Europarecht

Abgelehnter Antrag in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  M 9 S 17.50811

Datum:
20.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56451
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a
AufenthG § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die laut eigener Aussage am … 1989 (Antragsteller zu 1.) und am … 1993 (Antragstellerin zu 2.) geborenen Antragsteller (Bl. 6 d. Behördenakts – i.F.: BA -) sind nach eigenen Angaben Staatsangehörige Nigerias (Bl. 6 d. BA). Sie reisten nach eigenen Angaben am 29. Dezember 2016 von Italien kommend in das Bundesgebiet ein (Bl. 72 d. BA und Bl. 82 d. BA). Sie beantragten am 20. Januar 2017 förmlich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – i.F.: Bundesamt – Asyl (Bl. 6 d. BA). Die Behördenakte (Bl. 91 d. BA und Bl. 94 d. BA) enthält jeweils eine von den Antragstellern unterzeichnete Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (i.F.: BÜMA) vom 29. Dezember 2016; beide Exemplare tragen keinen Eingangsstempel des Bundesamts. Eine nicht unterzeichnete BÜMA vom 2. Januar 2017 ging dem Bundesamt nach Eingangsstempel am 4. Januar 2017 zu (Bl. 88 d. BA).
Aufgrund von Eurodac-Treffern der Kategorie 1 (IT1…) wurden jeweils am 7. Februar 2017 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (i.F.: Dublin III-VO) Wiederaufnahmegesuche an Italien gerichtet (Bl. 101ff. d. BA und Bl. 107ff. d. BA); Zugangsbestätigungen liegen vor (Bl. 113ff. d. BA). Die italienischen Behörden haben bis dato nicht geantwortet.
Mit Bescheid vom 1. März 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge als unzulässig ab (Ziff. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziff. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4). Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Bevollmächtigte der Antragsteller hat mit am 17. März 2017 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Klage gegen den Bescheid erhoben.
Vorliegend beantragt er,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
In Italien seien systemische Mängel im Hinblick auf das Asylverfahren und im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen gegeben. Es werde u.a. beantragt, eine aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amtes zum Thema „Behandlung von Schutzberechtigten und von Asylbewerbern i.R.d. Dublin III-Verfahrens in Italien“ einzuholen. Unter Vorlage zweier Atteste wurde darauf verwiesen, dass der Antragsteller zu 1. an einer „Schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (F32.2G)“ leide und „Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung (F43.1V)“ – i.F.: PTBS – bestehe. Die Antragstellerin zu 2. leide unter Unterleibsproblemen, insbesondere Menstruationsstörungen; ein Attest zu ihren ebenfalls vorhandenen psychischen Problemen werde nachgereicht.
Das Bundesamt stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
1. An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1, Art. 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Dublin III-VO. Die italienischen Behörden haben auf die Wiederaufnahmegesuche, die jeweils am 7. Februar 2017 und damit rechtzeitig innerhalb der 2-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO – die jeweils frühestens mit Einreise, d.h. am 29. Dezember 2016 anlief – gestellt wurden, nicht binnen zwei Wochen, Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO reagiert. Auch die nach der jüngeren EuGH-Rechtsprechung „parallel“ einzuhaltende 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO wurde gewahrt, diese lief vorliegend frühestens mit Eingang der – einzigen gestempelten – BÜMA vom 2. Januar 2017 beim Bundesamt am 4. Januar 2017 als frühestmöglichem Datum einer „Antragstellung“ i.S.v. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO an (VG München, B.v. 23.8.2017 – M 9 S7 17.51363 – juris m.w.N.). Selbst wenn man auf die Einreise der Antragsteller abstellte (29. Dezember 2016), wären alle Fristen ohne weiteres gewahrt.
a) Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wären. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) entspricht. Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Betroffenen führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-GRCharta ausgesetzt zu werden. Eine Widerlegung der Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten anzunehmen, an die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Das Gericht geht nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben genannten Sinne gegeben sind. Dazu wird Bezug genommen auf die fast einhellige Rechtsprechung, die keine systemischen Mängel hinsichtlich Italien (an-)erkennt (VG Osnabrück, B.v. 8.8.2017 – 5 B 212/17 – juris; VG München, B.v. 20.2.2017 – M 9 S 17.50105 – juris; B.v. 29.12.2016 – M 1 S 16.50997 – juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 – 9 AE 5887/16 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 – 12 L 3754/16.A – juris; BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NW, U.v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris; zumeist mit Bezug u.a. auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NW vom 23. Februar 2016 und auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (i.F.: SFH) vom August 2016: „Aufnahmebedingungen in Italien – Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien“, einsehbar z.B. über MILO oder Asylfact bzw. in der Gerichtsbibliothek – Dublin-Sammlung: Italien – bzw. teils frei zugänglich im Internet abrufbar). Nach dieser Erkenntnislage erhalten Asylsuchende (Neuankömmlinge und Rückkehrer gleichermaßen) zuverlässig eine Unterkunft – u.a. über die CAS- bzw. über die SPRAR-Einrichtungen – und sonstige Versorgung (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 4ff.; Bericht der SFH vom August 2016, a.a.O., S. 18ff., insb. S. 28ff.). Es werden stetig zusätzliche Aufnahmezentren geschaffen; das Aufnahmesystem in Italien ist innerhalb von vier Jahren von ca. 5.000 Plätzen auf ca. 120.000 Plätze angewachsen (Bericht der SFH vom August 2016, a.a.O., S. 15). Es ist mithin nichts dafür ersichtlich, dass die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschritten wäre; dies wäre erst dann der Fall, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden (z.B. VG Schwerin, U.v. 26.9.2016 – 16 A 1757/15 As SN – juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 – 9 AE 5887/16 – juris; OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden. Auch der insgesamt eher kritische Bericht der SFH vom August 2016, a.a.O., sieht diesbezüglich in erster Linie nur die Aufnahmesituation von „Personen mit Schutzstatus“ in Italien als problematisch an, nicht aber die Bedingungen für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer (vgl. S. 18ff. einerseits und S. 33ff. andererseits). Es ist klarzustellen, dass die Frage „systemischer Mängel“ nur die Durchführung des Asylverfahrens betrifft und dass eine Anwendung dieser Rechtsfigur auf bereits anerkannte Flüchtlinge deshalb ausscheiden muss (vgl. VG Hamburg, U.v. 9.1.2017 – 16 A 5546/14 – juris in Auseinandersetzung mit anderen Ansichten; VG München, B.v. 20.2.2017 – M 9 S 17.50105 – juris; VG München, B.v. 11.1.2017 – M 8 S 16.51193 – juris). Weiter ist festzuhalten, dass die Dublin III-VO gerade nicht zu einem „forum shopping“ dergestalt verhelfen soll, dass der Betroffene ein Recht darauf habe, sich einen Mitgliedstaat für die Prüfung seines Asylantrags auszusuchen, der beispielsweise ein besseres soziales Sicherungssystem oder bessere Unterbringungsmöglichkeiten bietet (statt aller OVG NW, U.v. 10.3.2016 – 13 A 1657/15.A – juris). Auch der Umstand, dass sich die Situation der Antragsteller in Italien eventuell schlechter darstellt als im Bundesgebiet, begründet keinen systemischen Mangel des dortigen Asylverfahrens (vgl. EGMR, E.v. 2.4.2013 – Nr. 27725/10 – juris; VG München, B.v. 9.11.2016 – M 6 S 16.50638 – juris). Alle Asylbewerber haben in Italien kostenfreien Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem (OVG NW, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 6). Alle, auch irregulär anwesende Personen und Rückkehrer, haben ein Recht auf medizinische Grund- und Notfallversorgung bei Krankheit oder Unfall, auch ohne Selbstbehalt (Bericht der SFH vom August 2016, a.a.O., S. 54f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016, a.a.O., S. 6). Das sog. ticket – der Selbstbehalt – muss darüber hinaus auch langfristig nicht bezahlt werden, solange eine nicht erwerbstätige Person bspw. in einer SPRAR-Einrichtung untergebracht ist oder eine sog. STP-Karte besitzt (Bericht der SFH vom August 2016, a.a.O., S. 56f.). Zugang zu einem Hausarzt und zu weiteren medizinischen Leistungen erhält man über eine Gesundheitskarte, die man ohne weiteres über eine Registrierung bei den lokalen Institutionen erlangt (Bericht der SFH vom August 2016, a.a.O., S. 55).
b) Den Anträgen des Antragstellerbevollmächtigten auf Einholung aktueller Auskünfte und Sachverständigengutachten war nicht weiter nachzugehen. Im auf eine lediglich summarische Prüfung der Sachlage angelegten und grundsätzlich auf die Verwertung präsenter, d.h. von den Beteiligten beigebrachter, ohne förmliche Beweiserhebung gewonnener und lediglich glaubhaft gemachter (§ 294 ZPO) Beweismittel ausgerichteten verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren steht eine förmliche Beweisaufnahme im Ermessen des Gerichts (BeckOK VwGO, Stand: 40. Ed. 1.1.2017, VwGO § 86 Rn. 12). Das Gericht sieht hinsichtlich des bereits in formeller Hinsicht nicht als Beweisantrag formulierten Begehrs angesichts der ihm vorliegenden umfangreichen und aktuellen Erkenntnismittel von der Anforderung einer entsprechenden Auskunft ab. Dies umso mehr, als es nicht „das eine“ richtige bzw. überzeugende Erkenntnismittel geben kann, sondern stets ein breites Spektrum zu berücksichtigen ist. Es wird verwiesen auf die ständige Rechtsprechung des Gerichts (z.B. VG München, B.v. 14.2.2017 – M 9 S 16.50800 – juris; B.v. 2.2.2017 – M 9 S 17.50067 – juris).
2. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse – bezogen auf Italien -, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder inlandsbezogene Vollzugshindernisse, die jeweils im Rahmen der Abschiebungsanordnung, § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG zu prüfen sind (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris), wurden nicht belegt.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass eine vonseiten eines Facharztes diagnostizierte Krankheit keinesfalls zwingend „generell“ eine Reiseunfähigkeit oder die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen zur Folge hat (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.2.2013 – 10 CE 12.2396 – juris). Krankheiten hindern nicht per se die Überstellung im Sinne einer Transportunfähigkeit, v.a. nicht ins innereuropäische Ausland – vorliegend: Italien – (kurze Reisewege, geringe Belastung), und begründen nicht etwa „regelhaft“ ein ernsthaftes Risiko dergestalt, dass sich der Gesundheitszustand des Betroffenen unmittelbar durch die Ausreise oder Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird.
a) Das Vorbringen der Antragsteller bezüglich etwaig bestehender Erkrankungen ist schon nicht stringent. In ihrer Zweitbefragung vom 20. Januar 2017 gab die Antragstellerin zu 2. gegenüber dem Bundesamt noch an, nicht an Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder an einer Behinderung zu leiden (Bl. 56f. d. BA); im Laufe des Gerichtsverfahrens trug der Antragstellerbevollmächtigte dann – allerdings ohne jegliche Belege – vor, die Antragstellerin zu 2. leide an psychischen Problemen „(insbesondere posttraumatische Belastungsstörung PTBS)“.
b) Auch die im Laufe des Gerichtsverfahrens vorgelegten Atteste führen nicht zu einem inlandsbezogenen Vollzugshindernis.
Die hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. vorgetragenen Beschwerden „Unregelmäßige Menstruation, nicht näher bezeichnet“, ICD-Code N92.6 machen eine Abschiebung nach Italien nicht unmöglich.
Auch die jeweils von einem Assistenzarzt unterzeichneten Atteste der Praxis Dr. S. M. vom 22. Februar 2017 und vom 27. März 2017, wonach der Antragsteller zu 1. an einer Schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (ICD-Code F32.2G) leide und wonach „Verdacht“ bestehe auf PTBS (F43.1), begründen keine Abschiebungshindernisse.
Das Attest vom 22. Februar 2017, Bl. 27 d. GA, erschöpft sich in einem Absatz, im Folgenden wörtlich wiedergegeben:
„Hr. E. ist in unserer ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung. Bei Hr. E. bestehen folgende Erkrankungen. Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F32.2G). Aktuelle Medikation: Quetiapin 50 mg N2, Paroxetin 20 mg N1“.
Den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG wird dieses Attest nicht gerecht. Hiernach soll die ärztliche Bescheinigung insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (vgl. dazu bspw. BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 19 CE 17.657 – juris).
Diese Voraussetzungen sind hier offensichtlich allesamt nicht erfüllt.
Nach dem Attest vom 27. März 2017 wurde nicht nur die o.g. Diagnose (erneut) festgestellt, sondern auch ein „Verdacht auf PTBS (F43.1V)“. In psychiatrischer (Vor-) Behandlung sei der Patient nach dem Attest nicht gewesen. Unter Anamnese wird Folgendes – wohl zum Auslöser der festgestellten Krankheitsbilder – festgehalten:
„Patient kommt aus Nigeria, dort hat er viele schlechte Sache erlebt, seitdem er leidet von diese Beschwerden.“
Unter „Psychisch Befund“ findet sich u.a. Folgendes:
„(…) Im interpersonellen Kontakt Hilfe suchend und kooperativ. Formales Denken geordnet, kein Hinweis auf inhaltliche Denkstörungen, Sinnestäuschung oder psychotische Ich-Störungen. Schlafstörungen. Kein Anzeichen von akute Suizidalität.“
Nach diesem Absatz kommt der behandelnde Arzt unter „Zusammenfassen/ Beurteilung“ zu folgendem Ergebnis:
„Bei der Patient besteht weiterhin ein ausgeprägtes ängstliche-depressive und Trauma assoziierte Symptomatik mit Müdigkeit, Antriebslosigkeit und herabgesetzte Ausdauer seit vielen Jahren. Eine ambulante Behandlung wäre aus fachärztlicher Sicht sehr empfehlenswert. Aufgrund der o.g. Beschwerden im Rahmen der Depression und PTSD ist der Patient in vielen Bereichen überfordert. Dabei äußerte er klare suizidale Absichten im Falle einer Abschiebung. Somit kann eine Selbstgefährdung nicht mehr ausgeschlossen werden. Aufgrund der Schwere und der Komplexität des psychiatrischen Krankheitsbildes sind neben psychiatrischen Gesprächsinterventionen auch eine Psychopharmaka-Therapie und Gesprächsintervention erforderlich. Eine zusätzliche psychosoziale Belastung kann den Behandlungsprozess massiv erschweren bzw. zu einer Dekompensation / Verschlechterung der Erkrankung führen. Die weitere psychiatrische Behandlung ist dringend erforderlich. Mein Patient ist äußerst instabil und nicht belastbar.“
Unter „Aktuelle Medikation“ schließlich sind 50 mg N2 Quetiapin und Paroxetin 20 mg N2 aufgeführt.
Den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG (vgl. bereits oben) wird auch dieses Attest nicht gerecht.
Es ist bereits unklar, woran der Antragsteller zu 1. nach dem Attest leiden soll. Während zunächst lediglich ein „Verdacht auf PTBS“ genannt wird, scheint das Krankheitsbild weiter unten angenommen worden zu sein – „im Rahmen der (…) PTSD“. Im Übrigen fehlen nachvollziehbare Angaben u.a. dazu, worauf sich die gestellten Diagnosen stützen, insbesondere dazu, wie der Assistenzarzt zu seinen Annahmen kommt. Methoden der Tatsachenerhebung (z.B. ausführliche Gespräche mit dem Antragsteller mit Dolmetscher in mehreren Sitzungen, Therapieplan, Untersuchungsmethoden, psychologische Testverfahren) werden nicht aufgezeigt. Die Exploration scheint sich ausschließlich auf die Angaben des Antragstellers zu 1. (wohl: in zwei Sitzungen) zu stützen; es erfolgte kein Abgleich der Schilderungen mit etwaigen eigenen Befunden. Schließlich wird zunächst kein Anzeichen von akuter Suizidalität gesehen, später aber apodiktisch festgestellt, dass bei einer Abschiebung – wohlgemerkt: nach Italien – eine Selbstgefährdung nicht mehr ausgeschlossen werden könne. Es bleibt unklar, worauf sich diese letzte Einschätzung gründet, gerade eingedenk dessen, dass als Grund etwaiger psychischer Erkrankungen (wohl) „schlechte Erlebnisse“ in seinem Heimatland, sprich: in Nigeria, ausgemacht wurden. Nach alledem ist das Attest weder geeignet, die gestellten Diagnosen zu belegen noch – darüber hinaus – ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis darzutun. Offen bleiben kann nach alledem, ob die Beurteilung durch einen Assistenzarzt überhaupt eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ darstellen kann.
Nur ergänzend wird darauf verwiesen, dass selbst bei Annahme einer Suizidgefahr – die hier nicht dargetan wurde – nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vorläge; vielmehr ist die Abschiebung von der Ausländerbehörde dann so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (vgl. bspw. bei BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris).
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kommt, ungeachtet dessen, dass das Krankheitsbild nicht glaubhaft gemacht wurde, ebenfalls nicht in Betracht. Die Medikamente, die der Antragsteller einnimmt, erhält er als Asylsuchender auch in Italien. Eine „ambulante Behandlung“, die das Attest weiter empfiehlt, kann er – falls erforderlich – dort ebenfalls absolvieren.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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