Europarecht

Dringlichkeitsschädlicher Verfügungsantrag wegen Patentverletzung mehrere Jahre nach Einreichung der Hauptsacheklage

Aktenzeichen  21 O 5436/21

Datum:
14.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 44670
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 563 Abs. 2, § 572 Abs. 3, § 935
PatG § 83

 

Leitsatz

1. Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendige Dringlichkeit kann schlechterdings nicht angenommen werden, wenn die Patentinhaberin bereits seit mehreren Jahren Kenntnis von der möglichen Patentverletzung hat, weswegen sie vor einem ersten Landgericht eine Hauptsacheklage erhoben hat, die sie nach über einem Jahr wieder zurückgenommen und bei einem zweiten Landgericht neu eingereicht hat, ehe sie nach mehr als einem weiteren Jahr den Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen der nämlichen Patentverletzung beantragt.  (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wer den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, kann sich im Hinblick auf die Dringlichkeit des Verfügungsantrages nicht mit Erfolg darauf berufen, eine Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren abwarten zu dürfen, um die Dringlichkeitsfrist zu wahren.  (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 24.04.2021 wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.
Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung und Herausgabe an den Gerichtsvollzieher wegen behaupteter wortsinngemäßer Verletzung des deutschen Teils des Patentes EP 1 249 955 in der mit Urteil des Bundespatentgerichts vom 24.03.2021 aufrechterhaltenen Fassung („Verfügungspatent“) in Anspruch.
Das seinem Gegenstand nach eine OFDM Nachrichtenübertragungsvorrichtung betreffende Verfügungspatent wurde am 14.11.2001 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 17.11.2000 beim Europäischen Patentamt angemeldet. Die Erteilung wurde am 26.01.2011 veröffentlicht. Beim Deutschen Patent- und Markenamt ist das Verfügungspatent unter dem Az. 601 43 934.1 für die Verfügungsklägerin eingetragen und steht derzeit in Kraft (Anlage AS 6).
Am 29.11.2018 erhob die Verfügungsbeklagte Nichtigkeitsklage gegen das Verfügungspatent zum Bundespatentgericht (Az. 5 Ni 32/18 (EP), Anlage AS 1). Gemäß § 83 Abs. 1 PatG wies das Bundespatentgericht am 08.12.2020 darauf hin, dass das Verfügungspatent nach vorläufiger Einschätzung mit Blick auf den Stand der Technik gemäß Anlage NK 8 (… „A flexible spread-spectrum multi-carrier multiple-access system form multi-media applications“) neuheitsschädlich vorweggenommen sein dürfte. Mit Urteil vom 24.03.2021 wurde das Verfügungspatent indes in der eingeschränkten Fassung gemäß Anlage AS 2a aufrechterhalten.
Unter dem Datum vom 19.08.2018 machte die Verfügungsklägerin zunächst Ansprüche auf Auskunft und Schadensersatzfeststellung wegen Verletzung des Verfügungspatents im Wege einer zum Landgericht Düsseldorf erhobenen Klage geltend (Anlage VP 2). Die dort unter dem Az. 4b O 53/18 anhängige Klage nahm die Verfügungsklägerin am 12.02.2020 zurück. Am 20.02.2020 reichte die Verfügungsklägerin sodann wiederum wegen Verletzung des Verfügungspatents eine erneute, nunmehr über die zuvor geltend gemachten Auskunfts- und Schadensersatzansprüche hinaus auch auf Unterlassung gerichtete Hauptsacheklage beim Landgericht München I ein, wo diese unter dem Az. 21 O 2162/20 anhängig ist.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass das von ihr geltend gemachte Verfügungspatent eine im Rahmen des WLAN-Standards in der Version IEEE 802.11n (sog. WiFi-Standard) optional vorgesehene technische Lehre schützt. Diese sei insbesondere in den mit dem streitgegenständlichen Verfügungsantrag angegriffenen Smartphone des Typs „ZTE Axon 11 5G“ implementiert. Der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendige Verfügungsgrund liege vor, weil sie den Verfügungsantrag binnen der für die Beurteilung der Dringlichkeit maßgeblichen Monatsfrist gestellt habe. Die Dringlichkeitsfrist sei dabei ab der Entscheidung des Bundespatentgerichts vom 24.03.2021 zu berechnen, da erst zu diesem Zeitpunkt feststand, in welcher Fassung das Verfügungspatent hinreichend rechtsbeständig sei.
Gemäß Antragsschrift vom 24.04.2021 hat die Antragstellerin beantragt,
I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter der persönlich haftenden Gesellschafterin der Antragsgegnerin zu vollziehen ist, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu insgesamt zwei Jahren, verboten,
Kommunikations-Endgerätvorrichtungen, die mit einer OFDM-Kommunikationsvorrichtung versehen sind und die weiter umfassen:
einen Bestimmungsabschnitt (102); und einen Erzeugungsabschnitt (104), der so eingerichtet ist, dass er inverse Fourier-Transformations-Verarbeitung an einem Informationssignal und einer durch den Bestimmungsabschnitt (102) bestimmten Anzahl bekannter Signale für Übertragungsweg-Schätzung durchführt, wobei die bekannten Signale für Übertragungsweg-Schätzung die Übertragungsweg-Schätzungs-Präambel-Symbole sind, und ein Burst-Einheits-Signal für einen Kommunikationsteilnehmer erzeugt, wobei das Burst-Einheits-Signal die von dem Bestimmungsabschnitt (102) bestimmte Anzahl von Übertragungsweg-Schätzungs-Präambel-Symbole und das Informationssignal enthält,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
wenn der Bestimmungsabschnitt (102) so eingerichtet ist, dass er die Anzahl bekannter Signale für Übertragungsweg-Schätzung, die in das Burst-Einheits-Signal eingefügt werden sollen, auf Basis von Kanalqualität in Bezug auf den Kommunikationsteilnehmer bestimmt.
II. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die unter Ziff. I. bezeichneten Erzeugnisse, die sich in ihrem Besitz oder Eigentum befinden, soweit diesen nach dem 21.01.2021 in ihren Besitz oder ihr Eigentum gelangt sind, an den Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Verwahrung herauszugeben, die andauert, bis über das Bestehen eines Vernichtungsanspruchs zwischen den Parteien rechtskräftig entschieden oder eine einvernehmliche Regelung herbeigeführt worden ist.
Die Verfügungsbeklagte hat unter dem Datum vom 21.04.2021 eine Schutzschrift beim zentralen Schutzschriftenregister hinterlegt, mit der sie beantragt hat,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Nach Ansicht der Verfügungsbeklagten liegt ungeachtet der nach ihrem Dafürhalten nicht gegebenen Patentverletzung bereits der erforderliche Verfügungsgrund nicht vor. Die insoweit notwendige Dringlichkeit fehle bereits deswegen, weil die Verfügungsklägerin schon im Jahr 2018 eine lediglich auf Auskunft und Schadensersatz gerichtete Klage wegen Verletzung des Verfügungspatents beim Landgericht Düsseldorf erhoben habe. Dieses Verfahren habe die Verfügungsklägerin zudem nur zögerlich betrieben. So habe sie auf die Klageerwiderung vom 30.11.2018 nicht umfassend repliziert, sondern am 30.04.2019 lediglich zur fehlenden Aktivlegitimation vorgetragen, um schließlich am 12.02.2020 die Klage zurückgenommen und am 20.02.2020 neu zum Landgericht München I erhoben.
Mit Beschluss vom 28.04.2021 wies das Landgericht München I den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Zur Begründung verwies die Kammer im Wesentlichen darauf, dass bereits in zeitlicher Hinsicht kein Verfügungsgrund gegeben sei. Die Erhebung der parallelen Hauptsacheklage im Jahr 2020 zeige, dass der Verfügungsklägerin die nach ihrer Behauptung erfolgte Patentverletzung bereits zum damaligen Zeitpunkt bekannt war. Das Abwarten einer kontradiktorischen Entscheidung sei, wie die Kammer in ihrem Vorlagebeschluss vom 19.01.2021 (Az. 21 O 16782/20, GRUR 2021, 466 ff.) dargelegt habe, nicht erforderlich. Hiergegen legte die Verfügungsklägerin am 07.05.2021 sofortige Beschwerde ein, welcher das Landgericht München I gemäß Beschluss vom 14.05.2021 nicht abhalf.
Die Verfügungsklägerin vertritt die Auffassung, dass sie entgegen der Ansicht der Kammer die Rechtsbestandsentscheidung des Bundespatentgerichts abwarten durfte. Erst im Anschluss daran habe sie mit den hinreichenden Erfolgsaussichten einen Verfügungsantrag einreichen können. Das Abwarten der Entscheidung könne ihr daher nicht als dringlichkeitsschädlich entgegengehalten werden. Jedenfalls sei die Dringlichkeit mit der das Verfügungspatent in beschränkter Fassung aufrechterhaltenden Entscheidung des Bundespatentgerichts wieder aufgelebt.
Die Verfügungsklägerin beantragte insoweit, den zurückweisenden Beschluss des Landgerichts München I vom 28.04.2021 aufzuheben und die einstweilige Verfügung gemäß der Antragsschrift vom 24.04.2021 zu erlassen. Die Verfügungsbeklagte ist dem entgegengetreten und beantragte, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Verfügungsverfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen C-44/21 auszusetzen. Nach Ansicht der Verfügungsbeklagten könne die Verfügungsklägerin wegen der von ihr nur zögerlich erfolgten Rechtsdurchsetzung eine Dringlichkeit im vorliegenden Fall nicht begründen.
Mit Beschluss vom 28.05.2021 hob das Oberlandesgericht München den Beschluss des Landgerichts München I vom 28.04.2021 auf und verwies das Verfahren – auch zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – an das Landgericht zurück. Das Landgericht habe zwar im Ausgangspunkt zutreffend darauf abgestellt, dass die Dringlichkeitsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn der Verfügungskläger von der zu beanstandenden Verhaltensweise und dem hierfür Verantwortlichen positive Kenntnis hat oder die fehlende Kenntnis auf grob fahrlässiger Unkenntnis beruht und er im Besitz der Glaubhaftmachungsmittel ist, um mit hinreichender Erfolgsaussicht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen zu können. Allerdings rüge die Verfügungsklägerin zu Recht, dass die Dringlichkeit in zeitlicher Hinsicht nicht allein mit der Begründung verneint werden könne, der Verfügungsklägerin sei die Verletzung und die hierfür verantwortliche Partei bereits im Jahr 2020 bekannt gewesen. Vielmehr bedürfe es für die Annahme eines dringlichkeitsschädlichen Zuwartens der Feststellung, dass es der Antragstellerin vor der Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren möglich war, den hinreichend gesicherten Rechtsbestand des Verfügungspatents darzutun und glaubhaft zu machen. Dies habe das Landgericht nicht ausgeführt. Im Gegenteil zeige der Gang des Nichtigkeitsverfahrens in Gestalt des qualifizierten Hinweises vom 08.12.2020 und der Entscheidung vom 24.03.2021, dass die vorgebrachten Einwendungen nicht ohne Weiteres als offensichtlich nicht durchgreifend erachtet werden konnten. Daher könne die Dringlichkeit in zeitlicher Hinsicht mit der vom Landgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Da das Landgericht zudem ohnehin mit dem Hauptsacheverfahren befasst sei, sei ausnahmsweise eine Zurückweisung gemäß § 572 Abs. 3 ZPO gerechtfertigt.
Die Verfügungsbeklagte ergänzte ihren Vortrag dahingehend, dass die pandemiebedingte Verlegung mündlicher Verhandlungen über die Frage der zu leistenden Prozesskostensicherheit vor dem Landgericht Düsseldorf eine Dringlichkeit entgegen der Verfügungsklägerin nicht begründen könne. Entscheidend sei, dass die Verfügungsklägerin die Rechtsdurchsetzung nur zögerlich betrieben habe, indem sie nach fristgemäßer Einreichung der Klageerwiderung durch die Verfügungsbeklagte in dem vor dem Landgericht Düsseldorf zunächst anhängigen Verletzungsverfahren zunächst die Prozessbevollmächtigten ausgetauscht, dann nur beschränkt zur Frage der Aktivlegitimation repliziert, die Klage zurückgenommen und vor dem Landgericht München I neu erhoben habe.
Die Verfügungsklägerin trug dagegen weiter vor, dass es ihr nicht zumutbar gewesen wäre, vor der Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen, da ein solcher nicht hinreichende Erfolgsaussichten gehabt hätte. Ergänzend wies sie darauf hin, dass das Landgericht an die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts gemäß dessen Beschluss vom 28.05.2021 gemäß § 563 Abs. 2 ZPO analog gebunden sei.
Das Landgericht hat am 14.07.2021 zur Sache verhandelt. Die Verfügungsklägerin stellte ihre Anträge aus der Antragsschrift vom 24.04.2021. Die Verfügungsbeklagte stellte ihre Anträge aus der Schutzschrift vom 21.04.2021.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 14.07.2021 sowie die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und den weiteren Akteninhalt verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung war auch nach nochmaliger Prüfung zurückzuweisen. Es bleibt dabei, dass bereits der Verfügungsgrund nicht gegeben ist. Dabei kann die Kammer offenlassen, ob und inwieweit eine Bindung an die Beurteilung des Beschwerdegerichts gemäß § 563 Abs. 2 ZPO analog besteht.
Nach dem Sachvortrag der Verfügungsbeklagten liegt unabhängig von der ab dem Jahr 2018 bestehenden Kenntnis von der behaupteten Verletzungshandlung und der insoweit verantwortlichen Verfügungsbeklagten ein sonstiges, ohne sachlichen Grund erfolgtes zögerliches Verhalten auf Seiten der Verfügungsbeklagten vor, das den für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendigen Verfügungsgrund nach dem Dafürhalten der Kammer im Ergebnis ausschließt (nachfolgend Ziff. 1). Auch unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung kann der für den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung notwendige Verfügungsgrund nicht bejaht werden (nachfolgend Ziff. 2).
Ungeachtet dessen hält die Kammer an ihrer Rechtsansicht und damit der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses vom 28.04.2021 fest, wonach der Grundsatz des Erfordernisses einer positiven Rechtsbestandsentscheidung zur Bejahung der Dringlichkeit nicht mit Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG vereinbar ist (LG München I GRUR 2021, 466); diese Ansicht wird uneingeschränkt auch von der Europäischen Kommission geteilt (nachfolgend Ziff. 3).
1. Eine Dringlichkeit ist nach den Grundsätzen der Selbstwiderlegung zu verneinen.
a) In rechtlicher Hinsicht gilt insoweit folgender Maßstab: Ungeachtet der Frage des hinreichend gesicherten Rechtsbestands des Verfügungspatents und des insoweit relevanten Prüfungsmaßstabes fehlt ein Verfügungsgrund immer dann, wenn der Antragsteller die Annahme der Dringlichkeit durch sein eigenes Verhalten ausgeschlossen hat, insbesondere weil er nach Eintritt der Gefährdung seines Rechts lange Zeit mit einem Antrag zugewartet oder das Verfügungsverfahren nicht zügig betrieben hat (vgl. OLG München, Urt. v. 22.04.2021, Az. 6 U 6968/20, GRUR-RR 2021, 297, 289 – Cinacalcet; Urt. v. 30.06.2016, Az. 6 U 531/16, GRUR-RR 2016, 499, 505; Beschl. v. 24.08.2018, Az. 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, 3118 Rn. 54; KG, Urt. v. 09.02.2001, Az. 5 U 9667/00, NJW 2001, 1201, 1202; Mayer in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 41. Edition, Stand: 01.07.2021, § 935 ZPO, Rn. 16). Dringlichkeitsschädlich ist eine späte Antragstellung immer dann, wenn einem Gläubiger die Gefährdung seiner Rechtsstellung bekannt war oder aus grober Fahrlässigkeit unbekannt blieb. Hat der Verfügungskläger gleichartige Verstöße in der Vergangenheit hingenommen, ist die Dringlichkeit grundsätzlich zu verneinen, es sei denn, Art oder Umfang der Verstöße ändern sich wesentlich und die neuen Verletzungshandlungen wiegen für den Antragsteller schwerer als die bisherigen (Mayer in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 41. Edition, Stand: 01.07.2021, § 935 ZPO, Rn. 17 f. m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit stets, ob die Verfügungsklägerin das Ihrige getan hat, um ihre Verbietungsrechte zügig durchzusetzen, also ob sie ihre Rechtsverfolgung in einer Weise vorantreibt, die die Ernsthaftigkeit ihres Bemühens erkennen lässt und es deswegen objektiv rechtfertigt, ihr Zugang zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu gewähren. Dabei ist nicht von Belang, ob jede Aufklärungs- und Verfolgungsmaßnahme für sich betrachtet gegebenenfalls auch zügiger hätte absolviert werden können. Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung, aufgrund der unter Berücksichtigung der Gesamtumstände festgestellt werden kann, dass der Antragsteller im Rahmen der Ermittlung des Verletzungssachverhalts nicht die gebotene Eile und Zielstrebigkeit an den Tag gelegt hat, um den Schluss zu rechtfertigen, dass sie auf die Durchsetzung ihres Rechtsschutzziels in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren angewiesen ist (OLG München, Urt. v. 22.04.2021, Az. 6 U 6968/20, GRUR-RR 2021, 297, 298, Rn. 49 f. – Cinacalcet m.w.N.).
b) Diese Maßstäbe zu Grunde gelegt, kann eine Dringlichkeit nach der Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall schlechterdings nicht angenommen werden. Wie die bereits im Juni 2018 vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die Verfügungsbeklagte erhobene Klage zeigt, war der Verfügungsklägerin bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung vor dem Landgericht München I am 20.02.2021 seit über 1,5 Jahren positiv bekannt, dass seitens der Verfügungsbeklagten hergestellte und vertriebene Produkte möglicherweise von der technischen Lehre des Verfügungspatents in rechtswidriger Weise Gebrauch machen. Dazu kommt, dass die zunächst von der Verfügungsklägerin erhobene Hauptsacheklage auf Auskunfts- und Schadensersatzansprüche beschränkt war. Gründe, die die Verfügungsklägerin an einer frühzeitigen Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs gehindert haben könnten, sind weiterhin nicht ersichtlich. Die Verfügungsklägerin hat die erforderlichen Schritte zur Rechtsverfolgung und -durchsetzung ganz offensichtlich nicht „mit der gebotenen Zielstrebigkeit“ (vgl. OLG München a.a.O. Rn. 52 – Cinacalcet) unternommen. Angesichts dieses auch vom OLG München zugrundegelegten Maßstabs der zügigen Rechtsdurchsetzung auf der Antragstellerseite (OLG München a.a.O. Rn. 53 – Cinacalcet) ist nicht verständlich, weshalb einerseits der zeitliche Verzug von einigen Wochen in einem Testlabor, in dem im Auftrag einer Patentinhaberin die Frage der Zusammensetzung des pharmazeutischen Präparats eines Wettbewerbers untersucht wird, dringlichkeitsschädlich sein soll, wenn die Untersuchung nicht mit Nachdruck vorangetrieben wird (OLG München a.a.O. – Cinacalcet), während – wie hier – eine mit Blick auf die Rechtsdurchsetzung viel länger währende Untätigkeit bei der Rechtsdurchsetzung offenbar nicht ohne weitere „Feststellungen“ dringlichkeitsschädlich sein soll.
Allein vor diesem Hintergrund erscheint es als widersprüchlich und dringlichkeitsschädlich, nunmehr, nahezu drei Jahre später dringend auf die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruch angewiesen zu sein. Die Verletzungshandlung und die entsprechend verantwortliche Person sind der Verfügungsklägerin vielmehr spätestens seit Juni 2018 bekannt. Die Annahme einer Dringlichkeit erscheint der Kammer bei dieser Sachlage ausgeschlossen.
Dazu kommt, dass die Verfügungsklägerin die Rechtsdurchsetzung sogar im zunächst vor dem Landgericht Düsseldorf anhängigen Hauptsacheverfahren nur zögerlich betrieben hatte. So hat sie nach insoweit unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Verfügungsbeklagten nach fristgemäßer Einreichung der Klageerwiderung durch die Verfügungsbeklagte in dem vor dem Landgericht Düsseldorf zunächst die Prozessbevollmächtigten ausgetauscht, dann nur beschränkt zur Frage der Aktivlegitimation repliziert, die Klage am 12.02.2020 zurückgenommen und am 20.02.2020 vor dem Landgericht München I neu erhoben. Wird aber eine Klage wegen Patentverletzung über einen Zeitraum von über 1,5 Jahren hinweg einerseits nur zögerlich betrieben und sodann zurückgenommen und vor einem anderen, gleichfalls zuständigen Gericht neu erhoben, ist eine Dringlichkeit nach Auffassung der Kammer eindrücklich widerlegt.
Es ist aus Sicht der Kammer zwar in wirtschaftlicher Hinsicht nachvollziehbar und legitim, dass die Verfügungsklägerin als Patentverwertungsgesellschaft zunächst den Markt mit Blick auf mögliche patentverletzende Produkte analysiert und sodann Klage an dem für sie erfolgversprechendsten Gerichtsstand erhebt, um die zu ihrem Patentportfolio zählenden Schutzrechte zu monetarisieren. Lässt die entsprechend gewählte Durchsetzungsstrategie indes – wie hier – erkennen, dass ein zunächst anhängig gemachtes Hauptsacheverfahren aufgegeben und ein völlig neues Verfahren vor einem parallel zuständigen Gericht erhoben wird, so begibt sich der Patentinhaber schlussendlich der Möglichkeit, seine Rechte gegenüber diesem mutmaßlichen Patentverletzer im Wege einer einstweiligen Verfügung durchzusetzen. Mit dem Wechsel des Gerichtsstandes sind naturgemäß Verzögerungen verbunden, deren Inkaufnahme bei objektiver Betrachtung jedenfalls dann zu dem Rückschluss zwingt, dass eine eilige Entscheidung im Wege der einstweiligen Verfügung nicht erforderlich ist, wenn zunächst nur Auskunfts- und Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Ein solches Verhalten der Verfügungsklägerin lässt ein Interesse an einer zeitnahen Durchsetzung ihrer Rechtsposition mit Hilfe eines Unterlassungsanspruchs gerade nicht erkennen.
Da die Verfügungsklägerin trotz der relevanten Kenntnisse zu einer aus ihrer Sicht bestehenden Verletzung über einen langen Zeitraum keinerlei Schritte zur gerichtlichen Durchsetzung des Unterlassungsanspruches ergriffen hat, ist die Dringlichkeit nach der Rechtsauffassung der Kammer unabhängig von der vom OLG für relevant erachteten Frage, ob es der Verfügungsklägerin vor der Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren möglich war, den (beschränkten) Rechtsbestand des Verfügungspatents darzutun und glaubhaft zu machen, zu verneinen. Ungeachtet dessen, dass die Frage des Rechtsbestands vorliegend keiner Antwort bedarf, erschließt sich der Kammer nicht, weshalb es nicht möglich gewesen sein soll, eben die Tatsachen, welche der Entscheidung des BPatG im Nichtigkeitsverfahren zugrundeliegen (also die für den Rechtsbestand relevanten Tatsachen), aufgrund derer das BPatG also den (beschränkten) Rechtsbestand begründet hat und welche allesamt bereits im Erteilungszeitpunkt bekannt waren (Ereignisse nach dem Erteilungszeitpunkt sind für die Rechtsbestandsfrage naturgemäß nicht relevant), vordem im Rahmen eines Verfügungsantrags darzutun und glaubhaft zu machen. Wie gesagt: Sämtliche Tatsachen, welche zur Entscheidung des BPatG geführt haben, müssen bereits im Erteilungszeitpunkt bekannt gewesen sein und hätten daher in einem Verfügungsverfahren ohne weiteres dargelegt und glaubhaft gemacht werden können. Was vor der Entscheidung des BPatG nicht bekannt war, ist lediglich, wie das BPatG entscheiden würde. Dabei handelt es sich aber – gedanklich sauber zu trennen – nicht um eine bestandsrelevante Tatsache, sondern lediglich die rechtliche Einschätzung des Bestandsgerichts aufgrund der bestandsrelevanten Tatsachen. Die erstinstanzliche Entscheidung im Bestandsverfahren selbst kann schon insofern keine bestandsrelevante Tatsache sein, da diese im Entscheidungszeitpunkt der Rechtskraft ermangelt und mit ihr daher nur die Einschätzung eines Instanzgerichts zum Rechtsbestand dargetan werden kann, nicht aber der Bestand selbst.
2. Ein Verfügungsgrund kann überdies auch unter dem Gesichtspunkt der gebotenen Interessenabwägung nicht bejaht werden:
a) Der Verfügungsklägerin bleibt es unbenommen, die nach ihrem Dafürhalten gegebene Verletzung des Verfügungspatents im Rahmen des vor der Kammer anhängigen Hauptsacheverfahrens zu verfolgen. Dabei berücksichtigt die Kammer auch, dass das Verfügungspatent am 14.11.2021 ausläuft. Ob eine Dringlichkeit unter dem Gesichtspunkt der alsbald auslaufenden Schutzdauer des in Rede stehenden Verfügungspatents bejaht werden kann, ist eine Frage des Einzelfalles und entzieht sich einer pauschalen Beantwortung. In wie vorliegenden Fallkonstellationen geht die Kammer davon aus, dass die alsbald auslaufende Schutzdauer eine Dringlichkeit im Ergebnis gerade nicht begründen kann. Denn anderenfalls würde ein zuvor zögerliches Verhalten letztlich privilegiert, wenn eine an sich gegebene Selbstwiderlegung der Dringlichkeit dadurch wiederum in Frage gestellt und ihrerseits widerlegt werden könnte, dass gerade besonders weitreichende Verzögerungen bis hin zu einer unmittelbaren zeitlichen Nähe zum Datum des Ablaufs der Schutzdauer des Streitpatents erfolgen.
b) Nichts anderes gilt unter Berücksichtigung der mit Urteil vom 24.03.2021 erfolgten, beschränkten Aufrechterhaltung des Verfügungspatents. Die spätere, noch dazu beschränkte Aufrechterhaltung eines Verfügungspatents kann eine zuvor auf Grund zögerlichen Verhaltens bei der Rechtsdurchsetzung widerlegte Dringlichkeit nicht wieder aufleben lassen. Entscheidend ist insoweit, dass der Verfügungsklägerin bereits seit spätestens Juni 2018 bekannt war, dass seitens der Verfügungsbeklagten Produkte hergestellt und vertrieben werden, welche von dem streitgegenständlichen WiFi-Standard Gebrauch machen. Dazu kommt, dass es sich bei dem Patent in seiner mit Urteil vom 24.03.2021 aufrechterhaltenen Fassung schon mit Blick auf das Verbot der unzulässigen Erweiterung gemäß Art. 123 Abs. 2 EPÜ nicht um ein Aliud, sondern um ein wesensgleiches Minus gegenüber dem Verfügungspatent in seiner ursprünglich erteilten Fassung handelt. Ist aber eine Selbstwiderlegung infolge zögerlichen Handelns bereits mit Blick auf die weit gefasste und damit auf Grund der weitreichenderen Verbietungswirkung an sich wirtschaftlich wertvollere Fassung des Patents anzunehmen, kann für das Patent in seiner letztlich eingeschränkten Fassung nichts anderes gelten.
c) Dazu kommt, dass die Verfügungsklägerin ihr eigentliches wirtschaftliches Interesse an einer Monetarisierung ihres Patentportfolios auch über die im Wege der Hauptsacheklage geltend gemachten Auskunfts- und Schadensersatzansprüche durchsetzen kann. Dies gilt umso mehr, als in dem vor der Kammer parallel anhängigen Hauptsacheverfahren für den 17.09.2021 und damit in unmittelbarer zeitlicher Nähe der Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt ist (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.07.2009, Az. 6 U 61/09, juris, Rn. 66). Auch mit Blick auf die gebotene Interessenabwägung verbietet sich im vorliegenden Fall daher die Annahme der für den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung notwendigen Dringlichkeit.
3. Im Übrigen bleibt es dabei, dass sich die Verfügungsklägerin nicht mit Erfolg darauf berufen kann, eine Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren abwarten zu dürfen, um die Dringlichkeitsfrist zu wahren. Für den Lauf der Dringlichkeitsfrist ist auf einen Zeitpunkt deutlich vor der Entscheidung des Bundespatentgerichts abzustellen, so dass die Dringlichkeitsfrist am Tage der Einreichung des Verfügungsantrages längst verstrichen war. Diese von der Kammer vertretene Rechtsansicht zur Frage der Relevanz einer Bestandsentscheidung für das Verfügungsverfahren (siehe GRUR 2021, 466) wird auch von der Europäischen Kommission geteilt. In ihrer Stellungnahme im Rahmen des Verfahrens C-44/21 führt die Kommission aus:
„Nach Auffassung der Kommission ist … das von der OLGM-Rechtsprechung (OLGM = OLG München) aufgestellte Erfordernis eines „hinreichend gesicherten Rechtsbestands“ der Systematik der DurchsetzungsRL fremd.
Entgegen der Bestimmung des Art. 9 Abs. 1 der DurchsetzungsRL ist die Möglichkeit der Anordnung einstweiliger Maßnahmen nicht sichergestellt, wenn diese pauschal mit der Begründung verweigert werden, dass bislang kein erstinstanzliches kontradiktorisches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren stattgefunden hat. Ein solches Erfordernis, welches praktisch eine zusätzlichen Bedingung für die Gewährung einstweiliger Maßnahmen darstellt, ist Art. 9 Abs. 1 der DurchsetzungsRL nicht zu entnehmen. Der Unionsgesetzgeber hat vielmehr den zuständigen nationalen Gerichten die Möglichkeit eingeräumt, in den in Art. 9 DurchsetzungsRL vorgesehenen Fällen einstweilige Maßnahmen nach Einschätzung der besonderen Umstände des Einzelfalles zu erlassen (nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a DurchsetzungsRL: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte die Möglichkeit haben.“). Ferner erklärt Erwägungsgrund 17 der DurchsetzungsRL, dass die „… in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten in jedem Einzelfall so bestimmt werden, dass den spezifischen Merkmalen dieses Falles […] gebührend Rechnung getragen wird“. Diese Ermächtigung der zuständigen Gerichte zur Prüfung im Einzelfall und gegebenenfalls Anordnung von einstweiligen Rechtsschutz würde durch die Auferlegung einer zusätzlichen Bedingung für die Gewährung einstweiliger Maßnahmen ins Leere laufen und ineffektiv bleiben.
Zudem würde die praktische Einführung eines zusätzlichen Schutzverweigerungsgrundes das vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel vereiteln, ein hohes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten. Die Einführung einer zusätzlichen Bedingung für die Gewährung einstweiliger Maßnahmen würden – entgegen der Maßgabe des Art. 2 Abs. 1 der DurchsetzungsRL – ein niedrigeres Schutzniveau zur Folge haben und dementsprechend die Rechtsinhaber schlechter stellen.
Es ist mit der DurchsetzungsRL ein Mindeststandard für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums festgeschrieben: die Mitgliedstaaten sind damit grundsätzlich daran gehindert, diesen Mindeststandard zu unterschreiten. Selbst wenn die OLGM-Rechtsprechung Ausnahmen von dem – entgegen der sich aus Art. 9 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der DurchsetzungsRL ergebenden unionsrechtlichen Verpflichtung – aufgestellten Grundsatz der automatisierten Schutzverweigerung zulassen sollte, stellt letzterer dennoch eine Unterschreitung des unionsrechtlich gebotenen hohen Mindestschutzniveaus dar. Der (vorläufige) Rechtsschutz muss nämlich die Regel – nicht eine Ausnahme – darstellen. Die OLGM-Rechtsprechung verkehrt jedoch dieses von der DurchsetzungsRL aufgestellte Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil. Eine solche allgemeine Regelung würde es den nationalen Gerichten weder ermöglichen, alle spezifischen Merkmale des Einzelfalls zu berücksichtigen, noch die Ziele von Artikel 9 zu erreichen und im allgemeineren Sinne das Ziel der DurchsetzugsRL zu erreichen, ein hohes Schutzniveau des geistigen Eigentums sicherzustellen.
Soweit die OLGM-Rechtsprechung darauf abzielt, der Position des Antragsgegners im vorläufigen Rechtsschutz Rechnung zu tragen und der Gefahr entgegenzutreten, dass dem Antragsgegner durch die einstweiligen Maßnahmen Schaden entstehen könnte, ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber diesem Gesichtspunkt bereits Rechnung getragen hat. Der Unionsgesetzgeber hat den vorläufigen Rechtsschutz nämlich mit zwei – sich einander ergänzenden – rechtlichen Instrumenten versehen, welche das für den Antragsgegner bestehende Risiko umfassend mildern und somit abzusichern.
Erstens sieht Art. 9 Abs. 6 der DurchsetzungsRL die Möglichkeit vor, die einstweiligen Maßnahmen an die Stellung einer angemessenen Kaution oder die Leistung einer entsprechenden Sicherheit durch den Antragsteller zu knüpfen, um eine etwaige Entschädigung des Antragsgegners sicherzustellen. Dieses – vorgelagerte – Absicherungsinstrument steht dem zuständigen, mit der Verfügungsbeurteilung befassten Gericht bereits zum Zeitpunkt der Prüfung des Verfügungsantrags zur Verfügung.
Zweitens sieht Art. 9 Abs. 7 der DurchsetzungsRL die Möglichkeit vor, auf Antrag des Antragsgegners anzuordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner angemessenen Ersatz für den durch diese Maßnahmen entstandenen Schaden zu leisten hat. Dieses – nachgelagerte – Absicherungsinstrument steht dem mit der Substanz der Verletzungs- bzw. Entschädigungsklage befassten (ordentlichen) Gericht zur Verfügung.
Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, stellen diese beiden komplementären Instrumente Sicherheiten dar, welche der Unionsgesetzgeber als Gegenstück zu den von ihm vorgesehenen schnellen und wirksamen einstweiligen Maßnahmen für erforderlich hielt. Sie entsprechen den Sicherheiten, die in der DurchsetzungsRL zugunsten des Antragsgegners im Gegenzug für den Erlass einer einstweiligen Maßnahme, die seine Interessen beeinträchtigt hat, vorgesehen sind.
In diesem Zusammenhang sind nach Art. 3 Abs. 2 der DuchsetzungsRL die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der unter diese Richtlinie fallenden Rechte zu gewährleisten, so anzuwenden, dass sie wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind und so, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird.
Zudem muss Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten und letztlich die nationalen Gerichte, Garantien anzubieten, dass unter anderem die in Art. 9 der DuchsetzungsRL genannten Maßnahmen und Verfahren nicht missbraucht werden. Zu diesem Zweck müssen die zuständigen nationalen Gerichte prüfen, ob der Antragsteller in einer bestimmten Rechtssache diese Maßnahmen und Verfahren nicht missbräuchlich verwendet hat.
Aus der Systematik der Erwägungsgründe 22 und 24, Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der DurchsetzungsRL geht hervor, dass der Faktor Zeit für die wirksame Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums von Bedeutung ist.
Die Beendigung der Verletzung muss im Prinzip „unverzüglich“ bzw. schnellstmöglich erfolgen. Dementsprechend sieht das materielle Recht des geistigen Eigentums vor, dass zum Beispiel erteilte Europäischen Patente und eingetragene Unionsmarken mit der „Vermutung der Rechtsgültigkeit“ vom Tag der Veröffentlichung ihrer Erteilung bzw. Eintragung an versehen sind. Mithin genießen diese Rechte von diesem Zeitpunkt an den vollständigen Schutzumfang erga omnes – und zwar auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Hingegen hätte das Erfordernis eines „hinreichend gesicherten Rechtsbestands“ zur Folge, dass die vom Gesetzgeber ausdrücklich an die Eintragung geknüpfte gesetzliche Wirkung der Vermutung der Rechtsgültigkeit eines erteilten Europäischen Patents (aber etwa auch einer eingetragenen Unionsmarke) faktisch auf einen späteren Zeitpunkt verschoben und damit ins Leere laufen würde. In dem Zeitraum zwischen der Eintragung und der Feststellung eines „hinreichend gesicherten Rechtsbestands“ würde dem eingetragenen und in Anspruch genommenen Recht kein einstweiliger Rechtsschutz gewährt. Diese Schutzverweigerung beträfe selbst solche Rechte, die von Gesetzes wegen erst nach einer eingehenden fachlichen Prüfung ihrer Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit durch die zuständige Ausstellungsbehörde erteilt bzw. eingetragen würden.
Der von der OLGM-Rechtsprechung aufgestellte Grundsatz ist außerdem nicht zielführend. Ein Rechtsstreit ist immer risikobehaftet. Selbst ein Erfolg im erstinstanzlichen Rechtsbestandsverfahren kann durch eine anschließende Niederlage in zweiter Instanz jederzeit nachträglich in sein Gegenteil verkehrt werden. Die in Rechtsbestandsverfahren ergangenen Entscheidungen wirken immer inter partes, so dass sie nur eine begrenzte Rechtskraft erlangen. Hingegen bieten diese Entscheidungen keine Garantie bzw. Sicherheit einer absoluten Beständigkeit.“


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben