Europarecht

Antrag auf internationalen Schutz

Aktenzeichen  AN 17 K 18.50438

Datum:
6.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34448
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) 604/2013 Art. 29 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 82 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Das Merkmal „flüchtig“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EU) 604/2013 ist nach objektiven Gesichtspunkten unter Berücksichtigung des Einzelfalls zu bestimmen. Es liegt im Regelfall nicht vor, wenn der Antragsteller sich im sog. offenen Kirchenasyl befindet, den nationalen Behörden die Anschrift, unter der der Antragsteller erreichbar ist, bekannt ist aber auf die grundsätzliche mögliche zwangsweise Durchsetzung eines Rücküberstellungsversuchs vonseiten der nationalen Behörden freiwillig verzichtet wird. (Rn. 36 – 39)

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. März 2018, Gz. …, wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig. Die Anfechtungsklage ist die statthafte Klageart gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2018. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Zuge der Änderung des Asylverfahrensgesetzes infolge des Inkrafttretens des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. 2016 I Seite 39 v. 5. August 2016). Danach ist die Anfechtungsklage gegen Bescheide, die die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 AsylG feststellen, die alleinige statthafte Klageart. Hintergrund hierfür ist der Umstand, dass die Asylanträge in diesen Fällen ohne Prüfung der materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen, also ohne weitere Sachprüfung, abgelehnt werden. Insoweit kommt auch kein eingeschränkter, auf die Durchführung eines Asylverfahrens beschränkter Verpflichtungsantrag in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 1.7. 2017 – Az. 1 C 9.17 – NVwZ 2017, 1625; BayVGH U.v. 13.10. 2016 – Az. 20 B 14.30212 – juris). Bei einer erfolgreichen Klage führt die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelung zur weiteren Prüfung der Anträge durch die Beklagte und damit zum erstrebten Rechtsschutzziel. Die Klage wurde zudem fristgerecht binnen Wochenfrist erhoben.
II.
Die Klage hat auch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) Erfolg, denn der angegriffene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in subjektiven Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland, weil die Zuständigkeit hierfür im Rahmen des Dublin-Verfahrens auf die Beklagte gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-Verordnung übergegangen ist.
1. Das Bundesamt hat die Asylanträge der Kläger zunächst zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt. Es lag hier ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) AsylG vor. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-Verordnung wird der Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedsstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-III-Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird.
Nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-III-Verordnung war zunächst Rumänien für die Durchführung des Asylverfahrens der Kläger zuständig. Dies folgt aus Art. 7 Abs. 2, 13 Abs. 1 Dublin III-VO. Danach ist der Mitgliedsstaat in Fällen zuständig, in denen – wie hier – die Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedsstaates illegal überschritten haben. Im Falle der Kläger wurde die Landgrenze zu Rumänien von diesen aus der Republik Serbien – einem Drittstaat im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung – kommend ohne gültiges Visum überschritten. Entsprechende Feststellungen dazu hat das Bundesamt getroffen.
Die Zuständigkeit Rumäniens war auch nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-Verordnung noch gegeben, denn die dort genannte Frist ist unter Zugrundelegung der Angaben der Kläger bezüglich ihres Reiseweges bis zum heutigen Tag nicht abgelaufen.
2. Die Zuständigkeit für das Asylverfahren der Kläger ist jedoch auf die Beklagte gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-Verordnung übergegangen. Nach dieser Vorschrift wird der den an sich zuständigen Mitgliedsstaat der Europäischen Union um Wiederaufnahme des Asylantragstellers ersuchende Mitgliedsstaat (Art. 23 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung) für das Asylverfahren zuständig, wenn die Überstellung des Asylantragstellers in den ersuchten Mitgliedsstaat nicht binnen einer Frist von 6 Monaten erfolgt. Die Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-Verordnung beginnt dabei mit der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch den ersuchten Staat.
Rumänien hat sich im vorliegenden Fall am 21. März 2018 gegenüber dem Bundesamt geäußert, es werde die Kläger zur Durchführung des Asylverfahrens wieder aufnehmen. Die Sechs-Monats-Frist endete damit mit Ablauf des 21. September 2018. Bis zum genannten Fristablauf wurden die Kläger indes nicht nach Rumänien überstellt.
Eine wirksame Verlängerung der Frist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-Verordnung ist nach Auffassung der Kammer nicht eingetreten.
Gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-Verordnung kann die Überstellungsfrist auf bis zu 18 Monate verlängert werden, wenn die asylantragstellende Person flüchtig ist. Eine wirksame Verlängerung setzt dabei auch voraus, dass der ersuchende Mitgliedsstaat die Verlängerung unter Angabe der Verlängerungsgründe vor Ablauf der 6-Monats-Frist mitgeteilt hat (Art. 9 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen in der Fassung der Durchführungsverordnung zur Dublin III-VO (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014). Die Beklagte hat Rumänien zwar im vorliegenden Fall fristgerecht am 20. September 2018 über die Verlängerung der Überstellungsfrist unter Angabe des Grundes benachrichtigt. Die Kläger waren zum Zeitpunkt des Ablaufs der Sechs-Monats-Frist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-Verordnung aber nicht „flüchtig“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-Verordnung.
Die Dublin-III-Verordnung definiert selbst nicht, was unter dem Tatbestandsmerkmal „flüchtig sein“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 zu verstehen ist. Art. 2 Buchstabe n) der Dublin-III-Verordnung definiert lediglich die „Fluchtgefahr“ unter Bezugnahme auf den Terminus „durch Flucht entziehen“. Auch aus den Erwägungsgründen zur Dublin-III-Verordnung ergibt sich keine Auslegungshilfe zum Merkmal „Flucht“.
Die deutsche Rechtsprechung ist, wann im Einzelfall vom Merkmal „flüchtig“ im vorgenannten Sinne auszugehen ist, nicht einheitlich. Einige Verwaltungsgerichte stellen auf die Bedeutung des Wortes nach den verschiedenen amtlichen Sprachversionen ab und kommen zu dem Schluss, dass die Wortbedeutung auch aktive Handlungen des Asylantragstellenden, die über die bloße Ortsveränderung ohne Kenntnis der nationalen Behörden hinausgehen, erfassen kann (bspw. VG Berlin, B.v. 25.1. 2018 – 31 L 586.17 A – BeckRS 2018, 789; VGH Baden-Württemberg, B.v. 15.03.2017 – A 11 S 2151/16 – NVwZ-RR 2017, 890). Teilweise wird das Merkmal bereits dann als erfüllt angesehen, wenn der Asylantragstellende das Überstellungsverfahren absichtlich behindere oder durch ihn zuzurechnende Pflichtverletzungen erheblich erschwere, worunter auch der Gang in ein Kirchenasyl subsumiert werden könne (bspw. VG Schwerin, B.v. 24.8.2016 – 3 B 2176/16 As SN – juris; VG Gießen, B.v. 17.9.2018 – 4 L 9383/17.GI.A – BeckRS 2018, 26446). Dem gegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof München in einem jüngeren Einstellungsbeschluss nach § 92 Abs. 3 VwGO – ohne tiefergehende Auseinandersetzung mit der Wortbedeutung – die Auffassung vertreten, dass der Umstand, dass sich der Asylantragsteller im sog. offenen Kirchenasyl befindet, nicht dafür spreche, das Merkmal „flüchtig“ als erfüllt anzusehen (BayVGH, B.v. 16.9.2018 – 20 ZB 18.50011 – juris). Eine verbindliche Auslegung dieses Merkmals durch den Europäischen Gerichtshof ist bislang noch nicht erfolgt. Auf einen Vorlagebeschluss des VGH Baden-Württembergs zu Auslegungsfragen im Zusammenhang mit Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung hat jedoch der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof in seinen Schlussanträgen vom 25. Juli 2018 (abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=& docid=204427& pageIndex=0& doclang=de& mode=lst& dir=& occ=first& part=1& cid=14509) eine Rechtsansicht vertreten, wonach das System des Dublin-Verfahrens am Maßstab der praktikablen Handhabung orientiert werden solle. Er führt aus, dass die Frage, ob eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, flüchtig ist, auf der Grundlage konkreter und objektiver Beweise für diese „Flucht“ beantwortet werden müsse, wobei alle maßgeblichen Umstände sowie der Kontext des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Auf subjektive Erwägungen der asylantragstellenden Person soll es hierbei nicht ankommen. Die Beweislast, dass eine Person „flüchtig“ im Sinne der Dublin-III-Verordnung sei, trügen zwangsläufig die zuständigen nationalen Behörden, soweit sie dies geltend machten, da sie sich auf eine Ausnahmebestimmung beriefen.
Es besteht danach eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Europäische Gerichtshof die Vorlagefrage dahingehend beantwortet, dass es bei dem Merkmal „flüchtig“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung nicht auf subjektive Umstände des Asylantragstellenden sondern allein auf objektive Merkmale im Kontext des Einzelfalles ankommen wird. Die Auslegung des Merkmales „flüchtig“ ist dabei am Maßstab einer effektiven Umsetzung des Rücküberstellungsverfahrens in der Verantwortung der nationalen Behörden zu sehen. In diesem Sinne wären Umstände, die zu einem Fristablauf der regulären Überstellungsfrist führen, dann in der Verantwortungssphäre der nationalen Behörden – und damit des ersuchenden Staates – zu suchen, wenn der ersuchende Staat tatsächliche Möglichkeiten zur effektiven Umsetzung der Rücküberstellung im Rahmen seiner Rechtsordnung unterlässt und er keinen Beweis dafür antreten kann, dass diese Umstände in die ausschließliche Verantwortungssphäre des Asylantragstellers fallen. Den Beweis kann er im Regelfall dadurch antreten, dass er nachweist, den Asylantragsteller in einer ihm verständigen Sprache über dessen Pflichten im Asylverfahren unterrichtet zu haben. Kumulativ ist aber im Einzelfall festzustellen, ob die Behörden des ersuchenden Staates reale Zugriffsmöglichkeit auf den Asylantragsteller hatten und verneinenden falls, ob durch ein diesem zurechenbares Verhalten, das sich als Pflichtverstoß nach den nationalen Vorschriften zum Asylverfahren darstellt, die Zugriffsmöglichkeit nicht bestand.
Die Kammer nimmt diese Erwägungen im vorliegenden Fall zum Maßstab, denn ersichtlich ging es dem europäischen Verordnungsgeber darum, ein möglichst effektives System zur Bestimmung und Realisierung der Zuständigkeiten für ein Asylsystem in der Europäischen Union einzuführen. Dafür spricht bereits der Erwägungsgrund (5) der Dublin-III-Verordnung, der auf eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates und der Etablierung eines effektiven Zugangs zu den Verfahren der Gewährung internationalen Schutzes abzielt. Dabei wird allerdings auch hervorgehoben, dass auf objektive und für die Mitgliedsstaaten und die Betroffenen gerechte Kriterien abzustellen sei. Gemäß dem Erwägungsgrund (17) sind durch die Mitgliedsstaaten bei der Anwendung der Zuständigkeitskriterien auch humanitäre Gründe angemessen zu berücksichtigen. In diesem Sinne verbietet es sich nach Auffassung der Kammer, Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-Verordnung als Norm mit Sanktionscharakter für ein zu missbilligendes Verhalten eines Asylantragstellers zu verstehen. Entscheidend für die Anwendung der Vorschriften der Dublin-III-Verordnung sind vielmehr zweckrationale Gesichtspunkte nach Verantwortungssphären der am Verfahren Beteiligten, also der betroffenen Mitgliedsstaaten einerseits und des Asylantragstellers andererseits, wobei humanitäre Gesichtspunkte in der Verfahrensgestaltung angemessen zu berücksichtigen sind.
Somit ist das Merkmal „flüchtig sein“ des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-Verordnung nach Ansicht der Kammer stets dann zu bejahen, wenn der Asylantragsteller auch im Sinne einer allgemeinen Wortbedeutung sich für den Zugriff des ersuchenden Mitgliedsstaates verborgen hält (VG Ansbach – B.v. 29.08.2017 – AN 14 E 17.50998 – BeckRS 2017, 123518). Verborgen halten umfasst danach das aktive Entziehen der Zugriffsmöglichkeit durch Verlassen bzw. stetes Verändern des Aufenthaltsortes ohne Kenntnis der zuständigen Behörde vom Aufenthaltsort. Beim Verborgen-Halten liegt objektiv die Handlungsmacht beim Asylantragsteller im Wege aktiven Tuns, so dass sein Verhalten allein seiner Verantwortungssphäre zufällt. Gerade das ist im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Unstreitig haben die Kläger dem Bundesamt ihre neue Anschrift im Kirchenasyl zeitnah mitgeteilt und dabei auch bekunden lassen, dass sie unter dieser neuen Anschrift für die Behörden jederzeit erreichbar seien.
Dem gegenüber kann das Merkmal „flüchtig sein“ nicht zu Lasten der Kläger dahin ausgelegt werden, dies sei auch anzunehmen, wenn sie einer Aufforderung zur Vorsprache in einer Polizeidienststelle zur Realisierung der Rücküberstellung nach Rumänien schlicht keine Folge leisten, obgleich im Übrigen der Aufenthaltsort der Kläger den Behörden bekannt ist und die zuständigen Behörden nichts unternehmen, tatsächlich Zugriff auf die Kläger zu erlangen. Ein solches Verständnis liefe nämlich darauf hinaus, die Fristenregelungen des Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung als Sanktionsnorm für ein passives Verhalten der Kläger anzuwenden. Dafür besteht angesichts der realen Zugriffsmöglichkeiten des Staates auf die Betroffenen kein Bedürfnis, so dass ein solcher Sachverhalt nicht vergleichbar ist mit der Sachlage, dass der Betroffene unbekannten Aufenthaltes ist und dies durch aktives Handeln objektiv veranlasst hat. Vielmehr obliegt es zunächst allein in der Verantwortungssphäre der zuständigen Behörden des ersuchenden Staates im Sinne der Dublin-III-Verordnung, die Kläger bei bekanntem Aufenthalt einer tatsächlichen Rückführungshandlung zuzuführen. Die Dublin-III-Verordnung legt die Verantwortungssphäre für die tatsächliche Rückführung aus Sicht der Kammer grundsätzlich dem ersuchenden Mitgliedsstaat auf, was den insoweit klaren Wortlauten der Regelungen der Art. 29 und 30 Dublin-III-Verordnung zu entnehmen ist. Dass die Kläger als Asylantragsteller nach diesen Vorschriften gleichsam eine geteilte Verantwortung für ihre Rücküberstellung tragen, ist mangels entsprechender aktiver Mitwirkungspflichten in der Verordnung nicht erkennbar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus nationalen Vorschriften. Nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung erfolgt die Überstellung nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Staates. Das nationale Recht sieht dabei in § 34a AsylG vor, dass als konkrete vorbereitende Maßnahme der Aufenthaltsbeendigung die Abschiebung anzuordnen ist. Da das Aslygesetz ansonsten keine Regelungen zur Durchführung der Rücküberstellung trifft, ist auf die Regelungen zur Abschiebung nach dem Aufenthaltsgesetz zurückzugreifen. Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung sind danach zwangsweise durchzusetzen, wenn u.a. die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht des Ausländers nicht gesichert ist (§ 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Hierbei handelt es sich um die Durchsetzung mittels unmittelbaren Zwangs, für die auf die entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften abzustellen ist (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, AufenthG § 58 Rn. 15). In § 82 Abs. 4 AufenthG ist zwar eine Mitwirkungspflicht des Asylantragstellers in Form eines persönlichen Erscheinens vor den zuständigen Behörden zur Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen statuiert. Jedoch führt diese Regelung nicht zu der Annahme, daraus ergebe sich eine (geteilte) Verantwortungssphäre für den Asylantragsteller im Sinne der Dublin-III-Verordnung, das dort vorgesehene Rücküberstellungsverfahren effektiv mit zu betreiben. Denn es obliegt den zuständigen Stellen, die Pflicht zum Erscheinen ggf. im Wege des unmittelbaren Zwanges durchzusetzen. Die Anordnung und Durchführung von Zwangsmaßnahmen im Verwaltungsrecht fällt aber per se in die Verantwortungssphäre des Hoheitsträgers, weil eine über die Duldung der Zwangsmaßnahme hinausgehende Mitwirkungspflicht des Zwangsunterworfenen gegen sich selbst das Verwaltungsvollstreckungsrecht nicht kennt. Der ersuchende Staat kann letztlich unabhängig vom Willen des Asylantragstellers eine Rücküberstellung bewirken. Es ist festzuhalten, dass allein am Nichtbefolgen der Pflicht nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Pflicht zur Durchsetzung der Rücküberstellung – worauf es aus Sicht der Kammer maßgeblich ankommt – im Sinne der Dublin-III-Verordnung nicht aus Gründen scheitert, die allein oder überwiegend in der Sphäre des Asylantragstellers liegen, weil dem ersuchenden Staat jedenfalls bei bekanntem Aufenthaltsort des Asylantragsstellers das Verwaltungsvollstreckungsrecht zur Seite steht. Es liegt vor allem in seiner Verantwortung, das Vollstreckungsverfahren effektiv und zielführend zu praktizieren.
Die Kammer weist darauf hin, dass offenbar auch die Beklagte die Auffassung vertritt, das Merkmal „flüchtig sein“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-Verordnung setze einen aktiven Akt des Sich-Entziehens voraus (S. 2 d. Schriftsatzes d. Bundesamtes v. 13.11.2018). Es ist dann aber inkonsequent, einen solchen Akt darin zu sehen, dass die Kläger einer Vorladung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG keine Folge leisteten. Dieses Verhalten der Kläger ist vielmehr passiv und schon vom Wortverständnis dessen, was ein „aktiver Akt“ sein kann, nicht vergleichbar einem Sich-Entziehen durch (stete) Ortsveränderung. Das entgegenstehende Verständnis überschreitet die Wortlautgrenze von „Aktivität“, die aber den Grundmaßstab jeder Auslegung bildet (ständige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, z.B. BVerfG, B.v. 28.07.2015 – 2 BvR 2558/14 u.a. – NJW 2015, 2949 ff.).
Dabei kommt im Weiteren auch den Besonderheiten der Handhabung des Kirchenasyls im Freistaat Bayern keine abweichende Bedeutung für die vorgenannte rechtliche Einschätzung zur Verteilung der Verantwortungssphären im Rücküberstellungsverfahren zu. Bei dem Institut des Kirchenasyls handelt es sich um kein rechtlich vorgesehenes oder sonst anerkennenswert zulässiges Verfahren (VG Ansbach, U.v. 14.4.2016 – AN 6 K 15.31132 – BeckRS 2016, 45664). Asylantragsteller begeben sich in erster Linie deshalb in sog. Kirchenasyl, weil sie darauf vertrauen, dass nach der jahrelangen und gefestigten Praxis der bayerischen Ausländerbehörden diese sich durchgängig in den Kirchenasyl-Fällen scheuen, auch gegen vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer vorzugehen. Entscheidend für die Praxis des sog. Kirchenasyls erscheint der Kammer, dass der Staat sich freiwillig seiner rechtlichen Handlungsinstrumente begibt, indem er auf die grundsätzlich mögliche zwangsweise Durchsetzung einer Rücküberstellung verzichtet. Es ist nicht einzusehen, dass diese Praxis, die zwar in Respekt vor der gewachsenen Institution Kirche geschieht, dann zum Nachteil asylantragstellender Menschen beurteilt wird. Verzichtet der Staat auf die zwangsweise Durchsetzung von ihm vorzunehmender Exekutivbefugnisse – wozu er aufgrund des Wortlautes des § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG und der landesrechtlichen Bestimmungen zum Verwaltungszwang durchaus befugt ist – trägt er vielmehr auch die sich hieraus ergebenden Nachteile, soweit sie den Ablauf von Fristen im Dublin-Verfahren betreffen. Eine solche Risikoverteilung ist sachgerecht und entspricht letztlich der Teilung der Verantwortlichkeiten gemäß den Bestimmungen der Art. 29 ff. Dublin-III-Verordnung.
Nach alledem erweist sich die Klage im Hauptantrag als begründet, so dass es keiner Entscheidung über den gestellten Hilfsantrag bedurfte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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