Europarecht

Archivrechtlicher Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG gegenüber dem Bundesnachrichtendienst

Aktenzeichen  6 A 7/20, 6 A 8/20, 6 A 7/20, 6 A 8/20

Datum:
13.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2022:130122U6A7.20.0
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

1. Grundrechtliche Positionen, die im Zusammenhang mit einem archivrechtlichen Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG geltend gemacht werden, sind diesem nicht als eigenständige Ansprüche zur Seite zu stellen, sondern bei der Auslegung der einfachrechtlichen Anspruchsgrundlage zu berücksichtigen.
2. Suchbegriffe, die im Zusammenhang mit einem archivrechtlichen Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG angegeben werden, können einen antragsbegrenzenden oder einen exemplifizierenden Charakter haben.
3. Zwischen den Geheimhaltungsgründen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG und denjenigen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und Alt. 3 VwGO besteht Maßstabsidentität.
4. Der Zugang zu behördlichen Find- und Recherchemitteln wird von dem archivrechtlichen Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG nicht umfasst.

Tenor

Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfahren werden eingestellt, soweit die Beteiligten sie übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Verfahren.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist Journalistin und Verfasserin zahlreicher Bücher mit politisch-historischen Inhalten. Sie streitet mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) um die Einsicht in Unterlagen aus der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien und die Benutzung von Find- und Recherchemitteln.
2
Die Klägerin beantragte mit E-Mail vom 21. Juli 2014 und gleichlautendem Schreiben vom 22. Juli 2014 bei dem BND “Einsicht in sämtliche Berichte, die Ihre Behörde in der Zeit von 1975 bis 1983 (Ende der Militärdiktatur) aus Argentinien erhalten hat, vor allem die Vermerke, Memos etc. Ihrer an der Deutschen Botschaft in Buenos Aires tätigen Mitarbeiter.” Der BND bestätigte unter dem 24. Juli 2014 den Eingang des Einsichtsbegehrens und bat, um dieses als Antrag nach § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BArchG a.F. effizient bearbeiten zu können, um die präzise und vollständige Ausfüllung eines dem Bestätigungsschreiben beigefügten Antragsformulars. Die Klägerin gab in dem von ihr mit Datum vom 24. Juli 2014 ausgefüllten und an den BND zurückgesandten Formular in der Rubrik “Benutzungsthema (bitte benennen Sie Zeitraum und präzise Suchbegriffe für die Datenbankrecherche)” Folgendes an: “Argentinien -1975-83, Militärdiktatur, K. + Z., Politische Gefangene, Terrorismus, Verschwundene deutsche Staatsbürger, Berichte des BND-Residenten 75-83, Atomwaffen”.
3
Der BND führte zunächst eine Abfrage in seiner Archivdatenbank FAUST zu den von der Klägerin benannten Suchbegriffen durch. Die Unterlagen, die in den als Treffer ausgeworfenen Signaturen 07.406 Teil 1, 07.406 Teil 2, 32.303, 32.305, 32.306, 32.309, 10.701 und 10.703 enthalten waren, überprüfte er in einem weiteren Schritt manuell auf ihre Anfragegegenständlichkeit, auf die nicht durch Treffer belegten Suchbegriffe (sog. Spitzbewertung), auf den Ablauf der dreißigjährigen Schutzfrist des § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BArchG a.F. und auf eine Geheimschutzbedürftigkeit im Sinne des § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 BArchG a.F. Im Ergebnis beschied der BND die Klägerin unter dem 6. Februar 2015 dahingehend, dass zu den Begriffen “Militärdiktatur”, “Z.”, “Politische Gefangene”, “Terrorismus”, “verschwundene deutsche Staatsbürger” und “Atomwaffen” in Bezug auf Argentinien 1975-1983 im Archiv des BND keine Dokumente hätten ermittelt werden können. Im Hinblick auf “Argentinien 1975-1983” und “Berichte des BND-Residenten 1975-1983” sei die in den Signaturen 07.406 Teil 1 und 07.406 Teil 2 enthaltene sog. Ausgangsberichterstattung identifiziert worden. In die ca. 220 deklassifizierten Seiten dieser Signaturen könne die Klägerin Einblick nehmen. Im Übrigen könnten die Dokumente in den genannten Signaturen der Klägerin nicht zugänglich gemacht werden, weil absolute Versagungsgründe gemäß § 5 Abs. 8 (Satz 1) i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 BArchG a.F. gegeben seien. Die eigentliche Berichterstattung der Residentur – die Meldungen im engeren Sinne -, die in die Ausgangsberichterstattung eingeflossen sei, habe nach den von der Klägerin übermittelten Schlagworten in dem Archiv nicht ermittelt werden können.
4
Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 6. Februar 2015 Widerspruch ein. Sie machte unter anderem geltend, es sei unglaubwürdig, dass in dem Archiv des BND keine Dokumente zu den von ihr genannten Themenbereichen Diktatur, Terrorismus, politische Gefangene, Z. etc. hätten festgestellt werden können. Ihr müsse der Zugang zu den Findmitteln und den Registraturen des BND ermöglicht werden, damit sie selbst nach den entsprechenden Unterlagen suchen könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2015, zugestellt am 28. Juli 2015, wies der BND den Widerspruch der Klägerin zurück. Er habe unter vollständiger und lückenloser Berücksichtigung sämtlicher von der Klägerin angegebenen Suchbegriffe eine Datenbankabfrage durchgeführt. Er habe alle ihm zur Verfügung stehenden Such- und Recherchemittel vollständig eingesetzt sowie sämtliche im BND-Archiv verfügbaren Archivalien vollständig zur Bearbeitung des Antrags der Klägerin herangezogen. Ein Anspruch auf Einsicht in die als anfragegegenständlich erkannten Dokumente sei, soweit diese nicht vollständig zugänglich gemacht worden seien, nach § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 BArchG a.F. nicht gegeben. Es bestehe im Sinne dieser Vorschrift Grund zu der Annahme einer Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland, wenn die Geheimhaltung der von ausländischen öffentlichen Stellen zur Verfügung gestellten Informationen aufgehoben und dadurch der Informationsaustausch des BND mit anderen Nachrichtendiensten sowie letztlich die Aufgabenerfüllung des Dienstes gefährdet werde. Eine öffentlichkeitsorientierte Nutzung des für die Dokumentensuche genutzten Datenbanksystems durch Externe müsse unterbleiben, da dieses das maßgebende und abschließende Recherchemittel des BND nicht nur für die Bearbeitung von archivrechtlichen Nutzungsanfragen, sondern auch für interne Zwecke sei und in erheblichem Umfang substantielle Informationen über die einem archivrechtlichen Nutzungsverbot und die als Verschlusssachen der amtlichen Geheimhaltung unterliegenden Aktenbestände des BND enthalte. Zudem ergebe sich aus dem Bundesarchivgesetz generell kein Anspruch auf die Nutzung von behördeninternen Such- und Recherchemitteln.
5
Am 27. August 2015 hat die Klägerin die zunächst unter dem Aktenzeichen 6 A 4.15 und zuletzt unter dem Aktenzeichen 6 A 7.20 geführte Klage mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zu verpflichten, ihr sämtliche bei dem BND vorhandenen amtlichen Unterlagen mit Bezug zu Argentinien in der Zeit der Militärdiktatur zu den Themen gemäß den in dem Antragsformular vom 24. Juli 2014 genannten Suchbegriffen zur Einsichtnahme bereitzustellen sowie ihr Zugang zu den Find- und Recherchemitteln bei dem BND zum Zweck der eigenen Recherche nach den betreffenden Unterlagen zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2016 hat die Klägerin ihr Einsichtsbegehren einerseits konkretisiert und auf die von denjenigen Signaturen umfassten Unterlagen – vollständig und ungeschwärzt – gerichtet, die sich ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs bei der Datenbankrecherche des BND als Treffer qualifiziert hätten, unabhängig davon, ob sie der BND für anfragegegenständlich erachtet habe, mithin die Signaturen 07.406 Teil 1, 07.406 Teil 2, 32.303, 32.305, 32.306, 32.309, 10.701 und 10.703. Die Klägerin hat andererseits betont, dass sie entsprechend ihrem ursprünglichen Verwaltungsantrag unabhängig von den von ihr später angegebenen Suchbegriffen, deren Sachgerechtigkeit im Hinblick auf das Ablagesystem des BND sie nicht beurteilen könne, Einsicht in sämtliche Berichte fordere, die der BND in der Zeit von 1975 bis 1983 aus Argentinien erhalten habe, vor allem in die Vermerke, Memos etc. der Mitarbeiter des BND an der deutschen Botschaft in Buenos Aires aus dieser Zeit.
6
Mit Beweisbeschluss vom 18. August 2016 hat der Senat der Beklagten aufgegeben, ihm über die bereits gegenüber der Klägerin als Signaturen 07.406 Teil 1 OT und 07.406 Teil 2 OT offengelegten Unterlagen hinaus sämtliche bei dem BND unter den Signaturen 07.406 Teil 1, 07.406 Teil 2, 32.303, 32.305, 32.306, 32.309, 10.701 und 10.703 erfassten Unterlagen vollständig und ungeschwärzt vorzulegen. Mit einer unter dem 28. Februar 2017 abgegebenen und unter dem 18. Juni 2017 in geringem Umfang wieder aufgehobenen Sperrerklärung hat das Bundeskanzleramt unter Berufung auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und Alt. 3 VwGO eine Vorlage der angeforderten Unterlagen ohne in Teilen vorzunehmende Schwärzungen verweigert. Die Beklagte hat dem Senat die nach den Vorgaben des Bundeskanzleramts teilweise geschwärzten Unterlagen übersandt. Die Klägerin hat Akteneinsicht in diese Unterlagen erhalten. Sie hat in der Folge ihr Einsichtsbegehren hinsichtlich der in dem Beweisbeschluss vom 18. August 2016 genannten Signaturen mit Ausnahme von Blatt 112 und Blatt 420 bis 433 der Signatur 32.303 sowie Blatt 1 bis 142, 147 bis 151 und 248 bis 414 der Signatur 32.309 für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dieser Teilerledigungserklärung angeschlossen.
7
Der Senat hat mit Beschluss vom 25. September 2017 den Beweisbeschluss vom 18. August 2016 an die durch die übereinstimmenden Teilerledigungserklärungen veränderte prozessuale Lage angepasst und festgestellt, dass die Entscheidungserheblichkeit der hiernach weiterhin angeforderten Unterlagen auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts mit dem darin enthaltenen, novellierten Gesetz über die Nutzung und Sicherung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz – BArchG) vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 410) gegeben sei. Am 29. September 2017 hat der Senat das Verfahren auf Antrag der Klägerin an den gemäß § 189 VwGO gebildeten Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts (Fachsenat) zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts abgegeben.
8
Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2017 hat die Beklagte die auf 150 Blatt angelegte Signatur 200.899 übersandt. In dieser Signatur hat der BND ursprünglich in anderen Signaturen abgeheftete Unterlagen zusammengefasst, die er bei einer Recherche auf Grund einer parlamentarischen Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke vom 20. Juni 2016 betreffend die Rolle der westdeutschen Politik und Diplomatie während der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien aufgefunden und im Nachhinein als auch für das Einsichtsbegehren der Klägerin anfragegegenständlich identifiziert hatte. Völlig offengelegt hat die Beklagte dabei nur etwa ein Viertel des Inhalts dieser Signatur, nämlich Blatt 12 bis 17, 19 bis 24, 26 bis 27, 66 bis 67, 69 bis 73, 123, 142 bis 143 und 145 bis 147. Drei Blatt – Blatt 68, 126 und 144 – hat sie unter Verweis auf den Schutz der nachrichtendienstlichen Aufgabenerledigung durch die Zusammenarbeit des BND mit anderen Behörden sowie die Geheimhaltung der Tätigkeit einer vermutlich noch lebenden Person für einen ausländischen Nachrichtendienst, gestützt auf § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG, teilweise geschwärzt. Den Rest hat sie unter Berufung auf zwingende Gründe des Schutzes nachrichtendienstlicher Quellen, Methoden und Identitäten gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG vollständig aus der Signatur entnommen. Die Beklagte hat versichert, dass nach dem derzeitigen Stand der Erschließung des Archivs des BND in diesem keine weiteren für das Einsichtsbegehren der Klägerin anfragegegenständlichen Unterlagen bekannt oder recherchierbar seien. Sollten sich im Zuge der weiteren, fortlaufend durchgeführten Erschließung des Archivs des BND derartige Unterlagen anfinden, werde der BND diese selbständig zur Verfügung stellen.
9
Mit Beschluss vom 27. Oktober 2017 hat der Senat das Verfahren betreffend die Entscheidung über die Berechtigung der Klägerin auf Einsichtnahme in die nicht vollständig offengelegten Unterlagen der Signatur 200.899 von dem Ursprungsverfahren abgetrennt sowie zunächst unter dem Aktenzeichen 6 A 3.17 und zuletzt unter dem Aktenzeichen 6 A 8.20 geführt.
10
Mit Bescheid vom 29. November 2017 hat der BND den Bescheid vom 6. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juli 2015 insoweit gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aufgehoben, als der Klägerin über die bisher ausgekehrten Unterlagen hinaus auch die Signatur 200.899 zur Verfügung gestellt werde. Die Entnahmen und Schwärzungen von Dokumenten dieser Signatur hat der BND entsprechend seinen Darlegungen in dem Schriftsatz der Beklagten vom 20. Oktober 2017 begründet. Die Klägerin hat gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt und sich gegen die dort angestellte Würdigung von Geheimschutzgründen gewandt. Sie hat des Weiteren auf den auf Blatt 123 der Signatur 200.899 befindlichen Vermerk “‘Z.’ ist eine gesonderte dünne Akte” verwiesen, der den Kern ihres Einsichtsbegehrens berühre und die Frage aufwerfe, wo sich diese Akte befinde und warum der BND sie nicht zugänglich gemacht habe. Die Klägerin hat ferner ihr Begehren auf die Gewährung von Zugang zu den Find- und Recherchemitteln des BND bekräftigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2018 hat der BND den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen und dabei ausgeführt, die “gesonderte dünne Akte Z.” habe bedauerlicherweise trotz erneuter Recherche nicht aufgefunden werden können. Ein Anspruch der Klägerin auf Zugang zu seinen Find- und Recherchemitteln bestehe nicht.
11
Mit einer am 30. April 2018 eingegangenen Klageschrift hat die Klägerin begehrt, die Beklagte zu verpflichten, ihr die Signatur 200.899 vollständig und ungeschwärzt zur Einsichtnahme bereitzustellen sowie ihr Zugang zu den Find- und Recherchemitteln bei dem BND einschließlich der Archivdatenbank FAUST zwecks eigener Recherche nach weiteren Unterlagen mit Bezug zur Zeit der Militärdiktatur in Argentinien und den Themen der im Juli 2014 benannten Suchbegriffe zu gewähren.
12
Die Beklagte hat auf Anforderung des Senats eine dienstliche Erklärung des Leiters des Referats Archivwesen des BND zu den Recherchemaßnahmen betreffend die “gesonderte dünne Akte Z.” vorgelegt. Der Referatsleiter hat in der Erklärung vom 26. September 2018 ausgeführt, nach der Akte sei vergeblich in der zentralen Datenbank des BND für Personen sowie in der Archivdatenbank FAUST geforscht worden. Damit sei die Akte in den bislang erschlossenen Altunterlagen im Archiv des BND nicht recherchierbar. Eine ergänzend durchgeführte dienstweite Abfrage zum Verbleib der Akte habe in allen Arbeitsbereichen eine Fehlanzeige ergeben. Es sei nicht zu leisten, den gesamten Altaktenbestand des BND mit einem Umfang von ca. 3 Kilometern manuell nach der Akte zu durchsuchen.
13
Mit Beweisbeschluss vom 11. September 2018 hat der Senat der Beklagten aufgegeben, ihm die aus der Signatur 200.899 entnommenen bzw. nur mit teilweisen Schwärzungen vorgelegten Unterlagen ungeschwärzt vorzulegen. Mit einer auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und Alt. 3 VwGO gestützten Sperrerklärung vom 15. Oktober 2018 hat das Bundeskanzleramt die Entnahmen und Teilschwärzungen von Unterlagen der Signatur 200.899 bestätigt, mit Ausnahme von Blatt 11 und 87, die offenzulegen seien. Die Beklagte hat dem Senat die Signatur 200.899 mit dem bereits vorgelegten, nunmehr um die offengelegten Blatt 11 und 87 ergänzten Inhalt erneut übersandt. Diese ist der Klägerin zur Einsichtnahme überlassen worden. Die Beteiligten haben in Bezug auf Blatt 11 und 87 der Signatur 200.899 Erledigungserklärungen abgegeben. Am 29. Oktober 2018 hat der Senat das Verfahren auf Antrag der Klägerin an den Fachsenat zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts abgegeben.
14
Mit Beschluss vom 22. November 2019 (Az.: 20 F 14.17) hat der Fachsenat in Bezug auf die Unterlagen, die der Senat in dem zuletzt unter dem Aktenzeichen 6 A 7.20 geführten Verfahren angefordert hatte, den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der – in dem Fachsenatsverfahren noch ergänzend begründeten – Sperrerklärung des Bundeskanzleramts vom 28. Februar/18. Juni 2017 abgelehnt. Der Fachsenat hat zunächst darauf verwiesen, dass die Beklagte insgesamt 39 Blatt der Signaturen 32.303 und 32.309 – allesamt Gliederungs-, Einleitungs- und Abschlussblätter – als Teilmenge derjenigen Unterlagen, die die Klägerin von ihrer Teilerledigungserklärung ausgenommen hatte und die hieran anschließend von dem Beweisbeschluss des Senats vom 25. September 2017 umfasst waren, bereits zuvor offengelegt hatte. Im Übrigen seien die vorgenommenen Teilschwärzungen der vorgelegten Unterlagen aus den in der Sperrerklärung genannten Gründen im Hinblick auf die Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden, insbesondere in Form der Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten anderer Staaten und teilweise des Schutzes der Identität von nachrichtendienstlichen Verbindungen unter dem Blickwinkel des Wohls des Bundes im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO gerechtfertigt. Soweit die Schwärzungen in einer Vielzahl von Fällen zusätzlich auf das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen gestützt seien, sei dies durch den Schutz personengebundener Daten, die ihrem Wesen nach gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO geheimhaltungsbedürftig seien, geboten.
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Was die Unterlagen anbelangt, die der Senat in dem zuletzt unter dem Aktenzeichen 6 A 8.20 geführten Verfahren angefordert hatte, hat der Fachsenat mit Beschluss vom 2. Dezember 2019 (Az.: 20 F 6.18) festgestellt, die Sperrerklärung des Bundeskanzleramts vom 15. Oktober 2018 sei insoweit rechtswidrig, als vier Unterlagen – Blatt 124, 125, 149 und 150 – vollständig aus der Signatur 200.899 entnommen worden seien, für die zum Schutz der nachrichtendienstlichen Aufgabenerfüllung und der Identität noch lebender nachrichtendienstlicher Mitarbeiter nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 bzw. Alt. 3 VwGO näher umschriebene Teilschwärzungen genügten. Im Übrigen hat der Fachsenat den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung abgelehnt. Die Entnahme des größten Teils der Unterlagen aus der Signatur sowie die auf Blatt 68, 126 und 144 vorgenommenen Schwärzungen seien unter dem Blickwinkel des Wohls des Bundes und des Schutzes ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftiger Daten aus den in der Sperrerklärung angegebenen Gründen – namentlich solchen der Funktionsfähigkeit der nachrichtendienstlichen Aufgabenerfüllung, insbesondere in Gestalt der Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten anderer Staaten, der Gewährleistung von Vertraulichkeitszusagen sowie des Schutzes der Identität von eigenen Mitarbeitern, Mitarbeitern fremder Nachrichtendienste und nachrichtendienstlichen Verbindungen – gerechtfertigt. Angesichts der Häufung von Klar- und Decknamen sowie der Dichte geheimhaltungsbedürftiger Details in den Texten habe für die Zurückhaltung ganzer Seiten berücksichtigt werden dürfen, dass eine Schwärzung, die nur zu einem inhaltsleeren und nichtssagenden Restbestand führen würde, nicht in Erwägung gezogen werden musste. Die Beklagte hat dem Senat die nach den Vorgaben des Fachsenats teilgeschwärzten Blatt 124, 125, 149 und 150 der Signatur 200.899 übersandt. Die Unterlagen sind der Klägerin zur Einsichtnahme überlassen worden.
16
Die Klägerin hat gegen die Beschlüsse des Fachsenats vom 22. November 2019 und vom 2. Dezember 2019 Verfassungsbeschwerde erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 7. Mai 2020 (Az.: 1 BvR 165/20) nicht zur Entscheidung angenommen.
17
Die Klägerin stützt ihr Einsichtsbegehren neben § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BArchG a.F. bzw. nunmehr § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG auf den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG, die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Wissenschaftsfreiheit, das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie auf § 1 IFG, der durch die in § 3 Nr. 8 IFG vorgesehene, jedoch – nach Ansicht der Klägerin – verfassungswidrige Bereichsausnahme für die Nachrichtendienste nicht ausgeschlossen werde. Der BND habe nicht sämtliche von ihrem Einsichtsbegehren erfassten Unterlagen vorgelegt. In Bezug auf die als anfragegegenständlich identifizierten, aber nicht bzw. nur mit teilweisen Schwärzungen vorgelegten Unterlagen habe er eine Geheimhaltung nicht belastbar begründet. Die ergangenen Beschlüsse des Fachsenats fänden in § 99 VwGO keine Stütze und trügen den der Klägerin zur Seite stehenden Grundrechten nicht Rechnung. Den geltend gemachten Anspruch auf Zugang zu den Find- und Recherchemitteln des BND erachtet die Klägerin als von dem archivrechtlichen Nutzungsanspruch umfasst.
18
Die Klägerin beantragt – ihr Begehren in den zuletzt unter den Aktenzeichen 6 A 7.20 und 6 A 8.20 geführten Verfahren zusammenfassend – sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide des BND zu verpflichten,
1. der Klägerin Einsicht in sämtliche Berichte, die der Bundesnachrichtendienst in der Zeit von 1975 bis 1983 aus Argentinien erhalten hat, vor allem die Vermerke, Memos etc. der Mitarbeiter des BND an der deutschen Botschaft in Buenos Aires aus dieser Zeit mit Ausnahme der Unterlagen der Signaturen 07.406 Teil 1 OT, 07.406 Teil 2 OT, 07.406 Teil 1, 07.406 Teil 2, 32.305, 32.306, 10.701 und 10.703 sowie Blatt 1 bis 111, 113 bis 419 und 434 bis 529 der Signatur 32.303, Blatt 143 bis 146, 152 bis 247 und 415 bis 590 der Signatur 32.309 und Blatt 11 bis 17, 19 bis 24, 26 bis 27, 66 bis 67, 69 bis 73, 87, 123, 142 bis 143 und 145 bis 147 der Signatur 200.899 zu gewähren,
2. der Klägerin Zugang zu den Find- und Recherchemitteln bei dem BND zu gewähren, um in dem Archiv und den Datenbanken des BND nach den begehrten Unterlagen zu recherchieren, und ihr die Nutzung der aufgefundenen Unterlagen zu erlauben.
19
Die Beklagte beantragt jeweils,
die Klage abzuweisen.
20
Die Beklagte verteidigt die von dem BND erlassenen Bescheide.
21
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
22
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BND und die von der Beklagten vorgelegten Signaturen verwiesen.

Entscheidungsgründe

23
Der Senat verbindet die zuletzt unter den Aktenzeichen 6 A 7.20 und 6 A 8.20 geführten Verfahren gemäß § 93 VwGO zu gemeinsamer Entscheidung. Die Verfahren betreffen mit den jeweils von der Klägerin geltend gemachten Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung der Einsicht in – und damit verbunden der Nutzung von – Unterlagen des BND aus der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien und zur Einräumung des Zugangs zu Find- und Recherchemitteln des BND den gleichen Gegenstand.
24
Soweit die Beteiligten übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben haben, sind die verbundenen Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
25
Im Übrigen hat die Klage – verstanden als Zusammenfassung der Klagebegehren aus den zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Verfahren -, über die der Senat im Rahmen seiner erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit aus § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, keinen Erfolg. Dies gilt sowohl für das mit dem durch den Klageantrag zu 1 verfolgte Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung der Einsicht in Unterlagen des BND aus der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien (1.) als auch für den Klageantrag zu 2, der auf die Verpflichtung der Beklagten zur Einräumung des Zugangs zu den Find- und Recherchemitteln des BND gerichtet ist (2.).
26
1. Mit dem Klageantrag zu 1 ist die Klage in Teilen unzulässig (a.) und – soweit zulässig – unbegründet (b.).
27
a. Die Klägerin stützt sich für das mit dem Klageantrag zu 1 verfolgte Einsichtsbegehren recht verstanden auf die im Verhältnis der Anspruchsnormenkonkurrenz stehenden Anspruchsgrundlagen des archivrechtlichen Nutzungsanspruchs aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 des Bundesarchivgesetzes (BArchG), nunmehr i.d.F. der Bekanntmachung vom 6. September 2021 (BGBl. I S. 4122) sowie des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG und beruft sich lediglich zur Verstärkung des erstgenannten Anspruchs auf den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG, die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG (aa.). Dieses Einsichtsbegehren macht die Klägerin in statthafter Weise einheitlich im Wege der Verpflichtungsklage geltend (bb.). Diese Klage ist nach dem Grundsatz des Vorrangs der behördlichen vor der gerichtlichen Sachbefassung unzulässig, soweit sie auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet ist, der Klägerin Einsicht in “sämtliche Berichte” – vor allem in Vermerke, Memos etc. von an der deutschen Botschaft in Buenos Aires tätigen BND-Mitarbeitern – zu gewähren, die der BND in der Zeit der Militärdiktatur aus Argentinien erhalten hat, und dabei außer Acht lässt, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren ihr ursprünglich in dieser Weite angebrachtes Einsichtsbegehren frühzeitig durch die Angabe von Suchbegriffen eingeschränkt hatte (cc.). Überdies fehlt es der Klägerin an dem erforderlichen allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis, soweit sie Einsicht in insgesamt 39 Blatt der Signaturen 32.303 und 32.309 begehrt, die die Beklagte im Klageverfahren offengelegt hat, die jedoch zu den Unterlagen gehören, die die Klägerin von der in dem zuletzt unter dem Aktenzeichen 6 A 7.20 geführten Verfahren abgegebenen Teilerledigungserklärung ausdrücklich ausgenommen hat. Gleiches gilt in Bezug auf ein Blatt der Signatur 32.303, das die Beklagte mit angebrachten Teilschwärzungen vorgelegt und für das die Klägerin trotz seiner erkennbar fehlenden Anfragegegenständlichkeit eine Erledigung ihres Klagebegehrens eindeutig verneint hat (dd.).
28
aa. Der Bundesgesetzgeber hat in § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG jeder Person das Recht zuerkannt, auf Antrag Archivgut des Bundes – im Anwendungsbereich des § 11 Abs. 6 BArchG auch potentielles Archivgut – zu nutzen. Nach dem normtheoretischen Grundsatz des vorrangig anzuwendenden einfachen Rechts (vgl. dazu in anderem Zusammenhang: BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013 – 6 A 2.12 – BVerwGE 146, 56 Rn. 29 und vom 28. Oktober 2021 – 10 C 5.20 – juris Rn. 17) besteht weder ein Bedürfnis noch eine Rechtfertigung dafür, diesem einfachgesetzlichen Anspruch Berechtigungen als eigenständige Anspruchsgrundlagen zur Seite zu stellen, die aus der objektiv-rechtlichen oder der leistungsrechtlichen Dimension von Grundrechten abgeleitet sind. Werden daher im Zusammenhang mit einem Begehren auf Einsicht in Archivgut grundrechtliche Positionen geltend gemacht, wie dies hier durch die Berufung der Klägerin auf die Gewährleistungen der Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG der Fall ist, können diese Positionen nur bei der Auslegung der Vorschriften des einfachen Rechts, nicht aber als genuine Anspruchsgrundlagen zum Tragen kommen (in diesem Sinne: BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 7 A 15.10 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 27). Soweit sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Senats diesbezüglich eine abweichende Einschätzung ergibt (vgl. etwa: BVerwG, Urteile vom 27. November 2013 – 6 A 5.13 – Buchholz 402.71 BNDG Nr. 3 Rn. 19 ff., 21 ff., 25 ff. und vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – BVerwGE 164, 269 Rn. 22 ff.), wird an dieser nicht festgehalten. Der von der Klägerin geltend gemachte Informationszugangsanspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG stünde, sofern sein Anwendungsbereich entsprechend dem Vortrag der Klägerin eröffnet wäre, zu dem – gegebenenfalls grundrechtlich verstärkten – archivrechtlichen Nutzungsanspruch in Anspruchsnormenkonkurrenz.
29
bb. Über ein Begehren auf Einsicht in Unterlagen, das in dem dargelegten Sinn auf den archivrechtlichen Nutzungsanspruch und den allgemeinen Informationszugangsanspruch gestützt ist, entscheidet die angegangene Behörde in der Form des Verwaltungsakts. Wird dem Begehren nicht in dem beantragten Umfang entsprochen, ist als Klage gegen die (teilweise) ablehnende Entscheidung – hier durch den Bescheid des BND vom 6. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2015, geändert durch Bescheid vom 29. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2018 – die Verpflichtungsklage als Versagungsgegenklage statthaft (BVerwG, Urteile vom 27. November 2013 – 6 A 5.13 – Buchholz 402.71 BNDG Nr. 3 Rn. 10 und vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – BVerwGE 164, 269 Rn. 22). Für die Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage mit dem Ziel, unmittelbar aus Grundrechten abgeleitete Anspruchspositionen durchzusetzen, ist daneben, was wiederum im Hinblick auf die Rechtsprechung des Senats der Klarstellung bedarf, kein Raum. Die Klägerin hat dem mit dem Klageantrag zu 1 zutreffend Rechnung getragen.
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cc. Die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage hängt allgemein davon ab, dass der klageweise verlangte Erlass des Verwaltungsakts in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren ohne Erfolg beantragt worden ist. Diese in engem Zusammenhang mit dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis stehende Zulässigkeitsvoraussetzung ergibt sich aus § 68 Abs. 2 und § 75 Satz 1 VwGO (“Antrag auf Vornahme”) und stellt eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung dar, nach dem es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden. Die Voraussetzung steht unter dem Vorbehalt, dass das einschlägige bundesrechtlich geordnete Verwaltungsverfahrensrecht keine abweichende Regelung trifft. Ansonsten kann von ihr allenfalls im Einzelfall aus Gründen der Prozessökonomie abgewichen werden, etwa wenn die Behörde die fehlende Vorbefassung nicht spezifisch gerügt hat (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Februar 2016 – 6 C 62.14 – BVerwGE 154, 173 Rn. 14 und vom 25. November 2020 – 6 C 7.19 – BVerwGE 170, 345 Rn. 36; Beschluss vom 22. November 2021 – 6 VR 4.21 – juris Rn. 8).
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Der archivrechtliche Nutzungsanspruch setzt nach seiner gesetzlichen Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG – i.V.m. § 11 Abs. 6 BArchG – ausdrücklich einen Antrag voraus. Die Klägerin hat unter dem 21./22. Juli 2014 gegenüber dem BND einen solchen Antrag mit dem weiten Bezug auf “sämtliche Berichte” gestellt, die der BND in der Zeit der Militärdiktatur aus Argentinien erhalten hat. Obwohl dieser ursprüngliche Verwaltungsantrag mit dem Klageantrag zu 1 übereinstimmt, ist die Zulässigkeitsvoraussetzung der behördlichen Vorbefassung nicht erfüllt. Denn die Klägerin hat der zu Beginn des Verwaltungsverfahrens geäußerten Bitte des BND entsprochen, zur Ermöglichung einer effizienten Bearbeitung ihres Antrags präzise Suchbegriffe für die Datenbankrecherche anzugeben, und in dem ihr überlassenen Formular unter dem 24. Juli 2014 die Begriffe “Argentinien – 1975-83, Militärdiktatur, K. + Z., politische Gefangene, Terrorismus, verschwundene deutsche Staatsbürger, Berichte des BND-Residenten 75-83, Atomwaffen” benannt.
32
Werden im Zusammenhang mit einem archivrechtlichen Nutzungsbegehren Suchbegriffe angegeben, kann diese Angabe im Grundsatz zwei Funktionen erfüllen. Sie kann einerseits einen Antrag mit einem weiten Benutzungsthema inhaltlich einschränken. Sie kann andererseits allein dazu bestimmt sein, der angegangenen Behörde zur Orientierung zu dienen, also einen nur exemplifizierenden Charakter haben. Im vorliegenden Fall kam der Angabe nach §§ 133, 157 BGB analog die erstgenannte Funktion zu. Die Klägerin hat aus Empfängersicht objektiv erklärt, nur diejenigen aus Argentinien bzw. von Mitarbeitern des BND an der deutschen Botschaft in Buenos Aires stammenden Berichte aus der Zeit der argentinischen Militärdiktatur einsehen zu wollen, die bei sachgemäßer Recherche anhand der genannten Begriffe auffindbar sein würden. Auch der Suchbegriff “Berichte des BND-Residenten 75-83” konnte nur dahingehend verstanden werden, dass Unterlagen gemeint waren, die sich durch eben diesen Suchbegriff qualifizieren würden und zugleich inhaltlich einem der anderen Suchbegriffe zuzuordnen wären. Dies folgt daraus, dass die Klägerin in der Rubrik “Benutzungsthema” des ihr übersandten Formulars ohne jeglichen Vorbehalt die genannten Suchbegriffe angegeben und das Formular an den BND zurückgesandt hat. Der BND musste dies als Verlautbarung der von der Klägerin auf Grund eigener Entscheidung entsprechend ihrem Erkenntnisinteresse vorgenommenen Eingrenzung des zunächst in keiner Weise thematisch begrenzten Einsichtsbegehrens verstehen.
33
Dass die Klägerin dies auch selbst so erklären wollte und davon ausging, von dem BND entsprechend verstanden worden zu sein, wird daran deutlich, dass sie den Klageantrag zu 1 in ihrer Klageschrift vom 27. August 2015 in Entsprechung zu dem durch die Suchbegriffe eingeschränkten Verwaltungsantrag formuliert hat. Die Klägerin hat diesen Klageantrag erst mit ihrem Schriftsatz vom 17. Mai 2016 durch einen Rückgriff auf den ursprünglichen weiten Verwaltungsantrag vom 21./22. Juli 2014 im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO erweitert. Diese Klageerweiterung begründet die zur teilweisen Unzulässigkeit des Klageantrags zu 1 führende Inkongruenz desselben mit dem in dem Verwaltungsverfahren gestellten Antrag.
34
Die Beklagte hat sich im gerichtlichen Verfahren wiederholt auf die Rechtmäßigkeit der von dem BND nach Maßgabe der von der Klägerin benannten Suchbegriffe durchgeführten Recherche berufen. Sie hat sich mithin nicht auf die Rückkehr der Klägerin zu dem unmittelbar nach Beginn des Verwaltungsverfahrens fallengelassenen weiten Einsichtsbegehren eingelassen, sondern diese vielmehr hinreichend deutlich gerügt.
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dd. Die Klägerin hat von der Teilerledigungserklärung, die sie in dem zuletzt unter dem Aktenzeichen 6 A 7.20 geführten Verfahren abgegeben hat, nicht nur Unterlagen ausgenommen, deren Überlassung die Beklagte zunächst vollständig verweigert und erst im Verlauf des Klageverfahrens mit teilweisen, nach den Vorgaben der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts vom 28. Februar 2017 angebrachten Schwärzungen vorgelegt hat. Sie hat das Klageverfahren vielmehr auch für Unterlagen fortgeführt, die die Beklagte nach anfänglicher Weigerung vollkommen ungeschwärzt beigebracht hat. Während das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die aufrecht erhaltene Klage im Hinblick auf den erstgenannten Kreis von Unterlagen keinem Zweifel unterliegt, ist es hinsichtlich des letztgenannten Kreises entfallen. Hiervon betroffen sind Blatt 432 und 433 der Signatur 32.303 sowie Blatt 1 bis 2, 8 bis 9, 11, 17, 18, 23, 39, 49 bis 52, 72 bis 73, 80 bis 81, 89 bis 91, 98, 101, 112, 115, 123 bis 124, 142, 260 bis 261, 270, 284 bis 285, 305, 338, 357, 387 und 405 der Signatur 32.309.
36
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt ebenfalls in Bezug auf Blatt 112 der Signatur 32.303. Dessen Text lässt trotz der angebrachten Schwärzungen einen Bezug auf das erste Quartal des Jahres 1988 erkennen, so dass eine Relevanz für das Einsichtsbegehren der Klägerin mit seiner zeitlichen Begrenzung auf die Dauer der 1983 überwundenen argentinischen Militärdiktatur offensichtlich nicht besteht. Die Klägerin hat gleichwohl auch dieses Blatt von der abgegebenen Teilerledigungserklärung ausdrücklich ausgenommen.
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b. Im Rahmen ihrer Zulässigkeit bleibt die Klage mit dem Klageantrag zu 1 in der Sache ohne Erfolg. Die Ablehnung, der Klägerin auf den in dem Verwaltungsverfahren gestellten Antrag weitergehende Einsicht in Archivmaterial des BND zu gewähren, ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin kann weder auf der Grundlage des archivrechtlichen Nutzungsanspruchs aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG unter Berücksichtigung des von ihr benannten grundrechtlichen Hintergrunds (aa.) noch nach dem allgemeinen Informationszugangsanspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG (bb.) Einsicht in weitere ungeschwärzte Unterlagen verlangen.
38
aa. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG steht jeder Person nach Maßgabe des Gesetzes auf Antrag das Recht zu, Archivgut des Bundes zu nutzen. Diese Vorschrift ist gemäß § 11 Abs. 6 BArchG auf die Nutzung von Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind und noch der Verfügungsgewalt der öffentlichen Stellen des Bundes unterliegen, entsprechend anzuwenden. Gleiches gilt für die übrigen in § 10 BArchG enthaltenen Maßgaben des Nutzungsanspruchs, die Schutzfristenbestimmungen in § 11 Abs. 1 bis 5 und § 12 BArchG sowie die Regelungen von Einschränkungs- und Versagungsgründen in § 13 BArchG. Voraussetzung für die Anwendung dieses Regelungsgeflechts ist in Bezug auf Unterlagen der Nachrichtendienste die Erfüllung der Maßgaben des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG. Nach dieser Vorschrift sind die besagten Unterlagen nur dann – gemäß § 5 und § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG – dem Bundesarchiv anzubieten, wenn sie der Verfügungsberechtigung der Nachrichtendienste unterliegen und zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie der Schutz der Identität der bei den Nachrichtendiensten beschäftigten Personen einer Abgabe nicht entgegenstehen. Unterlagen der Nachrichtendienste können danach nicht zu Archivgut des Bundes im Sinne des § 1 Nr. 2 BArchG und damit zum Gegenstand eines Nutzungsanspruchs aus § 10 Abs. 1 BArchG werden, soweit und solange sie dem Bundesarchiv nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG nicht angeboten werden müssen. In entsprechender Weise sind sie auch einer Nutzung auf der Grundlage von § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG entzogen. Der Gesetzgeber sieht in den Fallgestaltungen des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG ein erhöhtes Geheimhaltungsbedürfnis gegeben, welches ein höheres Schutzniveau als dasjenige erfordert, das durch § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 BArchG vermittelt wird (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 – 6 A 1.15 – Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 3, 7; Urteile vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – BVerwGE 164, 269 Rn. 27 und vom 11. Dezember 2019 – 6 C 21.18 – BVerwGE 167, 173 Rn. 44 f.).
39
Zwar ist nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG auf die noch streitbefangenen, der Verfügungsberechtigung des BND unterliegenden und von der Beklagten als anfragegegenständlich identifizierten Unterlagen nicht anwendbar bzw. kann nach diesen Umständen jedenfalls die Anwendung der Vorschrift dahinstehen (aaa.). Auch kollidiert das Einsichtsbegehren der Klägerin weder mit der allgemeinen archivrechtlichen Schutzfrist von 30 Jahren noch mit anderen Bestimmungen über Schutzfristen im Sinne von § 11 Abs. 6 i.V.m. § 11 Abs. 1 bis 5 und § 12 BArchG (bbb.). Jedoch ist nach Maßgabe der Einschränkungs- und Versagungsgründe aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die genannten Unterlagen der Klägerin nicht bzw. nicht vollkommen ungeschwärzt zur Einsichtnahme zugänglich gemacht hat (ccc.). Andere als die von dem BND mit Bezug auf das Einsichtsbegehren der Klägerin ermittelten und von der Beklagten nach den vorstehenden Maßgaben zur Einsichtnahme überlassenen Unterlagen stehen nach Lage der Dinge für die Erfüllung des von der Klägerin geltend gemachten archivrechtlichen Nutzungsanspruchs nicht zur Verfügung (ddd.).
40
aaa. Der Senat muss nicht prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang für die betroffenen Unterlagen unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG eine Anbietungspflicht gegenüber dem Bundesarchiv und infolgedessen auch ein Nutzungsanspruch der Klägerin ausgeschlossen ist.
41
Sind in einem Klageverfahren von dem mit dem archivrechtlichen Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG angegangenen Nachrichtendienst Unterlagen teilweise geschwärzt vorgelegt und von der Klägerseite auf Grund des Akteneinsichtsrechts aus § 100 VwGO eingesehen worden, kann der Zweck des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG, ein im Vergleich mit § 13 BArchG höheres Geheimschutzniveau zu gewährleisten, nicht mehr erreicht werden, selbst wenn – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – eine Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG in Frage gekommen wäre oder sich der Nachrichtendienst zunächst tatsächlich auf die Vorschrift berufen hat. Für die Entscheidung des Gerichts kann in einer solchen Konstellation allein § 13 BArchG Anwendung finden (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 – 6 A 1.15 – Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 8; Urteil vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – BVerwGE 164, 269 Rn. 28). Entsprechend verhält es sich hier sowohl in Bezug auf die noch streitbefangenen Unterlagen aus den Signaturen 32.303 und 32.309, die der Senat in dem zuletzt unter dem Aktenzeichen 6 A 7.20 geführten Verfahren noch unter der Geltung der alten Fassung des Bundesarchivgesetzes und vor Inkrafttreten des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG angefordert und die die Beklagte nach Maßgabe der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts vom 28. Februar/18. Juni 2017 mit Teilschwärzungen vorgelegt hat, als auch im Hinblick auf Blatt 124, 125, 149 und 150 der Signatur 200.899, die die Beklagte zunächst unter Berufung auf § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG vollständig zurückgehalten, dann jedoch in dem zuletzt unter dem Aktenzeichen 6 A 8.20 geführten Verfahren in nach den Vorgaben des Beschlusses des Fachsenats vom 2. Dezember 2019 teilgeschwärzter Form vorgelegt hat. Hier wie dort kann es nur noch darum gehen, ob die Unterlagen des Schutzes aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG bedürfen.
42
Ferner kann offenbleiben, ob sich die Beklagte für die Entnahme des größten Teils der Unterlagen aus der vorgelegten Signatur 200.899 zu Recht auf § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG beruft. Auch wenn die Vorschrift nicht eingriffe, wäre die Beklagte, wie im Folgenden darzulegen sein wird, jedenfalls auf der Grundlage von § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG dazu berechtigt, die in Rede stehenden Unterlagen vollständig zurückzuhalten. Schließlich hat die Beklagte für Blatt 68, 126 und 144 der Signatur 200.899 von vornherein und von sich aus Teilschwärzungen nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG als ausreichend erachtet.
43
bbb. Das Einsichtsbegehren der Klägerin betraf von seiner Geltendmachung im Juli 2014 an schon wegen seines zeitlichen Bezugs auf Dokumente, die der BND in der Zeit der im Jahr 1983 überwundenen Militärdiktatur in Argentinien aus diesem Land erhalten hatte, stets nur Unterlagen, die im Sinne von § 11 Abs. 6 BArchG ein höheres Alter als 30 Jahre aufwiesen und deren Nutzung auch die allgemeine archivrechtliche Schutzfrist nach § 11 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 BArchG nicht entgegenstand. Für ein Eingreifen der Schutzfristen aus § 11 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 BArchG bzw. für ein Bedürfnis nach Schutzfristverkürzungen oder -verlängerungen nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 12 BArchG ist nichts ersichtlich.
44
ccc. Ein Erfolg der Klägerin in der Sache scheitert in Bezug auf die von der Beklagten als anfragegegenständlich erkannten, jedoch der Klägerin nicht bzw. nur mit teilweisen Schwärzungen zur Einsichtnahme zugänglich gemachten Unterlagen an den Einschränkungs- und Versagungsgründen aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG, die der Sache nach den Regelungen des § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG a.F. entsprechen (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 – 6 A 1.15 – Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 3). Die Beklagte hat danach zum einen die Teilschwärzungen der noch in Streit stehenden Unterlagen aus den Signaturen 32.303 und 32.309 sowie von Blatt 68, 124, 125, 126, 144, 149 und 150 der Signatur 200.899 in rechtmäßiger Weise vorgenommen. Sie hat zum anderen allein schon auf der Grundlage der genannten Vorschriften und unabhängig von § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG den größten Teil der Unterlagen aus der Signatur 200.899 zu Recht vollständig zurückgehalten.
45
Nach dem hier relevanten Regelungsinhalt des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG ist eine mit dem archivrechtlichen Nutzungsanspruch begehrte Nutzung einzuschränken oder zu versagen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch die Nutzung das Wohl der Bundesrepublik Deutschland gefährdet würde. Der derart benannte Weigerungsgrund des Staatswohls umfasst die Sicherung der Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste (vgl. entsprechend in Bezug auf eine Begrenzung des parlamentarischen Informationsanspruchs aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG: BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 – 2 BvE 1/15 – BVerfGE 146, 1 Rn. 94, 109 ff., 112 ff.) und prägt sich für den BND aus in dem Schutz der operativen Vorgänge des Dienstes, dem Schutz seiner Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten, dem Schutz seiner Arbeitsweise und Methodik, dem Schutz seiner Mitarbeiter vor Enttarnung und dem nachrichtendienstlichen Quellenschutz (BVerwG, Urteil vom 18. September 2019 – 6 A 7.18 – BVerwGE 166, 303 Rn. 19; vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – BVerwGE 164, 269 Rn. 50 f.). Interessen Betroffener oder ihrer Angehörigen, die sich nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BArchG gegenüber einer archivrechtlichen Nutzung von Unterlagen als schutzwürdig erweisen, können sich vor allem aus einer Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit und der freien Entfaltung der Persönlichkeit einschließlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ergeben. Es muss ernsthaft zu befürchten sein, dass diese Rechtsgüter im Fall einer Offenlegung von auf eine Person bezogenen Angaben einer Gefährdung ausgesetzt sind (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – BVerwGE 164, 269 Rn. 45, 48).
46
Der Fachsenat hat mit den in dem gerichtlichen Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO ergangenen Beschlüssen vom 22. November und 2. Dezember 2019 entschieden, dass die hier in Rede stehenden Unterlagen, deren vollständige und ungeschwärzte Vorlage im gerichtlichen Verfahren der Senat der Beklagten mit Beweisbeschlüssen vom 18. August 2016/25. September 2017 und vom 11. September 2018 aufgegeben hatte, nur in der Weise, wie dies im Ergebnis geschehen ist, überhaupt bzw. mit teilweisen Schwärzungen vorgelegt werden mussten. Der Fachsenat hat diese Einschränkungen wegen drohender Nachteile für das Wohl des Bundes nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO bzw. einer sich aus dem Wesen der Vorgänge ergebenden Geheimhaltungsbedürftigkeit im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO für gerechtfertigt erachtet. Die rechtskräftigen Entscheidungen des Fachsenats entfalten zwar nur im Hinblick auf die Frage der prozessualen Vorlagepflicht der Beklagten unmittelbare Bindungswirkung. Ihnen kommt jedoch für das von dem Senat zu entscheidende Hauptsacheverfahren, dessen Streitgegenstand gerade die archivrechtliche Nutzung der – ungeschwärzten – Unterlagen ist, die nach dem Ergebnis des Zwischenverfahrens im Prozess zurückgehalten werden durften, mit Blick auf die materiellrechtlichen Einschränkungs- und Versagungsgründe eine präjudizielle Wirkung zu. Dies ist deshalb der Fall, weil zwischen den Geheimhaltungsgründen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG einerseits und denjenigen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und Alt. 3 VwGO andererseits Maßstabsidentität besteht. Diesen Gleichlauf der fachrechtlichen mit den prozessrechtlichen Geheimhaltungserfordernissen hat der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Bezug auf § 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BArchG und § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO jüngst bekräftigt (BVerwG , Beschluss vom 13. April 2021 – 30 GS 1.20 – NVwZ 2021, 1381 Rn. 22, 26). Für das Verhältnis zwischen § 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BArchG und § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO gilt nichts Anderes (vgl. zu dem generellen Gleichklang der Geheimhaltungsgründe aus § 5 Abs. 6 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG a.F. und § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und Alt. 3 VwGO bereits: BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 7 A 15.10 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 24).
47
In Anbetracht der präjudiziellen Wirkung der Beschlüsse des Fachsenats vom 22. November und 2. Dezember 2019 steht für das durch den Senat zu entscheidende Hauptsacheverfahren fest, dass die teilweise Schwärzung bzw. die vollständige Zurückhaltung der hier interessierenden Unterlagen nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG gerechtfertigt ist und die Klägerin im Hinblick auf diese Unterlagen nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG keine weitergehende Einsicht beanspruchen kann.
48
Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn man berücksichtigt, dass sich die Klägerin für ihr Einsichtsbegehren im Sinne einer Verstärkung ihrer Rechtsposition auf die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG beruft. Insoweit bedarf es keiner näheren Untersuchung, ob und gegebenenfalls in welcher Hinsicht die einzelnen Schutzbereiche dieser Verbürgungen durch das Einsichtsbegehren betroffen sind. Denn in jedem Fall ist die Rechtmäßigkeit der teilweisen Schwärzung bzw. der vollständigen Zurückhaltung der hier in Rede stehenden Unterlagen nach dem ungeschriebenen verfassungsunmittelbaren Verweigerungsgrund des Staatswohls zu bejahen, der sämtliche der von der Klägerin aufgerufenen grundrechtlichen Gewährleistungen begrenzt (in Bezug auf den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerwG , Beschluss vom 13. April 2021 – 30 GS 2.20 – juris Rn. 22, 26; in diesem Sinne für die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG: BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 7 A 15.10 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 24, 27).
49
Der Fachsenat hat, wie dargelegt, in seinen in dem Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO ergangenen Beschlüssen vom 22. November und 2. Dezember 2019 die Teilschwärzungen bzw. die vollständige Zurückhaltung von Unterlagen auch und vor allem unter dem Blickwinkel des Wohls des Bundes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO als gerechtfertigt angesehen. Dies hat für das hiesige Hauptsacheverfahren präjudizielle Wirkung für das Eingreifen nicht nur des Einschränkungs- und Versagungsgrunds aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG, sondern auch des ungeschriebenen verfassungsunmittelbaren Verweigerungsgrunds des Staatswohls. Denn in dem Verhältnis zwischen dem prozessrechtlichen Geheimhaltungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO und dem auf die von der Klägerin benannten Grundrechte bezogenen ungeschriebenen verfassungsunmittelbaren Verweigerungsgrund des Staatswohls besteht nicht anders als zwischen § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO und § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG Maßstabsidentität (im Hinblick auf den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerwG , Beschluss vom 13. April 2021 – 30 GS 2.20 – juris Rn. 22, 26; in diesem Sinne für die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG: BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 7 A 15.10 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 24, 27).
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Die Klägerin geht fehl, wenn sie meint, der Senat könne und müsse die Beschlüsse des Fachsenats vom 22. November und 2. Dezember 2019 auf die zutreffende Bewertung von Geheimhaltungsgründen und der von der Klägerin in Anspruch genommenen Grundrechte überprüfen. Nachdem der Gesetzgeber keine In-Camera-Verwertung durch den erkennenden Senat im Hauptsacheverfahren vorgesehen hat, ist es von Verfassungs wegen – insbesondere vor dem Hintergrund der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG – nicht zu beanstanden, dass nach § 99 Abs. 2 VwGO die erforderliche Abwägung zwischen dem Rechtsschutzinteresse der Betroffenen und dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung im Prozess auf der einen Seite und den in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO umschriebenen legitimen Geheimhaltungsbedürfnissen auf der anderen Seite abschließend durch den Fachsenat in einem gesonderten Zwischenverfahren vorzunehmen ist (BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2013 – 7 A 15.10 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 28 ff. und vom 20. Oktober 2016 – 2 A 2.16 – Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 31 Rn. 22 f. vor dem Hintergrund von: BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087/03 u.a. – BVerfGE 115, 205 ). Wegen der Maßstabsidentität ist es eine Konsequenz dieser Aufteilung auf zwei Spruchkörper, dass für ein Hauptsacheverfahren, in dem wie hier die Vorlage von Unterlagen den Streitgegenstand bildet, der prozessualen Entscheidung in dem diese Unterlagen betreffenden Zwischenverfahren in materieller Hinsicht präjudizielle Wirkung zukommen muss. Für eine Prüfung von Geheimhaltungsgründen durch das Gericht der Hauptsache gibt es danach keinen Raum mehr. Dies ist vor allem deshalb unbedenklich, weil betroffene Grundrechtsträger die Zwischenentscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angreifen können (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – BVerfGE 101, 106 ; BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 7 A 15.10 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 25). Dies hat die Klägerin im vorliegenden Fall in Bezug auf die Beschlüsse des Fachsenats vom 22. November und 2. Dezember 2019 getan, damit jedoch keinen Erfolg gehabt.
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ddd. Mit dem Archivmaterial, das die Beklagte der Klägerin zur Einsichtnahme überlassen hat, hat sie alle mit einem zumutbaren Aufwand auffindbaren Unterlagen zur Erfüllung des archivrechtlichen Nutzungsanspruchs der Klägerin aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG zur Verfügung gestellt. Soweit der vorliegende Fall nach seinen konkreten Umständen Anlass zur Entwicklung allgemeiner Kriterien für die Bestimmung des Aufwands bietet, den der BND bei der Bearbeitung von Einsichtsbegehren erbringen muss, die auf der Grundlage des archivrechtlichen Nutzungsanspruchs aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG an ihn gerichtet werden ((1)), ist diesen Kriterien durch die Recherchemaßnahmen, die der BND in seinem Archiv unternommen hat ((2)), Genüge getan. Für den Senat sind keine zumutbaren Recherchemaßnahmen ersichtlich, durch die der BND weitere anfragegegenständliche Unterlagen hätte auffinden können ((3)).
52
(1) Es liegt nahe, für die Bestimmung des zumutbar zu leistenden Aufwands von öffentlichen Stellen des Bundes bei der Bearbeitung von auf § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG gestützten Anträgen auf Einsicht in Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind und sich noch in der Verfügungsgewalt der genannten Stellen anstatt derjenigen des Bundesarchivs befinden, an § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 2 Nr. 2 BArchG anzuknüpfen (so etwa: OVG Münster, Urteil vom 15. Mai 2018 – 15 A 25/17 – juris Rn. 41 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Mai 2020 – 12 B 4.19 – juris Rn. 66 ff.). Nach dieser Vorschrift, die für sich genommen einen eigenständigen Ausschlusstatbestand normiert (vgl. zu der Vorgängerregelung in § 5 Abs. 6 Nr. 4 BArchG a.F.: BVerwG, Urteil vom 17. März 2016 – 7 C 2.15 – BVerwGE 154, 231 Rn. 17), kann die Nutzung eingeschränkt oder versagt werden, wenn durch sie ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand entstünde. Die Instanzrechtsprechung greift zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeitsgrenze im Sinne einer Parallelwertung auf die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Maßstäbe zu § 7 Abs. 2 Satz 1 IFG zurück (vgl. etwa: OVG Münster, Urteil vom 15. Mai 2018 – 15 A 25/17 – juris Rn. 45 ff.). Dem kann im Hinblick auf den BND nicht beigetreten werden.
53
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 7 Abs. 2 Satz 1 IFG zielt die Vorschrift darauf ab, die informationspflichtige Stelle vor institutioneller Überforderung und einer Beeinträchtigung ihrer Funktionsfähigkeit zu schützen. Die Norm ist eng auszulegen, zumal die Bearbeitung von Anträgen nach dem Informationsfreiheitsgesetz mittlerweile zum originären Aufgabengebiet der verpflichteten Behörden gehört (im Einzelnen: BVerwG, Urteile vom 17. März 2016 – 7 C 2.15 – BVerwGE 154, 231 Rn. 24 und vom 10. April 2019 – 7 C 22.18 – Buchholz 404 IFG Nr. 32 Rn. 34). Indes schließt § 3 Nr. 8 IFG, der – wie darzulegen sein wird – entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verfassungswidrig ist, den Informationszugang gegenüber dem BND als einem Nachrichtendienst vollständig aus. Die Nachrichtendienste werden durch § 3 Nr. 8 IFG hinsichtlich der Anforderungen an eine Informationsverweigerung nach dem Informationsfreiheitsgesetz umfassend privilegiert. Dieser Bereichsausnahme kommt gerade angesichts des ansonsten mit der Bearbeitung von Informationszugangsanträgen verbundenen Verwaltungsaufwands ein nicht unbeträchtliches Gewicht zu (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 2016 – 7 C 18.14 – Buchholz 404 IFG Nr. 17 Rn. 22). Dies spricht dagegen, das enge Verständnis des unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 IFG auf die Bestimmung des Aufwands zu übertragen, den der BND nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 2 Nr. 2 BArchG bei der Bearbeitung von Einsichtsbegehren schuldet, die auf die auch für die Nachrichtendienste geltende Vorschrift des § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG gestützt sind. Auf einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand kann sich mithin der BND in diesem Zusammenhang nicht erst dann berufen, wenn er mit der Bearbeitung eines Einsichtsbegehrens institutionell überfordert wäre oder wegen dieser Bearbeitung an die Grenze seiner Funktionsfähigkeit gelangen würde bzw. seine Kernaufgaben aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG vernachlässigen müsste.
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Unabhängig hiervon ist in Bezug auf den BND im Sinne eines tendenziell weiteren Verständnisses des unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands nicht nur zu berücksichtigen, dass dem BND die Bearbeitung von archivrechtlichen Nutzungsansprüchen nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG – anders als dies für das Bundesarchiv gemäß § 3 Abs. 1 BArchG der Fall ist – nicht als Bestandteil seiner Kernaufgaben obliegt. Zwar ist er wie alle Behörden, in deren Verfügungsgewalt sich noch Unterlagen mit einem höheren Alter als 30 Jahre befinden, zur Bearbeitung von Einsichtsbegehren nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG verpflichtet. Für den BND fällt jedoch besonders ins Gewicht, dass der vom Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG erfasste Teil seiner über 30 Jahre alten Unterlagen einer Nutzung auf der Grundlage von § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG vollständig entzogen ist. Infolgedessen sind der für die Bearbeitung von Einsichtsbegehren erforderliche Verwaltungsaufwand und die hierfür vom BND vorzuhaltenden Ressourcen geringer.
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Zur Entwicklung weiterer Kriterien für die Bestimmung des Verwaltungsaufwands, der von dem BND in verhältnismäßiger Weise bei der Bearbeitung von Einsichtsbegehren nach § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG gefordert werden kann, besteht nach den konkreten Umständen des vorliegenden Falles kein Anlass (vgl. zu den insoweit weithin maßgeblichen Einzelfallumständen: BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2019 – 6 B 140.18 – juris Rn. 12 ff.).
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(2) Der BND hat auf den Einsichtsantrag der Klägerin eine Recherche in seiner Archivdatenbank FAUST durchgeführt und die dabei als Treffer ausgeworfenen Signaturen im Wege einer sog. Spitzbewertung manuell auf ihre Anfragegegenständlichkeit bezüglich der nicht durch Treffer belegten Suchbegriffe überprüft. Diese Vorgehensweise entspricht nach der plausiblen Schilderung der Beklagten der ständigen Praxis des BND bei vergleichbaren Anfragen. Ferner hat die Beklagte, nachdem der BND bei einer Recherche im Rahmen eines anderen Vorgangs Unterlagen aufgefunden hatte, die sich auch für den Einsichtsantrag der Klägerin als anfragegegenständlich herausstellten, nicht gezögert, das der Klägerin ursprünglich mitgeteilte Rechercheergebnis unter Abänderung des zunächst erteilten Bescheids zu korrigieren und die nachträglich aufgefundenen Unterlagen, sofern sie sie nicht als geheimschutzbedürftig angesehen hat, in Gestalt der Signatur 200.899 vorzulegen. Schließlich ist dem Senat aus anderen Verfahren bekannt, dass der BND sein Archiv erst sukzessive für elektronische Datenrecherchen erschließt und die Beklagte – jedenfalls in laufenden Verfahren – jeweils anfragegegenständliche, zunächst nicht aufgefundene Unterlagen ungefragt nachträglich vorlegt, wenn sie von dem BND im Verlauf seiner Erschließungsarbeiten identifiziert werden. Die Beklagte hat erklärt, der Klägerin etwaige spätere Funde, die das hier streitgegenständliche Einsichtsbegehren betreffen, in jedem Fall zur Verfügung zu stellen.
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(3) Für den Senat ergeben sich vor diesem Hintergrund aus den Akten, dem Vorbringen der Beteiligten oder dem Gesamtergebnis des Verfahrens (vgl. dazu allgemein: BVerwG, Urteile vom 24. Januar 2018 – 6 A 8.16 – Buchholz 402.71 BNDG Nr. 7 Rn. 24 und vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – BVerwGE 164, 269 Rn. 42, 60 ff.) keine Ansatzpunkte für weitere Sachverhaltsermittlungen nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Es steht zu seiner Überzeugung im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO fest, dass der BND für die Erfüllung des Einsichtsbegehrens der Klägerin jedenfalls im Ergebnis keine erkennbaren, nach Lage der Dinge zumutbaren Rechercheansätze außer Acht gelassen hat.
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Diese Einschätzung gilt auch für den auf Blatt 123 der Signatur 200.899 angebrachten, einen einschlägigen Suchbegriff der Klägerin betreffenden Vermerk “‘Z.’ ist eine gesonderte dünne Akte.” Diesem Vermerk kann nur entnommen werden, dass es einmal eine Akte “Z.” in der Bearbeitung des BND gegeben haben muss. Jedoch kommt es für das von der Klägerin geltend gemachte Einsichtsbegehren darauf an, ob sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch weitere anfragegegenständliche Unterlagen in dem Archiv des BND befinden. Ob sich derartige Unterlagen dort früher befunden haben, ist unerheblich (so für eine vergleichbare Konstellation: BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 – 6 A 1.17 – BVerwGE 164, 269 Rn. 63). Der Senat hat keinen Grund, diesbezüglich die in der dienstlichen Erklärung des Leiters des Referats Archivwesen des BND vom 28. September 2018 enthaltene und im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht obsolet gewordene Angabe in Frage zu stellen, dass Dateirecherchen nach der Akte “Z.” und eine dienstweite Abfrage zu ihrem Verbleib erfolglos gewesen seien. Eine manuelle Durchsuchung des gesamten Aktenbestands des BND nach der unter systematischen Gesichtspunkten nicht recherchierbaren Akte erachtet der Senat in Übereinstimmung mit der dienstlichen Erklärung für unzumutbar.
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bb. Auf den allgemeinen Informationszugangsanspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG kann sich die Klägerin für ihr Einsichtsbegehren nicht stützen. Wie bereits erwähnt, normiert § 3 Nr. 8 IFG für die Nachrichtendienste des Bundes und mithin auch für den BND eine umfassende Bereichsausnahme. Für die Annahme der Klägerin, die Vorschrift sei wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig, gibt es keinen Anhalt. Vielmehr ist das Bundesverfassungsgericht ohne Weiteres von der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Nr. 8 IFG ausgegangen, indem es der Vorschrift die Wirkung beigemessen hat, die allgemeine Zugänglichkeit von Informationen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG auszuschließen (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 1 BvR 1978/13 – BVerfGE 145, 365 Rn. 21). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift erkennen lassen, sondern sich im Gegenteil für ein funktionsbezogen erweitertes Verständnis der durch sie statuierten Bereichsausnahme ausgesprochen und in diese das Bundeskanzleramt in seiner Eigenschaft als Fachaufsichtsbehörde des BND und als Koordinierungsstelle der Nachrichtendienste einbezogen (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 2016 – 7 C 18.14 – Buchholz 404 IFG Nr. 17 Rn. 21, 23).
60
2. Gegen die Zulässigkeit des mit dem Klageantrag zu 2 verfolgten Begehrens der Klägerin, die Beklagte zu verpflichten, ihr den Zugang zu den Find- und Recherchemitteln des BND – hier der Archivdatenbank FAUST – einzuräumen, bestehen keine Bedenken. Die Klage ist insoweit indes unbegründet. Der archivrechtliche Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG verleiht entgegen der Ansicht der Klägerin keinen derartigen Zugangsanspruch.
61
Zwar ist der Begriff der Unterlagen, die, wenn ihnen ein bleibender Wert zukommt, gemäß § 1 Nr. 2 BArchG zu Archivgut des Bundes werden und nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG genutzt werden können sowie zuvor gegebenenfalls einem Anspruch aus § 11 Abs. 6 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG unterliegen, sehr weit. Denn nach § 1 Nr. 10 BArchG sind Unterlagen Aufzeichnungen jeder Art, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Der Gesetzgeber wollte mit dem Begriff der Aufzeichnung die unterschiedlichen Informationsträger und Speicherungsformen und damit das potentielle Archivgut möglichst umfassend erfassen (BT-Drs. 18/9633 S. 44 f.; BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – 6 C 21.18 – BVerwGE 167, 173 Rn. 19). Find- und Recherchemittel sind, solange sie in Gebrauch sind, gleichwohl keine Unterlagen in diesem Sinne, sie dienen vielmehr der Auffindung solcher Unterlagen. Eine Bestimmung wie § 2 Abs. 1 des Niedersächsischen Archivgesetzes vom 25. Mai 1993 (Nds. GVBl. S. 129), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 16. Mai 2018 (Nds. GVBl. S. 66), die zu dem Schriftgut, das zu Archivgut werden und Gegenstand eines archivrechtlichen Nutzungsanspruchs sein kann, auch “Dateien einschließlich der Ordnungen und Verfahren, um das Schriftgut auswerten zu können” zählt (dazu: OVG Lüneburg, Urteil vom 17. September 2002 – 11 LB 123/02 – juris Rn. 64), hat in das Bundesarchivgesetz auch im Zuge der Gesetzesänderungen der Jahre 2017 und 2021 keinen Eingang gefunden. Vor diesem Hintergrund geht es entgegen der Ansicht der Klägerin jedenfalls in den durch § 11 Abs. 6 BArchG erfassten Fällen nicht an, behördliche Find- und Recherchemittel dem archivrechtlichen Nutzungsanspruch zwecks Effektuierung dieses Anspruchs zu unterstellen.
62
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 2 Satz 1 und § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Klägerin ist mit ihrer Klage hinsichtlich des weitaus größten Teils des Streitstoffes erfolglos geblieben. Hinsichtlich des von den Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärten Teils hätte es nur in geringem Umfang der Billigkeit entsprochen, die Beklagte mit den Verfahrenskosten zu belasten. Davon war in Anwendung des Rechtsgedankens des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO abzusehen.


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