Europarecht

Anforderungen an den Nachweis der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten

Aktenzeichen  10 ZB 15.1976

Datum:
27.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 102431
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 3
RL 2003/109/EG Art. 8 Abs. 3

 

Leitsatz

Die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten wird grds. durch die Bescheinigung nach Art. 8 Abs. 3 RL 2003/109/EG belegt, wobei die zentrale Bedeutung zu beachten ist, die das Unionsrecht ihrer Gestaltung und Fälschungssicherheit beimisst; sie kann aber auch durch eine schriftliche Bestätigung der Behörden des Mitgliedstaates, in dem das Recht zum Daueraufenthalt-EG entstanden sein soll, ggf. auch dessen Auslandsvertretung in Deutschland, geführt werden, wobei es einer sorgfältigen Vergewisserung durch die Ausländerbehörde bedarf, dass die Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter auch tatsächlich verliehen worden ist (ebenso VGH München BeckRS 2012, 59852). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 K 15.2049 2015-07-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. Mai 2015 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und die Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von vier Jahren nach Ausreise befristet wurden.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers für rechtmäßig erachtet. Es ist auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom Vorliegen eines Regelausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 2 AufenthG und vom Fehlen eines besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG ausgegangen. Der Kläger war mit Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 22. Dezember 2014 wegen des Einschleusens von Ausländern zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Der Kläger war nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 56 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG a.F.
Im Zulassungsverfahren wendet sich der Kläger dagegen, dass das Verwaltungsgericht angenommen hat, er besitze keine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU.
Mit diesem Vorbringen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung des Klägers sei rechtmäßig, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.
Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 – 7 AV 2.03 – NVwZ 2004, 744). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag; Rechtsänderungen während des Zulassungsverfahrens sind zu beachten.
Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisungsverfügung (und das diese als rechtmäßig bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil) unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung zu überprüfen. Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53-56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung entsprechend dem Zulassungsvorbringen beschränkt sich folglich ausschließlich darauf, ob dem Kläger die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten-EU nach Art. 4 bis 7 Richtlinie 2003/109/EG zukommt, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG nunmehr dazu führt, dass der betreffende Ausländer nur ausgewiesen werden darf, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keine Daueraufenthaltserlaubnis-EU besitzt, die ihm einen erhöhten Ausweisungsschutz vermitteln würde. Die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten wird grundsätzlich durch die Bescheinigung nach Art. 8 Abs. 3 RL 2003/109/EG belegt, wobei die zentrale Bedeutung zu beachten ist, die das Unionsrecht ihrer Gestaltung und Fälschungssicherheit beimisst; sie kann aber auch durch eine schriftliche Bestätigung der Behörden des Mitgliedstaates, in dem das Recht zum Daueraufenthalt-EG entstanden sein soll, gegebenenfalls auch dessen Auslandsvertretung in Deutschland, geführt werden, wobei es einer sorgfältigen Vergewisserung durch die Ausländerbehörde bedarf, dass die Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter auch tatsächlich verliehen worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2012 – 19 CS 12.1851 – juris Rn. 4; B.v. 11.9.14 – 10 CS 14.1581 – juris Rn. 23). Im israelischen Reisepass des Klägers befand sich im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eine am 21. Januar 2010 ausgestellte, bis 20. Januar 2015 gültige befristete Aufenthaltserlaubnis, deren Bezeichnung nicht der nach Art. 8 Abs. 3 Richtlinie 2003/109/EU erforderlichen Bezeichnung in der ungarischen Sprache entsprach (vgl. hierzu Nr. 38a.1.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz). Auch der im Zulassungsverfahren nunmehr vorgelegte Aufenthaltstitel (ausgestellt am 13. April 2015 und gültig bis 13. April 2025) trägt nicht die entsprechende Bezeichnung für einen „Daueraufenthalt-EG“ in ungarischer Sprache. Die Bezeichnung unterscheidet sich nicht nur durch den Zusatz „EK“, sondern stimmt auch im Übrigen nicht mit der nach der Sprachenliste erforderlichen Übersetzung überein. Dies zeigt auch die englische Übersetzung. Der Aufenthaltstitel des Klägers ist mit „permanent residence card“ überschrieben, während die Übersetzung für Daueraufenthalt „long-term resident“ lautet.
Eine entsprechende Bestätigung des Mitgliedstaats, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht-EG besitzt, wurde im Zulassungsverfahren nicht vorgelegt. Der Umstand, dass er die angeblich in Ungarn erworbene Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nicht belegt hat, fällt in seine Verantwortung (BayVGH, U.v. 24.7.2014 – 19 B 13.1293 – juris Rn. 40).
Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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