Europarecht

Beginn der Verjährung im sog. Dieselskandals

Aktenzeichen  3 U 7123/19

Datum:
28.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32191
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 204 Abs. 1 Nr. 1a, § 214, § 826, § 852

 

Leitsatz

Die Annmeldung eines womöglich schon verjährten Anspruchs zum Register in einem Musterfeststellungsverfahren zu dem alleinigen Zweck der Verjährungshemmung mit alsbaldiger Abmeldung und Durchführung eines Individualverfahrens kann als Zweckentfremdung der Hemmungsvorschriften und mithin als Rechtsmissbrauch auszulegen sein. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

33 O 277/19 2019-11-21 Endurteil LGDEGGENDORF LG Deggendorf

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Deggendorf vom 21.11.2019 (Az.: 33 O 277/19) durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

Die Berufung ist offensichtlich unbegründet. Der Senat erachtet auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht für geboten.
Das Landgericht Deggendorf hat am 31.10.2019 mündlich verhandelt und sodann die auf Zahlung von 22.890,00 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des verkauften Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage durch Endurteil vom 21.11.2019 abgewiesen. Auf die vom Erstgericht im Ersturteil (Blatt 107/122 d. A.) getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird verwiesen.
Die hiergegen mit der Berufungsbegründung vom 21.01.2020 (Blatt 130/136 d. A.) vorgebrachten Erwägungen sind nicht geeignet, eine anderweitige Entscheidung herbeizuführen. Einer Entscheidung, ob die Verneinung der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen durch das Erstgericht zutrifft, bedurfte es vorliegend nicht, da der Klageanspruch nach der Rechtsauffassung des Senats verjährt ist.
1. Aufgrund der gemäß § 214 BGB von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung ist diese berechtigt, die Leistung von Schadensersatz zu verweigern.
Die Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB richtet sich ebenso wie die eines Anspruchs aus § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB nach §§ 195, 199 BGB. Die Verjährungsfrist beträgt 3 Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den dem Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
1) Der – unterstellte – Schadensersatzanspruch des Klägers wäre bereits mit Erwerb des Fahrzeugs im April 2014 entstanden. Vom Bestehen des Anspruchs und der Person des Schuldners hatte er zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis.
1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die auf der Rechtsprechung zu § 852 BGB a. F. aufbaut, liegt die erforderliche Kenntnis im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Es ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (vgl. nur BGH, Urteil vom 03.06.2008 – XI ZR 319/06, Rn. 27, Urteil vom 12.05.2009 – VI ZR 294/08, Rn. 19, Urteil vom 08.05.2014 – I ZR 217/12, BGHZ 201, 129, juris Rn. 38). Anstelle positiver Kenntnis genügt auch grob fahrlässige Unkenntnis der gesamten Umstände.
Die Erhebung einer Klage muss bei verständiger Würdigung in einem Maße Erfolgsaussicht haben, dass sie zumutbar ist (BGH, Urteil vom 11.09.2014 – III ZR 217/13, Rn. 15, Urteil vom 08.11.2016 – VI ZR 594/15, Rn. 11). Nicht ausreichend ist die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von Anknüpfungstatsachen. Hinzu kommen muss vielmehr, dass der Geschädigte aus den Anknüpfungstatsachen den Schluss auf eine Pflichtverletzung durch eine bestimmte Person zieht oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gezogen hat.
Es ist keine grundsätzliche Voraussetzung des Verjährungsbeginns, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht (BGH, Urteil vom 08.05.2014 – I ZR 217/12, BGHZ 201, 129, juris Rn. 38, Urteil vom 04.07.2017 – XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172, juris Rn. 86). Der Gläubiger muss zumindest aufgrund der Tatsachengrundlage beurteilen können, ob eine rechtserhebliche Handlung von dem üblichen Vorgehen abweicht (Spindler, BeckOK BGB, Stand 01.02.2020, § 199, Rn. 26). Ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn aber hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. In diesen Fällen fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifende Voraussetzung für den Verjährungsbeginn. Das gilt erst recht, wenn der Durchsetzung des Anspruchs eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht (BGH, Urteil vom 28.10.2014 – XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115, juris Rn. 35; Urteil vom 04.07.2017 – XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172, juris Rn. 86).
1) Ausgehend von diesen Grundsätzen lagen die Voraussetzungen für eine Klageerhebung bereits im Jahre 2015 vor. Die breite Öffentlichkeit war in Form von Pressemitteilungen ab Ende September 2015 bis Mitte Oktober 2015 darüber informiert, dass der Motor EA189 mit einer Abschalteinrichtung versehen war, die vom Kraftfahrtbundesamt als nicht ordnungsgemäß angesehen wurde und daher zu entfernen war. Zeitgleich war der sogenannte Diesel- und Abgasskandal Gegenstand einer sehr umfassenden Presseberichterstattung, des Weiteren wurde die Öffentlichkeit über das Kraftfahrtbundesamt über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei Fahrzeugen mit dem Dieselmotor EA189 informiert. Zudem schaltete die Beklagte Anfang Oktober 2015 eine Website frei auf der durch Eingabe der Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen. also von dem sogenannten Dieselskandal betroffen war. Im Jahr 2015 stand der klageweisen Geltendmachung eines deliktischen Anspruchs von Erwerbern solcher Kraftfahrzeuge keine obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidung entgegen. Es gab 2015 auch keinen „ernsthaften“ Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum bezüglich der Frage einer Haftung der Beklagten wegen des Motors EA189. Von daher war dem Kläger bereits im Jahre 2015 die Erhebung einer Klage zumutbar.
1) Zur Überzeugung des Senats hatte der Kläger bereits im Jahr 2015 mindestens grob fahrlässige Unkenntnis von den gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für den Beginn der Verjährung erforderlichen Tatsachen, so dass die Verjährungsfrist mit Ende des Jahres 2015 begann.
Grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen liegt vor, wenn sich dem Gläubiger die Kenntnis der relevanten Tatsachen förmlich aufdrängen musste, er jedoch davor die Augen verschloss (BGH NJW 2010, 3292; BGH NJW 2015, 1413).
Hierzu ist anzumerken, dass der Sachverhalt des sogenannten „Dieselskandals“ bereits ab September 2015 in der Medienberichterstattung ohnehin präsent war. Es spricht nichts dagegen, dass diese Berichterstattung auch den Kläger erreicht hat. Nicht entscheidend ist, dass der allgemeinen Berichterstattung nicht ohne Weiteres die Betroffenheit des eigenen Pkws zu entnehmen war. Diese erschloss sich bei den dem Kläger bekannten Fahrzeugdaten ohne Weiteres. Nach Lage des Falles erscheint es geradezu unverständlich, warum der Kläger im vorliegenden Fall den Weg zur Ermittlung der eigenen Schadensbetroffenheit nicht beschritt und die Internetabfrage nicht in Anspruch nahm. So erscheint es – auch ohne von den Behörden oder der Herstellerin des Motors individuell und unmittelbar durch direktes Anschreiben darauf aufmerksam gemacht worden zu sein – grob fahrlässig, sich die Information der eigenen Schadensbetroffenheit über die allgemein zugänglichen und bekanntgemachten Quellen nicht schon Ende 2015 beschafft zu haben.
Einer Klage stand auch die fehlende Detailkenntnis der Klägerseite vom Wissen der Repräsentanten der Beklagten um die Abschalteinrichtung nicht entgegen.
Soweit die Klagepartei der Auffassung ist, aus dem Urteil des OLG Hamm vom 10.09.2019, Az.: 13 U 149/18, ließe sich die für den Beginn der Verjährung fehlende Kenntnis eines Käufers entsprechend entnehmen (Schriftsatz vom 24.10.2019, Seite 37 f.), ist darauf hinzuweisen, dass sich das OLG Hamm hier nur mit der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015, nicht aber mit anschließenden detaillierteren Presseinformationen befasst hat. Von daher steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Verjährung hier – wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen – erst Ende des Jahres 2015 begann.
2. Die Verjährung war nicht durch zwischenzeitliche Anmeldung des Klägers zum Klageregister des Musterfeststellungsverfahrens vor dem OLG Braunschweig gehemmt gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB.
2) Die Klagepartei hat vorgetragen, dass sie 2019 mit dem Aktenzeichen 3700/E2-KlagRE-2/2018-527748 den hier streitgegenständlichen Anspruch zum Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG Braunschweig (Az: 4 Mk 1/18) angemeldet und die Anmeldung noch vor der hier erfolgten Klageerhebung (14.06.2019), nämlich am 12.06.2019, wieder zurückgenommen habe; zum Beweis wurde der Computerausdruck der „Rücknahme der Anmeldung zur Eintragung in das Klageregister“ vom 13.09.2019 (Anlage zum klägerischen Schriftsatz vom 24.10.2019, Blatt 61/101 d. A.) vorgelegt.
Die Beklagte hat An- und Abmeldung des Klägers wirksam bestritten.
Der Kläger, der die Vortrags- und Beweislast für die der Verjährungshemmung begründenden Umstände und die Dauer der Hemmungswirkung trägt, hat hierzu nicht ausreichend vorgetragen und trotz Aufforderung in der Verfügung vom 13.02.2020 (Blatt 141 d. A.) den erforderlichen Beweis nicht erbracht. Zur rechtzeitigen Anmeldung wurde lediglich pauschal vorgebracht, eine solche sei 2019 erfolgt, ohne dass ein Nachweis für eine Anmeldung vorgelegt wurde. Der vorgelegten „Rücknahme der Anmeldung zur Eintragung in das Klageregister“ ist das Datum der Anmeldung nicht zu entnehmen.
Somit kann sich der Senat eine Überzeugung vom Zeitpunkt und Bestand einer rechtzeitigen An- und Abmeldung, mithin zu den Voraussetzungen einer Verjährungshemmung, nicht bilden.
2) Darüber hinaus – unterstellt, es läge eine Anmeldung vor – hätte diese in unverjährter Zeit nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB die Verjährung wirksam gehemmt.
Wie der Kläger behauptet, hat er sich 2019 beim Bundesamt für Justiz zur Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig, Az.: 4 MK 1/18, angemeldet. Am 12.06.2019 meldete er sich ab und erhob zwei Tage später, am 14.06.2019, Klage zum Landgericht Deggendorf.
Diese Anmeldung erfolgte rechtsmissbräuchlich und entfaltet daher keine Wirkung.
Nach derzeit herrschendem Verständnis ermöglicht § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB zwar dem Verbraucher durch eine fristgerechte Anmeldung rückwirkend eine Verjährungshemmung für verjährte Ansprüche herbeizuführen. Einzige Voraussetzung ist, dass die Musterfeststellungsklage in unverjährter Zeit erhoben wurde. Dabei muss sich der Gläubiger nach dem Gesetzeswortlaut noch nicht einmal zwingend dem Ausgang der Musterfeststellungsklage unterwerfen: Er kann sich – zumindest theoretisch – zunutze machen, dass die durch die Musterfeststellungsklage erlangte Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB erst 6 Monate nach Rücknahme der Anmeldung unter der Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens endet. Demnach kann sich ein Verbraucher, dessen Anspruch eigentlich bereits verjährt ist, theoretisch verjährungshemmend zum Klageregister anmelden, nur um die Anmeldung sofort wieder zurückzunehmen. Unter Nutzung einer zusätzlichen Verjährungshemmung von 6 Monaten nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB könnte der Verbraucher seine Ansprüche dann unverjährt individuell verfolgen.
Der Senat folgt den Ausführungen von Mekat/Nordholtz (Die Flucht in die Musterfeststellungsklage, NJW 2019, 411 f.), die u. a. ausgeführt haben: „Der Gesetzgeber wollte ausweislich der parlamentarischen Materialien (BT-Drs. 19/2701, 9 f.) die gesetzliche Verjährungsfrist zur Teilnahme an einer kollektiven Rechtsverfolgung regeln. Eine Absicht zur Wiedereröffnung einer schon abgelaufenen Verjährungsfrist im Rahmen der individuellen Rechtsverfolgung ist aus den Materialien nicht erkennbar. Der Verbraucher sollte in dieser Situation vorsichtig sein, um sich keinen Einwänden des Musterbeklagten auszusetzen. Der Zweck der Verjährungshemmung durch eine Musterfeststellungsklage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB ist es nicht, eine Möglichkeit zu schaffen, das auf Erwägung einer Rechtssicherheit gründende deutsche Verjährungsrecht in Individualsachverhalten auszuhebeln. Um sich vor einem etwaigen Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu schützen, sollte der Verbraucher ein nachvollziehbares Interesse an der Teilnahme am Musterfeststellungsprozess darstellen können. Denn eine Anmeldung eines womöglich schon verjährten Anspruchs zum Register zum alleinigen Zweck der Verjährungshemmung mit alsbaldiger Abmeldung und Durchführung eines Individualverfahrens dürfte als Zweckentfremdung der Hemmungsvorschriften und mithin als Rechtsmissbrauch auszulegen sein (vgl. zum Rechtsmissbrauch im Rahmen eines Gütestellenantrags BGH, NJW 2016, 233 f.)“.
Die Konstellation eines Rechtsmissbrauchs liegt hier vor.
Wenn man unterstellt, dass eine Anmeldung erfolgt ist, so wäre dies jedenfalls in zeitlicher Nähe zum Ablauf des Jahres 2018 geschehen. Dass hiermit aber nicht die weitere Beteiligung am Musterfeststellungsverfahren intendiert war, ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten: Einerseits wäre, nachdem der Kläger die Auffassung vertritt, dass mangels Information durch die Beklagte in 2015 eine Verjährung mit Ablauf des Jahres 2018 nicht eintreten würde, die Anmeldung schlicht unnötig gewesen. Andererseits enthält (Stand 25.05.2020) – gerichtsbekannt – die um „VW-Kläger“ werbende Homepage (www.vw-abgasskandal-bayern.de/) des Klägervertreters folgende Aussagen (nachstehend auszugsweise zitiert): „Achtung: Verjährung endet 2019?. Im Zuge der Einführung der Musterfeststellungsklage zum 01.11.2018 ging der Gesetzgeber davon aus, dass die Ansprüche der Käufer gegen Volkswagen bereits zum Ende des Jahres 2018 verjähren würden“. Aufschlussreich ist auch folgender Eintrag auf dieser Homepage: „Einzelklage/Sammelklage – Was ist besser? Was sagen die Experten dazu? Eindeutiges Votum für die Einzelklage!“
Die Intension der Klägervertreter ergibt sich im Übrigen auch aus einem gerichtsbekannten Bericht der Mittelbayerischen Zeitung vom 06.12.2018 unter dem Titel „Dieselgate beschäftigt C. Anwälte“ und dem Untertitel „C. Rechtsanwälte vertreten 1.500 VW-Kunden und raten, sich möglichst bald zumindest der Sammelklage anzuschließen.“ In dem Artikel heißt es u. a.: „Es gibt ein deutliches Datum für die meisten Käufer von VW-Dieselfahrzeugen, deren Autos im sogenannten „Dieselgate“ verstrickt sind. Das ist der 1. Januar 2019. Danach geht nichts mehr. Zumindest nicht, wenn sich der Betroffene nicht wenigstens der Sammelklage angeschlossen hat. Das sagt der C. Rechtsanwalt M. H. im Beisein seiner Kollegin T. F. Seit der Dieselskandal bekannt wurde, sammeln sie unzufriedene Käufer von VW-Autos, wie auch von Audi oder Skoda – und damit Kläger gegen den VW-Konzern. 1.500 vertreten sie bislang – doch viele seien noch unentschieden. Doch, um die Verjährung zu vermeiden, sei ein sofortiges Handeln gefragt, betonen F. und H.: „Man muss jetzt was tun, sonst ist es zu spät! Wer jetzt nichts macht, hat verloren.“ Die Sammelklage, für die man sich etwa über die Internetseite des ADAC von der Couch aus mit wenigen Schritten eintragen könne, habe unter anderem den Vorteil, dass die Verjährung vermieden werde. Die Individualklage sei jedoch der Sammelklage vorzuziehen. Und weiter: „Warum die Sammelklage nicht der goldene Weg sei, um Ansprüche gegenüber VW geltend zu machen, sagen die Rechtsanwälte. Die Sammelklage bringe nach langer Zeit – sie rechnen mit drei oder vier Jahren bis zu einer Entscheidung – nur ein Feststellungsurteil. „Das können Sie sich aufs Klo nageln“, sagt M. H. – mehr sei damit erst einmal nicht gewonnen. (graphische Hervorhebung durch Senat)“
Aus diesen Äußerungen erhellt, dass man sich seitens der Klägervertreter „vorsichtshalber“ bei der Musterfeststellungsklage angemeldet hat, um auf der sicheren Seite zu sein. Der Weg über die Musterfeststellungsklage sollte gar nicht weiter verfolgt werden. Zudem stützt die Annahme des Rechtsmissbrauchs die Tatsache, dass der Kläger erst mit Schreiben vom 19.03.2019 an die Beklagte herantrat. Hier erfolgte die erste Geltendmachung von Ansprüchen, mithin 3 Monate vor Klageerhebung und – unterstellt – noch während dem laufenden Anschluss an die Musterfeststellungsklage. Kurz vor Klageerhebung wurde dann die Abmeldung von der Musterfeststellungsklage durchgeführt, um die Ausschlusswirkung des § 610 Abs. 3 ZPO zu vermeiden.
Nach alledem sollte ganz offensichtlich die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage rechtsmissbräuchlich nur zum – vermeintlichen – Ausschluss der Verjährung erhalten werden. Die Klägervertreter haben sich trotz Aufforderung des Senats mit Verfügung vom 13.02.2020 (Bl. 141 d. A.) und Fristverlängerung nicht zu diesem Aspekt geäußert.
Angesichts des hiernach feststehenden Rechtsmissbrauchs kann in diesem Verfahren offen bleiben, ob die rückwirkende Verjährungshemmung bei der Musterfeststellungsklage aus verfassungsrechtlicher Sicht Bedenken begegnet. Hierzu hat Grzeszick in einer umfangreichen Abhandlung (NJW 2019, 3269 f.) ausgeführt, dass „die in § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB ermöglichte rückwirkende Hemmung die verfassungsrechtlichen Grenzen von Rückwirkungen auch dann (überschreitet), wenn sie als unrechte Rückwirkung bewertet wird. Die Möglichkeit, die Verjährung von Ansprüchen durch eine Registeranmeldung rückwirkend und damit auch noch nach Ablauf der üblichen Verjährungsfristen hemmen zu können, (sei) nicht hinreichend durch öffentliche Interessen legitimiert, da die angenommene Gefahr einer bei Gesetzeserlass bevorstehenden Verjährungswelle auf dem Zuwarten des Gesetzgebers“ beruhe; zudem enthalte „die Möglichkeit der rückwirkenden Hemmung eine unangemessene Beeinträchtigung des Vertrauensschutzes der betroffenen Unternehmer“ (Grzeszick, a. a. O., 3274). In Verbindung mit der Erwägung, dass es unserer Rechtsordnung eigentlich fremd ist, dass bereits verjährte Ansprüche durch den rückwirkenden Eintritt der Hemmung nun „reanimiert“ werden können (so Halfmeier in Prütting/Gehrlein, ZPO, 11. Aufl. 2019, § 608 Rn. 1), erscheinen dem Senat diese Bedenken als durchaus diskutierenswert. Da es jedoch vorliegend (wegen angenommenen Rechtsmißbrauchs der Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren) auf diese Frage nicht ankommt, wurde von einer Vorlage gemäß Art. 100 GG abgesehen.
Im Hinblick auf die individuellen Ausprägungen des Falles sind auch die weiteren Voraussetzungen für die Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO gegeben. Die Parteivertreter können zum Hinweis des Senats bis 29.06.2020 Stellung nehmen.
Folgendes ist zu beachten:
Der Senat gewährt im Rahmen seiner Hinweise nach § 522 Abs. 2 ZPO geräumige Fristen zur Stellungnahme. Zur Vermeidung eines unnötigen Verwaltungsmehraufwandes werden diese Fristen nur ganz ausnahmsweise und nur bei Vorliegen eines glaubhaft gemachten triftigen Grundes verlängert, wozu im Allgemeinen nicht eine geltend gemachte Arbeitsüberlastung und die pauschale Behauptung zählen, dass mit der vertretenen Partei noch kein Kontakt zustande gekommen sei. Bei Fristverlängerungsgesuchen, die erst in der Woche vor Ablauf der Frist eingehen, kann mit einer Verbescheidung des Gesuchs im Fall der Ablehnung nicht in jedem Fall gerechnet werden.


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