Europarecht

Abgasskandal: Voraussetzungen für die Annahme einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung

Aktenzeichen  5 U 144/20

Datum:
14.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 29942
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 10
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 27 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Deliktische Ansprüche scheiden nicht schon deshalb von vorneherein aus, weil der Kläger sein vom Abgasskandal betroffenes Kraftfahrzeug nach Erlass des Ersturteils veräußert hat. Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH BeckRS 2012, 25405), wonach ein Schadensersatzanspruch – insbesondere aus § 826 BGB –, der zum Inhalt hat, den Geschädigten (in den genannten Fällen jeweils einen Kapitalanleger) so zu stellen, als habe er die Kapitalanlage nicht erworben, nach Veräußerung der Anlage so zu berechnen ist, dass auf den vom Geschädigten aufgewendeten Kaufpreis – der vom Schädiger zu erstatten ist – der Erlös aus dem Verkauf der Anlage angerechnet wird (ebenso OLG Stuttgart BeckRS 2020, 26877; OLG Frankfurt BeckRS 2020,37707; OLG Koblenz BeckRS 2021, 1744). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Kühlmittel-Solltemperaturregelung: Greift diese Funktion grundsätzlich bei einem Kaltstart auch im realen Fahrbetrieb ein und führt sie dazu, dass während der Warmlaufphase des Motors eine verringerte Stickoxid-Emission erfolgt, erscheint die Einrichtung als durchaus vorteilhaft, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass bekanntlich ein erheblicher Teil der PKW-Fahrten auf Kurzstrecken entfällt, zumal im innerstädtischen Bereich, sodass die Nützlichkeit der Einrichtung zur Verringerung der – vielfach beklagten – Stickoxidbelastung der Atemluft insbesondere in Städten nicht von der Hand zu weisen ist. Einem Kfz-Hersteller musste sich zum Zeitpunkt der Beantragung der Typgenehmigung und des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht aufdrängen, dass es sich um eine offensichtlich unzulässige Funktion handelt. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 O 728/19 2019-12-10 Endurteil LGANSBACH LG Ansbach

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Ansbach vom 10.12.2019, Az. 3 O 728/19, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil sowie das vorbezeichnete Endurteil des Landgerichts Ansbach sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger hat mit Vertrag vom 24.03.2016 von der Beklagten ein Kraftfahrzeug Mercedes C 200 d T als Neufahrzeug zum Preis von 33.670,81 € erworben. Er nimmt die Beklagte als Herstellerin und Verkäuferin des Fahrzeuges in Anspruch; erstinstanzlich hat er die Erstattung des gesamten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung begehrt, ferner hat er einen Feststellungsantrag gestellt.
Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, sein Fahrzeug, das mit einem Dieselmotor des Typs OM 626 ausgestattet und nach der Schadstoffklasse Euro 6 zugelassen ist, sei mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen i. S. d. Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen; die Motorsteuerung erkenne die Vornahme eines Emissionstests auf dem Prüfstand und aktiviere nur in diesem Fall die volle Emissionskontrolle des Fahrzeuges, wodurch auf dem Prüfstand die nach der Abgasnorm geltenden NOx-Grenzwerte eingehalten würden, während diese im normalen Fahrbetrieb bei weitem überschritten würden. Auf diese Weise habe die Beklagte die Typgenehmigung durch das Kraftfahrt-Bundesamt erschlichen. Insbesondere handele es sich bei den Abschalteinrichtungen um ein sog. Thermofenster (Größe 17° – 30° Celsius), dazu komme eine unzulässige Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, ferner seien vorhanden eine sog. Aufwärmstrategie, eine Lenkwinkel- und Zeiterkennung sowie eine Funktion mit der Bezeichnung Slipguard. Die AdBlue-Einspritzung sei manipuliert, weil der im Fahrzeug befindliche Tank zu klein sei, um die bei korrekter Dosierung des Harnstoffs nötige Menge aufzunehmen. Zudem seien der Kraftstoffverbrauch und die Co²-Emissionen überhöht. Mit falschen Angaben zu den Stickoxid-Emissionen, zum Geräuschpegel und zu den Abschalteinrichtungen habe die Beklagte die Typgenehmigung zu Unrecht erwirkt.
Der Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug sei nichtig, weil wegen Unwirksamkeit der Übereinstimmungsbescheinigung gegen das gesetzliche Verbot in § 27 EG-FGV verstoßen worden sei, die Nichtigkeit ergebe sich darüber hinaus aus einer Anfechtung durch den Kläger wegen arglistiger Täuschung. Hilfsweise werde der Anspruch auch auf Gewährleistungsrecht gestützt. Daneben bestünden deliktische Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. verschiedenen Schutzgesetzen sowie wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB).
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat im Wesentlichen eingewandt, das streitgegenständliche Fahrzeug sei in Übereinstimmung mit der EG-Typgenehmigung produziert worden. Diese Typgenehmigung sei weiterhin uneingeschränkt wirksam. Zwar habe das Kraftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 03.08.2018 für bestimmte Modelle der Beklagten nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung erlassen; von diesem Bescheid sei auch das streitgegenständliche Fahrzeug erfasst. Dies berühre den Bestand der Typgenehmigung an sich jedoch nicht. Zudem sei das erforderliche Software-Update von der Beklagten entwickelt und vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegeben worden. Das Fahrzeug des Klägers halte im Rahmen des standardisierten Prüfverfahrens die nach der Euro 6 – Norm maßgeblichen Grenzwerte insbesondere für Stickoxide ein. Welches Emissionsverhalten das Fahrzeug außerhalb der vorgeschriebenen Prüfbedingungen zeige, sei rechtlich nicht relevant. Das Fahrzeug sei nicht so gestaltet, dass sich das Emissionskontrollsystem auf der Straße unter normalen Betriebsbedingungen anders verhalte als auf dem Prüfstand. Nach Auffassung der Beklagten gebe es in dem Fahrzeug des Klägers keine unzulässige Abschalteinrichtung. Der Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes sei nicht bestandskräftig; die Beklagte habe ihn angefochten. Sie teile die Auffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes nicht. Jedenfalls könne von einem objektiv sittenwidrigen Verhalten der Beklagten keine Rede sein; diese habe zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung annehmen dürfen, sämtliche Elemente der Emissionskontrolle seien zulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der vor dem Landgericht zuletzt gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Endurteils des Landgerichts Ansbach vom 10.12.2019 (Bl. 250-265 d.A.) verwiesen.
Mit diesem Endurteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Dahinstehen könne, ob in dem streitgegenständlichen Fahrzeug tatsächlich eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden sei, wobei der Umstand, dass das Kraftfahrt-Bundesamt einen Rückruf angeordnet habe, mangels Bestandskraft insoweit nichts besage. Selbst wenn man eine unzulässige Abschalteinrichtung unterstelle, führe dies nicht zu einem Anspruch des Klägers. Der Kaufvertrag sei nicht nach § 134 BGB nichtig, da das möglicherweise verletzte Verbotsgesetz (§ 27 EG-FGV) sich einseitig nur an den Verkäufer richte. Weil der Kläger eine arglistige Täuschung durch die Beklagte nicht hinreichend dargelegt habe, führe auch die vom Kläger erklärte Anfechtung nicht zur Nichtigkeit des Kaufvertrages. Ein Rückabwicklungsanspruch aufgrund des vom Kläger erklärten Rücktritts scheitere daran, dass der Kläger der Beklagten keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt habe; diese Fristsetzung sei hier auch nicht entbehrlich gewesen. Auch deliktische Ansprüche bestünden nicht. Ein Anspruch aus § 826 BGB scheitere daran, dass die Ersatzpflicht nach dieser Vorschrift auf Schäden beschränkt sei, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbotes fielen. Die europarechtlichen Vorschriften dienten aber nicht dem Schutz des Vermögens der Kraftfahrzeugkäufer. Einen Betrug habe der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Sollte die Beklagte die für die Typzulassung zuständige Stelle getäuscht haben, stehe dies einer Täuschung des Klägers selbst nicht gleich. Über ein Erlöschen der Typgenehmigung sei der Kläger deshalb nicht getäuscht worden, weil die Typgenehmigung tatsächlich nicht erloschen sei. Schließlich sei die von der Beklagten ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung nicht falsch, sondern gültig.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe des Endurteils vom 10.12.2019 verwiesen.
Dieses Endurteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.12.2019 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 13.01.2020, der am gleichen Tag bei dem Oberlandesgericht Nürnberg eingegangen ist, hat der Kläger Berufung eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 18.03.2020, am gleichen Tag und damit innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen, hat der Kläger sein Rechtsmittel begründet.
Mit der Berufung hat der Kläger zunächst seine erstinstanzlich abgewiesenen Anträge unverändert weiter verfolgt.
Zu Unrecht habe das Landgericht eine Nichtigkeit des Kaufvertrages verneint. Entgegen seiner Auffassung sei auch eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht erforderlich gewesen; dies werde inzwischen von zahlreichen Oberlandesgerichten so gesehen. Auch bestehe sehr wohl ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung; es komme nicht allein auf die Frage an, welchem Zweck die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 diene. Der Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften führe dazu, dass das Fahrzeug des Klägers mangelhaft sei und diesem behördliche Maßnahmen bis hin zur Stilllegung des Fahrzeugs drohten; damit sei der klägerische Rechtskreis durchaus betroffen. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 17.03.2021 trägt der Kläger vertieft zum sog. Thermofenster, zur unzulässigen Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, zu dem AGR-SCR-Effizienzausgleich und zur Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes über all diese nicht zulässigen Einrichtungen vor.
Nachdem der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug am 18.12.2020 für 13.900,00 € bei einem Kilometerstand von rund 111.000 veräußert hat, stellt er im Berufungsverfahren folgenden Antrag:
1. Das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 10.12.2019, 3 O 728/19, wird aufgehoben und wie folgt abgeändert.
2. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei € 33.670,81 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2019 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Zahlen eines Wertersatzes in Höhe von € 13.900,00 statt der Übereignung und Herausgabe des Mercedes-Benz C 200 d T-Modell (Fahrzeugidentifikationsnummer: …78 sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer Entschädigung in Höhe von € 7.489,26 für die Nutzung des PKW.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei für über Klageantrag Ziffer 1 hinausgehende Schäden, die aus der Manipulation des in Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeuges durch die Beklagtenpartei resultieren, Schadensersatz zu leisten.
4. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.256,24 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Das Ersturteil stehe im Einklang mit der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, die noch in keinem Fall einer Klage stattgegeben hätten. Der Kaufvertrag sei wirksam; etwaige Gewährleistungsansprüche seien verjährt, zumindest sei ein Rücktritt mangels einer – erforderlichen – Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht wirksam erfolgt. Im Übrigen liege auch kein Sachmangel vor. Ein sittenwidriges Handeln der Beklagten als Voraussetzung für einen Anspruch aus § 826 BGB habe nicht vorgelegen. Die Beklagte sei bei der Auslegung der Emissionskontrolleinrichtung in dem streitgegenständlichen Fahrzeug mindestens einer vertretbaren Rechtsauffassung gefolgt. Dies gelte auch für die nach Auffassung der Beklagten nicht berechtigte Beanstandung des Kraftfahrt-Bundesamtes, die sich hier auf die vom Kraftfahrt-Bundesamt als „Strategie B“ bezeichnete Funktion des AGR-SCR-Effizienausgleiches beziehe. Diese Funktion, deren grundsätzlich positive Wirkung auch vom Kraftfahrt-Bundesamt anerkannt werde, erhöhe während des Motorwarmlaufs die Abgasrückführungsrate, um die in dieser Betriebsphase zunächst geringe oder ganz fehlende Wirkung des SCR-Systems zu kompensieren. Dass diese Erhöhung der Abgasrückführungsrate nur erfolge, wenn die Ansauglufttemperatur 17° Celsius überschreite (was einer Umgebungslufttemperatur von etwa 9° Celsius entspreche), und zeitlich auf 20 Minuten während eines Zündungslaufs begrenzt werde, sei vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandet worden, jedoch zu Unrecht. Für diese Begrenzungen gebe es gute technische Gründe, sie seien zum Schutz des Motors erforderlich.
Mit einem nachgelassenen Schriftsatz vom 15.04.2021 trägt die Beklagte u.a. vor, die vom Kläger gerügte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sei in dem streitgegenständlichen Fahrzeug schon nicht vorhanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Partievorbringens wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Der Senat hat keinen Beweis erhoben.
II.
Die Berufung des Klägers gegen das seine Klage insgesamt abweisende Endurteil des Landgerichts Ansbach vom 10.12.2019 ist zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Die Entscheidung des Landgerichts trifft im Ergebnis auch unter Berücksichtigung des im zweiten Rechtszug vertieften Vorbringens des Klägers zu angeblich unzulässigen Abschalteinrichtungen in seinem Fahrzeug und insbesondere unter Berücksichtigung der vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässig gerügten Funktion des AGR-SCR-Effizienzausgleichs zu.
1) Deliktische Ansprüche des Klägers scheiden im Streitfall nicht schon deshalb von vorneherein aus, weil der Kläger das streitgegenständliche Kraftfahrzeug nach Erlass des Ersturteils veräußert hat. Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (WM 2004, 626; WM 2013, 24), wonach ein Schadensersatzanspruch – insbesondere aus § 826 BGB -, der zum Inhalt hat, den Geschädigten (in den genannten Fällen jeweils einen Kapitalanleger) so zu stellen, als habe er die Kapitalanlage nicht erworben, nach Veräußerung der Anlage so zu berechnen ist, dass auf den vom Geschädigten aufgewendeten Kaufpreis – der vom Schädiger zu erstatten ist – der Erlös aus dem Verkauf der Anlage angerechnet wird. Für den hier gegebenen Fall, dass der Kläger nach seinem Vortrag aufgrund einer Täuschung durch die Beklagte einen nachteiligen Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug geschlossen hat, kann nichts anderes gelten. Der Senat schließt sich deshalb den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Stuttgart (Urteil vom 29.09.2020, NJW-RR 2021, 212), Frankfurt (Urteil vom 18.12.2020, 13 U 326/19, zitiert nach juris) und Koblenz (Urteil vom 26.01.2021, MDR 2021, 416) an. Dabei ist unerheblich, ob der Kläger bei der Weiterveräußerung deshalb einen geringeren Preis erzielt hat, weil das streitgegenständliche Kraftfahrzeug von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts betroffen ist.
2) Ein Anspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25.05.2020, BGHZ 225, 316; siehe auch Urteil vom 26.01.2021, WM 2021, 359), wenn ein Automobilhersteller dem Kraftfahrt-Bundesamt zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorspiegelt, dass die von ihm hergestellten (Diesel-) Fahrzeuge den maßgeblichen Stickoxid-Grenzwert einhalten, während die Motorsteuerungssoftware entsprechend ihrer Programmierung bewirkt, dass im normalen Fahrbetrieb das Emissionskontrollsystem auch unter Betriebsbedingungen, die denen im gesetzlichen Emissionsprüfzyklus entsprechen, anders und hinsichtlich der Stickoxid-Emissionsverringerung weniger wirksam arbeitet als im Prüfzyklus selbst; denn dann wird die Typgenehmigungsbehörde arglistig über das wirkliche Emissionsverhalten des Fahrzeuges getäuscht. Auch wenn im wirklichen Fahrbetrieb die exakt festgelegten Prüfbedingungen zumindest in ihrer für den Testzyklus vorgeschriebenen Kombination selten vorliegen werden, erwartet die Genehmigungsbehörde doch, dass die im gesetzlichen Prüfzyklus ermittelten Emissionswerte für das Emissionsverhalten des Fahrzeuges im wirklichen Betrieb zumindest einen gewissen Anhalt liefern, weil sie davon ausgeht, dass im wirklichen Fahrbetrieb unter zumindest annähernd dem Prüfzyklus vergleichbaren Bedingungen das Emissionskontrollsystem nicht grundsätzlich anders arbeitet als im Prüfzyklus selbst. Eine Manipulationssoftware der beschriebenen Art führt dagegen dazu, dass die bei der Prüfung ermittelten Emissionswerte für die Emissionen im wirklichen Fahrzeugbetrieb keinerlei Aussagekraft haben. Würde bei einer solchen Gestaltung der maßgebliche Grenzwert – insbesondere für Stickoxide – nicht eingehalten, wenn das Emissionskontrollsystem auch bei der Emissionsprüfung im „Straßenmodus“ arbeitete, ist die Typgenehmigung objektiv zu Unrecht erteilt worden mit der Folge, dass der Fahrzeugerwerber mit Maßnahmen der Zulassungsbehörde bis hin zur Stilllegung rechnen muss. Infolgedessen erweist sich der Kaufvertrag als für den Käufer nachteilig; darin liegt gegebenenfalls sein Schaden. Verhält sich dagegen das Emissionskontrollsystem des Fahrzeuges auf dem Prüfstand und unter vergleichbaren – nicht unbedingt vollständig identischen – Bedingungen im wirklichen Verkehr grundsätzlich gleich, bedeutet der Einbau einer europarechtlich unzulässigen sog. Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 für sich genommen noch kein objektiv sittenwidriges Verhalten des Fahrzeugherstellers (BGH, NJW 2021, 921).
3) Der Senat kann nicht feststellen, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Einrichtung vorhanden ist, die zu einem unterschiedlichen Verhalten des Emissionskontrollsystems je nachdem führt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand zur Emissionsprüfung befindet oder – unter sonst vergleichbaren Bedingungen – im wirklichen Straßenverkehr bewegt wird.
a) Erstinstanzlich hat der Kläger das Vorhandensein einer derartigen Einrichtung nicht einmal behauptet. Vielmehr hat er – freilich im Sinne eines Vorwurfs – vorgetragen, die Beklagte habe ihre Konstrukteure angewiesen, die Emissionskontrolleinrichtungen so zu gestalten, dass sie sich auf dem Prüfstand genauso verhielten wie unter vergleichbaren Bedingungen im wirklichen Straßenverkehr.
b) Von dieser Linie ist der Kläger im Berufungsverfahren allerdings abgewichen. Im Zuge der zusammenfassenden Darstellung der seiner Behauptung nach in dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtungen führt er nun in Bezug auf die von ihm behauptete Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung aus, diese sei so gestaltet, dass sie an die Vorkonditionierung des Fahrzeuges vor Durchführung der gesetzlichen Emissionsprüfung anknüpfe und nur dann die emissionsmindernde Regelung aktiviere, nicht aber im normalen Betrieb. Zusätzlich nimmt er auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. M. H. Bezug, das dieser in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht Stuttgart erstattet hatte; dieser Sachverständige meinte nach Auswertung der Motorsteuerungs-Software eines Fahrzeuges mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651, die Solltemperatur-Absenkung werde im wirklichen Betrieb so gut wie stets schon beim „ersten normalen Beschleunigen“ dauerhaft deaktiviert. Hinsichtlich des sog. AGR-SCR-Effizienzausgleichs, den das Kraftfahrt-Bundesamt in dem streitgegenständlichen Fahrzeug tatsächlich als nicht zulässig beanstandet hat („Strategie B“, so die vom Kraftfahrt-Bundesamt in dem Bescheid vom 03.08.2018 gebrauchte Bezeichnung), behauptet der Kläger ebenfalls eine im Prüfstandbetrieb abweichende Funktion gegenüber dem Normalbetrieb auf der Straße; auf dem Prüfstand würden beim Durchfahren des NEFZ zumindest während etwa 2/3 dieses Zyklus sowohl das SCR-System wie auch die Abgasrückführung mit voller Wirksamkeit betrieben, während dies im Realbetrieb nicht der Fall sei.
Diese Behauptungen des Klägers kann der Senat seiner Entscheidung jedoch nicht zugrundelegen.
aa) Ob die Kühlmittel-Sollwert-Regelung in dem streitgegenständlichen Dieselmotor des Typs OM 626 – einem nicht von der Beklagten selbst entwickelten Motor – überhaupt vorhanden ist, ist streitig. In dem nachgelassenen Schriftsatz vom 15.04.2021 gibt die Beklagte – allerdings erstmals – an, dass es die Funktion in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht gebe. Ob der Senat dieses Bestreiten noch berücksichtigen kann, ist fraglich. Der Beklagten war eine Schriftsatzfrist nur nachgelassen worden, um zu neuem tatsächlichen Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 17.03.2021 sowie im Verhandlungstermin Stellung zu nehmen (Niederschrift vom 25.03.2021, dort S. 3 f., Bl. 533 f. d.A.). In dem erwähnten Schriftsatz hatte sich der Kläger zwar erstmals ausführlicher zur Funktion der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung geäußert; die Behauptung, dass es diese – unzulässige – Funktion in dem Fahrzeug gebe, war allerdings bereits erstinstanzlich aufgestellt worden, wenn auch nur mit einem allgemein gehaltenen Hinweis darauf, dass das Kraftfahrt-Bundesamt diese Funktion als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet habe und dass sie im Fahrzeug des Klägers auch vorhanden sein müsse, denn anderes sei „undenkbar“. Diesem Vortrag des Klägers in erster Instanz war die Beklagte nur mit der Erklärung entgegengetreten, der vom Kläger angeführte Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes betreffe das streitgegenständliche Fahrzeug nicht, im Übrigen halte die Beklagte die Funktion für durchaus zulässig. Darin dürfte ein Bestreiten der Existenz der Regelung in dem Fahrzeug nicht zu erblicken sein. Dies kann jedoch aus den nachstehend dargelegten Gründen dahinstehen. Jedenfalls durfte die Beklagte sich, wie auch geschehen, zu dem detaillierten Vortrag des Klägers zur Funktion der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung erklären.
Der Behauptung des Klägers, die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sei nur auf dem Prüfstand, nicht aber im normalen Betrieb aktiv, ist – auch wenn das Vorhandensein der Funktion unterstellt wird – nicht weiter nachzugehen, insbesondere nicht durch Einholung eines Gutachtens, weil der Kläger diese Behauptung ohne tatsächliche Grundlage „ins Blaue hinein“ aufgestellt hat.
Noch zutreffend legt der Kläger dar, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Regelung beanstandet habe, allerdings, worauf der Kläger nicht hinweist, nicht etwa generell, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen und insbesondere – im Gegensatz zur Behauptung des Klägers – nicht mit der Begründung, dass die Regelung nur auf dem Prüfstand greife; vielmehr hat das Kraftfahrt-Bundesamt in verschiedenen amtlichen Auskünften, die dem Senat bekannt sind, darunter auch derjenigen, die das OLG Naumburg in der vom Kläger selbst zitierten Entscheidung verwertet hat, ausdrücklich festgehalten, dass es sich bei der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung in den beanstandeten Fällen nicht um eine sog. Prüfstandserkennung handele; die für das Aktivieren dieser Regelung maßgebenden Schaltbedingungen seien lediglich an die Bedingungen des Prüfzyklus „angelehnt“. Eine derartige Aussage findet sich beispielsweise in einer amtlichen Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 18.01.2021 gegenüber dem OLG Celle zum dortigen Verfahren 7 U 90/20. Auch die Auskunft, die das OLG Naumburg in seinem Urteil vom 18.09.2020 (8 U 8/20) verwertet hat, nämlich eine Auskunft vom 20.05.2020 betreffend ein Fahrzeugmodell C 220 CDI, lässt deutlich erkennen, dass nach Auffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes die Funktion auch im realen Verkehr unter den Prüfbedingungen des NEFZ stets eingreife und auch bei einer Abweichung von diesen Bedingungen nicht stets, sondern nur „oft“ abgeschaltet werde (S. 10 und 11 des Urteils vom 18.09.2020). Wie sich aus den weiteren Ausführungen dieses Urteils ergibt, versteht auch das OLG Naumburg die Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes dahin, dass die Solltemperatur-Regelung nicht ausschließlich auf dem Prüfstand aktiviert sei.
Auch der vom Kläger zitierte Sachverständige Dr. H. ist in seinem Gutachten für das Landgericht Stuttgart bei einer Auswertung der Motorsteuerungssoftware nicht etwa zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Abhängigkeit der Funktion von einer Prüfstandserkennung vorliege, sondern nur, dass ein De-Aktivierungskriterium, nämlich die Überschreitung einer Motordrehzahl von 1500 U/min für mehr als 5 Sekunden, schon beim „ersten normalen Anfahren“ verwirklicht sei. Eine Abhängigkeit der Funktion von dem Erkennen der sog. Vorkonditionierung hat auch dieser Sachverständige nicht bestätigt; auch sonst ist eine solche Abhängigkeit nirgends beschrieben worden. Überdies zeigt die genauere Betrachtung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. H., dass die vom Kläger für seinen Standpunkt in Anspruch genommene Aussage dieses Sachverständigen auf einer von ihm selbst eingeräumten fehlerhaften Darstellung des Kennfelds der Motorsteuerung beruht. Der ursprünglichen Darstellung des Kennfelds (S. 2 des Gutachtens vom 12.11.2020) könnte zwar entnommen werden, dass bei Motordrehzahlen oberhalb von 1500 U/min keine Sollwertabsenkung erfolgt. Diese Darstellung des Kennfelds hat der Sachverständige jedoch selbst als unplausibel erkannt – was sich an den beiden rechten Spalten des Kennfeldes zeigt -, während bei einer Vertauschung der Kennfeldachsen die Unplausibilität verschwindet. Das sich dann ergebende Kennfeld (dargestellt auf S. 3 des Gutachtens) zeigt aber, dass auch noch bei Motordrehzahlen von 2500 U/min bis zu einem bestimmten Luftmassenstrom die Sollwertabsenkung vorgesehen ist. Diesen Umstand hat der Sachverständige Dr. H. bei seiner Aussage zur angeblichen Prüfstandserkennung unberücksichtigt gelassen. Abgesehen davon, dass die Aussagen des Gutachters Dr. H. sich auf einen Motor der Baureihe OM 651 beziehen und die Steuerung des streitgegenständlichen Motors des Typs OM 626 gänzlich anders gestaltet sein kann – und möglicherweise überhaupt keine Kühlmittel-Sollwertabsenkung vorsieht -, liefert jedenfalls das Gutachten des Sachverständigen Dr. H. keinen Anhaltspunkt für die Behauptung des Klägers, die zur Emissionsminderung eingesetzte Regelung werde nur auf dem Prüfstand aktiv, nicht aber im wirklichen Straßenverkehr.
bb) Hinsichtlich der vom Kläger ebenfalls gerügten Steuerung der Harnstoffdosierung für die SCR-Abgasnachbehandlungseinrichtung behauptet der Kläger nicht explizit, dass die Modus-Umschaltung, die er für nicht zulässig hält – die allerdings vom Kraftfahrt-Bundesamt in dem streitgegenständlichen Modell nicht beanstandet worden ist -, in irgendeiner Weise davon beeinflusst werde, ob sich das Fahrzeug im wirklichen Verkehr befinde oder auf einem Emissionsprüfstand. Nach der Darstellung der Funktionsweise durch die Beklagte, der vom Kläger nicht grundsätzlich widersprochen wird, ist eine solche Abhängigkeit auch nicht gegeben. Die Umschaltung der Dosierungsmodi erfolgt in Abhängigkeit von der Menge der vom Motor bereits emittierten Stickoxide; bis zu einer bestimmten Menge arbeitet die Einrichtung mit einer erhöhten Eindosierung des Harnstoffs, weil ein Teil hiervon vom Katalysator gebunden wird. Sofern sich hierdurch zugleich eine erhöhte Reinigungsleistung des Katalysators ergibt, tritt dieser Vorteil auch im wirklichen Verkehr ein. Nicht entscheidend ist dabei, ob der Zeitpunkt der Umschaltung noch innerhalb des Prüfzyklus oder außerhalb desselben liegt, womöglich auch in zeitlicher Nähe zum Ende des Zyklus.
cc) Bezüglich des sog. AGR-SCR-Effizienzausgleichs, der im streitgegenständlichen Fahrzeug als „Strategie B“ vom Kraftfahrt-Bundesamt tatsächlich beanstandet worden ist, behauptet der Kläger allerdings ein unterschiedliches Verhalten auf dem Prüfstand und außerhalb desselben; auf dem Prüfstand führe die Regelung dazu, dass das Fahrzeug sowohl mit einer außergewöhnlich hohen AGR-Rate als auch während mindestens 2/3 des Messzeitraums mit einem „warmen“ (also wirksamen) SCR-Katalysator fahre. Abgasrückführung und katalytische Reduktion der Stickoxide funktionierten parallel. Außerhalb des Prüfstands sei dies nicht der Fall. Für diese Behauptung gibt es jedoch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte. Einen nur auf dem Prüfstand wirkenden Parallelbetrieb der beiden zur Stickoxid-Reduktion dienenden Techniken hat das Kraftfahrt-Bundesamt gerade nicht festgestellt. Weder die zeitliche Begrenzung der AGR-Ratenerhöhung auf 20 Minuten noch die Abhängigkeit von einer Mindest-Außentemperatur haben etwas mit einer Prüfstandserkennung zu tun; nach der technischen Erläuterung der Beklagten, der der Kläger nicht entgegengetreten ist, wirkt die Einrichtung innerhalb dieser Systemgrenzen auch im wirklichen Straßenverkehr. Auch dieser Behauptung des Klägers ist somit nicht durch Einholung eines Gutachtens nachzugehen.
4) Ist also davon auszugehen, dass sich das Emissionskontrollsystem des streitgegenständlichen Fahrzeuges – das sich hier aus verschiedenen Elementen zusammensetzt – im wirklichen Verkehr unter vergleichbaren Bedingungen nicht grundsätzlich anders verhält als bei der gesetzlichen Emissionsprüfung, so kommt eine Haftung wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in Betracht, wenn – mindestens – die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und Verwendung der die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinflussenden Steuerungen – deren europarechtliche Unzulässigkeit unterstellt – in dem Bewusstsein handelten, unzulässige Abschalteinrichtungen zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, wobei der Kläger als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast trägt, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
a) Das Landgericht hat aufgrund eines zu engen Verständnisses des Anwendungsbereichs des § 826 BGB Feststellungen zum Vorsatz der Beklagten nicht getroffen. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln, selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei – entgegen der Behauptung der Beklagten – tatsächlich die Kühlmittel-Sollwert-Regelung vorhanden, und weiter (hypothetisch) davon ausgegangen wird, dass nicht nur die vom Kraftfahrt-Bundesamt tatsächlich beanstandete Funktion, nämlich die „Strategie B“, unzulässig ist, sondern auch die temperaturabhängige Abgasrückführung als solche sowie die Modus-Umschaltung der Harnstoffdosierung und die Regelung der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung nicht zulässige Abschalteinrichtungen beinhalten.
aa) Der Kläger legt unter erheblichem Begründungsaufwand dar, dass sich die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der temperaturabhängig gesteuerten Abgasrückführung einer veralteten Konstruktion bedient habe, um Kosten zu sparen und so ihren Gewinn zu maximieren. Ob dies zutrifft, kann dahinstehen. Jedenfalls ist den einschlägigen europarechtlichen Vorschriften nicht zu entnehmen, dass nur solche Fahrzeuge genehmigungsfähig seien, deren Konstruktion in jeder Hinsicht dem neuesten Stand entspreche. Unbestritten bleibt aber die Darstellung der Beklagten, die auch in den amtlichen Auskünften des Kraftfahrt-Bundesamtes bestätigt wird, dass mindestens zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell die Verwendung unter anderem außentemperaturabhängig gesteuerter Abgasrückführungen herstellerübergreifend bei Dieselmotoren üblich war und von den Genehmigungsbehörden auch nicht beanstandet wurde, was schon allein daraus hervorgeht, dass das Kraftfahrt-Bundesamt noch im Jahr 2020 Software-Updates, die eine AGR-Ratenabsenkung bei kälteren Umgebungstemperaturen beinhalten, genehmigt hat, wenn dabei die gesetzlichen Vorschriften erfüllt wurden, wenn also in den Typprüfungen der maßgebliche Grenzwert eingehalten wurde (siehe dazu KBA, Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren, Stand 10.01.2020, S. 14, abrufbar unter www.kba.de). Dem entspricht, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Verwendung der temperaturabhängig gesteuerten Abgasrückführung – für sich allein – in den Fahrzeugen der Beklagten in keinem einzigen Fall beanstandet hat. Zahlreiche Oberlandesgerichte teilen die Auffassung des Senats, die er bereits in seinem Urteil vom 19.07.2019 (5 U 1670/18) vertreten hat, dass die Rechtslage bezüglich der Zulässigkeit einer von der (Außen-) Temperatur abhängigen Veränderung der Abgasrückführungsrate zu dem damaligen Zeitpunkt (hier 2015) durchaus nicht so eindeutig war, dass sich die Unzulässigkeit förmlich aufgedrängt hätte. An dieser Auffassung, der bislang von keinem Obergericht widersprochen worden ist, hält der Senat fest (siehe dazu auch Urteil des Senats vom 26.04.2021, 5 U 1701/20). Hinzu tritt die damalige, vom Kläger nicht in Abrede gestellte Genehmigungspraxis, die den Standpunkt der Beklagten bekräftigte. Gerade die Darstellung des Klägers, das Kraftfahrt-Bundesamt sei damals gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass in einer derart gesteuerten Abgasrückführung eine nicht zulässige Abschalteinrichtung zu sehen sein könnte, widerlegt die Auffassung des Klägers, der Beklagten habe sich das Gegenteil förmlich aufdrängen müssen.
bb) Weshalb die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, sollte sie in dem streitgegenständlichen Fahrzeug tatsächlich vorhanden sein, eine so offensichtlich unzulässige Funktion darstellen sollte, dass sich dies der Beklagten zum Zeitpunkt der Beantragung der Typgenehmigung und des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeuges hätte aufdrängen müssen, ist ebenso wenig ersichtlich. Greift die Funktion grundsätzlich bei einem Kaltstart auch im realen Fahrbetrieb ein und führt sie dazu, dass während der Warmlaufphase des Motors eine verringerte Stickoxid-Emission erfolgt, erscheint die Einrichtung doch als durchaus vorteilhaft, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass bekanntlich ein erheblicher Teil der PKW-Fahrten auf Kurzstrecken entfällt, zumal im innerstädtischen Bereich, so dass die Nützlichkeit der Einrichtung zur Verringerung der – vielfach beklagten – Stickoxidbelastung der Atemluft insbesondere in Städten nicht von der Hand zu weisen ist.
cc) Vorsatz hinsichtlich der – unterstellten – Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung kann auch hinsichtlich der Steuerung der Harnstoffdosierung für das SCR-System nicht angenommen werden. Eine Beanstandung durch das Kraftfahrt-Bundesamt ist nicht erfolgt. Der Kläger räumt selbst ein, dass die – hinsichtlich der Reduktionsleistung nach seinem Vortrag effektivere – Anwendung der sog. Füllstandsregelung (die der Kläger hier – begrifflich – mit dem Online-Modus verwechselt) zeitlich begrenzt ist; sollte die Beklagte den bei längerem Fahrzeugbetrieb zumindest dominierenden sog. Online-Modus unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung eines Ammoniak-Schlupfes allzu vorsichtig ausgelegt haben, also eine höhere Eindosierung des Harnstoffs vertretbar gewesen wäre, mag man dies regulatorisch beanstanden können, doch lässt dies nicht auf einen bewussten Gesetzesverstoß schließen.
dd) Nichts anderes gilt für den AGR-SCR-Effizienzausgleich. Die Sinnhaftigkeit dieser Funktion steht außer Frage. Für die von der Beklagten installierte zeitliche Begrenzung auf 20 Minuten führt die Beklagte technische Gründe an, die jedenfalls nicht von der Hand zu weisen sind. Soweit die von dieser Regelung bewirkte Erhöhung der Abgasrückführungsraten auf einen Temperaturbereich oberhalb von ca. 9° Außentemperatur beschränkt wird, gilt nicht anders als für das „schlichte“ Thermofenster der Abgasrückführung, dass die Notwendigkeit einer solchen Begrenzung grundsätzlich von den Genehmigungsbehörden bislang akzeptiert worden ist, so dass nicht zu erkennen ist, weshalb sich der Beklagten hätte aufdrängen sollen, dies gelte nicht, wenn mit der erhöhten Abgasrückführung die anfängliche Unwirksamkeit des SCR-Systems (nach einem Kaltstart) kompensiert werden soll.
5) Ein sittenwidriges Handeln ergibt sich, die Unzulässigkeit der vorstehend behandelten Einrichtungen zur Emissionskontrolle einmal unterstellt, auch nicht daraus, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren diese Funktionen verheimlicht oder „verschleiert“ (BGH, NJW 2021, 921) hätte.
Eine solche Verheimlichung oder Verschleierung lässt sich nicht feststellen.
Soweit die temperaturabhängige Variation der Abgasrückführungsrate in Rede steht, ist dem Senat aus einer Vielzahl bei ihm anhängiger Verfahren bekannt, dass die Beklagte bei Typgenehmigungsanträgen für Fahrzeuge, die mit einem Motor der Baureihen OM 651 oder OM 642 ausgestattet werden sollten, stets ein Dokument mit vorgelegt hat, in dem die für die Steuerung der Abgasrückführung maßgeblichen Parameter aufgelistet sind, wobei als ein solcher die „Lufttemperatur“ aufgeführt war. Weshalb sich dies im Streitfall, bei dem es um einen Motor des Typs OM 626 geht, anders verhalten haben sollte, die Beklagte also gerade hier diesen ansonsten offengelegten Steuerungsparameter verheimlicht haben sollte, ist nicht ersichtlich. Detaillierte Angaben zu der Auslegung der Abgasrückführung, insbesondere zu der genauen Ausgestaltung des Kennfelds, waren nach der damaligen Rechtslage nicht erforderlich. Gleiches gilt für die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung und die Steuerung der SCR-Anlage, damit auch für den AGR-SCR-Effizienzausgleich. Detaillierte Beschreibungen der Standard-Emissionsstrategien und etwaiger zusätzlicher Emissionsstrategien sind erst seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2016/646 vom 20.04.2016 vorgeschrieben, mit der die Verordnung (EG) Nr. 692/2008 geändert und insbesondere Art. 5 dieser Verordnung um die Absätze 11 und 12 erweitert worden ist.
Das Nichtvorliegen detaillierter Beschreibungen der Emissionsstrategien, die gesetzlich nicht gefordert sind, kann ein Verschleiern der jeweiligen Funktionen nicht darstellen.
6) Mangels einer feststellbaren Täuschungshandlung der Beklagten kommt ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB nicht in Betracht. Die europarechtlichen Vorschriften, insbesondere diejenigen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, sind ebenso wenig wie die §§ 6, 27 EG-FGV Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB (BGH, NJW 2020, 2798).
7) Zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812, 818 BGB) verneint. Der Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug ist nicht nichtig.
a) Selbst wenn die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Verkäuferin entgegen § 27 Abs. 1 EG-FGV das streitgegenständliche Fahrzeug, für das sie eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hatte, ohne „gültige“ Übereinstimmungsbescheinigung veräußert hätte, ergäbe sich hieraus nicht die Nichtigkeit des Kaufvertrages und somit auch kein Bereicherungsanspruch des Klägers. Die Auffassung des Landgerichts Augsburg, auf dessen Urteil vom 29.01.2018 (NJW-RR 2018, 1073) sich der Kläger stützt, wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung einhellig nicht geteilt. Die Vorschrift des § 27 Abs. 1 EG-FGV und das in ihr enthaltene Verbot richtet sich nur gegen den Veräußerer des Fahrzeuges; in einem solchen Fall kommt die Rechtsfolge des § 134 BGB nur in Betracht, wenn dem Verbot ein Zweck zugrunde liegt, der gleichwohl die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts erfordert (BGHZ 143, 283). Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil die Nichtigkeit des Kaufvertrages dem Käufer die Gewährleistungsrechte aus § 437 BGB nähme (OLG Karlsruhe, MDR 2019, 1189; OLG Köln, Urteil vom 27.08.2020, 12 U 174/19, OLG Frankfurt, Urteil vom 02.09.2020, 4 U 174/19, jeweils zitiert nach juris). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Im Übrigen fehlt es bereits an der Voraussetzung, dass die von der Beklagten ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung nicht „gültig“ ist. Ist in dem streitgegenständlichen Fahrzeug tatsächlich, wie das Kraftfahrt-Bundesamt annimmt, eine nicht zulässige Abschalteinrichtung vorhanden, so war das Fahrzeug objektiv nicht genehmigungsfähig und ist die Typgenehmigung zu Unrecht erteilt worden; das ändert aber nichts daran, dass das streitgegenständliche Fahrzeug dem genehmigten Typ entspricht, was mit der Übereinstimmungsbescheinigung vom Hersteller bestätigt wird. Anders läge es nur, wenn die zur Prüfung vorgestellten Fahrzeugmuster die (unzulässige) Einrichtung nicht enthalten hätten, sie also erst in die Serienfahrzeuge eingebaut worden wäre, was der Kläger nicht behauptet. Selbst wenn hinsichtlich der Übereinstimmungsbescheinigung ein materieller Gültigkeitsbegriff anzuwenden sein sollte – was durchaus nicht einhellig beurteilt wird -, wäre damit schon die Voraussetzung für die Anwendung des § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht gegeben (siehe dazu insbesondere OLG Köln, a.a.O., Rdz. 39 bei juris).
b) Eine Nichtigkeit des Kaufvertrages ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger erklärten Anfechtung. Dazu wäre eine arglistige Täuschung seitens der Beklagten erforderlich, die aber mangels feststellbaren Vorsatzes hinsichtlich der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung nicht gegeben ist.
8) Da das streitgegenständliche Fahrzeug dem Kläger am 06.06.2016 übergeben worden war, war zum Zeitpunkt der Erklärung der Anfechtung und des Rücktritts mit Anwaltsschreiben vom 16.05.2019 (Anlage K2) hinsichtlich eines etwaigen Mangelgewährleistungsanspruches bereits Verjährung eingetreten (§ 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB). Infolgedessen ist der Rücktritt gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1, 438 Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam, ohne dass es darauf ankäme, ob dem Kläger eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht zumutbar wäre. Anders läge es nur bei einem arglistigen Verschweigen des Mangels (§ 438 Abs. 3 Satz 1 BGB); wie aus den vorstehenden Ausführungen ersichtlich, lag ein solches arglistiges Verschweigen jedoch nicht vor. Die Beklagte hat sich ausdrücklich auf den Eintritt der Verjährung berufen.
Nach alledem ist die Berufung des Klägers nicht begründet. Sie wird mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.
9) Die Revision ist nicht zuzulassen. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs inzwischen geklärt; der Senat weicht auch nicht von der Rechtsprechung anderer Obergerichte ab. Eine Divergenz besteht auch nicht zu der Entscheidung des OLG Naumburg vom 18.09.2020 (8 U 8/20). Diese Entscheidung betrifft den hier nicht gegebenen Fall, dass wegen der sog. Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung ein Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes erfolgt ist. Der im Streitfall ebenfalls vorliegende Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes stützt sich auf eine gänzlich anders beschaffene Funktion, so dass die Erwägungen des OLG Naumburg auf den Streitfall nicht übertragen werden können.


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