Europarecht

Anwendbarkeit der Schweinehaltungshygieneverordnung (SchHaltHygV) auf Wildschweinhaltung

Aktenzeichen  RN 5 K 15.1278

Datum:
24.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Schweinehaltungshygieneverordnung § 1 Schweinehaltungshygieneverordnung

 

Leitsatz

1. Für den Begriff der “Tierzucht” ist nicht entscheidend, dass bei einer Tierhaltung Nachwuchs entsteht, sondern dass dieses Entstehen von Nachwuchs menschlich kontrolliert und gezielt erfolgt. Die Entstehung des Nachwuchses muss gerade die Zielrichtung der Tierhaltung sein. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die “Tiermast” erfordert ein gezieltes, über das Maß der dem Tierschutz entsprechenden artgerechten Haltung hinausgehendes Anfüttern, um Tiere zu einem bestimmten Zeitpunkt (Schlachtreife) der Verwertung als Lebensmittel zuzuführen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Es wird festgestellt, dass die Bestimmungen der Schweinehaltungshygieneverordnung (SchHaltHygV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. April 2014 (BGBl. I S. 326) auf die Wildschweinehaltung der Kläger im Wildpark … nicht anzuwenden sind und diese Wildschweinehaltung der Kläger nicht genehmigungsbedürftig gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 SchHaltHygV ist.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Entscheidung ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die Feststellungsklage ist zulässig. Auch die Kläger, welche in Erbengemeinschaft Rechtsnachfolger des nach Klageerhebung verstorbenen vormaligen Klägers sind, haben ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Sie führen die Wildschweinehaltung fort. Strittig zwischen ihnen und dem Beklagten ist die Genehmigungspflicht nach § 4 Abs. 3 SchHaltHygV.
§ 4 Abs. 3 SchHaltHygV bestimmt, dass die Freilandhaltung von Schweinen nur mit behördlicher Genehmigung erfolgen darf. Basisvoraussetzung für eine eventuelle Genehmigungspflicht ist aber, dass die Wildschweinehaltung der Kläger überhaupt in den Geltungsbereich der Schweinehaltungshygieneverordnung fällt. Die Schweinehaltungshygieneverordnung gilt nach ihrem § 1 nur für Betriebe, die Schweine zu Zucht- oder Mastzwecken halten.
Auszugehen ist bei der gerichtlichen Entscheidung von der aktuellen Sach- und Rechtslage, wie sie sich dem Gericht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung darstellt. Das Gericht weist ausdrücklich darauf hin, dass Änderungen der derzeitigen Sach- und Rechtslage natürlich Auswirkungen haben können, welche Anlass zu einer von dieser gerichtlichen Feststellung abweichenden Bewertung geben können.
Aktuell stellt sich die Wildschweinehaltung der Kläger nicht als Betrieb dar, welcher Schweine zu Zucht- oder Mastzwecken hält. Die Feststellungsklage der Kläger ist demnach begründet.
Der Begriff „Tierzucht“ ist weder im Tierzucht- noch im Tierschutzgesetz definiert (vgl. Nr. 1.3.4 des Gutachtens der Sachverständigengruppe Tierschutz und Heimtierzucht zur Auslegung von § 11 b des Tierschutzgesetzes [Verbot von Qualzüchtungen] vom 26. Oktober 2005, veröffentlicht auf der Homepage des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft). Auch in den tierseuchenrechtlichen nationalen Regelungen (z. B. Tiergesundheitsgesetz, Schweinehaltungshygieneverordnung) und der EU-Tierzuchtverordnung (Nr. 2016/1012 vom 8. Juni 2016, ABl. L 171 vom 29. Juni 2016, S. 66 ff.) findet sich keine Legaldefinition. Lediglich das österreichische Tierschutzgesetz (öst. BGBl I Nr. 118/2004 mit späteren Änderungen) enthält für den Begriff „Zucht“ in § 4 Nr. 12 folgende Definition: vom Menschen kontrollierte Fortpflanzung von Tieren durch gemeinsames Halten geschlechtsreifer Tiere verschiedenen Geschlechts, gezielte Anpaarung oder das Heranziehen eines bestimmten Tieres zum Decken oder durch Anwendung anderer Techniken der Reproduktionsmedizin. In der Katzenzeitung wurde ebenfalls der Versuch unternommen, die Bedeutung des Wortes „züchten“ zu bestimmen (vgl. http://www.katzenzeitung.eu/de/zucht/). Diesem Versuch der auf Katzen bezogenen Begriffsbestimmung und der vorstehenden Legaldefinition kann ein wesentlicher Faktor für die Bestimmung einer „Zucht“ entnommen werden. Entscheidend ist nicht, dass bei einer Tierhaltung Nachwuchs entsteht, sondern dass dieses Entstehen von Nachwuchs menschlich kontrolliert und gezielt erfolgt. Neben dem objektiven Entstehen von Nachwuchs muss quasi subjektiv gerade die Entstehung dieses Nachwuchses die Zielrichtung der Tierhaltung sein.
Für den Begriff „Tiermast“ erbrachten die Recherchen des Gerichts keine Legaldefinition. In Wikipedia kann z. B. nachgelesen werden, dass Tiermast ein Produktionsverfahren in der Viehhaltung sei. Ziel sei, Tiere zur Fleischproduktion zu erzeugen, um deren Fleisch nach Schlachtung für die menschliche Ernährung verwerten zu können. Dieses Ziel werde durch eine abgestimmte Fütterung der Tiere erreicht, die zu einem stärkeren Fleischzuwachs führe. Auch in Duden-Online (http://www.duden.de/rechtschreibung/maesten) wird als Bedeutung angegeben: (bestimmte Schlachttiere) reichlich zu füttern, mit Mastfutter zu versorgen, um eine Zunahme an Fleisch, Fett zu bewirken. Der i… e.V. führt in seinem online-Agrilexikon unter „Schwein“ aus, Ziel der Mast sei, dass die Tiere möglichst viel Fleisch bilden. Von Mast kann deshalb nur gesprochen werden, wenn gezielte Fütterungsmaßnahmen bezwecken, dass Tiere einen stärkeren Fleischzuwachs erreichen als dies bei einer Fütterung der Fall wäre, bei der die Tiere mit derart ausreichend Futter versorgt werden, dass sie tierschutzgerecht gehalten werden.
Die Kläger ließen in der mündlichen Verhandlung vortragen, dass der Grundbestand an Wildschweinen aus einem Keiler und fünf Bachen bestehe und sich daran nichts ändern solle. Die Anzahl der Frischlinge hänge davon ab, wie viele davon geboren würden. Die überzähligen Tiere würden nach etwa einem Jahr abgeschossen. Die Angaben zum Grundbestand werden durch die Feststellungen des Veterinäramts am 1. April 2014 bestätigt. Damals waren ein Keiler und fünf Bachen festgestellt worden. Die Anzahl der geschlachteten Wildschweine wurde vom Veterinäramt in der mündlichen Verhandlung nach deutlich höheren Zahlen in den Jahren 2011 und 2012 für die Jahre 2013, 2014 und 2015 mit acht, fünf und vier angegeben.
Anhaltspunkte dafür, dass die Wildschweine, welche abgeschossen werden sollen, in besonderer Weise gefüttert würden, um deren Gewicht und damit die verwertbare Fleischmenge zu erhöhen, finden sich nicht. Entsprechendes wird auch vom Beklagten nicht vorgetragen. Daraus ist zu folgern, dass die Fütterung der Wildschweine nur im Rahmen der tierschutzgerechten Haltung erfolgt, nicht aber von dem Bestreben geprägt ist, das Gewicht der Wildschweine zur Maximierung der verwertbaren Fleischmenge zu steigern. Das Abschießen der Wildschweine dient der Regulierung des Bestandes, um eine Überbevölkerung im Gehege zu verhindern. Es liegt somit keine Mast vor, denn diese erfordert ein gezieltes, über das Maß der dem Tierschutz entsprechenden artgerechten Haltung hinausgehendes Anfüttern, um Tiere zu einem bestimmten Zeitpunkt (Schlachtreife) der Verwertung als Lebensmittel zuzuführen.
Auch die Anzahl, der in den letzten Jahren abgeschossenen und damit als geschlachtet erfassten Wildschweine ist so gering, dass sie keinen Anlass gibt, allein aus der Zahl der verwerteten Tiere auf ein zielgerichtetes Anfüttern zu schließen.
Auch das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „Zucht“ kann nicht bejaht werden. Ob die Verwendung des Begriffs „kulturelle Umweltbildungsstätte“ zur Bezeichnung der Wildschweinehaltung der Kläger nicht eine Erwartungshaltung erweckt, welche die Wildschweinehaltung letztlich nicht halten kann (Die Bildungsstätte beschränkt sich ja auf das Betrachten der Wildschweine.), muss hier nicht abschließend bewertet werden. Letztlich findet der Begriff nur in diesem gerichtlichen Verfahren Verwendung. Auf der Homepage des Wildparks … findet er sich nicht. In dem Wildpark … befinden sich zwei Gaststätten. Zudem werden neben der Zurschaustellung von Wildtieren und Rindern als Attraktionen noch der Kletterwald …, ein Biberpfad, Ponyreiten, Kutschfahrten, Naturerlebnistage und die Dienste einer Waldpädagogin angeboten. Das Gericht bewertet die Gesamtheit des Wildparks … deshalb als Freizeiteinrichtung. Im Rahmen dieser Freizeiteinrichtung erfolgt u. a. die Haltung von Wildschweinen. Diese dient dazu, den Besuchern das gefahrlose Betrachten der Wildschweine zu ermöglichen. Es sollen nicht nur die Bachen und die Frischlinge, sondern auch ein erwachsenes männliches Tier, ein Keiler, betrachtet werden können.
Die Kläger berufen sich auf die Ausführungshinweise zur Schweinehaltungshygieneverordnung vom 26. Juni 2000 (abgedruckt in: Geissler/Rojahn/Stein, Tierseuchenrecht in Deutschland und Europa, Nr. B-22.2).
Dort heißt es u. a., dass die Regelungen dieser Verordnung nicht anzuwenden sind, sofern Schweine zu anderen als den in § 1 SchHaltHygV aufgeführten Zwecken gehalten werden (z. B. zu kulturellen Zwecken wie in Zoos und Zirkussen). Die Voraussetzungen des § 1 SchHaltHygV seien im Einzelfall zu prüfen. Gatterhaltungen unter einer Größe von 75 ha seien grundsätzlich wie Freilandhaltungen zu behandeln.
Leben Tiere männlichen und weiblichen Geschlechts zusammen, dann liegt es in der Natur der Sache, dass sich Nachwuchs einstellt. Gerade auch die Zurschaustellung der Frischlinge gehört zum Konzept, welches die Kläger mit der Wildschweinehaltung verfolgen. Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger oder ihnen zuzurechnende Dritte kontrolliert und gezielt durch ihr Verhalten auf die Wildschweine einwirken, um diese zur Erzeugung von Nachwuchs zu veranlassen, finden sich nicht. Mangels dieses Verhaltens kann nicht von einer Zucht ausgegangen werden. Die flächenmäßige Größe der Wildschweinehaltung der Kläger ist – wie die Prüfung im Einzelfall ergibt – nicht ausschlaggebend. Die Vermehrung der Wildschweine ist lediglich ein Nebeneffekt der gemeinsamen Haltung von Keiler und Bachen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.


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