Europarecht

Berufung, Kaufpreis, Fahrzeug, Zulassung, Schaden, Widerruf, Form, Beweisaufnahme, Anlage, Vorsatz, Leistung, Kilometerstand, Rechtsverfolgung, Abgasreinigung, Art und Weise, kausaler Schaden, Zulassung des Fahrzeugs

Aktenzeichen  15 U 877/20

Datum:
15.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54755
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

12 O 8400/19 2020-01-09 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 09.01.2020, Az. 12 O 8400/19, wird verworfen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 24.990,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger machen Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten „Abgasskandal“ geltend.
Die Kläger erwarben – nicht von der Beklagten, sondern von der Autohaus M. S. GmbH – das streitgegenständliche Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 24.990,00 €.
Bei dem Fahrzeug handelt es sich um einen BMW 318d Touring, Euro 5 mit einem Hubraum von 1995 cm³ und einer maximalen Leistung von 105 kW aus dem Baujahr 2012. Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs. In dem Fahrzeug ist ein Motor mit der internen Typenbezeichnung der Beklagten „N47T“ (in der Applikation N47D20U1) verbaut. Der verbaute Dieselmotor gehört zur Schadstoffklasse Euro 5. AdBlue wird in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht verwendet.
Das Fahrzeug wurde den Klägern am 08.03.2014 übergeben. Sie nutzen es bis heute. Bei Übergabe hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 14.696 km. Seine Erstzulassung war am 28.06.2012 (Anlage K 1).
Ein Rückruf o. ä. existiert zu dem streitgegenständlichen Motor nicht.
Die Kläger haben behauptet, dass die Beklagte gesetzlich unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet habe, durch welche das Verhalten des Fahrzeugs bei Erkennen einer Prüfsituation grundsätzlich anders gesteuert werde als im Realbetrieb. Im Realbetrieb werde die Abgasreinigung größtenteils vernachlässigt. Die Abschalteinrichtung erkenne unnatürliches Fahrverhalten wie hohe Motordrehzahlen im Stillstand oder das Überschreiten einer bestimmten Schnelligkeit. Auch werde die Abgasreinigung heruntergefahren, wenn ein bestimmtes Drehzahlniveau erreicht bzw. überschritten werde. Ab 2500 Umdrehungen werde die Funktion der Abgasreinigung sukzessive heruntergeregelt, bis sie schließlich bei 3500 Umdrehungen vollständig abgeschaltet sei.
Die Beklagte verwende zudem Vorrichtungen, die bei Unterschreiten einer bestimmten Außentemperatur die Funktion der Abgasreinigungsanlage reduzieren und schlussendlich abschalten, sogenannte Thermofenster. Dies sei den Verantwortlichen der Beklagten bekannt gewesen. Den Klägern sei die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs vorgetäuscht worden, was für sie ein entscheidendes Kaufkriterium gewesen sei. Die Klagepartei sei davon ausgegangen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug dem aktuellen Stand der Technik entspreche und die gesetzlichen Vorschriften und Grenzwerte im Normalbetrieb einhalte.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass in dem Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Weder sei im streitgegenständlichen Fahrzeugmotor eine „prüfstandsbezogene“ (vergleichbar mit dem Motor EA 189 der Volkswagen AG), noch eine anderweitige hypothetisch unzulässige Abschalteinrichtung – weder in Form eines unzulässigen Thermofensters, noch auf andere Art und Weise – verbaut. Das Fahrzeug verfüge über eine rein innermotorische Abgasbehandlung.
Im auszugsweise vorgelegten Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ sei der zum streitgegenständlichen Fahrzeug identische Motor des Typs N47D20O1 als unauffällig bewertet worden. Auch die weiteren von der Klagepartei angeführten Messungen seien nicht zum streitgegenständlichen Fahrzeug ergangen.
Der Rückruf zu den Modellen 750d und 550d habe mit dem streitgegenständlichen Fall nichts zu tun. Es gebe auch kein freiwilliges Update für das Fahrzeug.
Das Landgericht, auf dessen Feststellungen im Übrigen gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO verwiesen wird, hat die Klage abgewiesen. Die Kläger hätten insbesondere keinen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB. Die Behauptung, dass die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Motor verbaut habe, sei eine Behauptung ins Blaue hinein, sodass das angebotene Sachverständigengutachten nicht zu erholen gewesen sei. In der Studie der Deutschen Umwelthilfe vom 05.12.2017, auf die die Kläger abstellten, sei unstreitig nicht der streitgegenständliche Motor geprüft worden und es habe sich zudem auch um ein anderes Fahrzeugmodell mit einer anderen Abgasnorm gehandelt. Darüber hinaus sei das Kraftfahrtbundesamt in seiner Pressemitteilung vom 15.02.2018 den in der Studie aufgestellten Ergebnissen auch – zumindest gleichwertig – entgegengetreten. Es habe keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt werden können.
Soweit das Kraftfahrtbundesamt zeitlich nachgelagert tatsächlich einen Rückruf wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen angeordnet habe, betreffe dieser unstreitig nicht den streitgegenständlichen Motor.
Soweit die Kläger auf Messungen der TU G. abstellten, beträfen diese ebenso nicht das hiesige Fahrzeug.
Aber auch dann, wenn zum Beispiel der dort untersuchte BMW 318d ED mit dem Zulassungsjahr 2010 und der Abgasnorm Euro 5 den gleichen Motor enthielte, wie das streitgegenständliche Fahrzeug, würde die vorgelegte Aufstellung nicht für einen substantiierten Vortrag genügen. Denn ausweislich der dort aufgeführten Testergebnisse überschreite das geprüfte Fahrzeug den zulässigen Grenzwert der Stickstoffoxid Emissionen nicht in jedem Fall. Für den neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) werde bei diesem Fahrzeug gerade keine Überschreitung festgestellt; dieser sei aber für die Zulassung des Fahrzeugs maßgeblich. Welche Anforderungen im Detail den anderweitigen Messungen nach CADC oder ERMES zugrunde lägen, sei nicht bekannt und werde auch nicht vorgetragen.
Soweit die Kläger darauf abstellten, dass es unter den vorherrschenden technischen und physikalischen Bedingungen und der verwendeten Technik seit dem Jahr 2006 gar nicht möglich gewesen sei, Fahrzeuge zu bauen, welche die zulässigen Grenzwerte einhalten und gleichzeitig ohne dauerhafte Beeinträchtigung funktionsfähig bleiben, sei dieser pauschale Vortrag ebenfalls unsubstantiiert. Seitenweise würden Ausführungen zur sogenannten AdBlue-Einspritzung gemacht, obwohl das streitgegenständliche Fahrzeug über keine solche Abgasreinigung verfüge.
Ein Sachverständigengutachten sei daher nicht einzuholen gewesen. Gleiches gelte für die klägerseits benannten Zeugen, die an der Entwicklung der Abgasreinigung bei der Beklagten zwischen 2006 und 2014 tätig gewesen seien.
Selbst wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung vorläge, sei nicht ersichtlich, woraus sich ein Vorsatz der Beklagten in Form von Kenntnis ihres Vorstands bzw. leitender Angestellter ergeben solle.
Auch wäre ein kausaler Schaden der Klagepartei, auf den sich gleichfalls ein Vorsatz der Beklagten beziehen müsste, nicht ersichtlich.
Die übrigen Anspruchsgrundlagen (§ 831 BGB; § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6,27 EG-FGV; § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB) würden ebenfalls nicht eingreifen.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung und tragen insbesondere folgendes vor:
Das Landgericht habe die von der Klagepartei als Anlage K 7 vorgelegten Messungen verkannt, wenn es darauf abstelle, das streitgegenständliche Fahrzeug halte die Grenzwerte im NEFZ Zyklus ein. Gerade darauf würde die Argumentation der Klagepartei ja berufen. Auch unterliege das Gericht dem Fehlverständnis, dass Messungen zum streitgegenständlichen Motor N 47 zu anderen Fahrzeugmodellen hier keine Relevanz hätten.
Weiter weist die Berufung auf den Beschluss des BGH VIII ZR 57/19 hin und vertritt die Ansicht, dass Vortrag „ins Blaue hinein“ nicht vorgelegen habe. Nachdem der BGH schon das bloßen Berufen darauf, dass das KBA bei der gleichen Motorreihe – nicht dem gleichen Fahrzeugtyp – (noch nicht rechtskräftige) Rückrufe angeordnet hatte, habe ausreichen lassen, gelte entsprechendes bezüglich des hier erfolgten Vorbringens mit konkreten Messwerten zu der streitgegenständlichen Motorreihe und der Benennung der Abschalteinrichtungen und entsprechender Zeugen.
Die Verwendung einer temperaturgesteuerten Abschalteinrichtung stelle ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln dar. Beweisbeschlüsse anderer Gerichtsverfahren würden im Übrigen zeigen, dass der Vortrag der Klagepartei substantiiert sei; auch stütze ein Gutachten, das aufgrund eines Beweisbeschlusses des OLG Frankfurt am Main erstellt worden sei, den Vortrag der Klägerseite (Anlage BK 2).
Die von der Beklagtenseite vorgelegten „Auskünfte“ des Kraftfahrtbundesamtes hätten keine Relevanz. Dem Schreiben des KBA vom 09.09.2019 an das OLG München (Anlage BK 3), das auf einen BMW 320d Euro 5 mit dem Motor N47D2001 Bezug nehme, lasse sich nichts Relevantes entnehmen. Entsprechendes gelte auch für ein Schreiben des KBA vom 17.10.2019 (Anlage BK 4), das zu einem BMW 520d ergangen sei.
Wie sich aus bisher unveröffentlichten Messergebnissen des KBA, die am 18.10.2019 auf der Website rbb 24.de veröffentlicht worden seien, ergebe, seien die Einschätzungen des KBA in den oben genannten Schreiben, wonach keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen soll, falsch.
Bezüglich des vom Landgericht übergegangenen Thermofensters wäre eine Beweisaufnahme notwendig gewesen. Die Abgasrückführung werde nicht in jedem Betriebszustand gleich wirksam vorgenommen. Aus dem Vortrag der Beklagten ergebe sich gerade, dass es eine Funktion gebe, die die innerstädtische Abgasrückführungsrate anpasse, was bedeute, dass die Abgasrückführung nicht in jedem Betriebszustand gleich wirksam sei und herunter geregelt werde. Hierbei handele es sich um eine illegale Abschalteinrichtung. Beim hier verbauten Motor N 47 sei das Thermofenster so eingerichtet, dass die Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich zwischen +17 und 33 °C zu 100% vorgenommen werde. Über +33 °C Außentemperatur werde die Abgasrückführung vollständig deaktiviert, ebenso wie unter -11 °C.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des am 09.01.2020 verkündeten Urteils
I. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei Euro 24.990,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw BMW Typ 318d FIN: … .
II. Die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.430,38 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 05.03.2021 (Blatt 345/353 der Akte) einen Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilt. Hierauf hat die Klägerseite mit Schriftsatz vom 15.03.2021 und mit Schriftsatz vom 13.04.2021 erwidert.
Mit Beschluss vom 28.04.2021 hat der Senat einen weiteren Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilt (Blatt 399/401 der Akte). Hierauf hat die Klägerseite mit Schriftsatz vom 26.05.2021 erwidert.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Ersturteil, die im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze sowie die bereits zitierten Hinweisbeschlüsse Bezug genommen.
II.
1. Die Berufung der Kläger ist als unzulässig zu verwerfen, da die Berufungsbegründung sich an keiner Stelle konkret mit der Thematik des Schadens, den das Landgericht verneint hat, befasst hat. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Berufung damit unzulässig.
1.1. Das Erstgericht hat seine Entscheidungsgründe zu §§ 826, 31 BGB wie folgt aufgebaut:
Unter Ziffer 1 hat es die Behauptung der Klägerseite, dass die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Motor verbaut habe, als Behauptung ins Blaue hinein eingestuft und ausgeführt, dass eine Manipulation oder zumindest Hinweise auf eine solche nicht ausreichend plausibel belegt seien. Unter Ziffer 2 hat es ausgeführt, dass – selbst wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung vorläge – nicht ersichtlich sei, woraus sich ein Vorsatz der Beklagten in Form von Kenntnis ihres Vorstands bzw. leitender Angestellter ergeben solle. Es fehle bereits an der Erstdarlegung der Kläger.
Unter Ziffer 3 (EU, Seite 8) hat es dann folgendes ausgeführt:
„Darüber hinaus wäre ein kausaler Schaden der Klagepartei, auf den sich gleichfalls ein Vorsatz der Beklagten beziehen müsste, nicht ersichtlich. Die Kläger behaupten, dass sie das Fahrzeug nicht erworben hätten, wenn sie von einer – ihrer Meinung nach vorhandenen – Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt hätten.
Dennoch ist ein Schaden der Klagepartei nicht ersichtlich, weil die Klagepartei für ihren Kaufpreis ein Fahrzeug erhalten hat, das sie im Straßenverkehr nutzen kann und nach ihren Angaben bis heute auch nutzt. Die Leistung, die die Klagepartei für ihren Kaufpreis erhalten hat, ist für sie deshalb bis heute voll brauchbar.
Auch eine Wertminderung des Fahrzeugs ist nicht ersichtlich und wäre zudem von einem unterstellten Vorsatz nicht gedeckt. Denn ginge man davon aus, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, und der Vorstand der Beklagten davon Kenntnis hatte, so hätte er sicher nicht gewollt oder auch nur in Betracht gezogen, dass eine etwaige verbaute unzulässige Abschalteinrichtung aufgedeckt wird. Deren Aufdeckung wäre aber Voraussetzung für eine Wertminderung und damit einen Schaden der Kläger.“
Die Thematik des Schadens hatte für sämtliche Anspruchsgrundlagen (§ 826 BGB, § 831 BGB, § 823 Abs. 2 iVm § 263 StGB, § 31 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG) Relevanz.
1.2. Die auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 28.04.2021 ergangene Stellungnahme der Kläger kann nicht aufzeigen, dass die Kläger sich in der 99-seitigen Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO entsprechend mit dieser Schadensthematik befasst hätten.
1.2.1. Die Stellungnahme verweist insoweit auf Seite 2 der Berufungsbegründung, wonach das Urteil in vollem Umfang angegriffen und zur Überprüfung des Berufungsgerichts gestellt worden sei. Weiter habe man in der Berufungsbegründung auf die Ausführungen in 1. Instanz vollumfänglich Bezug genommen. Dort sei bereits ausführlich zum Schaden der Klagepartei vorgetragen worden.
1.2.2. Diese Ausführungen sind nicht geeignet, einen ordnungsgemäßen Berufungsangriff in der Berufungsbegründung bezüglich der Schadensthematik aufzuzeigen. Dass das Urteil in vollem Umfang angegriffen werde, ersetzt keine konkrete Auseinandersetzung mit den jeweiligen tragenden Gründen des Ersturteils. Entsprechendes gilt für den bloßen Verweis auf die Ausführungen in 1. Instanz.
1.2.3. Auch die weiteren Ausführungen in der Stellungnahme (ab Seite 2) belegen nicht, dass eine konkrete Auseinandersetzung in der Berufungsbegründung erfolgt wäre.
Ausgeführt wird, dass durch die Täuschung der Klagepartei als Käufer ein Schaden entstanden sei, der in dem Abschluss des Kaufvertrags als ungewollte Verbindlichkeit zu sehen sei. Der Kläger sei durch den Abschluss des Kaufvertrags mit einer ungewollten Verpflichtung belastet, was einen Vermögensschaden darstelle. Die Begleichung des Kaufpreises als Erfüllungshandlung habe diesen Schaden schließlich perpetuiert. Auch sei die Kausalität zwischen der Täuschung und dem Schaden zu bejahen. Hätte die Beklagte nicht die Entscheidung getroffen, dass die mit der manipulativ wirkenden Software zur Motorsteuerung ausgerüsteten Motoren in ihre Fahrzeuge eingebaut würden, wäre das Fahrzeug mangels EG-Typengenehmigung gar nicht auf den deutschen Markt gelangt und hätte der Kläger dieses mit der darin verbauten zulässigen Abschalteinrichtung nicht erwerben können.
Auch diese Ausführungen belegen an keiner Stelle, dass sich die Kläger bereits in der Berufungsbegründung mit den Ausführungen des Landgerichts zur Schadensthematik befasst hätten.
1.2.4. Das Landgericht hat ausgeführt, dass die Klagepartei für ihren Kaufpreis ein Fahrzeug erhalten habe, dass sie im Straßenverkehr nutzen könne und nach ihren Angaben bis heute auch nutze. Die Leistung, die die Klagepartei für ihren Kaufpreis erhalten habe, sei für sie deshalb bis heute voll brauchbar.
Mit dieser Argumentation hätte sich die Berufungsbegründung befassen müssen. Allein die Behauptung, dass in dem streitgegenständlichen Motor eine bzw. mehrere Abschalteinrichtung(en) verbaut sei(en), verhält sich zu dieser Argumentation nicht konkret.
Entscheidender Gesichtspunkt des Landgerichts bei der Verneinung des Schadens war, dass die Kläger den streitgegenständlichen Pkw nutzen können. Warum etwa ein Rückruf durch das KBA im Raum stehen könnte, wird von der Berufungsbegründung nicht näher belegt.
Auch mit der weiteren Argumentation des Landgerichts, wonach auch eine Wertminderung des Fahrzeugs nicht ersichtlich und von einem unterstellten Vorsatz nicht gedeckt sei (aaO), setzt sich die Berufung an keiner Stelle konkret auseinander.
1.2.5. Die Klägerseite kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (vom 09.04.2021 – 1 U 94/20, bei juris Rn. 28, 46) berufen.
Die Kläger haben an keiner Stelle in der Berufungsbegründung vorgetragen, dass die Eingehung einer nicht gewollten Verbindlichkeit deshalb einen Schaden darstellen könnte, weil die Stilllegung möglich wäre, wodurch das Fahrzeug für ihre Zwecke nicht mehr voll brauchbar wäre, wie das Landgericht gemeint hat.
Entsprechender Vortrag, warum den Klägern – trotz Vorliegens einer gültigen Betriebsgenehmigung – ein Widerruf der Typengenehmigung gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV drohen könnte, fehlt in der Berufungsbegründung gerade.
1.3. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschluss vom 14.07.2016 – IX ZB 104/15, BeckRS 2016, 14155; BGH, Beschluss vom 27.01.2015 – VI ZB 40/14, NJW-RR 2015, 511) gilt danach folgendes:
Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung das Urteil in allen diesen Punkten angreifen, sonst ist die Berufung in diesem Punkt unzulässig.
Nachdem dies vorliegend bezüglich der Anspruchsgrundlage gemäß §§ 826, 31 BGB der Fall ist, war die Berufung insoweit als unzulässig zu verwerfen.
2. Die Berufung der Kläger wäre im Übrigen auch offensichtlich unbegründet:
2.1. Wenn man zugunsten der Kläger davon ausginge, dass die Ausführungen des Landgerichts zum fehlenden Schaden (EU, Seite 3 Ziffer 3) sich nur auf die Anspruchsgrundlagen des § 826 und § 831 BGB beziehen sollten, keine Geltung aber für die weiteren Anspruchsgrundlagen (§ 823 Abs. 2 iVm § 263 StGB bzw. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV/ Artikel 5 VO 715/2007/EG) haben sollten, wäre die Berufung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen gewesen.
2.1.1. Der Senat hält an seiner rechtlichen Betrachtung im Hinweisbeschluss vom 05.03.2021 (dort Ziffer 1) fest, wonach das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, weder im Aufgabenbereich des § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV noch im Aufgabenbereich des Artikel 5 VO 715/2007/EG liegt (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19 sowie Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 (11, 12 ff).
2.1.2. Entsprechendes gilt bezüglich der behaupteten Anspruchsgrundlage gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB, § 31 BGB: Der Senat hält insoweit ebenfalls an seiner rechtlichen Bewertung im Hinweisbeschluss (aaO, dort Ziffer 2) fest.
2.2. Soweit es um die Anspruchsgrundlagen des § 826 BGB bzw. § 831 BGB geht, fehlt es aus Sicht des Senats weiterhin am Nachweis einer illegalen Abschalteinrichtung bzw. am Nachweis eines Schadens.
2.2.1. Das Thermofenster (im Sinne der BGHEntscheidung vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19) stellt nach der Auffassung des Senats keine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne einer sittenwidrigen Schädigung dar (vgl. insoweit den Hinweisbeschluss vom 5.3.2021 unter Ziffer 3).
2.2.2. Der Senat verkennt nicht, dass die Kläger sich darauf berufen haben, dass das Thermofenster auch den Rollenprüfstand erkennen soll und daher eine dem EA 189-Motor vergleichbare unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Insbesondere berufen sie sich auf die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG (Urteil vom 9.4.2021 – 1 U 94/20).
Dennoch fehlt es aus Sicht des Senats weiterhin am Nachweis eines sittenwidrig herbeigeführten, konkreten Schadens.
a) Das OLG Schleswig ist der Ansicht, dass die Behauptung einer Partei, wonach die Parameter für die Abgasrückführungsrate in ihrem Fahrzeug auf die Bedingungen des NEFZ abgestellt seien, was zum Motorschutz technisch nicht erforderlich sei, hinreichend substantiiert bezüglich einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei, wenn sie sich weiter auf die Überschreitung der zulässigen Schadstoffwerte bei Tests, die von dem NEFZ abweichen, berufe.
Damit trage die Partei auch substantiiert zu dem Bewusstsein einer sittenwidrigen Handlung bei den Verantwortlichen des Herstellers vor, weil eine solche Motorsteuerung statt des Versuches, einen Ausgleich zwischen der Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen und dem Motorschutz zu finden, erklärungsbedürftig wäre. Ein Hersteller, der bewusst die Steuerung eines Motors so programmiere, dass Parameter für die Abgasrückführungsrate auf die Bedingungen des NEFZ abgestellt seien, ohne dass das zum Motorschutz erforderlich sei und das bei der Beantragung der Typengenehmigung verschweige, könne sittenwidrig handeln.
Es sei daher auf diesen Vortrag hin ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die behauptete unzulässige Abschalteinrichtung sei auch nicht durch Auskünfte des Kraftfahrt-Bundesamtes zu widerlegen. Zwar werde in den Auskünften mitgeteilt, dass bei den Fahrzeugen der Beklagten keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden seien. Es bleibe aber offen, inwieweit vom Kraftfahrtbundesamt die Parameter, die die Abgasrate steuern, untersucht worden seien, welche konkreten Erkenntnisse dabei gewonnen worden seien und welche Kriterien das KBA für die Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung anwende (aaO, bei juris Rn. 44). Sollte sich herausstellen, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, so könnte das Kraftfahrtbundesamt nach § 25 Abs. 3 EG-FGV die Typengenehmigung widerrufen. Die zuständige Verwaltungsbehörde könnte nach § 5 Absatz 1 FZV dem Halter oder Eigentümer eine Frist zur Beseitigung setzen und danach die Betriebserlaubnis entziehen. Ob das ernsthaft drohe oder stattdessen eine Nebenbestimmung erlassen werde, sei zwar ungewiss. Ein Schaden in Form einer ungewollten Verbindlichkeit liege jedoch – wie in den Fällen des Motors EA 189, in denen die Typengenehmigung nicht widerrufen worden seien – bereits dann vor, wenn der Bestand der Typengenehmigung infrage stehe. Auch insoweit gelte, dass die Auskünfte des KBA die Gefahr nicht ausschließen würden. Denn sollte sich herausstellen, dass die Parameter, die die Abgasrückführung steuern, genau auf die Verhältnisse des NEFZ zugeschnitten seien, wäre zu klären, ob das Kraftfahrtbundesamt eine solche Auslegung der Motorsteuerung für zulässig erachten würde.
b) Nach Ansicht des Senats droht den Klägern kein konkreter Schaden in Form einer ungewollten Verbindlichkeit. Unstreitig drohen derzeit ein Widerruf der Typengenehmigung oder eine Betriebsuntersagung nicht. Nach der Argumentation des OLG Schleswig könnte eine solche Gefahr dadurch heraufbeschworen werden, dass man auf entsprechenden Antrag der Kläger ein Sachverständigengutachten einholt, welches ergeben könnte, dass die verbaute Software den NEFZ-Zyklus erkennt. Dies könnte dann wiederum dazu führen, dass das Kraftfahrtbundesamt die Typengenehmigung widerruft oder die zuständige Verwaltungsbehörde eine Frist zur Beseitigung setzt und danach die Betriebserlaubnis entzieht.
Letztendlich schafft die Klägerseite damit selbst die Voraussetzungen, die möglicherweise zu einem Widerruf der Typengenehmigung bzw. einer Betriebsuntersagung führen könnten, was dann den Schaden begründen könnte. Hierzu bedürfte es zum einen des Nachweises einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Prüfstandserkennung, zum anderen der konkreten Gefahr, dass das KBA die Typengenehmigung widerruft. Derzeit können die Kläger, worauf das Landgericht abgestellt hat, den streitgegenständlichen Pkw ungehindert benutzen.
Die Gefahr eines Schadens erachtet der Senat bei dieser Sachlage – aufgrund der erforderlichen Zwischenschritte (Sachverständigengutachten im Sinne der Kläger/Widerruf der Typengenehmigung durch das KBA) – als nicht konkret genug.
Hinzukommt folgendes: Das OLG Schleswig stellt im Ergebnis die Untersuchungsmethodik des KBA in Frage, wenn es ausführt, dass offenbleibe, inwieweit vom Kraftfahrtbundesamt die Parameter, die die Abgasrate steuern, untersucht worden seien, welche konkreten Erkenntnisse dabei gewonnen worden seien und welche Kriterien das KBA für die Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung anwende. Wenn das KBA aber aufgrund seiner eigenen Überprüfungen zu dem Ergebnis kommt, dass eine Typengenehmigung nicht zu widerrufen ist, erscheint fraglich, inwieweit dieses Ergebnis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hinterfragt werden kann, um dann zivilrechtlich einen Schaden damit zu begründen, dass das KBA aufgrund des erst einzuholenden Sachverständigengutachtens veranlasst sein könnte, einen Widerruf der Typengenehmigung auszusprechen.
Insgesamt wäre daher – Zulässigkeit der Berufung unterstellt – die Berufung jedenfalls offensichtlich unbegründet gewesen.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Verwerfungsbeschlüsse sind ohne weiteren Ausspruch gem. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorläufig vollstreckbar (MüKoZPO/Götz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 708 Rn. 18).
3. Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 63 II 1, 43 I, 47, 48 I 1 GKG, 3 ZPO.


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