Europarecht

Auslieferungshaft nach Serbien

Aktenzeichen  1 AR 412/18

Datum:
16.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1411
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IRG § 29, § 77
StPO § 467, § 467a

 

Leitsatz

1. Die Erstattung notwendiger Auslagen des Verfolgten kommt im Auslieferungsverfahren in entsprechender Anwendung von §§ 467, 467a StPO über § 77 IRG nur dann in Betracht, wenn es nicht zu einer Überstellung des Verfolgten kommt und von der Generalstaatsanwaltschaft bereits ein Antrag auf Zulässigkeit der Auslieferung gestellt wurde.
2. Der Antrag, die Auslieferung für unzulässig zu erklären (ohne dass in einem früheren Verfahrensstadium beantragt worden wäre, die Auslieferung für zulässig zu erklären) kann nicht Grundlage für eine entsprechende Anwendung von §§ 467, 467a StPO sein.

Tenor

1. Der Antrag des Verfolgten vom 03.01.2019, ihn für den ihm durch den Vollzug der Auslieferungshaft erlittenen Schaden aus der Staatskasse zu entschädigen, wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag des Verfolgten vom 03.01.2019, der Staatskasse seine notwendigen Auslagen aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

Gründe

Hinsichtlich des bisherigen Verfahrensgangs wird auf die Senatsentscheidungen vom 19.11.2018, 07.12.2018 und 21.12.2018 Bezug genommen. Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte mit Schreiben vom 16.11.2018 beantragt, gegen den Verfolgten zur Sicherung der Auslieferung an die serbischen Behörden zur Strafvollstreckung vorläufige Auslieferungshaft anzuordnen und dem Auslieferungshaftbefehl das Urteil des Berufungsgerichts Novi Sad vom 03.03.2016, Gz.: zugrunde zu legen.
Mit Schreiben vom 05.12.2018 hatte die Generalstaatsanwaltschaft München mitgeteilt, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung noch zurückzustellen sei und hatte beantragt, nach Eingang der Auslieferungsunterlagen Auslieferungshaft anzuordnen und dem Auslieferungshaftbefehl das Urteil des Amtsgerichts Novi Sad vom 03.09.2015, Gz.: … in Verbindung mit dem Urteil des Appellationsgerichts Novi Sad vom 03.03.2016, Gz.:…, sowie den Beschluss des Amtsgerichts Novi Sad vom 26.10.2017, Gz.:…, zugrunde zu legen.
Am 18.12.2018 hatte die Generalstaatsanwaltschaft München schließlich die Haftentlassung des Verfolgten im gegenständlichen Verfahren angeordnet und mit Schreiben vom 18.12.2018 unter Hinweis auf die bereits erfolgte Haftentlassung beantragt, den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben und die Auslieferung für unzulässig zu erklären. Dem ist der Senat mit Beschluss vom 21.12.2018 gefolgt.
Mit Schriftsatz seines Rechtsbeistands vom 03.01.2019 hat der Verfolgte „Kostenentscheidung gem. § 77 IRG i. V. m. §§ 464 ff. StPO“ sowie die Entschädigung des Verfolgten „für die zu Unrecht erlittene Untersuchungshaft gemäß StrEG“ beantragt. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat dem Senat die Akten mit Schreiben vom 11.01.2019, eingegangen beim Senat am 14.01.2019, vorgelegt mit dem Antrag, die Anträge des Verfolgten vom 03.01.2019 zurückzuweisen.
II.
Der Antrag des Verfolgten auf Entschädigung für die „erlittene Untersuchungshaft“ war als Antrag auf Entschädigung für die erlittene vorläufige Auslieferungshaft bzw. die Auslieferungshaft zu behandeln. Der Antrag war als unbegründet zurückzuweisen.
Ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen für die Dauer der vorläufigen Auslieferungshaft und der Auslieferungshaft besteht schon deshalb nicht, weil dieses Gesetz auf im Inland vollzogene Auslieferungshaft grundsätzlich nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar ist. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf im Beschluss vom 23.05.2017 -III-3 AR 153/15, zitiert nach juris, an. Das OLG Düsseldorf hat insoweit zur Begründung ausgeführt: „In der Begründung der Bundesregierung zu dem die Anwendung anderer Verfahrensvorschriften regelnden § 77 IRG vom 10. Februar 1982 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen […] im Bereich der strafrechtlichen Rechtshilfe nicht anwendbar ist (BT-Drucks. 9/1338 S. 97), und in der „Beschlussempfehlung und Bericht“ des Rechtsausschusses des Bundestags vom 24. November 1982 heißt es zu § 77 IRG, mit dieser Bestimmung werde „klargestellt, dass nur die bezeichneten, nicht aber andere Gesetze, zum Beispiel das StrEG, sinngemäß Anwendung finden“ (BT-Drucks. 9/2137 S. 27). Vor dem Hintergrund des damit eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers besteht kein Zweifel daran, dass das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen auf im Auslieferungsverfahren erlittene Haft grundsätzlich nicht entsprechend anzuwenden ist (so auch BGH, Beschluss des 4. Strafsenates vom 17. Januar 1984 – 4 ARs 19/83 -, BGHSt 32, 221,226 f.; vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 29. November 2010 – [4] AuslA 915/06 [183/06]; Grützner/Pötz/Kreß-Vogel/Burchard, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 77 Rn. 63). In dem Beschluss vom 17. Januar 1984 hatte der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs seine einige Jahre zuvor geäußerte Auffassung, die Entschädigungsansprüche des Verfolgten seien in entsprechender Anwendung des StrEG zu beurteilen, wenn sich herausgestellt habe, „dass er zu Unrecht verfolgt wurde, jedenfalls wenn dies von den Behörden der Bundesrepublik zu vertreten ist“ (BGH, Beschluss vom 9. Juni 1981 – 4 ARs 4/81 -, BGHSt 30, 152, 158), ausdrücklich revidiert, worauf der hiesige Senat bereits in seinem Beschluss vom 27. Juli 1991 (NJW 1992, 646) hingewiesen hatte. Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 1984 steht der gegenteiligen – und möglicherweise auf dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 9. Juni 1981 beruhenden -Ansicht (etwa OLG Celle, Beschluss vom 6. Dezember 2016 – 1 AR [Ausl] 55/16; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 1997 – [2] 4 Ausl 30/91-30/96; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, 5. Aufl., vor § 15 Rn. 12; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., vor § 1 StrEG Rn. 4; Schomburg, NStZ 1985, 223, 224) entgegen. Soweit der 4. Strafsenat in seinem Beschluss vom 17. Januar 1984 (a.a.O., 227) sprachlich etwas umständlich in mehrfacher Negation ausführt, das StrEG sei auf im Auslieferungsverfahren erlittene Haft nicht entsprechend anzuwenden, „und zwar auch dann nicht, wenn die Verfolgungsmaßnahme zu Unrecht angeordnet worden ist, die Behörden der Bundesrepublik Deutschland diese unberechtigte Verfolgung aber nicht zu vertreten“ hätten, ist der Umkehrschluss für die gegenteilige Konstellation des Vertretenmüssens nicht zwingend zu ziehen und nach den vorangegangenen Ausführungen zu den Gesetzesmaterialien zu § 77 IRG im selben Beschluss auch offensichtlich nicht gewollt.“
Aufgrund der oben aufgeführten Gründe kann eine Entschädigung des Verfolgten für die erlittene vorläufige Auslieferungshaft und die Auslieferungshaft nach dem StrEG nicht erfolgen. Es kann daher auch dahinstehen, ob der Senat die Unzulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten und die daraus resultierende Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls früher hätte beschließen können.
Eine von § 77 Abs. 1 IRG unabhängige entsprechende Anwendung des StrEG käme zur Überzeugung des Senats allenfalls dann in Betracht, wenn die vorläufige Auslieferungshaft bzw. die Auslieferungshaft gegen den Verfolgten gar nicht durch das serbische Ersuchen veranlasst gewesen wäre, wie etwa im Falle der (fälschlichen) Festnahme aufgrund einer Personenverwechslung (vgl. Grützner/Pötz/Kreß, a.a.O. § 77 IRG Rn. 64; vgl. auch BGHSt 32, 221, 225). Eine solche Konstellation lag hier jedoch nicht vor. Der Verfolgte ist die von Serbien zur Strafvollstreckung gesuchte Person, er wurde in Serbien wegen der ihm im Auslieferungsverfahren angelasteten Straftaten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Auch der Antrag, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Verfolgten aufzuerlegen, war als unbegründet zurückzuweisen.
Nach zutreffender Ansicht (vgl. Grützner/Pötz/Kreß a.a.O., § 40 IRG Rn. 46, 51) kommt eine Erstattung notwendiger Auslagen des Verfolgten im Auslieferungsverfahren in entsprechender Anwendung von §§ 467, 467a StPO über die Verweisung in § 77 IRG nur dann in Betracht, wenn es nicht zu einer Überstellung des Verfolgten kommt und ein Antrag auf Zulässigkeit der Auslieferung bereits gestellt wurde. Denn auch im Strafverfahren sind die §§ 467, 467a StPO erst anwendbar, wenn Anklage bereits erhoben wurde.
Es muss daher, um die §§ 467, 467a StPO über § 77 IRG im Auslieferungsverfahren entsprechend anwenden zu können, die Generalstaatsanwaltschaft bereits einen einer Anklageerhebung entsprechenden Antrag – nämlich auf Zulässigerklärung der Auslieferung -gestellt haben (a.A. mit nicht überzeugenden Argumenten Schomburg/Lagodny/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 40 IRG Rn. 37).
An einem Antrag auf Zulässigerklärung der Auslieferung fehlt es vorliegend jedoch. Denn die Generalstaatsanwaltschaft hat bis zum 18.12.2018 nicht beantragt, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Selbst mit Schreiben vom 18.12.2018 hat sie nicht beantragt, die Auslieferung für zulässig zu erklären, sondern hat nach der durch sie bereits angeordneten Haftentlassung des Verfolgten vielmehr beantragt, den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben und die Auslieferung für unzulässig zu erklären.
Selbst wenn man den beim Senat am 19.12.2018 eingegangenen Antrag vom 18.12.2019 auf Unzulässigerklärung der Auslieferung der Sache nach als einen „Antrag auf Entscheidung über die Zulässigkeit“ i.S.v. § 29 IRG werten würde, so folgt daraus im Ergebnis nichts anderes.
Denn nur ein Antrag nach § 29 Abs. 1 IRG, in dem die Zu/äss/gerklärung der Auslieferung beantragt wird, kann denklogisch sinngemäß an die Stelle einer Anklage treten (vgl. auch Grützner/Pötz/Kreß/Vogel/Burchard, a.a.O. § 77 IRG Rn. 69).
Der Antrag, die Auslieferung für unzu/äss/g zu erklären (ohne dass in einem früheren Verfahrensstadium beantragt worden wäre, die Auslieferung für zulässig zu erklären) kann dagegen nicht sinngemäß an die Stelle einer Anklage treten.
§§ 467, 467a StPO sind daher vorliegend nicht entsprechend anwendbar.
Auch eine erweiterte Analogie zu § 467a StPO („Anklagerücknahme“) kommt zur Überzeugung des Senats nicht in Betracht, weil es sich bei der Kostenbestimmung des § 467a StPO um eine grundsätzlich restriktiv zu handhabende und daher auf andere Fälle der Verfahrenserledigung nicht entsprechend anwendbare Ausnahmeregelung handelt (vgl. Grützner/Pötz/Böhm a.a.O., § 40 IRG Rn. 52 mit weiteren Nachweisen).
Die notwendigen Auslagen des Verfolgten dürfen selbst dann nicht der Staatskasse auferlegt werden, wenn der Verfolgte sich in vorläufiger Auslieferungshaft bzw. in Auslieferungshaft befunden hat und sich – wie hier – bereits im Vorfeld der Antragstellung nach § 29 IRG die Unzulässigkeit der Auslieferung eindeutig ergibt.
Die notwendigen Auslagen sind auch nicht schon deshalb der Staatskasse aufzuerlegen, weil der Auslieferungshaftbefehl aufgehoben wurde. Nichts anderes ergibt sich selbst dann, wenn ein Auslieferungshaftbefehl objektiv zu Unrecht ergangen ist (Grützner/Pötz/Vogel/Burchard, a.a.O., § 77 IRG Rn. 70).
Die teilweise in der Rechtsprechung und in der Literatur vertretene Gegenmeinung vermag den Senat dagegen nicht zu überzeugen. § 77 IRG dient nicht dazu, den Verfolgten im Auslieferungsverfahren besser zu stellen als den Angeschuldigten bzw. Angeklagten im deutschen Strafverfahren.
Wenn – wie teilweise vertreten wird – für eine sinngemäße Gleichstellung von innerstaatlicher Anklage und Antragstellung nach § 29 IRG wegen einer „absoluten Unvergleichbarkeit der Sachverhalte“ tatsächlich kein Raum wäre, so könnten die Kostenvorschriften der §§ 467, 467a StPO dann im Ergebnis schon deswegen überhaupt nicht sinngemäß herangezogen werden (Grützner/Pötz/Vogel/Burchard, a.a.O., § 77 IRG Rn. 71). Wie Vogel/Burchard sieht auch der Senat keine – von der Literatur teilweise geforderte – „Notwendigkeit einer verfassungskonformen Korrektur der Analogie zu den §§ 467, 467a StPO“.
Auch der Antrag auf Auferlegung der notwendigen Auslagen des Verfolgten auf die Staatskasse war daher zurückzuweisen.


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