Europarecht

Abgrenzung eines diätetischen Lebensmittels von einem Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke

Aktenzeichen  M 18 K 16.1524

Datum:
31.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150051
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
DiätV § 1 Abs. 2 Nr. 4a, § 3 abs. 2, § 14b, § 19 Abs. 1, § 21 Asb. 2

 

Leitsatz

1 Für die begriffliche Abgrenzung der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke von den diätetischen Lebensmitteln für besondere Ernährungszwecke ist ausschließlich § 1 Abs. 4a S. 1 und 2 DiätV heranzuziehen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist von einem Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke auszugehen, wenn das Erzeugnis der teilweisen oder ausschließlichen Ernährung von Personen dient, die ihre besonderen Ernährungsbedürfnisse nicht durch alternative Ernährungsformen, ggf. in Kombination mit Lebensmitteln für eine besondere Ernährung, decken können. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Im Bereich der Diätverordnung gibt es, anders als im Arzneimittelrecht, das auch für Produkte gilt, die aufgrund ihrer Aufmachung beim Verbraucher unabhängig von der tatsächlichen Wirkung den Eindruck erwecken, dass sie zur Heilung oder Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind (Präsentationsarzneimittel), keine entsprechende Regelung. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4 Maßgebend sind die objektiven Tatsachen und die Zweckbestimmung, mit der das Produkt in Verkehr gebracht wird. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts Landsberg/Lech vom 23. Februar 2016 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 23. Februar 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, das Inverkehrbringen des Produkts „… … …“ als diätetisches Lebensmittel gemäß § 4 a Abs. 1 DiätV beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit anzuzeigen.
Bei dem streitgegenständlichen Produkt handelt es sich um ein diätetisches Lebensmittel, das zum Verzehr durch Verbrauchergruppen bestimmt ist, die an Zöliakie leiden. Zöliakie ist eine chronische entzündliche Erkrankung des Dünndarms, ausgelöst vermutlich durch eine fehlgeleitete Immunreaktion des Körpers auf das Klebereiweiß Gluten, das in verschiedenen Getreidesorten wie Weizen und Dinkel enthalten ist. Die Krankheit führt dazu, dass die Nährstoffaufnahme durch die Darmschleimhaut gestört ist (Malabsorption), was bei fortschreitender Dauer der Krankheit u.a. zu Mangelerscheinungen führt.
Diätetische Lebensmittel sind gemäß § 1 Abs. 1 DiätV Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Die Eignung für einen besonderen Ernährungszweck grenzt sie von den Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs ab.
Lebensmittel sind dann für eine besondere Ernährung bestimmt, wenn sie u.a. den besonderen Ernährungserfordernissen bestimmter Gruppen von Personen entsprechen, deren Verdauungs- oder Resorptionsprozess oder Stoffwechsel gestört ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 a DiätV), wenn sie sich für den angegebenen Ernährungszweck und mit dem Hinweis darauf in Verkehr gebracht werden, dass sie für diesen Zweck geeignet sind (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 DiätV) und sich aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung oder des besonderen Verfahrens ihrer Herstellung deutlich von den Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs unterscheiden (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 DiätV). Diätetische Lebensmittel sind beispielsweise Lebensmittel für Sportler, Anfangs- und Folgenahrung für Babys, kochsalzreduzierte oder -ersetzende Lebensmittel, besonders kalorienarme Lebensmittel zur Gewichtsreduzierung und glutenfreie Lebensmittel sowie Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten).
Diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sind gemäß § 1 Abs. 4 a DiätV Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert sind und für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sind, die der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder ihrer Metaboliten oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beidem nicht ausreichen. Sie dürfen gemäß § 14 b DiätV nur unter ärztlicher Aufsicht verwendet werden.
Wer ein diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinne des § 1 Abs. 4 a DiätV als Hersteller oder Einführer in den Verkehr bringen will, hat dies gemäß § 4 a Abs. 1 DiätV spätestens beim ersten Inverkehrbringen dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit unter Vorlage eines Musters des für das Erzeugnis verwendeten Etiketts anzuzeigen. Die Anzeigepflicht gilt auch für ein „einfaches“ diätetisches Lebensmittel, das nicht zu einer der in Anlage 8 zu der Vorschrift aufgeführten Gruppen von diätetischen Lebensmitteln gehört. Da vorstehendes Produkt der Klägerin jedenfalls (anders als von der Landesanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsen angenommen) ein glutenfreies Lebensmittel entsprechend Anlage 8 Nr. 6 zu § 4 a Abs. 1 DiätV und aus diesem Grund nicht anzeigepflichtig ist, kann es dahinstehen, wie sich diese Regelung zu dem Wegfall der einfachen diätetischen Lebensmittel durch die VO-(EU)-Nr. 609/2013 verhält, durch die Regelungen für diätetische Lebensmittel modifiziert bzw. aufgegeben und durch Vorschriften für spezielle Verbrauchergruppen ersetzt wurden.
„ … … …“ ist nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke anzuzeigen, da es die Voraussetzungen für ein solches Produkt nicht erfüllt.
Für die begriffliche Abgrenzung der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke von den diätetischen Lebensmitteln für besondere Ernährungszwecke ist ausschließlich § 1 Abs. 4 a Sätze 1 und 2 DiätV heranzuziehen.
Danach ist von einem Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke auszugehen, wenn das Erzeugnis der teilweisen oder ausschließlichen Ernährung von Personen dient, die ihre besonderen Ernährungsbedürfnisse nicht durch alternative Ernährungsformen, ggf. in Kombination mit Lebensmitteln für eine besondere Ernährung, decken können. Gerade dies ist aber bei einer Zöliakie in der Regel der Fall, wo bereits eine Vermeidung glutenhaltiger Lebensmittel zu einer deutlichen Besserung bzw. zum Verschwinden der Symptome führt, so dass es normalerweise keiner bilanzierten Diät bedarf (vgl. Zipfel, Lebensmittelrecht, C 140, § 1 Rn. 19).
Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke unterscheiden sich von den „einfachen“ diätetischen Lebensmitteln auch durch Unterschiede bei den Kennzeichnungsvorschriften. So ist die Verkehrsbezeichnung für Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke gemäß § 21 Abs. 1 DiätV „Diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ und das rechtmäßige Inverkehrbringen eines solchen Produkts erfordert gemäß § 21 Abs. 2 DiätV den Hinweis „zur diätetischen Behandlung von …“, ergänzt um die Krankheit, für die das Lebensmittel bestimmt ist, sowie den Hinweis, dass es unter ärztlicher Aufsicht verwendet werden muss. Das streitgegenständliche Produkt erfüllt – da es die Klägerin auch nicht als solches in Verkehr bringen will – diese Voraussetzungen nicht, würde damit als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke gegen Kennzeichnungsvorschriften verstoßen.
Gemäß § 19 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 DiätV ist bei diätetischen Lebensmitteln, die zur besonderen Ernährung u.a. bei Malabsorption (Nr. 4 a) geeignet sind, die Aussage „zur besonderen Ernährung bei … im Rahmen eines Diätplans“ zulässig. Die entsprechende Krankheitsbezeichnung ist einzufügen, wobei die Angabe eines spezifischeren Krankheitsbildes als die in § 3 genannten Oberbegriffes möglich und zur genaueren Beschreibung der Zweckbestimmung sinnvoll ist. In dem vom Bundesgesundheitsamt aufgestellten Krankheitskatalog zu den Oberbegriffen „angeborene Stoffwechselstörung“, „Maldigestion“ und „Malabsorption“ wird jeweils glutensensitive Enteropathie (oder Zöliakie) ausdrücklich genannt, sodass die entsprechende Aussage, die gut sichtbar auf der Vorderseite der Umverpackung des streitgegenständlichen Produkts aufgedruckt ist, den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Aus dem weiteren, klein gedruckten Hinweis auf der Umverpackung, dass das Produkt nicht zur Heilung von Zöliakie/Sprue bestimmt ist, sondern der diätetischen Versorgung eines erhöhten Nährstoffbedarfs dient, wie er bei Zöliakie/Sprue bestehen kann, kann ebenfalls nicht darauf geschlossen werden, dass das Produkt ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ist, da diese Aussage auch nicht der in § 21 Abs. 2 DiätV vorgeschriebenen entspricht.
Im Bereich der Diätverordnung gibt es, anders als im Arzneimittelrecht, das auch für Produkte gilt, die aufgrund ihrer Aufmachung beim Verbraucher unabhängig von der tatsächlichen Wirkung den Eindruck erwecken, dass sie zur Heilung oder Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind (Präsentationsarzneimittel), keine entsprechende Regelung. Maßgebende sind die objektiven Tatsachen und die Zweckbestimmung, mit der das Produkt in Verkehr gebracht wird. Für das Gericht ist es vorliegend nicht nachvollziehbar, dass das Produkt aufgrund seiner Aufmachung ein anzeigepflichtiges Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sein soll.
Der Bescheid war daher aufzuheben, der Klage war vollumfänglich mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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