Europarecht

Berufung, Annahmeverzug, Erblasser, Fahrzeug, Laufleistung, Rechtsmittel, Software, Regulierung, Berufungsverfahren, Internet, Feststellung, Wirksamkeit, Gutachten, Sicherung, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Aktenzeichen  21 U 2554/21

Datum:
13.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52024
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

83 O 2450/20 2021-04-09 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 09.04.2021, Aktenzeichen 83 O 2450/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 29.887,52 € festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche der Kläger als Erben des am 23.08.2021 verstorbenen ursprünglichen Klägers … gegen den beklagten Fahrzeughersteller im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Dieselfahrzeugs.
Der Erblasser erwarb am 07.01.2015 von der … GmbH in Waldshut-Tiengen einen gebrauchten … mit einer Laufleistung von 6.290 km für 44.890 €. In dem Fahrzeug befindet sich ein 3.0 Liter V6-Turbodieselmotor mit 180 kW und der Abgasnorm Euro 5. Die Motorsteuerungssoftware enthält eine außentemperaturabhängige Regulierung der Abgasrückführung. Das Fahrzeug hat den Motorkennbuchstaben CDUC.
Es ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf des KBA in Bezug auf das Emissionsverhalten betroffen, gleichwohl behauptet der Kläger das Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen in dem Fahrzeug, wodurch er vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden sei.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 09.04.2021 Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Kläger. Hinsichtlich des Berufungsvorbringens im Einzelnen wird auf die Zusammenfassung im Hinweisbeschluss des Senats sowie die Berufungsbegründung, Schriftsatz vom 13.07.2021, Bl. 204 ff. d.A., Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragen die Kläger unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, Az: 83 O 2450/20, verkündet am 09.04.2021 und zugestellt am 12.04.2021, zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 44.890,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.06.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 15.002,48 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke … mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 26.06.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.199,36 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.06.2020 zu zahlen.
Hilfsweise:
4. Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az; 83 O 2450/20, verkündet am 09.04.2021 und zugestellt am 12.04.2021, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.
Hilfsweise:
5. Die Revision wird zugelassen.
Die Beklagte hat zu dem Berufungsvorbringen noch nicht Stellung genommen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 28.07.2021, Bl. 245 ff. d.A., darauf hingewiesen, dass eine Sachbehandlung nach § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtigt ist. Dazu wurde mit Schriftsatz vom 19.08.2021, Bl. 255 ff. d.A., Stellung genommen. Die Kläger rügen, dass der Senat offensichtlich entgegenstehende Entscheidungen anderer Gerichte in vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen verkenne. Durch Urteil vom 13.07.2021, Az. VI ZR 128/20, habe der BGH nochmals klargestellt, dass bei der Annahme von Willkür Zurückhaltung geboten sei und nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte von einem nicht substantiierten Vortrag ausgegangen werden könne. Der Vortrag im hiesigen Rechtsstreit gehe weit über willkürliche Behauptungen „auf´s Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ hinaus. Die Kläger berufen sich auf interne Dokumente der Beklagten, auf ein Ergänzungsgutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen, auf einen freiwilligen Rückruf sowie auf amtliche Rückrufe mit identischem Motorentyp (EA896 Generation 2). Sie räumen aber ein, dass sich der erwähnte Rückruf mit dem Rückrufcode 23X6 für diverse Fahrzeugtypen mit 3.0 l Euro-5-Motor auf sog. Biturbomotoren der Beklagten bezieht, gleichwohl sei aber von einer Verwendung der als unzulässig festgestellten Lenkwinkelerkennung auch in Fahrzeugen mit dem streitgegenständlichen Monoturbo-Motor auszugehen, was das vorgelegte gerichtliche Sachverständigengutachten bestätige. Sowohl in dem getesteten Fahrzeug als auch im hier streitgegenständlichen Fahrzeug befinde sich der identische Motor mit gleicher Leistung und EU-Abgasnorm. Insoweit wird erneut auf die Entscheidungen des OLG Stuttgart, Az. 16a U 228/19 sowie des OLG Brandenburg, Az. 11 U 50/19, verwiesen. Mit Schriftsatz vom 11.03.2021 habe die Beklagte selbst eingeräumt, dass für ihre Monoturbo-Motoren von einer „Allgemeingültigkeit“ für sämtliche Fahrzeuge bis hin zu einem Porsche Panamera auszugehen sei, welcher ebenfalls über den Serienmotor verfüge.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 09.04.2021, Aktenzeichen 83 O 2450/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
Richterin am Oberlandesgericht …, die an dem Beschluss nicht mitgewirkt hat, tritt den dort gemachten Ausführungen vollumfänglich bei.
Im Hinblick auf die Stellungnahme der Kläger zum Hinweisbeschluss sind noch folgende Ausführungen veranlasst:
1. Der Senat hat – entgegen der Auffassung der Berufungsführer – auch unter Berücksichtigung der neuen Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 13.07.2021, Az. VI ZR 128/20 – die Anforderungen an die Substantiierung des Sachvortrags nicht überspannt. Die dort entschiedene Fallgestaltung ist mit der hier vorliegenden nicht vergleichbar. Wie auch im Beschluss des BGH vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, lagen – anders als hier – greifbare Anhaltspunkte für grundsätzlich in Betracht kommende Anknüpfungspunkte für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen vor. In dem genannten Urteil werden insoweit Presseberichte, ein formelles Anhörungsverfahren des KBA gerade wegen der behaupteten Abschalteinrichtung sowie später erfolgte amtliche Rückrufe des KBA wegen des dort streitgegenständlichen Motors vom Typ OM 651 genannt. Zudem wird ausgeführt, dass die Beklagte dort selbst mitgeteilt habe, dass das KBA einen weiteren Rückrufbescheid für eine sechsstellige Zahl an Mercedes Benz-Fahrzeugen mit OM 651-Dieselmotor und Euro-5-Norm erlassen habe.
2. Derartige Indizien für das Vorliegen einer oder mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen in dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug liegen indessen hier nicht vor.
a) Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, weist die im Internet abrufbare Liste des KBA von betroffenen Fahrzeugen (Stand 28.06.2021) für Fahrzeuge der Beklagten mit der Euro Norm 5 nur einen einzigen Eintrag auf, wobei zwischen den Parteien zuletzt unstreitig ist, dass der Rückruf von Fahrzeugtypen mit einem V6-TDI EU 5 Motor ausschließlich Biturbo-Motoren betrifft. Diesbezüglich hat die Beklagte aber bereits erstinstanzlich in der Klageerwiderung auf Seite 15 ff., Bl. 98 d.A., ausführlich dargelegt, dass der Biturbo durch seine Konzeption anders ausgelegt sei als der Monoturbo. Nicht nur die Konzeption sei anders, sondern es gebe auch Unterschiede in der Hardware und dementsprechend in der Software. Dem ist die Klagepartei aber nicht substantiiert entgegengetreten. Ein Sachvortrag bedarf aber der Ergänzung, wenn er infolge der Einlassung des Gegners unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Anspruchs zulässt, vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2002, V ZR 170/01. Der pauschale Vortrag der Klagepartei dahingehend, dass von einer Verwendung einer unzulässigen Lenkwinkelerkennung auch in Fahrzeugen mit dem streitgegenständlichen Monoturbo-Motor auszugehen sei, verfängt insoweit nicht.
b) Soweit die Kläger vortragen, die Beklagte gehe von einer „Allgemeingültigkeit“ ihrer Monoturbo-Motoren für sämtliche Fahrzeuge bis hin zu einem Porsche Panamera aus, so trifft dies nicht zu. Zwar hat die Beklagte im Schriftsatz vom 11.03.2021 unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des KBA vom 11.09.2020, Anlage B 6, zur Untermauerung ihres Vorbringens, dass das streitgegenständliche Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung habe, auf Ausführungen des KBA Bezug genommen, worin die Behörde „allgemeingültig für die Gruppe an Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns mit dem V6-TDI Euro 5 Generation 2 Motoren“ antwortet. Aus dem Schreiben des KBA geht aber hervor, dass sich diese „Allgemeingültigkeit“ auf das Thermofenster bezieht.
c) Eine Lenkwinkelerkennung stellt per se keinen Rechtsverstoß dar. Eine Fahrkurven- oder Zykluserkennung ist nicht gleichbedeutend mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, weil eine Erkennung der künstlichen Prüfsituation aus Sicherheitsgründen oder zur Vermeidung von Messverfälschungen für bestimmte technische Einrichtungen wie z.B. das Stabilitätsprogramm oder die adaptive Fahrwerksregelung notwendig ist. Rechtlich maßgeblich ist nicht, ob es eine Lenkwinkelerkennung gibt, sondern was diese bewirkt. Nur wenn dadurch ein Teil des Emissionskontrollsystems aktiviert oder deaktiviert wird, um die Wirksamkeit dieses Systems zu beeinträchtigen, läge eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, vgl. Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007.
c) Keinen ausreichenden greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch im klägerischen Fahrzeug stellt das erneut von der Klagepartei in Bezug genommene Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. … dar. Begutachtet wurde dort ein gänzlich anderes Fahrzeugmodell der Beklagten mit einem anderen Motorkennbuchstaben (dort … mit dem Motorkennbuchstaben CDUD, hier … mit dem Motorkennbuchstaben CDUC, vgl. vorgelegte Zulassungsbescheinigung Teil I). Vor diesem Hintergrund ist schon eine Vergleichbarkeit der beiden Fahrzeuge nicht gegeben.
Darüber hinaus lässt die dort getroffene Feststellung, dass ein Fahrzeug die standardisierte Prüfstandsituation erkennt, nicht den zwingenden Schluss zu, dass hier von der Beklagten bewusst zur Täuschung der Typgenehmigungsbehörde Emissionswerte manipuliert wurden. Auch die Abweichungen der Emissionswerte beim Durchfahren des NEFZ bei anderen Temperaturen rechtfertigen diesen Schluss nicht, weil das Vorhandensein eines Thermofensters in dem Gutachten nicht berücksichtigt worden ist. Besonders hohen Abweichungen könnte zwar ggfls. in Verbindung mit weiteren Umständen Indizcharakter zukommen. Dabei ist indes zu berücksichtigen, dass jedenfalls allein schon aufgrund des Einsatzes eines Thermofensters deutliche Abweichungen verursacht werden. Dann ist ein Schluss aus besonders hohen Grenzwertüberschreitungen auf das Vorliegen von anderen Abschalteinrichtungen neben einem Thermofenster nicht ohne Weiteres gerechtfertigt (so auch die Messungen zum im Bericht der „Untersuchungskommission Volkswagen“, S. 72, abrufbar über die Internetseite des KBA).
3. Es bleibt damit dabei, dass es insgesamt an einem Vortrag fehlt, dass der Motor und die Abgasnachbehandlungstechnologie eindeutig mit den vom KBA verpflichtend zurückgerufenen Fahrzeug vergleichbar ist (vgl. Insoweit die von der Klagepartei zitierte oberlandesgerichtliche Rechtsprechung, OLG Stuttgart und Brandenburgisches OLG).
4. Einer Entscheidung durch Beschluss steht auch nicht § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2/3 ZPO entgegen. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in der Folge des Dieselabgasskandals, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit und in Bezug auf die Verwendung von „Thermofenstern“ sind höchstrichterlich geklärt (u.a. BGH, Entscheidungen vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, 30.07.2020, Az.: VI ZR 5/20, vom 08.12.2020, Az.: VI ZR 244/20, vom 23.03.2021, Az.: VI ZR 1180/20 und vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 522 Abs. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 9506, Rdnr. 2).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG, 3 ZPO bestimmt.


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