Europarecht

Auslieferung: Pflicht zur Überprüfung der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedsstaat durch den Vollstreckungsstaat

Aktenzeichen  1 AR 296/18

Datum:
6.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17662
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
IRG § 73
IRG § 15, § 17

 

Leitsatz

Unter Zugrundelegung der vom Europäischen Gerichtshof in seinem Urteil vom 25.07.2018 -C-220/18 PPU dargestellten Grundsätze hinsichtlich der Pflicht zur Überprüfung der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedsstaat durch den Vollstreckungsstaat sind bei Auslieferungen nach Rumänien die Haftbedingungen in der sog. Quarantäne-Haftanstalt sowie in der Haftanstalt zu überprüfen, in die der Verfolgte im Anschluss an die Quarantänezeit aufgenommen werden wird. (Rn. 5)

Tenor

1. Gegen den rumänischen Staatsangehörigen A. P., geboren am . . in C., wird zur Sicherung der Auslieferung an die rumänischen Behörden zur Strafvollstreckung Auslieferungshaft angeordnet.
2. Dem Auslieferungshaftbefehl wird der Europäische Haftbefehl des Gerichts in Botosani vom 14.06.2018, Gz.: 12085/193/2017, zugrunde gelegt.
3. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung wird zurückgestellt.

Gründe

i.
Die rumänischen Behörden haben um vorläufige Festnahme des rumänischen Staatsangehörigen A. P. zur Sicherung der Auslieferung zur Strafvollstreckung durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) ersucht. Aus der Ausschreibung im SIS geht hervor, dass gegen den Verfolgten der im Tenor unter Ziffer 2. näher bezeichnete Europäische Haftbefehl besteht. Danach wurde der Verfolgte wegen folgenden Sachverhalts -möglicherweise in Abwesenheit – zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 8 Monaten verurteilt, die noch vollständig zu verbüßen ist: Am 31.10.2014 brach der Verfolgte in das Wohnhaus des/der Geschädigten H. C. ein, indem er durch ein offenes Fenster in das Haus kletterte. Dort entwendete er mehrere Gegenstände (eine Tasche, eine Brieftasche mit 130 RON, eine Kreditkarte und die Identitätskarte); der Gesamtschaden beläuft sich auf 400 RON, ungefähr 100 EUR. Am 27.11.2014 brach der Verfolgte unter Anwendung desselben Modus operandi erneut in das Haus des/der Geschädigten ein und entwendete Gegenstände im Wert von 780 RON. Am 18.12.2014 entwendete der Verfolgte, während er in dem Wohnhaus eines/einer anderen Geschädigten untergebracht war, einen Laptop der Marke Tolevo und verursachte so einen Schaden von 2.000 RON, etwa 500 EUR.
Der Verfolgte befindet sich derzeit für ein Verfahren der Staatsanwaltschaft T. in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt B. Zu Protokoll des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Rosenheim hat sich der Verfolgte am 27.07.2018 mit seiner vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt. Auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes hat er hierbei nicht verzichtet.
ii.
Das Oberlandesgericht München ist gemäß § 13 Abs. 1 IRG sachlich und als Gericht des Ergreifungsorts bzw. des ersten ermittelten Aufenthalts auch örtlich gemäß § 14 Abs. 1 IRG zuständig. Gegen den Verfolgten war auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft München zur Sicherung und Durchführung der Auslieferung zur Strafvollstreckung an die rumänischen Behörden Auslieferungshaft anzuordnen, §§ 15, 17 IRG. Dem Auslieferungshaftbefehl war der im Tenor unter Ziffer 2. näher bezeichnete Europäische Haftbefehl zugrunde zu legen.
Umstände, die die Auslieferung von vornherein unzulässig machen könnten, sind nicht ersichtlich, § 15 Abs. 2 IRG. Das dem Verfolgten angelastete Verhalten ist auch nach deutschem Recht mit Strafe bedroht gemäß §§ 242, 244 des deutschen Strafgesetzbuchs. Die Auslieferungsfähigkeit folgt aus § 81 Nr. 2 IRG. Der Zulässigkeit der Auslieferung stehen nach derzeitigem Aktenstand keine Hindernisse nach §§ 2 ff, 80, 81, 83 IRG entgegen. Allerdings handelt es sich bei dem gegen den Verfolgten ergangenen Urteil vermutlich um ein Abwesenheitsurteil; ob deswegen ein Auslieferungshindernis gemäß § 83 Abs. 1 Ziffer 3 IRG besteht, bedarf noch weiterer Feststellungen. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung war daher zurückzustellen.
Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung war auch deswegen noch zurückzustellen, da noch zu überprüfen ist, welche Haftbedingungen den Verfolgten in Rumänien im Falle seiner Auslieferung erwarten. Die Generalstaatsanwaltschaft München wird insoweit ersucht, umgehend und unter zeitnaher Fristsetzung bei den rumänischen Behörden nach Maßgabe der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Europäischen Haftbefehl in Bezug auf die Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat, insbesondere nach Maßgabe des jüngsten Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 25.07.2018 – C-220/18 PPU, ergänzende Informationen zu den Haftbedingungen einzuholen, unter denen der Verfolgten im Falle seiner Auslieferung in Rumänien inhaftiert werden würde. Wie der Europäische Gerichtshof im vorgenannten Urteil vom 25.07.2018 klargestellt hat, besteht beim Vorliegen einer auf gebührend aktuellen Informationen beruhenden echten Gefahr, dass eine auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls auszuliefernde Person bei Vollzug des Europäischen Haftbefehls infolge der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EMRK ausgesetzt sein könnte, keine Verpflichtung des ersuchten Staats, die Haftbedingungen in sämtlichen Haftanstalten des Ausstellungsmitgliedsstaats zu überprüfen, sondern nur die Verpflichtung, die Haftbedingungen in den Haftanstalten zu überprüfen, in die der Verfolgte nach seiner Auslieferung wahrscheinlich aufgenommen wird. Allein der Umstand, dass der Verfolgte später in eine andere Haftanstalt verlegt werden könnte, führt nach der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 25.07.2018 – C-220/18 PPU) nicht zu einer weitergehenden Überprüfung der Haftbedingungen durch den Vollstreckungsstaat. Nachdem in Rumänien nach den dem Senat aus früheren Auslieferungsverfahren bekannten Mitteilungen der rumänischen Behörden nach der Auslieferung zunächst eine Inhaftierung von einigen Wochen in einer bestimmten Haftanstalt in „Quarantäne“ erfolgt und erst danach die Verlegung in die eigentliche Haftanstalt, sind von der Generalstaatsanwaltschaft München ergänzende Informationen zu den Haftbedingungen in dieser Quarantäne-Haftanstalt sowie in der Haftanstalt zu erholen, in die der Verfolgte im Anschluss an die Quarantänezeit aufgenommen werden würde.
Zur Sicherung der Auslieferung ist Haft erforderlich und zulässig, §§ 15, 17 IRG. Es besteht die Gefahr, dass sich der Verfolgte sich dem Auslieferungsverfahren durch Flucht bzw. durch Untertauchen entzieht, wenn er auf freien Fuß käme. Der Verfolgte hat zwar in der Bundesrepublik Deutschland einen festen Wohnsitz; angesichts der ihm in Rumänien drohenden Sanktionen kann jedoch nicht erwartet werden, dass sich der Verfolgte dem dortigen Verfahren freiwillig stellt. Für eine Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls (§ 25 IRG) fehlt es an der erforderlichen Vertrauensgrundlage.


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