Europarecht

Dieselskandal: keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Mercedes-Motor OM 651

Aktenzeichen  5 U 2780/19

Datum:
17.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 29940
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5

 

Leitsatz

1. Hat ein Fahrzeughersteller verschiedene Vorrichtungen in ein Fahrzeug eingebaut, die dazu führen, dass nur unter bestimmten Bedingungen, die allerdings nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im regulären Fahrbetrieb vorkommen, eine verstärkte Abgasrückführung stattfindet, so ist hierdurch der objektive Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nur dann erfüllt, wenn der Hersteller im Typgenehmigungsverfahren gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt unzutreffende, verschleiernde Angaben über die Arbeitsweise der installierten Systeme gemacht hat (ebenso BGH BeckRS 2021, 30607). (Rn. 21 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Selbst wenn es sich bei Motoreinrichtungen, die außentemperaturabhängig oder mittels Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung die Abgasrückführung eines Dieselfahrzeugs steuern, um unzulässige Abschaltvorrichtungen handeln sollte, so kann dem Kraftfahrzeughersteller für im Jahre 2014 hergestellte Fahrzeuge aufgrund der unklaren Rechtslage keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Kunden vorgeworfen werden. (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

13 O 1098/18 2019-07-02 Endurteil LGAMBERG LG Amberg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Amberg vom 02.07.2019, Az. 13 O 1098/18, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil sowie das vorbezeichnete Endurteil des Landgerichts Amberg sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 34.900,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger hat mit Vertrag vom 20.10.2015 von einem selbständigen Kraftfahrzeughändler in Neumarkt i.d.Opf. ein gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes Benz GLK 220 CDi 4Matic zum Preis von 34.900,00 € erworben. Er nimmt die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeuges auf Schadensersatz in Anspruch; erstinstanzlich hat er die Erstattung des gesamten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges gefordert.
Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, sein Fahrzeug, das mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet und nach der Schadstoffklasse Euro 5 zugelassen ist, sei mit illegalen Abschalteinrichtungen i.S.d. Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehen. Es handele sich dabei um ein sog. thermisches Fenster sowie um ein „defeat device“; dies bedeute, dass die Software der Motorsteuerung anhand verschiedener Umstände erkenne, ob sich das Fahrzeug in einem Testzyklus für die Abgasmessung auf dem Prüfstand befinde oder nicht; im erkannten Testzyklus einerseits und im realen Fahrbetrieb andererseits werde der Motor hinsichtlich der Abgasrückführungsrate unterschiedlich gesteuert. So werde „unter den Bedingungen des Testzyklus“ das Fahrzeug so betrieben, dass der gesetzliche Grenzwert für Stickoxide eingehalten werde, während im realen, nicht den Bedingungen des Testzyklus entsprechenden Fahrbetrieb mit einem geänderten Modus und geringerer Abgasrückführung ein höherer Stickoxid-Ausstoß erzeugt werde. Das thermische Fenster dagegen bewirke, dass unter bestimmten thermischen Situationen die Abgasreinigung reduziert und infolgedessen die gesetzlich zulässigen Grenzwerte (gemeint wohl insbesondere für NOx) überschritten würden.
Aufgrund dieser Ausstattung sei das Fahrzeug objektiv nicht genehmigungsfähig; die von der Beklagten ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung sei nicht gültig. Das Fahrzeug des Klägers sei von einem amtlichen Rückruf wegen Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfasst. Dem Kläger stehe ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB), Verstoßes gegen Schutzgesetze (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sowie § 27 EG-FGV), aber auch aus § 311 Abs. 2 Nr. 3 Abs. 3 BGB zu. Die Beklagte habe nämlich für sich besonderes Vertrauen in Anspruch genommen und mit dem Ausstellen der Übereinstimmungsbescheinigung die Kaufentscheidung des Klägers erheblich beeinflusst. Der Betrug bestehe darin, dass der Kläger über die Zulassungsfähigkeit des streitgegenständlichen Fahrzeuges getäuscht worden sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat im Wesentlichen eingewandt, das streitgegenständliche Fahrzeug sei in Übereinstimmung mit der EG-Typgenehmigung produziert worden, die weiterhin uneingeschränkt wirksam sei. Das Fahrzeug des Klägers unterliege keinem behördlichen Rückruf. Es halte im Rahmen des standardisierten Prüfverfahrens die nach der Euro 5-Norm maßgeblichen Grenzwerte, insbesondere für Stickoxide, ein. Eine Prüfstandserkennung mit Auswirkung auf das Emissionskontrollsystem gebe es in dem Fahrzeug nicht. Dass die Abgasrückführung u.a. lufttemperaturabhängig gesteuert werde, stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht dar. Eine Haftung der Beklagten aus § 311 BGB bestehe schon deshalb nicht, weil die Beklagte im Zusammenhang mit dem Fahrzeugkauf mit dem Kläger nicht in Verbindung gestanden habe und kein Vertrauenstatbestand vorliege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der vor dem Landgericht gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Endurteils des Landgerichts Amberg vom 02.07.2019 (Bl. 100-106 d.A.) verwiesen.
Mit diesem Endurteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Vortrag des Klägers zum „Thermofenster“ sei nicht ausreichend, um eine wie auch immer geartete Haftung der Beklagten zu begründen. Die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens als Voraussetzung für einen Anspruch aus § 826 BGB sei aufgrund der bisher bekannten Tatsachen auch eher fernliegend. Eine unzulässige Abschalteinrichtung hätte keine Haftung gemäß § 826 BGB zur Folge. Ein bloßer Gesetzesverstoß, der in dem Einbau einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung zu sehen wäre, reiche hierfür nämlich nicht aus.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe des Endurteils vom 02.07.2019 verwiesen.
Dieses Endurteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 03.07.2019 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 30.07.2019, der am gleichen Tag bei dem Oberlandesgericht Nürnberg eingegangen ist, hat der Kläger Berufung eingelegt; mit weiterem Schriftsatz vom 04.11.2019, der am gleichen Tag und damit innerhalb der mehrmals verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen ist, hat der Kläger sein Rechtsmittel begründet.
Der Kläger verfolgt seine erstinstanzlich abgewiesenen Anträge unverändert weiter. Zu Unrecht habe das Landgericht insbesondere den Anspruch des Klägers aus § 826 BGB verneint. Das sittenwidrige Verhalten der Beklagten bestehe darin, dass sie bewusst ein gesetzeswidriges Fahrzeug in den Verkehr gebracht und damit die Erwerber arglistig getäuscht habe. Inzwischen sei auch das streitgegenständliche Fahrzeug vom Kraftfahrt-Bundesamt verpflichtend zurückgerufen worden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei die Klage auch unter den weiteren in der Klageschrift aufgeführten rechtlichen Gesichtspunkten begründet.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
1.Das Urteil des Landgerichts Amberg vom 02.07.2019, 13 O 1098/18, wird aufgehoben und wie folgt abgeändert.
2.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 39.400,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Mercedes Benz GLK 220 CDi 4Matic BlueEfficiency, FIN … sowie abzüglich eines Betrages in Höhe von € 3.959,53 als Entschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
3.Es wird weiter festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Angebotes gemäß Ziff. 1 in Verzug befindet.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Ersturteil, das im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung stehe. Soweit sich der Kläger zur Stützung seiner Auffassung auf erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen beziehe, handele es sich um solche, die nicht gegen die Beklagte ergangen seien, sondern den VW – Motor EA 189 beträfen; der Streitfall liege jedoch gänzlich anders. In der Tat sei zwar das streitgegenständliche Fahrzeug – inzwischen – von einem (nicht bestandskräftigen) Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes betroffen, jedoch nicht etwa deshalb, weil das Kraftfahrt-Bundesamt die Abhängigkeit der Abgasrückführung von Lufttemperaturen für unzulässig halte. Auch habe das Kraftfahrt-Bundesamt keine Manipulation gerügt, die auf eine Prüfstandserkennung ausgerichtet gewesen wäre. Tatsächlich beziehe sich das Kraftfahrt-Bundesamt zur Begründung des Rückrufes auf die Funktion des geregelten Kühlmittel-Thermostaten, die auch als Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung bezeichnet werde. Diese Funktion diene zur Verzögerung der Motorerwärmung im Warmlauf und verringere die Entstehung von Stickoxiden bei der Verbrennung, ohne dass es deshalb zu höheren Partikelemissionen komme, die den Partikelfilter zusätzlich belasteten. Sie wirke sich auch außerhalb des Prüfstandes günstig auf die NOx-Emissionen aus. Dabei halte das Kraftfahrt-Bundesamt die Funktion keineswegs für an sich unzulässig, sondern beanstande nur solche Fahrzeuge, bei denen das geregelte Kühlmittel-Thermostat zur Einhaltung der NOx-Grenzwerte im Prüfzyklus erforderlich sei. Die inzwischen entwickelte geänderte Motorsteuerung („Software-Update“), die auch für das Fahrzeug des Klägers zur Verfügung stehe, bewirke, dass das Fahrzeug auch ohne die Funktion des geregelten Kühlmittel-Thermostaten im Prüfzyklus den NOx-Grenzwert einhalte. Der Rückruf ändere im Übrigen nichts daran, dass die Typgenehmigung, aufgrund derer das streitgegenständliche Fahrzeug produziert worden sei, wirksam und bestandskräftig sei. Nach Aufspielen des Software-Updates habe der Kläger für sein Fahrzeug keine Betriebseinschränkungen zu befürchten.
Der Kläger führt zu der von der Beklagten eingeräumten Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung aus, dass diese Funktion außerhalb der Bedingungen des NEFZ abgeschaltet werde, was dadurch bewirkt werde, dass die Konditionierung des Fahrzeuges vor der Emissionsprüfung erkannt werde. Die Ausführungen der Beklagten zur Verteidigung der Funktion zeigten, dass sie dem Konzept „Rolle = Straße“ gefolgt sei, ihre Fahrzeuge also für die NEFZ-Bedingungen konstruiert habe. Diese Rechtsauffassung sei nicht vertretbar, wie die Schlussanträge der Generalanwältin bei dem Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-693/18 belegten. Im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens hat der Kläger noch auf ein Gutachten des Dr. … vom 12.11.2020 für das Landgericht Stuttgart hingewiesen, aus dem sich ergebe, dass die Beklagte die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung in Abhängigkeit von einer Prüfstandserkennung steuere. Die Beklagte habe hinsichtlich der Abschalteinrichtungen das Kraftfahrt-Bundesamt getäuscht, indem diese Einrichtungen im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens nicht offen gelegt worden seien.
Die Beklagte ist dieser Darstellung entgegengetreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Der Senat hat keinen Beweis erhoben.
II.
Die Berufung des Klägers gegen das seine Klage insgesamt abweisende Endurteil des Landgerichts Amberg vom 02.07.2019 ist zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts trifft auch unter Berücksichtigung des im zweiten Rechtszug erweiterten und vertieften Vorbringens des Klägers zu angeblich unzulässigen Abschalteinrichtungen in seinem Fahrzeug zu, insbesondere also auch in Ansehung der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung und des hierauf gestützten Rückrufes durch das Kraftfahrt-Bundesamt.
1) Eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeuges, das Vorhandensein zumindest einer unerlaubten Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unterstellt, scheidet unter dem Gesichtspunkt eines Betruges (§ 263 StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB) im Streitfall aus, weil der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen bei einem selbständigen Händler erworben hat und deshalb das Erfordernis der Stoffgleichheit nicht erfüllt ist (BGH, Urteil vom 30.07.2020, NJW 2020, 2798).
2) Dahinstehen kann, welche Auswirkungen das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf die Gültigkeit der von der Beklagten ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung hat bzw. hätte, denn die §§ 6, 27 EG-FGV sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB (BGH, a.a.O.).
3) Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu.
a) Ein solcher kommt allerdings in Betracht, wenn ein Automobilhersteller dem Kraftfahrt-Bundesamt zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware vorspiegelt, dass die von ihm hergestellten (Diesel-) Fahrzeuge den maßgeblichen Stickoxid-Grenzwert einhielten, während die Motorsteuerungssoftware entsprechend ihrer Programmierung bewirkt, dass die für die Einhaltung des Grenzwertes erforderliche besonders wirksame Arbeitsweise des Emissionskontrollsystems nur in der – von der Motorsteuerung erkannten – Prüfungssituation erfolgt, während im normalen Fahrbetrieb auch unter Bedingungen, die denen im gesetzlichen Emissionsprüfzyklus entsprechen, das Emissionskontrollsystem anders und hinsichtlich der Stickoxid-Emissionsverringerung weniger wirksam arbeitet als im Prüfzyklus selbst; denn dann wird die Typgenehmigungsbehörde arglistig über das wirkliche Emissionsverhalten des Fahrzeuges getäuscht. Die Ergebnisse der gesetzlichen Emissionsprüfung, mit der festgestellt werden soll, ob das zu prüfende Fahrzeug unter bestimmten äußeren Bedingungen bei einer hinsichtlich Fahrgeschwindigkeit, Beschleunigung, Stillstandszeiten und Streckenlänge exakt vorgeschriebenen Fahrweise den jeweiligen Emissionsgrenzwert einhält, haben dann entgegen der Erwartung der Genehmigungsbehörde für die im wirklichen Fahrzeugbetrieb entstehenden Abgasemissionen keine Aussagekraft. In einem solchen Fall ist die Typgenehmigung objektiv zu Unrecht erteilt worden mit der Folge, dass der Fahrzeugerwerber mit Maßnahmen der Zulassungsbehörde bis hin zur Stilllegung des Fahrzeugs rechnen muss. Infolgedessen erweist sich der Kaufvertrag als für den Käufer nachteilig; darin liegt ggf. sein Schaden. Verhält sich dagegen das Emissionskontrollsystem eines Fahrzeuges auf dem Prüfstand und unter vergleichbaren – nicht unbedingt vollständig identischen – Bedingungen im wirklichen Verkehr grundsätzlich gleich, bedeutet der Einbau einer europarechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung für sich genommen noch kein objektiv sittenwidriges Verhalten des Fahrzeugherstellers (BGH, NJW 2021, 921).
b) Der Senat kann nicht feststellen, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Einrichtung vorhanden ist, die zu einem unterschiedlichen Verhalten des Emissionskontrollsystems je nachdem führt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand zur Emissionsprüfung befindet oder – unter sonst vergleichbaren Bedingungen – im wirklichen Straßenverkehr bewegt wird.
aa) Der Kläger hatte bereits erstinstanzlich die Behauptung aufgestellt, die Motorsteuerung erkenne aufgrund verschiedener Umstände die Prüfungssituation und bewirke dann eine besonders hohe Abgasrückführung mit entsprechend geringem Stickoxidausstoß, wodurch die Einhaltung des gesetzlichen Grenzwertes ermöglicht werde. Diese Behauptung hat er zweitinstanzlich aufgrund des inzwischen erfolgten Rückrufes des Fahrzeuges und des diesbezüglichen Vortrages der Beklagten dahin präzisiert, dass die Prüfstandserkennung über die Kühlmittel-Sollwert-Absenkung auf das Emissionsverhalten seines Fahrzeuges einwirke; die verstärkte Motorkühlung, die zu geringeren Stickoxid-Emissionen führe, werde nur in der Situation der Emissionsprüfung wirksam, sie erkenne diese Situation nämlich an der vorgeschriebenen sog. Konditionierung des Fahrzeuges. Im Betrieb auf der Straße dagegen werde die Funktion deaktiviert.
bb) Verhielte sich das streitgegenständliche Kraftfahrzeug tatsächlich so, so wäre unter Berücksichtigung des von der Beklagten eingeräumten Umstandes, dass die Funktion der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung zur Einhaltung des NOx-Emissionsgrenzwertes im Prüfzyklus erforderlich war, wohl von einem objektiv sittenwidrigen Verhalten der Beklagten auszugehen. Denn dann hätte sie die Einhaltung des NOx-Grenzwertes im Prüfzyklus nur mittels einer Funktion erreicht, die auch unter vergleichbaren Umständen im wirklichen Verkehr nicht oder nur ganz ausnahmsweise in Tätigkeit träte; freilich könnten die Voraussetzungen der Vorkonditionierung zufällig oder „punktuell“ (EuGH, Urteil vom 17.12.2020 in der Rechtssache C-693/18: de maniere ponctuelle) auch außerhalb des Prüfstandlaufes eintreten.
cc) Abgesehen davon, dass der Kläger die Konditionierung unzutreffend darstellt, nämlich mit den Bedingungen, wie sie für Fahrzeuge mit Fremdzündung vorgesehen sind, während für Fahrzeuge mit einem Selbstzündungsmotor (also einem Dieselmotor) ein ganz anderer Temperaturkorridor gilt, gibt es für die Behauptung des Klägers, nur unter dieser Voraussetzung komme es zu einer Aktivierung der Solltemperatur-Regelung, ersichtlich keine tatsächlichen Anhaltspunkte; der Kläger zeigt solche auch nicht auf. Das vom Kläger zitierte Gutachten des Sachverständigen Dr. … vom 12.11.2020 bestätigt die Behauptung des Klägers gerade nicht, sondern gelangt zu dem Ergebnis, dass der Prüfzyklus (NEFZ) an der niedrigen Motordrehzahl und dem geringen Luftmassenstrom erkannt werde; dass im wirklichen Fahrzeugbetrieb die Regelung nicht aktiviert werde, liege daran, dass dort stärker beschleunigt und daher die zunächst aktivierte Sollwert-Absenkung nach 5 Sekunden dauerhaft abgeschaltet werde. Von einer Erkennung der Vorkonditionierung ist in dem Gutachten dagegen nicht die Rede. Die Äußerungen des Kraftfahrt-Bundesamtes, die in dem vom Kläger angeführten Bericht des Bayer. Rundfunks zitiert werden, lassen eine solche Abhängigkeit ebenso wenig erkennen. Das Kraftfahrt-Bundesamt spricht dort nur von „Prüfbedingungen“. Welche Bedingungen dies sind und ob es sich dabei um solche handelt, die in der Regel nur auf dem Prüfstand verwirklicht sein können (wie etwa die Vorkonditionierung), bleibt offen. Amtliche Auskünfte des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber verschiedenen Gerichten, darunter dem Oberlandesgericht Naumburg, zitiert in der Entscheidung vom 18.09.2020 (8 U 8/20), belegen die Behauptung des Klägers ebenso wenig. Alle diese Auskünfte besagen, dass die Sollwert-Absenkung, die im Motorwarmlauf für geringere Stickoxid-Emissionen sorgt, weil sie die Anwendung erhöhter Abgasrückführungsraten ermöglicht, auch im realen Verkehr grundsätzlich greife, allerdings bei Abweichungen von den „Prüfbedingungen des NEFZ“, die im realen Verkehr zu erwarten seien, „oft“ abgeschaltet werde. Damit hat das Kraftfahrt-Bundesamt bestätigt, dass bei Bedingungen, die den Prüfbedingungen des NEFZ vergleichbar sind, die Sollwert-Absenkung im wirklichen Verkehr nicht anders arbeite als bei der Emissionsprüfung auf dem Rollenprüfstand. Das entspricht im übrigen der – freilich als Vorwurf gemeinten – Behauptung des Klägers, die Beklagte habe ihre Konstrukteure angewiesen, das Emissionskontrollsystem so zu gestalten, dass es unter gleichen Bedingungen auf dem Emissionsprüfstand ebenso arbeite wie im Realbetrieb (Konzept „Rolle = Straße“). Hierauf kommt es nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer objektiven Sittenwidrigkeit an, wenn dafür nicht noch zusätzliche Umstände angeführt werden können, weshalb der Senat der Auffassung des OLG Naumburg in seiner Entscheidung vom 18.9.2020, die ein typgleiches Fahrzeug betrifft, nicht folgt. Freilich ist diese Entscheidung noch vor der Thermofenster-Entscheidung des Bundesgerichtshofs ergangen, konnte also die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Abgrenzungsgrundsätze noch nicht berücksichtigen. Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterscheidet sich der Streitfall entgegen der Meinung des 8. Zivilsenats des OLG Naumburg doch wesentlich von dem des bekannten VW-Motors EA 189.
Neben der erwähnten Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes (vom 20.05.2020), welche im Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg wiedergegeben ist, verweist der Senat insbesondere auf die Auskünfte des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 19.04.2021 gegenüber dem Landgericht Koblenz betreffend ein Fahrzeug vom Typ GLA 220 CDI sowie vom 18.01.2021 gegenüber dem Oberlandesgericht Celle zum dortigen Verfahren 7 U 90/20 betreffend ein – dem streitgegenständlichen typ-gleiches – Fahrzeug des Modells GLK 220 CDI. In beiden Auskünften hat das Kraftfahrt-Bundesamt ausdrücklich das Vorliegen einer Prüfstandserkennung verneint, obwohl im zweiten Fall – wie im Fall des Klägerfahrzeuges – eine Beanstandung wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt war.
dd) Zwar hat der Sachverständige Dr. … in dem vom Kläger zitierten Gutachten – das allein auf einer Auswertung eines Kennfeldes der Motorsteuerung beruht – in der Tat die Auffassung geäußert, die Sollwert-Absenkung arbeite in Abhängigkeit von einer Prüfstandserkennung. Diese Aussage bezieht sich jedoch nicht auf den Realbetrieb unter gleichen Bedingungen wie im Prüfzyklus, sondern auf eine hiervon abweichende „normale“ Fahrweise, wobei der Sachverständige auf die geringen Beschleunigungen im Prüfzyklus hinweist, die dem tatsächlichen Fahrverhalten im Realbetrieb nicht entsprächen. Als Schaltkriterium hat der Sachverständige allerdings nicht die Beschleunigung selbst identifiziert, die im NEFZ in der Tat mit maximal 1,08 m/sec2 sehr gering angesetzt ist, sondern – vermeintlich – eine Motordrehzahl von 1500 U/min, bei deren Überschreitung für mehr als 5 Sekunden die Sollwert-Absenkung dauerhaft deaktiviert werde. Ob Beschleunigungsvorgänge im innerstädtischen Verkehr tatsächlich – unter realistischen Bedingungen, die keineswegs ständige Kolonnenfahrt bedeuten – häufig oder sogar regelmäßig zu einer Erfüllung dieses – angenommenen – Schaltkriteriums führen, erscheint zweifelhaft, kann aber dahinstehen. Denn der Sachverständige hat, wie er selbst einräumt, mit Wahrscheinlichkeit das von ihm untersuchte Kennfeld der Motorsteuerung falsch dargestellt; vertauscht man die Achsen des Kennfeldes, verschwindet die vom Sachverständigen bemerkte Unplausibilität, jedoch stellt sich dann als anzunehmendes Schaltkriterium für die Deaktivierung der Sollwert-Absenkung eine Motordrehzahl von 2500 U/min dar. Deren Überschreitung für mehr als 5 Sekunden dürfte jedenfalls im innerstädtischen Verkehr, auf den der NEFZ in seinem ersten Teil ausgerichtet ist, kaum vorkommen; dies müsste nämlich zu einer erheblichen Überschreitung der erlaubten Geschwindigkeit führen. Bei diesem Verständnis des Gutachtens des Sachverständigen Dr. … lässt sich aus ihm kein Anhalt für eine indirekte Prüfstandserkennung ableiten, so dass offen bleiben kann, ob von einer Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und damit von einem objektiv sittenwidrigen Verhalten des Kraftfahrzeugherstellers auch dann gesprochen werden kann, wenn eine zur Einhaltung des Emissions-Grenzwertes im Prüfzyklus notwendige Funktion zwar grundsätzlich im wirklichen Straßenverkehr ebenso arbeitet wie auf dem Rollenprüfstand beim Durchfahren des Prüfzyklus, jedoch so gestaltet ist, dass sie bei „normaler“, d.h. im wirklichen Verkehr üblicher Fahrweise so gut wie immer deaktiviert wird.
ee) Hinsichtlich der von der Außentemperatur abhängigen Steuerung der Abgasrückführung, also des sog. Thermofensters der Abgasrückführung, behauptet der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr, dass diese Funktion unter vergleichbaren Bedingungen außerhalb des Prüfstandes anders arbeite als in der Prüfung selbst. Er beanstandet lediglich, dass die Stickoxid-Emissionen außerhalb der Rahmenbedingungen des Prüfstands, also unter vom Prüfzyklus abweichenden Bedingungen, stark anstiegen und dann der Stickoxid-Emissionsgrenzwert überschritten werde. Wird die Abgasrückführung aber, soweit es den Parameter Außentemperatur angeht, unter vergleichbaren Bedingungen außerhalb des Prüfstands, also im wirklichen Straßenverkehr, und in der Prüfung selbst in gleicher Weise gesteuert, so ist nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2021, 921) nicht von vorneherein ein sittenwidriges Handeln der Beklagten anzunehmen, selbst wenn sich diese Art der Steuerung der Abgasrückführung als nicht zulässig darstellen sollte. Dies ist auch, soweit ersichtlich, die Auffassung aller Oberlandesgerichte. Auch dem in diesem Zusammenhang gelegentlich zitierten Urteil des OLG Wien vom 30.10.2019 (R 62/19 w) lässt sich etwas anderes nicht entnehmen; diese Entscheidung befasst sich nur mit kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüchen in einem VW-Fall.
Im übrigen hätte die Beklagte nach dem eigenen Vortrag des Klägers, weil sie das Konzept „Rolle = Straße“ zugrundegelegt hätte, unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine objektive Sittenwidrigkeit geradezu planmäßig vermieden. Aus dieser Rechtsprechung dürfte zudem abzuleiten sein, dass das genannte Konstruktionskonzept keineswegs gänzlich unvertretbar ist, wie der Kläger meint.
c) Ist also davon auszugehen, dass sich das Emissionskontrollsystem des streitgegenständlichen Fahrzeuges im wirklichen Verkehr unter vergleichbaren Bedingungen nicht anders verhält als in der gesetzlichen Emissionsprüfung, so kommt eine Haftung wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nur in Betracht, wenn – mindestens – die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und Verwendung der die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinflussenden Steuerungen – deren Unzulässigkeit unterstellt – in dem Bewusstsein handelten, unzulässige Abschalteinrichtungen zu verwenden, und den darin enthaltenen Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, also vorsätzlich handelten (BGH, a.a.O sowie MDR 2021, 483).
Der Senat kann ein vorsätzliches Handeln der Beklagten jedoch nicht feststellen.
aa) Für die – unter anderem – von der Lufttemperatur abhängige Steuerung der Abgasrückführung („Thermofenster“) gilt, dass jedenfalls zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell (im Februar 2014) die Verwendung temperaturabhängiger Steuerungen der zur Verringerung der Stickoxid-Emissionen dienenden Abgasrückführung herstellerübergreifend üblich war und von den Genehmigungsbehörden auch nicht beanstandet wurde; noch im Jahr 2020 hat das Kraftfahrt-Bundesamt sog. Software-Updates, die eine AGR-Ratenabsenkung bei kälteren Umgebungstemperaturen beinhalten, genehmigt, wenn dabei die gesetzlichen Vorschriften eingehalten wurden, also bei den Typprüfungen der maßgebliche Grenzwert nicht überschritten wurde (siehe dazu Veröffentlichung des KBA zur Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren, Stand 10.01.2020, S. 14, abrufbar unter www.kba.de). Im Übrigen hat bislang das Kraftfahrt-Bundesamt die Verwendung temperaturabhängiger Abgasrückführungen in den (Diesel-)Fahrzeugen der Beklagten in keinem einzigen Fall beanstandet. Zahlreiche Oberlandesgerichte teilen die Auffassung des Senats, die er bereits in seinem Urteil vom 19.07.2019 (5 U 1670/18) vertreten hat, dass die Rechtslage bezüglich der (Un-) Zulässigkeit einer temperaturabhängigen Variation der Abgasrückführung zu dem damaligen Zeitpunkt durchaus nicht so eindeutig war, dass sich die Unzulässigkeit förmlich aufgedrängt hätte. Dies gilt sowohl für die Reichweite der im Gesetz nur allgemein formulierten sog. Motorschutzausnahme wie auch für die Frage, ob eine bestimmte Emissionsminderungstechnik, die – wie etwa die Abgasrückführung – aufgrund physikalischer und technischer Gegebenheiten nicht unter allen Betriebsumständen eines Kraftfahrzeuges mit gleicher – absoluter oder relativer – Wirksamkeit arbeiten kann – oder dies allenfalls unter Inkaufnahme erheblicher Nachteile für die Zuverlässigkeit oder Haltbarkeit des Motors oder die Partikelemissionen könnte – überhaupt unter den Begriff der Abschalteinrichtung subsumiert werden kann. An seiner Auffassung zur Uneindeutigkeit der damaligen Rechtslage hält der Senat fest; ihm ist bislang von keinem Obergericht widersprochen worden. Die Beklagte kann also ein – mindestens – vertretbares Normverständnis für sich in Anspruch nehmen; die damalige Genehmigungspraxis stützt ihren Standpunkt. Die Beklagte hat die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung im Typgenehmigungsverfahren auch nicht verschwiegen. Der im Termin vor dem Senat vorgelegte Beschreibungsbogen enthält eine Auflistung der die Abgasrückführung steuernden Parameter, unter denen sich auch die Angabe „Lufttemperatur“ findet. Eine detaillierte Beschreibung, etwa unter Offenlegung des Kennfeldes oder der Kennfelder, war nach der damaligen Rechtslage nicht gefordert und ist von der Genehmigungsbehörde auch nicht verlangt worden.
bb) Für die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung gilt nichts anderes. Auch wenn der Auffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes zu folgen sein sollte, dass diese Einrichtung der Emissionskontrolle in der Ausgestaltung, wie sie in dem streitgegenständlichen Verwendung gefunden hat, europarechtlich nicht zulässig ist, rechtfertigte dies nicht den Schluss auf ein vorsätzliches Handeln der Beklagten. Es handelt sich bei der Regelung um eine Funktion, die nur während des Motorwarmlaufes – und damit zwangsläufig im NEFZ, der einen Kaltstart vorsieht – wirksam wird und durch die Vorgabe einer erniedrigten Solltemperatur des Kühlmittels von ca. 70° C – die zu einem früheren Öffnen des Kühlwasserthermostaten führt – die Erwärmung des Motors verzögert, was sich für die Stickoxid-Emissionen vorteilhaft auswirkt, insbesondere deshalb, weil in dieser Phase die Anwendung erhöhter Abgasrückführungsraten möglich ist. Unter vergleichbaren Bedingungen tritt derselbe Emissionsvorteil auch im realen Fahrbetrieb ein, in einem gewissen Bereich, der über die Bedingungen der Emissionsprüfung hinausgeht, geschieht dasselbe, wenn auch die Einrichtung, so das Kraftfahrt-Bundesamt, in diesem Bereich „oft“ nicht in Tätigkeit trete. Der Argumentation der Beklagten, auf diese Weise werde für Kurzstreckenfahrten, die einen erheblichen Teil der Einsätze eines Kraftfahrzeuges ausmachten, ein zusätzlicher Emissionsvorteil geschaffen, der sich gerade im innerstädtischen Verkehr bemerkbar mache, ist nicht von der Hand zu weisen; vom Kläger wird ihr nichts entgegengesetzt. Dass dies gleichwohl nicht zulässig sei, musste sich der Beklagten keinesfalls aufdrängen, und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Funktion – nicht generell, aber bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugmodell – zur Einhaltung des Stickoxid-Grenzwertes im Prüfzyklus benötigt wurde. Auch die Abgasrückführung ist zur Einhaltung des Stickoxid-Grenzwertes im Prüfzyklus erforderlich und wird unter Bedingungen, die von den Prüfbedingungen im Hinblick auf die Außentemperatur abweichen, „oft“ in ihrer Wirkung reduziert, ohne dass das Kraftfahrt-Bundesamt hieran jemals Anstoß genommen hätte. Dass die Behörde an die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung einen anderen Maßstab anlegen werde, musste sich der Beklagten zumindest nicht in der Weise aufdrängen, dass vorsätzliches Handeln angenommen werden könnte. Der Kläger hat auch nicht darzulegen vermocht, aus welchen Umständen sich gleichwohl der Schluss auf vorsätzliches Handeln der Beklagten rechtfertigen sollte.
Hinsichtlich einer etwaigen Verheimlichung oder „Verschleierung“ der Funktion ist darauf hinzuweisen, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug eine genaue Beschreibung der Emissionsstrategien im Typgenehmigungsverfahren nicht vorgeschrieben war. Erst seit Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2016/646 vom 20.04.2016 müssen im Typgenehmigungsverfahren detaillierte Beschreibungen der Standard-Emissionsstrategien und etwaiger zusätzlicher Emissionsstrategien vorgelegt werden. Dass die Beklagte nicht verpflichtet gewesen wäre, bei der Beantragung der Typgenehmigung die Funktion der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung darzustellen, hat im Übrigen auch das Kraftfahrt-Bundesamt in amtlichen Auskünften bestätigt, so etwa in der Auskunft vom 03.03.2021 gegenüber dem Landgericht Freiburg i. Breisgau zum dortigen Verfahren 6 O 279/19 und in einer Auskunft vom 27.01.2021 gegenüber dem OLG Stuttgart zum dortigen Verfahren 16 U 56/19.
4) Dem Kläger steht auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 311 Abs. 3 BGB – mit dem sich das Landgericht nicht befaßt hat – kein Anspruch zu. Die Beklagte war an dem Zustandekommen des Kaufvertrages nicht beteiligt. Sie hat auch nicht etwa dadurch besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen, dass dem Kläger – möglicherweise – ein Verkaufsprospekt der Beklagten vorgelegen hatte oder der Kläger – mit oder ohne Prospekt – Fahrzeugen der Beklagten eine besondere Qualitätserwartung entgegengebracht hat. Ein etwaiges „Markenprestige“ genügt für eine Vertrauenshaftung nicht.
Die Ausstellung einer Übereinstimmungsbescheinigung kann schon deshalb keinen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen haben, weil dies eine rechtliche Selbstverständlichkeit ist, ohne deren Einhaltung ein Fahrzeug nicht in den Verkehr gebracht werden kann.
Nach alledem ist die Berufung des Klägers nicht begründet. Sie wird mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.
5) Die Revision ist nicht zuzulassen. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs inzwischen geklärt. Der Senat weicht auch nicht von der Rechtsprechung anderer Obergerichte ab, ausgenommen die Entscheidung des OLG Naumburg vom 18.09.2020 (8 U 8/20), die aber durch die Rechtsprechung des BGH, insbesondere den Beschluss vom 19.01.2021 (NJW 2021, 921), nach Auffassung des Senats überholt ist.


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