Europarecht

Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Erlass von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen

Aktenzeichen  RN 5 K 17.1540

Datum:
19.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 12783
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, Abs. 9 S. 1, S. 3
VwGO § 75, § 113 Abs. 5
16. BImSchV § 1 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Nach § 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StVO steht dem Bürger ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Erlass von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen zu, wenn der Lärm solche Beeinträchtigungen begründet, die über das als ortsüblich Hinzunehmende und Zumutbare hinaus gehen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Beurteilung der Frage, ob der Bürger über das Zumutbare hinaus beeinträchtigt ist, gibt es keine gesetzlich bindenden Lärmgrenzwerte. Es gilt auf die Schutzbedürftigkeit der betroffenen Anlieger zu blicken. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Vorschriften der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (16. BImSchV) können jedoch zur Orientierung herangezogen werden. Als Maßstab dienen darüber hinaus die Lärmwerte der Vorläufigen Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV). (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts … vom 20.07.2017 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, den Antrag des Klägers vom 06.03.2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 1/10 und der Beklagte 9/10 zu tragen.
V. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.

Gründe

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist in Ziffer 3 des Klageantrags erfolgreich, im Übrigen war die Klage abzuweisen. Der Klageantrag in Ziffer 1 ist bereits unzulässig, der Antrag in Ziffer 2 unbegründet.
I) Die Untätigkeitsklage in Ziffer 1 der Klage ist unzulässig, da der Beklagte im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits sachlich entschieden hatte.
§ 75 VwGO ermöglicht es im Falle der Untätigkeit der Verwaltung Klage zu erheben bevor eine Sachentscheidung ergangen ist. Das Fehlen einer Sachentscheidung im Zeitpunkt der Klageerhebung ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung der Untätigkeitsklage (vgl. Kopp/Schenke § 75 Rn. 6).
Die Entscheidung des Landratsamts … vom 20.07.2017 ist eine ablehnende Sachentscheidung, nicht nur ein Zwischenstandsbericht.
Die Ausgangsbehörde behielt sich keine weiteren Prüfschritte vor, vielmehr teilt sie mit, dass die Voraussetzungen zur Entsprechung des Antrags des Klägers nicht erfüllt seien. Gegen eine Einordnung als Sachentscheidung spricht auch nicht, dass der Bescheid nicht als solcher bezeichnet wurde und ihm eine Rechtsbehelfsbelehrung:fehlt. Dass eine Rechtsbehelfsbelehrung:zur Einordnung als Sachentscheidung nicht erforderlich ist zeigt bereits die bloße Existenz von § 58 VwGO.
Auch die Antwort des Landratsamts … vom 14.08.2017 auf den erneuten Verbescheidungsantrag des Klägers, die Bearbeitung würde noch einige Zeit in Anspruch nehmen, führt zu keiner anderen Beurteilung.
Zunächst vermag eine solche Aussage nicht die Charakterisierung des zuvor ergangenen Bescheids zu verändern. Aufgrund des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit muss eine behördliche Maßnahme im Zeitpunkt ihres Erlasses eingeordnet werden. Eine spätere Entscheidung der Behörde vermag es nicht, die Charakterisierung als Sachentscheidung in Frage zu stellen. Der Hinweis auf die weitere Bearbeitung könnte insofern nur als Hinweis auf ein erneutes Aufgreifen zu sehen sein. Darüber hinaus kann der Hinweis der Behörde, die Bearbeitung würde noch Zeit in Anspruch nehmen, auch so verstanden werden, dass keine erneute Sachprüfung erfolgen, die Beantwortung des nochmaligen Antrags aber dauern wird.
II) Die Klage ist in Ziffer 2 zulässig, jedoch mangels Spruchreife unbegründet.
1) Über den Klageantrag in Ziffer 2 war zu befinden, da die Klageänderung grundsätzlich und auch im Hinblick auf die hilfsweise Klageerhebung zulässig war. Auch trat die Bedingung ein.
a) Die Klageänderung war zulässig gemäß § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO.
Die Privilegierung der Klageänderung begründet sich darin, dass der Klageantrag in Ziffer 2 den bloßen Übergang von der Untätigkeits- zur Verpflichtungsklage bedeutet, der eine Erweiterung des Klageantrags ist.
b) Zwar sind Prozesshandlungen dem Grundsatz nach bedingungsfeindlich. Eine Eventualklage für den Fall des Misserfolgs des ersten Antrags ist aber zulässig (BeckOK VwGO/Brink § 81 Rn.9), da sie unter eine innerprozessuale Bedingung gestellt wird und somit kein Raum für Rechtsunsicherheit besteht, der Grund für die eigentliche Bedingungsfeindlichkeit ist.
2) Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, insbesondere ist das Verwaltungsgericht Regensburg gemäß § 45 VwGO, § 52 Nr. 1 VwGO zuständig.
a) Die Verpflichtungsklage ist statthaft, da die abgelehnten verkehrsbeschränkenden Maßnahmen im Sinne des § 45 Abs. 1 S. 1 StVO als Verwaltungsakte einzuordnen sind.
b) Die Klage wurde nicht verfristet erhoben. Zwar lag zwischen der Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids vom 20.07.2017 und der Erhebung des Klageantrags am 08.01.2018 ein Zeitraum von über einem Monat (§ 74 Abs. 2 VwGO). Jedoch fehlte dem Bescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung:, sodass die Monatsfrist gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nicht zu laufen begann, sondern lediglich die Jahresfrist im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO maßgeblich war.
c) Auch ist der Kläger klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO, da er möglicherweise Anspruch auf Erlass verkehrsbeschränkender Maßnahmen auf der B 1… an seinem Wohnort gemäß § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO hat.
3) Der Antrag in Ziffer 2 ist unbegründet, da es der Entscheidung an Spruchreife mangelt. Zwar hat der Beklagte einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (a)), der bislang nicht erfüllt wurde (b)), aufgrund der Vielfältigkeit der abzuwägenden Belange und mangels Ermessensreduzierung auf Null ist die Entscheidung jedoch nicht spruchreif im Sinne des § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO (c)).
a) Der Kläger hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Erlass von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StVO.
Zwar schützt die Norm primär allgemeine Belange; jedoch steht dem einzelnen Bürger ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu, wenn der Lärm solche Beeinträchtigungen begründet, die über das als ortsüblich Hinzunehmende und Zumutbare hinaus gehen (BHHJJ/Heß StVO § 45 Rn. 4a; BayVGH, Urteil vom 21.03.2012, Az.11 B 10. 1657 m.w.N.).
Zum Erlass von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen des fließenden Verkehrs fordert § 45 Abs. 9 S. 1 und 3 StVO ein zwingendes Beschränkungserfordernis und eine durch die örtlichen Verhältnisse begründete Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko erheblich übersteigt.
Zur Beurteilung dessen und der Frage, ob der Kläger über das Zumutbare hinaus beeinträchtigt ist, gibt es keine gesetzlich bindenden Lärmgrenzwerte. Es gilt auf die Schutzbedürftigkeit der betroffenen Anlieger zu blicken.
Die Vorschriften der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (16. BImSchV) können jedoch zur Orientierung herangezogen werden (BayVGH, Urteil vom 21.03.2012, 11 B 10.1657; BVerwG, Urteil vom 22.12.1993, NVZ 1994, 244). Als Maßstab dienen darüber hinaus die Lärmwerte der Vorläufigen Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV). In den Verordnungen lässt der Normgeber erkennen, ab wann er von einer nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung ausgeht. Insoweit hat die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte ein starkes Indiz für die Überschreitung auch der Zumutbarkeitsschwelle im Rahmen der Betrachtung des § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO.
Die 16. BImSchV setzt für Mischgebiete tagsüber einen Maximalwert von 64 dB (A) und nachts von 54 dB (A) an. Die Lärmschutz-Richtlinien-StV nennt höhere Werte von 72 dB (A) tagsüber und 62 dB (A) nachts.
Die Lärmbelastung des klägerischen Anwesens beträgt gemäß dem vom Staatlichen Bauamt … in Auftrag gegebenen Gutachten maximal 71,0 dB (A) am Tag und 64 dB(A) in der Nacht. Die Messungen im 1. und 2. Stock des Gebäudes ergaben Werte von 70 dB (A) tagsüber und 63 dB (A) nachts.
Die Werte der 16. BImSchV sind damit deutlich überschritten; dies gilt sowohl für die Messung im Erdgeschoss als auch für die Messung in den höheren Stockwerken. Die Werte der Lärmschutz-Richtlinien-StV sind tagsüber nur knapp nicht erreicht. Die gemessenen Nachtwerte überschreiten den Grenzwert der Verordnung hingegen.
Dies begründet ein gewichtiges Indiz für die Verneinung der Zumutbarkeit.
Dass die Werte zum Teil nur geringfügig überschritten sind, schmälert ihre indizielle Wirkung nicht, da bereits ein geringer Anstieg der Dezibelzahl eine enorme Erhöhung des wahrnehmbaren Lärms bedeutet.
Mit der hohen Lärmbelastung ist eine Gefahrenlage für die Gesundheit der Anlieger gegeben, die das allgemein hinzunehmende Risiko übersteigen.
Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass das Gebäude des Klägers überwiegend zu Wohnzwecken dient, seine Bewohner der Lautstärke also dauerhaft ausgesetzt sind. Dem Vortrag des Klägers gemäß ist sogar der Schlaf durch den nächtlichen Verkehr gestört.
Die sich hieraus ergebenden erhöhten Belastungen haben ein Maß erreicht, das die behördliche Erwägung verkehrsbeschränkender Maßnahmen erforderlich machen.
b) Dem klägerischen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hat der Beklagte bislang nicht entsprochen.
Zwar ist das Schreiben des Landratsamts … vom 20.07.2017 als Sachentscheidung anzusehen, doch erging diese nicht ermessensfehlerfrei.
Wenn die Behörde in ihrer ablehnenden Bescheidung davon spricht, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Mischgebieten aufgrund des Einführungserlass des BStMI vom 20.11.08 der Lärmschutz-Richtlininie-StV nicht möglich sei, so macht dies deutlich, dass sie von einer absoluten und einzig maßgeblichen Bindungswirkung des Erlasses ausging und somit keine eigene Abwägungsentscheidung mehr traf.
Das Bedürfnis nach verkehrsbeschränkenden Maßnahmen ist jedoch sehr individuell vom Einzelfall geprägt; nicht zuletzt § 45 Abs. 9 S. 3 StVO stellt auf die konkreten örtlichen Verhältnisse ab. Daraus folgt, dass alleine ein Berufen auf den Einführungserlass den gesetzlichen Anforderungen nicht Genüge tun kann.
Die bloße Behauptung der Ausgangsbehörde, die Belange des Straßenverkehrs wögen schwerer als die klägerischen Interessen, vermag es nicht, das Ermessen als ausgeübt anzusehen. Zwar ist es durchaus möglich, dass die Interessen der Verkehrsteilnehmer das Bedürfnis des Klägers überwiegen. Dies galt es jedoch im Wege einer Abwägung festzustellen. Die Behörde verzichtet hingegen auf jegliche Begründung oder Gewichtung der Belange des Straßenverkehrs und behauptet deren Überwiegen bloß. Zudem ist die Berechnungsgrundlage für Lärmberechnung nicht aktuell genug. Das staatliche Bauamt führte nur eine Lärmberechnung auf Grundlage der Verkehrszahlen 2010 durch, da zur Auswertung der aktuelleren Messdaten 2015 ein Berechnungsverfahren benötigt werde, das aber noch erst entwickelt werden müsse und erst frühestens im Jahr 2018 vorliege (s. S.112 Behördenakte). Nunmehr im Jahr 2018 müsste aber dieses Berechnungsverfahren vorliegen, sodass eine Berechnung der Lärmbelastung aufgrund der Verkehrszahlen 2015 erfolgen kann. Außerdem hat das Landratsamt nicht berücksichtigt, dass es auf der streitgegenständlichen Durchgangs Straße zu einer Vielzahl von Unfällen in den letzten Jahren gekommen ist. Ebenso ist zu wenig berücksichtigt, dass einige Abschnitte der Straße als allgemeines Wohngebiet mit Krankenhäusern und Schulen einzustufen sind.
c) Allerdings ist die Entscheidung noch nicht spruchreif, da das Ermessen des Beklagten nicht auf Null reduziert ist und mannigfaltige Belange und Interessen zunächst abgewogen werden müssen.
Zwar führt das Überschreiten der Orientierungswerte der 16. BImSchV und der Lärmschutz-Richtlininie-StV zu einer Verdichtung des Ermessens (BVerwG, Urteil vom 04.06.1986, BVerwGE 74, 234). Da aber neben den klägerischen Belangen auch andere Interessen zu beachten sind, kann das Ermessen nicht nur durch Überschreitung der Orientierungswerte auf Null reduziert sein. Andernfalls wäre eine einzelfallgerechte Überprüfung nicht sichergestellt. Vielmehr muss beachtet werden, dass die Straßenverkehrsbehörde auch bei Überschreiten der maßgeblichen Lärmwerte die Möglichkeit zur Ablehnung von Verkehrsbeschränkungen hat, wenn gewichtige Belange des Verkehrs dies fordern (BVerwG, Urteil vom 04.06.1986, BVerwGE 74, 234). Insbesondere können Lkw–Durchfahrtsverbote zur Verhinderung des Mautausweichverkehrs nur unter eingeschränkten Vorrausetzungen erlassen werden, allerdings hat es das Bundesverwaltungsgericht für ausreichend erachtet, eine nächtliches LKW-Fahrverbot mit dem Erreichen eines Lärmpegels von 60 dB nachts an Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen zu rechtfertigen. So hat das BVerwG vom 15.12.2011 – 3 C 40/10 Rn.11, juris, ausgeführt: Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 16. BImSchV ist eine Lärmzunahme „wesentlich“, wenn der Beurteilungspegel des Verkehrslärms um mindestens 3 dB(A) oder auf mindestens 70 dB(A) am Tage oder mindestens 60 dB(A) in der Nacht erhöht wird. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 16. BImSchV gilt dasselbe, wenn der Beurteilungspegel von mindestens 70 dB(A) am Tage oder 60 dB(A) in der Nacht weiter erhöht wird; dies gilt nicht in Gewerbegebieten. Dem liegt eine Wertung des Verordnungsgebers zugrunde, die sich – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – für beide Teilregelungen gleichermaßen auf § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO übertragen lässt. Die § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 und Abs. 2 Satz 2 16. BImSchV zugrunde liegende Annahme, dass auch eine 3 dB(A) unterschreitende Lärmzunahme dann erheblich ist, wenn ein Beurteilungspegel von 70 dB(A) am Tage oder 60 dB(A) in der Nacht erreicht oder überschritten wird, beruht darauf, dass ansonsten eine ohnehin bereits unzumutbare Lärmsituation noch verschlechtert oder jedenfalls verfestigt würde. Ließe man auch hier erst einen Zuwachs von 3 dB(A) genügen, liefe § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO gerade bei einer derart hohen Vorbelastung vielfach leer. Eine solche Erhöhung des Mittelungspegels um 3 dB(A) setzt nämlich etwa eine Verdoppelung des vorhandenen Verkehrsaufkommens voraus. Ein solches Ausmaß wird der Mautausweichverkehr gerade bei einer ohnehin hohen Ausgangsbelastung der Ausweichstrecke schon im Hinblick auf deren beschränkte Aufnahmefähigkeit nur selten erreichen (Urteil vom 13. März 2008 – BVerwG 3 C 18.07 – BVerwGE 130, 383 Rn. 33 ff.). Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 16. BImSchV ist eine Lärmzunahme „wesentlich“, wenn der Beurteilungspegel des Verkehrslärms um mindestens 3 dB(A) oder auf mindestens 70 dB(A) am Tage oder mindestens 60 dB(A) in der Nacht erhöht wird. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 16. BImSchV gilt dasselbe, wenn der Beurteilungspegel von mindestens 70 dB(A) am Tage oder 60 dB(A) in der Nacht weiter erhöht wird; dies gilt nicht in Gewerbegebieten. Dem liegt eine Wertung des Verordnungsgebers zugrunde, die sich – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – für beide Teilregelungen gleichermaßen auf § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO übertragen lässt. Die § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 und Abs. 2 Satz 2 16. BImSchV zugrunde liegende Annahme, dass auch eine 3 dB(A) unterschreitende Lärmzunahme dann erheblich ist, wenn ein Beurteilungspegel von 70 dB(A) am Tage oder 60 dB(A) in der Nacht erreicht oder überschritten wird, beruht darauf, dass ansonsten eine ohnehin bereits unzumutbare Lärmsituation noch verschlechtert oder jedenfalls verfestigt würde. Ließe man auch hier erst einen Zuwachs von 3 dB(A) genügen, liefe § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO gerade bei einer derart hohen Vorbelastung vielfach leer. Eine solche Erhöhung des Mittelungspegels um 3 dB(A) setzt nämlich etwa eine Verdoppelung des vorhandenen Verkehrsaufkommens voraus. Ein solches Ausmaß wird der Mautausweichverkehr gerade bei einer ohnehin hohen Ausgangsbelastung der Ausweichstrecke schon im Hinblick auf deren beschränkte Aufnahmefähigkeit nur selten erreichen (Urteil vom 13. März 2008 – BVerwG 3 C 18.07 – BVerwGE 130, 383 Rn. 33 ff. und BVerwG vom 15.12.2011 – 3 C 40/10 Rn.11, juris). Das Bundesverwaltungsgericht stellt auch nur darauf ab, ob der Verkehrslärm entlang des in Rede stehenden Streckenabschnitts an überwiegend oder ausschließlich zu Wohnzwecken genutzten Gebäuden Beurteilungspegel von über 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts erreicht (so BVerwG, a.a.O. Rn.12).
Es wurden die Belange des Verkehrs durch den Beklagten bislang nicht soweit in Erfahrung gebracht und erörtert, dass ihre Nachrangigkeit feststünde.
III) Jedoch ist der Antrag auf Verbescheidung zulässig und begründet.
Über diesen war zu entscheiden, da die Klageänderung und die damit verbundene Eventualklageerhebung in Ziffer 3 zulässig waren und die Bedingung – Misserfolg des Antrags zu 2) – eingetreten ist.
Wie gezeigt (vgl. II. 3. a) und b)) hat der Kläger einen Anspruch auf Entscheidung über den Erlass verkehrsbeschränkender Maßnahmen, dem bislang nicht ermessensfehlerfrei entsprochen wurde.
IV) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Bei der Kostenentscheidung wurde berücksichtigt, dass für die Erhebung der Untätigkeitsklage dem Beklagten ein Verschulden trifft, da die Sachentscheidung ohne Rechtsbehelfsbelehrung:erging (§ 155 Abs. 4 VwGO). Nachdem aber die Klage mangels Spruchreife nicht ganz erfolgreich war, hat der Kläger aber 1/10 und der Beklagte 9/10 der Kosten des Verfahrens zu tragen.
V.
Gründe für die Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 1 VwGO) liegen nicht vor.


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