Europarecht

Dublin-III-Verfahren, Niederlande: Nach Aussetzung der Vollziehung unter Vorbehalt des Widerrufs fehlt das Rechtsschutzbedürfnis

Aktenzeichen  M 1 S 19.51235

Datum:
8.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14008
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 77 Abs. 1
Dublin III-VO Art. 27 Abs. 4

 

Leitsatz

Da somit nach einer Aussetzung der Vollziehung keine Vollziehung droht, ist der Eilantrag mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Dem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses steht es nicht entgegen, dass die Aussetzung der Vollziehung unter dem Vorbehalt des Widerrufs erklärt wurde. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung in die Niederlande im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Nr. 2), ordnete die Abschiebung in die Niederlande an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf elf Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
Am … November 2019 hat die Antragstellerin Klage (M 1 K 19.51234) zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt zugleich in diesem Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in die Niederlande wird die aufschiebende Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Die Antragsgegnerin setzte mit Schreiben vom 16. April 2020 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO aus, weil im Hinblick auf die Entwicklung der Corona-Krise Dublin-Überstellungen nicht zu vertreten seien. Weiter erklärte die Antragsgegnerin, dass die abgegebene Erklärung unter dem Vorbehalt des Widerrufs gelte.
Mit Schreiben vom 1. Mai 2020 forderte das Gericht die Antragstellerin dazu auf, eine prozessbeendende Erklärung abzugeben. Eine Rückäußerung der Antragstellerin erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte, auch im Verfahren M 1 K 19.51234 Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheides ist abzulehnen, weil er im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig ist.
Die Antragsgegnerin hat mit ihrem Schreiben vom 16. April 2020 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ausgesetzt. Da somit derzeit keine Vollziehung droht, ist der Eilantrag im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig (vgl. VGH BW, B.v. 18.6.1991 – 8 S 1306/91 – VBlBW 1991, 469, OVG Bdg, B.v. 12.6.1998 – 4 B 39/98 – juris Rn. 5; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 278, 498).
Dem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses steht es nicht entgegen, dass die Aussetzung der Vollziehung von der Antragsgegnerin unter dem Vorbehalt des Widerrufs erklärt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 29.12.2005 – 11 CS 05.826 – juris Rn. 16 ff.; VG München, B.v. 19.5.2020 – M 30 S 20.50186 – juris Rn. 8; B.v. 18.5.2020 – M 19 S 20.50141 – n.V.). Denn eine solche Erklärung gibt nur die ohnehin bestehende Rechtslage wieder, wonach die zuständige Behörde die Aussetzungsentscheidung, soweit keine anderweitigen rechtlichen Bindungen bestehen, ändern oder aufheben kann. Die Tatsache, dass sich in § 80 Abs. 4 VwGO keine dem § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO entsprechende Regelung findet, bedeutet allenfalls, dass die Aussetzungsentscheidung nicht jederzeit geändert oder aufgehoben werden darf. Zu einer Neubeurteilung berechtigen jedoch allemal veränderte rechtliche oder tatsächliche Umstände (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2001 – 4 VR 19/01 – NVwZ-RR 2002, 153; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 319 f.), im konkreten Fall etwa der Wegfall der Pandemie. Dass sich die Antragsgegnerin mit dem erklärten Widerrufsvorbehalt von diesen bundesgesetzlichen Bindungen lösen möchte – und deshalb das Fortbestehen der Zulässigkeit des Antrags zu erwägen sein könnte – ist nicht ersichtlich. Auch ist die Antragstellerin durch die unter dem Vorbehalt des Widerrufs erklärte Aussetzung der Vollziehung nicht rechtsschutzlos gestellt, weil sie eine künftige Änderungsentscheidung der Antragsgegnerin über § 80 Abs. 7 VwGO zum Gegenstand eines weiteren Rechtsschutzverfahrens machen kann.
Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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