesamt nicht vorgenommen. Es ergibt sich auch sonst aus dem Bescheid und der Handhabung des Bundesamtes nicht, dass ein Folgeantrag nach § 71 AsylG angenommen worden ist. Das Bundesamt ging letztlich ersichtlich zu Recht lediglich von einem Änderungsantrag hinsichtlich der Dublin-Entscheidung aus (in der Rechtsprechung teilweise als „Dublin-Folgeantrag“ bezeichnet).
Wie ein derartiger „Dublin-Folgeantrag“ zu behandeln ist, ergibt sich aus den Asylgesetzen nicht ausdrücklich. Hierfür ist nach der Auffassung des erkennenden Gerichts, wie auch sonst in derartigen Fällen, die Vorschrift des § 51 VwVfG unmittelbar heranzuziehen (so auch VG München, B.v. 15.4.2019, a.a.O. und VG Regensburg, B.v. 13.3.2019, a.a.O., auch VG Ansbach, B.v. 15.4.2019 – AN 17 S 19.50384 – juris Rn. 32).
Die Klägerin hat jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) einen Anspruch auf Wiederaufgreifen ihres Dublin-Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, da sich die dem Dublin-Bescheid zugrunde liegende Sachlage nachträglich zu ihren Gunsten verändert hat und auch kein Ausschlussgrund nach § 51 Abs. 2 VwVfG vorliegt.
Es ist zwischenzeitlich die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO abgelaufen, so dass die Zuständigkeit für das Asylverfahren der Klägerin gemäß dieser Vorschrift auf die Beklagte übergegangen ist. Hierauf kann sich die Klägerin auch berufen (EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – NVwZ 2018, 43). Darüber hinaus wurde die regelmäßige Überstellungsfrist von sechs Monaten weder durch die Entscheidung des Bundesamtes vom 24. Januar 2020 auf 18 Monate wegen der Annahme des Merkmals „Flüchtig-Sein“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO verlängert, noch wirkt sich die Aussetzungsentscheidung vom 20. Mai 2020 zu Gunsten der Beklagten aus.
Ausgehend von der Übernahmemitteilung der rumänischen Dublin-Einheit an das Bundesamt vom 16. Oktober 2019, die beim Bundesamt über das elektronische Dublin-Net am selben Tag einging, sowie der zuvor fristgerecht aufgrund einer am 5. August 2019 übermittelten Treffermeldung aus der EURODAC-Datenbank am 4. Oktober 2019 – und damit innerhalb des 2-Monats-Zeitraums des Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO – gestellten Wiederaufnahmeersuchens des Bundesamtes in Gang gesetzten regelmäßigen Überstellungsfrist endete diese zunächst mit Ablauf des 16. April 2020 (Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1, 42 Dublin III-VO). Durch den am 31. Oktober 2019 zulässig erhobenen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 18. Oktober 2019 wurde diese Frist unterbrochen und mit der Bekanntgabe des Beschlusses vom 20. November 2019 an die Beklagte am 26. November 2019 erneut vollständig in Lauf gesetzt (BeckOK MigR/Gräsel, 5. Ed. 1.7.2020, VO (EU) 604/2013 Art. 29 Rn. 9 u. 10). Folglich blieb der Beklagten bzw. den Ausländerbehörden nunmehr Zeit bis zum Ablauf des 26. Mai 2020, die Klägerin nach Rumänien zu überstellen. Da den Behörden des unzuständigen Staates im Dublin-Verfahren die regelmäßige Überstellungsfrist vollständig zusammenhängend zur Verfügung stehen muss (BVerwG, Urt. v. 26.5.2016 – 1 C 15/15 – NVwZ 2016, 1185 Rn. 11), änderte sich an diesem Fristenlauf auch nichts durch die Klagerücknahme und Beendigung des Verfahrens AN 17 K 19.51067, so dass der Dublin-Bescheid vom 18. Oktober 2019 mit Eingang der Klagerücknahme bei Gericht am 25. März 2020 bestandskräftig wurde. Denn mit der Ablehnung des Antrages im vorläufigen Rechtsschutzverfahren AN 17 S 19.51066 wurde die Abschiebungsanordnung jedenfalls vollziehbar und war im Hinblick auf die Übernahmebereitschaft der rumänischen Behörden auch tatsächlich möglich. Bis zum Ablauf des 26. Mai 2020 erfolgte jedoch keine Abschiebung der Klägerin nach Rumänien.
Die Entscheidung des Bundesamtes vom 24. Januar 2020 auf Verlängerung der regelmäßigen Überstellungsfrist war von Rechts wegen nicht geeignet, diese Frist auf 18 Monate zu verlängern. Das Merkmal „Flüchtig-Sein“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO lag in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht vor und wurde vom Bundesamt rechtswidrig angenommen. Unstreitig war sowohl der Beklagten als auch den Ausländerbehörden die Adresse des ständigen Aufenthaltes der Klägerin mit deren Gang in das Kirchenasyl bekannt und wurde von der Kirchengemeinde auch zeitnah dem Bundesamt mitgeteilt. An den Gang des Kirchenasyls allein knüpfte das Bundesamt auch noch nicht die Verlängerungsentscheidung, sondern erst an die Tatsache, dass die Klägerin das Kirchenasyl nach für sie negativer Prüfung ihres Härtefalldossiers gleichwohl nicht verließ. Eine Änderung der Anschrift bzw. des Aufenthaltsortes der Klägerin ging mit diesem bloßen Verweigern, das Kirchenasyl zu verlassen, nicht einher. Es ist jedoch in der Rechtsprechung der hier zuständigen Kammer unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass allein der Gang in das sog. „offene Kirchenasyl“ für sich gesehen nicht zur Annahme des Merkmals „Flüchtig Sein“ führt, weil es jedenfalls aufgrund der Praxis der Ausländerbehörden im Freistaat Bayern hinsichtlich der Nichtabschiebung aus dem Kirchenasyl heraus an der Kausalität zwischen dem Scheitern der Überstellung und einer in Entziehungsabsicht erfolgten Ortsveränderung fehlt (vgl. etwa: VG Ansbach, B.v. 26.7.2019 – 17 S 19.50639, BeckRS 2019, 18511 sowie BayVGH, B.v. 12.2.2020 – 14 B 19.50010 – BeckRS 2020, 1946). Das Verhalten der Ausländerbehörden muss sich die Beklagte dabei auch zurechnen lassen (BVerwG, B.v. 8.6.2020 – 1 B 19.20 – BeckRS 2020, 16029 Rn. 6). Entsprechend fehlt es auch im vorliegenden Fall an Anhaltspunkten, die eine andere Betrachtungsweise zulasten der Klägerin zumindest nahelegen. Die Annahme des Merkmals „Flüchtig Sein“ erfolgte hier durch das Bundesamt allein vor dem Hintergrund, dass die Klägerin das Kirchenasyl nicht verlassen hatte. Es fehlte zu diesem Zeitpunkt jedoch schon am Merkmal der in Entziehungsabsicht erfolgten Ortsveränderung, denn die der Beklagten bekannte Anschrift der Klägerin blieb unverändert und die Beklagte hatte zuvor den Gang in das Kirchenasyl selbst nicht zum Anlass genommen, vom Merkmal „Flüchtig Sein“ auszugehen. Damit erfolgte die Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate in rechtswidriger Weise und kann der Klägerin nicht entgegengehalten werden.
Auch die Aussetzungsentscheidung vom 20. Mai 2020 war nicht geeignet, den Lauf der regelmäßigen Überstellungsfrist erneut zu unterbrechen und mit der Widerrufsentscheidung vom 14. Juli 2020 von vorn beginnen zu lassen. Zwar war zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung die regelmäßige Überstellungsfrist noch nicht abgelaufen und erfolgte insbesondere auch die Mitteilung über die Aussetzung an die rumänischen Behörden am 22. Mai 2020 aus Sicht des Gerichts noch innerhalb der laufenden 6-Monats-Frist. Auch ist es im Weiteren dem Bundesamt grundsätzlich in einem Dublin-Verfahren rechtlich möglich, von sich aus eine Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO treffen zu können. Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings in seiner Entscheidung vom 8. Januar 2019 im Verfahren 1 C 16/18 (= NVwZ 2019, 304) Maßgaben dazu aufgestellt, wann sich eine solche behördliche Aussetzungsentscheidung als rechtlich zutreffend erweisen kann. Es bedarf dazu sachlich vertretbarer Erwägungen des Bundesamtes und – insoweit als Mindestvoraussetzung – auch eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Abschiebungsanordnung (BVerwG, a.a.O. Rn. 26). Diese Mindestanforderung folgt aus der europarechtlichen Prägung der Aussetzungsentscheidung der Behörde, so dass die rechtlichen Bedingungen und Erwägungen der hier maßgeblichen Dublin III-VO mit zu betrachten sind. Grenzen der behördlichen Aussetzungsentscheidung folgen somit aus dem von Art. 27 Abs. 3 und 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO angestrebten Ziel eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und der Ermöglichung einer raschen Bestimmung des für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats (vgl. Erwägungsgrund 5 zur Dublin III-VO) und andererseits dem Ziel zu verhindern, dass sich Asylbewerber durch Weiterwanderung den für die Prüfung ihres Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat aussuchen (Verhinderung von Sekundärmigration). Bloße Schwierigkeiten in den Überstellungsmodalitäten, wie sie beispielsweise im ersten und zweiten Quartal des Jahres 2020 aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise im Dublin-Raum entstanden sind, vermögen daher eine Aussetzungsentscheidung dann nicht zu tragen, wenn nicht zugleich auch (noch) das Ziel der Sicherung effektiven Rechtsschutzes für den Asylantragsteller im Raume steht. So war es aber hier der Fall, denn die behördliche Aussetzungsentscheidung erfolgte zu einem Zeitpunkt, indem das Rechtsschutzverfahren der Klägerin gegen den Dublin-Bescheid, und damit auch gegen die Abschiebungsanordnung, bereits bestandskräftig abgeschlossen war. Hierauf hat die Klägerseite zutreffend hingewiesen und folgt das Gericht dieser Einschätzung. Insoweit kommt es auf die Frage, ob das Bundesamt die Aussetzung nicht aus sachlich vertretbaren Gründen, vor allem also rechtsmissbräuchlich im Hinblick auf den vom Bundesamt selbst angenommenen Ablauf der Überstellungsfrist am 20. Mai 2020, erklärt hat, nicht an und lässt es das Gericht hier auch dahingestellt. Dasselbe gilt für die Rechtsfrage, ob die Aussetzungsentscheidung auch deshalb wirkungslos sein könnte, weil das Bundesamt seine Entscheidung den rumänischen Behörden nicht vor Ablauf der Überstellungsfrist mitgeteilt hat, sofern für den Fristbeginn der regelmäßigen Überstellungsfrist nicht auf das Datum der Bekanntgabe des Beschlusses vom 20. November 2019 im Verfahren AN 17 S 19.51066, sondern auf das Beschlussdatum selbst abgestellt werden müsste.
Es liegt schließlich auch kein Ausschlussgrund nach § 51 Abs. 2 VwVfG vor, der der vorliegenden Verpflichtungsklage den Erfolg versagen müsste. Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Zwar läge es hier nahe, die von der Klägerseite im Vorverfahren ohne erkennbare Grund erklärte Klagerücknahme unter die Ausschlussvorschrift des § 51 Abs. 2 VwVfG fallend zu subsumieren, da es der Klägerin trotz der für sie negativen Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unbenommen geblieben wäre, den Ablauf der regelmäßigen Überstellungsfrist zunächst abzuwarten und so den Erfolg ihrer Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2019 durch schlichten Zeitablauf herbeizuführen. Jedoch ist insoweit auch in die Betrachtung einzustellen, dass die Klägerseite nach entsprechender Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung für Januar 2020 ihr Einverständnis in eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hat und dieses Vorgehen sich prozessual als zulässig erweist. In der Folge war der Termin zur mündlichen Verhandlung auch abgesetzt worden und musste die Klägerin fortan jederzeit mit einer Entscheidung des Gerichts im Hauptsacheverfahren rechnen, so dass nicht feststeht, dass die Klägerin den erst im Mai 2020 anstehenden Ablauf der regelmäßigen Überstellungsfrist im Vorverfahren geltend machen konnte. Das gilt erst Recht, wenn die Klägerin den Termin zur mündlichen Verhandlung im Januar 2020 wahrgenommen hätte. Überdies ist von der Klägerin nicht zu verlangen, dass sie im Vorverfahren Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, die noch nicht eingetreten sind, vorsorglich geltend macht (Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 51 Rn. 129).
Im Ergebnis war der Verpflichtungsklage im tenorierten Umfang daher stattzugeben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO und § 83b AsylG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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