Europarecht

Biogasanlage als privilegiertes Vorhaben –  bestimmender Einfluss des privilegierten Landwirts in Betreibergesellschaft

Aktenzeichen  2 BV 15.2712

Datum:
2.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 675
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6
BayVwVfG Art. 36 Abs. 1
AktG § 54, § 76 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Das Merkmal “im Rahmen eines Betriebs” (§ 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB) ist so zu verstehen, dass eine Biogasanlage räumlich nur im Anschluss an eine bereits bestehende privilegierte Anlage im Außenbereich errichtet und betrieben werden darf. Für den räumlich-funktionalen Zusammenhang wird dabei jedoch nicht verlangt, dass der Betreiber der Biogasanlage personenidentisch ist mit dem Inhaber des mit ihr im Zusammenhang stehenden landwirtschaftlichen Betriebs. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weil die Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB auch die Zusammenarbeit mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe fördern soll, schließt dies die Möglichkeit ein, dass der Basisbetrieb und die Biogasanlage in unterschiedlichen rechtlichen Formen geführt werden. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Sind landwirtschaftsfremde Dritte, zB reine Kapitalgeber, an der Betreibergesellschaft einer Biogasanlage beteiligt, muss der bestimmende Einfluss des privilegierten Landwirts gewahrt bleiben. Eine Zurückstellung des Schutzes des Außenbereichs vor Bebauung wäre nicht gerechtfertigt, wenn landwirtschaftsfremden oder landwirtschaftsfernen Geldgebern ein prägender Einfluss verschafft würde. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Aktiengesellschaft kann nur dann Betreiber einer Biogasanlage iSv § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB sein, wenn der Inhaber des Basisbetriebs über die Mehrheit der Aktien verfügt sowie alleinvertretungsberechtigtes Mitglied des Vorstands ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 11.2929 2011-06-29 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat entscheidet nach Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg (§ 124 Abs. 1 VwGO). Die hier noch verfahrensgegenständliche Nebenbestimmung Ziffer 9. des Bescheids des Beklagten vom 26. August 2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 17. März 2011 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die isolierte Anfechtungsklage gegen die Nebenbestimmung Ziffer 9. des Bescheids des Beklagten vom 26. August 2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 17. März 2011 begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich ihrer Zulässigkeit. Unstreitig handelt es sich um eine auflösende Bedingung. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.1980 – 3 C 136.79 – BVerwGE 60, 269; U.v. 22.11.2000 – 11 C 2.00 – BVerwGE 112, 221; U.v. 17.10.2012 – 4 C 5.11 – NuR 2013, 121) ist eine isolierte Anfechtungsklage gegen jede die jeweilige Klagepartei belastende Nebenbestimmung grundsätzlich statthaft und auch gegen eine Bedingung zulässig. Somit ist nicht notwendig eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der Genehmigung ohne die Nebenbestimmung zu erheben (vgl. auch OVG Nds, U.v. 14.3.2013 – 12 LC 153/11 – juris).
2. Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Es kann dahinstehen, ob die Berufung im Hauptantrag bereits deshalb unbegründet wäre, weil die angefochtene Nebenbestimmung vorliegend mit dem eigentlichen Inhalt des Verwaltungsakts in einem solchen Zusammenhang steht, dass sie die mit dem Verwaltungsakt ausgesprochene Rechtsgewährung inhaltlich einschränkt und nach Aufhebung der Nebenbestimmung der bestehen bleibende Teil des Verwaltungsakts entgegen dem geltenden Recht eine uneingeschränkte Begünstigung enthielte, so dass dies materiell-rechtlich eine isolierte Aufhebung ausschließt (vgl. OVG Nds, U.v. 14.3.2013 – 12 LC 153/11 – juris m.w.N.). Die Klägerin hat hilfsweise auch einen Verpflichtungsantrag auf Erteilung der Baugenehmigung ohne die in der Nebenbestimmung Ziffer 9. verfügten Einschränkungen beantragt. Jedoch ist die Berufung auch insoweit unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung einer solchen Baugenehmigung hat und die Versagung sie insoweit nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Umstritten ist vorliegend lediglich die Rechtsfrage, ob die hier nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB genehmigte Biogasanlage der energetischen Nutzung von Biomasse „im Rahmen eines Betriebs“ nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dient.
Das Bundesverwaltungsgericht (vgl. U.v. 11.12.2008 – 7 C 6.08 – BVerwGE 132, 372; Kremer, BauR 2013, 1370) stellt entgegen Teilen der Literatur (vgl. Hinsch, ZUR 2007, 401; Loibl/Rechel, UPR 2008, 134; Mantler, BauR 2007, 50) darauf ab, dass „im Rahmen eines Betriebs“ ein Tatbestandsmerkmal darstellt und bezeichnet dies als einschränkendes Privilegierungsmerkmal, auf das jedoch der in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB enthaltene Begriff des „Dienens“ nicht übertragen werden kann. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht darauf abgehoben, dass dem Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs vor Bebauung „auch“ durch die zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzungen in § 35 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a bis d BauGB Rechnung getragen werde. Daraus ist aber erkennbar, dass das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass es sich bei dem Tatbestandsmerkmal „im Rahmen“ um eine selbständig zu prüfende tatbestandliche Voraussetzung mit eigenständigem Bedeutungsgehalt handelt, die neben die zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Buchst. a bis d dieser Norm tritt.
In der Gesamtschau ist § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB gegenüber der allgemeinen landwirtschaftlichen Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB eigenständig und betreiberfreundlich zu verstehen. In diesem Sinn versteht die bisherige Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 11.12.2008 – 7 C 6.08 – BVerwGE 132, 372; B.v. 29.12.2010 – 7 B 4.10 – NVwZ 2011, 433; BayVGH, B.v. 8.11.2013 – 22 CS 13.1984 – UPR 2014, 233; OVG Nds, U.v. 14.3.2013 – 12 LC 153/11 – juris; B.v. 25.4.2013 –12 ME 41/13 – NVwZ-RR 2013, 595; OVG Berlin-Bbg, B.v. 6.4.2009 – OVG 11 S 59.08 – juris) das Merkmal „im Rahmen eines Betriebs“ so, dass eine Biogasanlage zwar räumlich nur im Anschluss an eine bereits bestehende privilegierte Anlage im Außenbereich errichtet und betrieben werden darf, der Eingriff in den Außenbereich also nicht in Form eines solitär stehenden Vorhabens erfolgt, sondern lediglich bereits vorhandene Bebauung erweitert, wobei anhand der jeweiligen Einzelfallumstände die Zuordnung der Biogasanlage zu werten ist. Für den räumlich-funktionalen Zusammenhang wird dabei nicht verlangt, dass der Betreiber der Biogasanlage personenidentisch ist mit dem Inhaber des mit ihr im Zusammenhang stehenden landwirtschaftlichen Betriebs. Insbesondere braucht dieser kein Alleineigentümer der Biogasanlage zu sein. Gerade weil die Privilegierung auch die Zusammenarbeit mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe fördern soll, schließt dies die Möglichkeit ein, dass der Basisbetrieb und die Biogasanlage in unterschiedlichen rechtlichen Formen geführt werden. Daher spricht einiges dafür, dass es im Fall der Kooperation privilegierter Betriebe genügt, dass diese zusammen einen bestimmenden Einfluss auf die Betriebsführung ausüben können. Der Absicht des Gesetzgebers, den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu unterstützen, wird auch in diesem Fall gedient, in dem die Interessen der einzelnen Betreiber und Inhaber nahe gelegener, ihrerseits privilegierter Betriebe gleichgerichtet sind und die Erträge aus dem Betrieb der Biogasanlage im Bereich der privilegierten Betriebe verbleiben (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2013 – 22 CS 13.1984 – UPR 2014, 233; OVG Nds, U.v. 14.3.2013 – 12 LC 153/11 – juris). Sind hingegen landwirtschaftsfremde Dritte ohne eigene privilegierte Stellung im Außenbereich, z.B. reine Kapitalgeber, an der Betreibergesellschaft beteiligt, muss der bestimmende Einfluss des selbst privilegierten Landwirts gewahrt bleiben, um die Sonderprivilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB nicht zweckwidrig anzuwenden. Eine Zurückstellung des Schutzes des Außenbereichs vor Bebauung wäre nicht gerechtfertigt, wenn landwirtschaftsfremden oder landwirtschaftsfernen Geldgebern ein prägender Einfluss auf eine Biogasanlage oder einen landwirtschaftlichen Betrieb als insofern außenbereichsfremder Betätigung verschafft würde (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2013 – 22 CS 13.1984 – UPR 2014, 233; OVG Nds, U.v. 14.3.2013 – 12 LC 153/11 – juris; B.v. 25.4.2013 – 12 ME 41/13 – NVwZ-RR 2013, 595; SächsOVG, B.v. 16.2.2015 – 4 B 296/14 – juris). Dabei wird nicht verkannt, dass der Inhaber eines Basisbetriebs nach § 35 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 BauGB mangels ausreichender Finanzausstattung häufig auf Fremdmittel angewiesen sein wird. Das rechtfertigt jedoch nicht, dem Gesetzgeber zu unterstellen, er habe deshalb in Kauf genommen, dass landwirtschaftsfremde Kapitalgeber einen entscheidenden Einfluss auf den Betrieb der Biogasanlage ausüben können. Grundsätzlich kann eine Anteilsmehrheit als eine Alternative neben einer umfassenden Geschäftsführungsbefugnis des Inhabers des Basisbetriebs oder einer entsprechenden Regelung im Gesellschaftsvertrag angesehen werden, um den nötigen maßgeblichen Einfluss des Inhabers des Basisbetriebs zu wahren (vgl. BayVGH, B.v. 14.7.2014 – 22 ZB 14.798 – juris). Ab wann ein maßgeblicher Einfluss des Inhabers des Basisbetriebs vorliegt, ist jedoch entscheidend abhängig von der Art der Kapitalgesellschaft und der weiteren Ausgestaltung der vertraglichen Regelungen im Einzelfall.
Gemessen an diesen Umständen, ist die Nebenbestimmung Ziffer 9. des Bescheids des Beklagten vom 26. August 2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 17. März 2011 nicht zu beanstanden. Vorliegend wird die Biogasanlage in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betrieben. Ein maßgeblicher oder prägender Einfluss des Inhabers des Basisbetriebs muss dabei sowohl in Bezug auf das Vermögen der Aktiengesellschaft, also den Aktienbestand, als auch im Hinblick auf die Geschäftsführungsbefugnis gewährleistet sein. Das Kapital, also der Aktienbestand, ist grundsätzlich frei übertragbar. Zudem wird eine Aktiengesellschaft durch besondere Organe (Drittorganschaft) geführt. Nur wenn der Inhaber des Basisbetriebs auch maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung hat, besteht die nötige Beziehung zwischen Basisbetrieb und Biogasanlage. Die reine Mehrheitsbeteiligung am Kapital ist gerade wegen der Übertragbarkeit nicht ausreichend. Außerdem besteht nach § 54 AktG kein maßgeblicher Einfluss der Aktionäre auf die Geschäfte der Gesellschaft. Die Hauptversammlung der Aktionäre kann dem Vorstand keine Weisungen erteilen. Entsprechend kann eine Aktiengesellschaft nur dann Betreiber einer Biogasanlage im Sinn von § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB sein, wenn der Inhaber des Basisbetriebs über die Mehrheit der Aktien verfügt sowie alleinvertretungsberechtigtes Mitglied des Vorstands ist, denn die Leitung der Aktiengesellschaft erfolgt nach § 76 Abs. 1 AktG durch den Vorstand in eigener Verantwortung. Entsprechend muss der Inhaber des Basisbetriebs alleinvertretungsberechtigtes Mitglied des Vorstands sein und mindestens 50% der Aktien plus eine Aktie halten.
b) Die Nebenbestimmung Ziffer 9. stellt sich auch nicht als unverhältnismäßig dar. Es gibt kein milderes Mittel zur Sicherstellung des maßgeblichen Einflusses des Inhabers des Basisbetriebs.
Nach Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG darf ein Verwaltungsakt mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn diese sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Da vorliegend die Nebenbestimmung Ziffer 9. das Vorliegen der Voraussetzung „im Rahmen eines Betriebs“ sicherstellt und damit die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens absichert sowie dessen dauerhafte Genehmigungsfähigkeit gewährleistet, sind die genannten Voraussetzungen für den Erlass einer Nebenbestimmung erfüllt. Die Nebenbestimmung erweist sich nicht als unverhältnismäßig. Im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens kann die Verwaltungsbehörde auf das ihr als am geeignesten erscheinende Mittel zurückgreifen. Denkbar wäre zwar auch ein Widerrufsvorbehalt. Dies wäre aber ein schwächeres Mittel, das nur mit erhöhtem Verwaltungsaufwand durchsetzbar wäre. Im Hinblick auf die besondere Schutzwürdigkeit des Außenbereichs ist es daher gerechtfertigt, die Genehmigung durch eine auflösende Bedin gung entfallen zu lassen, sobald die Genehmigungsvoraussetzungen der besonderen Privilegierung nicht mehr vorliegen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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