Europarecht

Dublin-III-VO, Inlandsbezogene Abschiebungsverbote, Zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, Inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, Abschiebungsstopp, Drohende Abschiebung, Abschiebungsschutz, Abschiebungsandrohung, Abschiebungsanordnung, Antragsgegner, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Mitgliedstaaten, Subsidiärer Schutz, Antragstellers, Selbsteintrittsrecht, Schützenswerte Vater-Kind-Beziehung, Asylverfahren, Vereitelung des Umgangsrechts, Familiäre Lebensgemeinschaft, Asylantrag

Aktenzeichen  W 8 S 20.50321

Datum:
22.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39901
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
AsylG § 34a
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 Buchst. d
Dublin III-VO Art. 17 Abs. 1
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger. Er reiste am 31. August 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt am 14. September 2020 Kenntnis erlangte, und stellte am 7. Oktober 2020 einen förmlichen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staats (Schweiz) gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 9. und 30. November 2020 erklärten die schweizerischen Behörden mit Schreiben vom 7. Dezember 2020 nach Remonstration ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2020 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung in die Schweiz wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 17. Dezember 2020 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 20.50320 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach der Schweiz wird die aufschiebende Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 20.50320) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheides vom 8. Dezember 2020 begehrt.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 8. Dezember 2020 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.
Die Schweiz ist gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig (vgl. § 34a, § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG). Die Schweizer Behörden haben ausdrücklich ihre dahingehende Zuständigkeit bejaht.
Die Schweiz nimmt – obwohl sie kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist (insoweit ist die Begründung im streitgegenständlichen Bescheid unscharf) – an den Regelungen der Dublin-Verordnungen teil (vgl. Abkommen v. 26.10.2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrages sowie Notenaustausch vom 14.8.2013 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Dublin III-VO zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist). Gemäß Art. 1 Abs. 1 und 2 des Abkommens wendet die Schweiz die Dublin-Verordnungen in ihren Beziehungen zu den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union an und umgekehrt. Bezugnahmen auf die Mitgliedsstaaten schließen die Schweiz ein, Art. 1 Abs. 5 des Abkommens (vgl. VG Schwerin, U.v. 28.8.2020 – 15 A 4638/17 As SN – juris; VG Würzburg, B.v. 6.11.2019 – W 4 S 19.50712 – juris; B.v. 13.6.2019 – W 8 S 19.50543 – juris; VG Arnsberg, U.v. 5.10.2018 – 12 K 10049/17.A – juris; VG Greifswald, B.v.6.12.2017 – 6 B 2236/17 As HGW – juris; OVG Berlin-BBG, U.v. 22.1.2016 – OVG 3 B 2.16 – Asylmagazin 2017, 115).
Die Überstellung in die Schweiz ist auch nicht rechtlich unmöglich (vgl. § 34a AsylG). Außergewöhnliche Umstände die möglicherweise für einen Selbsteintritt gemäß § 3 Abs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend weder substanziiert vorgebracht noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. OGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVWZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das Asylsystem der Schweiz an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt wären.
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im Asylsystem der Schweiz, zumal der Kläger dahingehend nicht Substanziiertes vorgebracht hat. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in der Schweiz keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung und finanzielle Unterstützung, sofern sie bedürftig sind (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Schweiz, v. 16.11.2017, S. 8 ff.). Die Schweiz beachtet die Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Insofern besteht kein Anlass zu zweifeln, dass die Schweiz die rechtlichen Vorgaben einhält (vgl. m.w.N. VG Schwerin, U.v. 28.8.2020 – 15 A 4638/17 As SN – juris; VG Würzburg, B.v. 6.11.2019 – W 4 S 19.50712 – juris; B.v. 13.6.2019 – W 8 S 19.50543 – juris; B.v. 1.3.2019 – W 8 S 19.50160 – juris; VG Lüneburg, B.v. 1.3.2019 – 8 B 44/19 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 21.1.2019 – 22 L 3215/18.A – juris; B.v. 20.3.2018 – 22 L 79/18.A – juris; VG Leipzig, U.v. 19.9.2018 – 6 K 445/18.A – juris; VG München, B.v. 12.7.2018 – M 18 S 18.51044 – juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 4.1.2018 – 6a L 3589/17.A – juris; B.v. 22.11.2017 – 6a L 3327/17.A – juris; VG Greifswald, B.v. 6.12.2017 – 6 B 2236/17 As HGW – juris). Der Umstand, dass das Schweizer Recht keinen förmlichen Schutzstatus wie den subsidiären Schutz ausdrücklich kodifiziert enthält, führt nach dem Vorstehenden zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass hier beim Antragsteller Gründe für die Gewährung internationalen Schutzes vorlägen, die nach Schweizer Recht nicht zu einer Schutzgewährung führen würden, obwohl sie nach europäischem Unionsrecht vom subsidiären Schutz erfasst wären (siehe näher, VG Schwerin, U.v. 28.8.2020 – 15 A 4638/17 As SN – juris; VG Düsseldorf, B.v. 21.1.2019 – 22 L 3215/18.A – juris).
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO gemacht hat.
Die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers in der Schweiz, verbunden mit einer ihm möglicherweise drohenden Abschiebung in sein Heimatland, führt nicht zu einer Zuständigkeit der Antragsgegnerin verbunden mit einer nochmaligen Prüfung seines Schutzbegehrens in Deutschland (vgl. VG Lüneburg, B.v. 1.3.2019 – 8 B 44/19 – juris m.w.N.). Der Antragsgegner hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zu Recht darauf hingewiesen, dass es dem Antragsteller freistehe, einen Folgeantrag in der Schweiz zu stellen. Nach der Systematik der Dublin-Regelung sei davon auszugehen, dass die Schweiz der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Prüfung des Asylbegehrens nachkomme. Dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Heimatland zu rechnen hätten, wäre kein hier relevanter Mangel des Asylverfahrens und auch im Übrigen nicht menschenrechtswidrig. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in der Schweiz ein rechtstaatliches Erst- und gegebenenfalls auch Folgeverfahren durchgeführt wird. Der Asylbewerber hat insbesondere kein Wahlrecht, sich den Mitgliedsstaat auszusuchen, in dem er sich bessere Chancen oder angenehmere Aufenthaltsbedingungen erhofft. Relevant sind allein die Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates nach der Dublin III-VO, nach denen die vom Antragsteller genannten Gründe keine Rolle spielen.
Des Weiteren ergibt sich auch nicht aus einer möglichen Familienzusammengehörigkeit i.S.v. Art. 9 oder 10 Dublin III-VO i.V.m. Art. 2 Buchst. d) Dublin III-VO eine Zuständigkeit Deutschlands. Der Antragsteller hat die Vaterschaft über seinen Sohn nicht anerkannt und ist auch nicht mit der Mutter verheiratet; er lebt auch nicht mit ihnen zusammen. Es ist nicht einmal anzunehmen, dass sie miteinander verlobt sind. Unverheiratete Paare sind aber ausländer- und asylrechtlich nicht vergleichbar zu behandeln wie verheiratete Paare (vgl. schon VG Würzburg, B.v. 2.9.2019 – W 8 S 19.50664 – juris m.w.N.).
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG sind nicht ersichtlich. Auch insoweit nimmt das Gericht auf die Ausführungen in der Begründung des Bescheides Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und macht sich diese zu eigen. Die vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerden – Hepatitis – können auch in der Schweiz behandelt bzw. weiter behandelt werden.
Weiter ist zu der vom Antragsteller geltend gemachten Erkrankung anzumerken, dass diese grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigt, der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich bei einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG). Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn eine gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BverwGE 127, 33). Für die Annahme einer solchen Gefahr fehlen jegliche Anhaltspunkte.
Neben diesen materiellen Kriterien für die Gesundheitsgefahr hat der Gesetzgeber zudem in § 60 Abs. 2c i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausdrücklich auch prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Daran fehlt es hier, so dass es bei der Vermutung bleibt, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG).
Eine abweichende Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht aufgrund der weltweiten COVID 19-Pandemie („Corona-Krise“). Diese führt mit Bezug auf Spanien nach dem für das Gericht maßgeblichen gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht zur Feststellung eines solchen zielstaatbezogenen Abschiebungsverbots. Nach der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längsten drei Monate ausgesetzt wird.
Nur wenn eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG fehlt, kann der Kläger in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise Abschiebungsschutz beanspruchen, wenn er bei Überstellung aufgrund der herrschenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8). Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller nicht vor, denn es fehlt an einer derart extremen Gefahrenlage.
Denn nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden, etwa wenn das Fehlen eines Abschiebungsstopps dazu führen würde, dass ein Ausländer im Zielstaat der Abschiebung sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde, wird die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG durchbrochen und es ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1.7.2020, § 60 AufenthG Rn. 45 m.w.N.).
Für das Vorliegen einer derartigen Gefahrenlage bestehen für das Gericht auch aufgrund der in der Schweiz getroffenen Maßnahmen (vgl. etwa Schweizer Bundesamt für Gesundheit – BAG, https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/massnahmen-des-bundes.html; Deutsches Auswärtiges Amt https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/schweiz-node/schweizsicherheit/206208) keine greifbaren Anhaltspunkte.
Der Antragsteller gehört offensichtlich nicht zu einer Personengruppe für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkrankung.
Im Übrigen genügt nicht eine allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die Covid-19-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, um zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende in seinem Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, rechnen muss. Zu berücksichtigen sind unter anderem die örtlichen Gegebenheiten im Zielland und auch die Frage, welche Schutzmaßnahme der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20 A – juris). Dahingehend hat der Antragsteller nichts vorgebracht.
Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuelle persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske, die Einhaltung der Hygieneregeln (z.B. Hände waschen) oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
Des Weiteren ist die Versorgungslage für die Bevölkerung in der Schweiz – einschließlich international Schutzsuchender bzw. Schutzberechtigter – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen nicht derart desolat, dass auch nur annähernd von einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG gesprochen werden könnte.
Das Gericht geht weiter nicht davon aus, dass eine Dublin-Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat sonst aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich wäre. Insbesondere stehen der Abschiebungsanordnung aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie und damit zusammenhängenden Reisebeschränkungen keine tatsächlichen Vollzugshindernisse entgegen.
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht gegeben.
Das Vorbringen des Antragstellers zu seiner in Deutschland lebenden Tochter und deren Mutter führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Diese inlandsbezogenen Gründe verpflichten die Antragsgegnerin nicht, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen (siehe schon oben), und begründen auch kein inlandsbezogenes Abschiebehindernis gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Grundsätzlich ist auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, gerade in Dublin-Verfahren, der Schutz der Ehe und Familie als inlandsbezogenes Abschiebungsverbot bzw. als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis anerkannt. Eine unzumutbare Trennung der familiären Lebensgemeinschaft in Form einer Beistandsgemeinschaft kann ein rechtliches Abschiebungshindernis begründen. Doch nicht jede Lebensgemeinschaft und jede familiäre Beziehung führt zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung. Vielmehr muss eine unzumutbare Beeinträchtigung der Familieneinheit vorliegen. Verfassungsrechtlich schutzwürdige Beziehungen können sich auch aus den Beziehungen eines Vaters mit seinem Kind ergeben. Leben die Eltern getrennt, müssen Anhaltspunkte für das Bestehen einer über die bloße Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden Beziehung bestehen. Indizien können rein tatsächlicher Natur sein, wie z.B. die Dauer der regelmäßigen Betreuung des Kindes oder die Beziehungsintensität, wie sie sich in der Art der Betreuung äußert. Unverbindliche Treffen im Café sind nicht das Gleiche wie emotionale Unterstützung in schwierigen Situationen des Kindes. Vereinzelte Kontakte genügen nicht. Vielmehr muss der Betroffene vortragen und belegen, dass und wie er den Umgang tatsächlich ausübt. Eine genaue Schilderung der tatsächlichen Beziehungen und Abhängigkeiten ist unabdingbar. Der tatsächlich praktizierte Umgang mit dem Kind kann für das Kindeswohl wichtig sein. Die durch tatsächlichen Kontakt geschaffene und stabilisierte Position des weiteren Elternteils ist für das Kindeswohl von Bedeutung. Allerdings kann eine zeitweilige Trennung zumutbar sein. Eine bloße vorübergehende Trennung für die übliche Dauer eines Visumsverfahrens allein reicht für die Unzumutbarkeit nicht aus (vgl. Kluth/Breidenbach in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 26. Edition, Stand: 1.7.2020, § 60a AufenthG Rn. 15 ff.; Bruns in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 60a AufenthG Rn. 16 ff. m.w.N.).
Wie gewichtig der aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK folgende Schutz ist, hängt dabei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von der Intensität der Familienbeziehungen sowie von der Frage, ob es sich um eine bloße Begegnungsgemeinschaft handelt, dem Alter des Kindes oder auch der Betreuungsbedürftigkeit in Bezug auf das Kind. Das Kindeswohl ist in den Mittelpunkt zu stellen. Auch der Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter sind in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienlich. Dabei reichen nicht formalrechtliche Bindungen, sondern es kommt vielmehr auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern an. Bezogen auf das Kind kommt es auch auf die tatsächliche Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes an. Auch der persönliche Kontakt zu dem Kind in Ausübung des Umgangsrechts ist zu berücksichtigen. Dabei ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (vgl. SächsOVG. B.v. 7.12.2020 – 3 B 242/20 – juris; VG Regensburg, U.v. 28.11.2019 – RN 14 K 19.50870 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 21.11.2017 – 22 L 4581/17.A – juris m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen im konkreten Einzelfall des Antragstellers die Voraussetzungen für die Annahme eines Abschiebungsverbotes aus inlandsbezogenen Gründen nicht vor.
Denn der Antragsteller hat sich zur tatsächlichen Verbundenheit seines Sohnes mit ihm überhaupt nicht geäußert. Er hat nicht substanziiert dargelegt, welche Umgangskontakte er als Vater konkret erbringt (VG München, G.v. 29.2.2016 – M 12 K 15.50784 – juris). Maßgeblich ist aber der substanziierte vorgebrachte tatsächlich praktizierte Umgang mit dem Kind (vgl. Bruns in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 60a AufenthG Rn. 16 ff.). Geschützt ist nur eine schützenswerte Vaters-Kind-Beziehung auch bei einem umgangsberechtigten Vater, wobei allerdings Telefonate mit kurzer Dauer für sich nicht genügen (vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 60a AufenthG Rn. 29 m.w.N.). Der Antragsteller hat selbst zu dem Umgang gar nichts vorgebracht. Die Mutter hat angegeben, dass der Antragsteller den Sohn in den letzten Monaten lediglich dreimal besucht und sich nur jeweils etwa fünf Minuten mit ihm abgegeben habe.
Nach Überzeugung des Gerichts besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsteller in den letzten Jahren und auch, seitdem er wieder in Deutschland ist, einen engen Kontakt zu seiner Familie und seinem Sohn gepflegt und aufgebaut hat. Der Antragsteller hat kein Verhalten an den Tag gelegt, welches bei objektiver Würdigung dem eines Vaters entspricht, der den Kontakt zu seinem Sohn sucht und an dessen Leben und Aufwachsen er Anteil zu nehmen versucht. Er hat sich nicht bemüht, eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen und zu verfestigen. Art und Umfang des hier tatsächlich praktizierten Verhältnisses zwischen Vater und Sohn lassen nicht darauf schließen, dass sich zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn eine Verbundenheit entwickelt hat, wie es erforderlich ist, um den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK als eröffnet anzusehen. Besuche von wenigen Stunden, welche noch nicht einmal ansatzweise regelmäßig erfolgt sind, vermögen eine so zureichende Partizipation am Leben des Kindes nicht zu gewährleisten. Hinzu kommt das Zerwürfnis zwischen den Eltern. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht naheliegend, dass es der Sohn als den endgültigen Verlust seines Vaters begreifen würde, sollte der persönliche Kontakt in Folge einer Abschiebung – wieder – vorübergehend ausbleiben. Der Sohn hatte mithin bereits vielfach gelernt, damit umzugehen, keinen unmittelbaren Kontakt zu seinem Vater zu haben (vgl. SächsOVG, B.v. 7.12.2020 – 3 B 242/20 – juris).
Der Antragsteller, der sich in den letzten Jahren überwiegend in der Schweiz aufgehalten hat, hat nahezu keinen konkreten Umgang mit seinem Sohn gepflegt. Die Mutter des Sohnes hat in einer E-Mail an die Ausländerbehörde vom 20. November 2020 mitgeteilt, dass der Antragsteller im Februar 2018 wegen Mittäterschaft an einem schweren Raubüberfall in U-Haft gekommen sei und bis Ende 2018 im Regionalgefängnis in Thurn in der Schweiz gesessen habe. Er sei rechtskräftig verurteilt worden. Er sei der Schweiz verwiesen worden und müsse untergetaucht sein. Ende September 2020 sei er nach Deutschland gekommen. Seitdem habe er den Sohn dreimal besucht. Nach fünf Minuten Abknutscherei und dem permanenten Wiederholens des Wortes „Papa“ habe er kein Interesse mehr an ihm gehabt. Dann habe sich alles nur noch um Papiere und Sorgerecht gedreht und, was sie ihm alles organisieren und beschaffen und aushändigen müsse. Er habe sie mit der geballten erhobenen Faust bedroht, beleidigt und aufs Ekelhafteste beschimpft und er habe herumgebrüllt. Dies alles im Beisein und vor den Augen seines Sohnes. Er habe zu ihr gesagt: „Solange Du mir hilfst und ich in Deutschland bleiben kann, musst Du Dir keine Sorgen machen um Dich und meinen Sohn machen, solange darf der bei Dir bleiben“. Dies spreche für sich. Der Antragsteller gehe über Leichen. Er habe nichts zu verlieren und ihm sei alles zuzutrauen.
Ob in dieser Konstellation ein Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn, für den er die Vaterschaft nicht anerkannt hat, für dessen Kindeswohl förderlich ist, erscheint äußerst fraglich. Belege dafür hat er nicht vorgebracht. Er hat nur pauschal vorgebracht, zu seinem Sohn zu wollen, aber dies nich im Geringsten substantiiert. Dem Gericht drängt sich der zwangsläufig der Eindruck auf, dass der Antragsteller über seinen Sohn nur einen Aufenthalt in Deutschland erlangen will, ohne wirklich ein Interesse an dem Kind und seinem Wohl zu haben.
Vor diesem Hintergrund eines nur äußerst spärlich tatsächlich praktizierten Umgangs mit seinem Sohn und der Drohgebärden gegenüber dessen Mutter, ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass ein derartiger Umgang für die Erhaltung des Kindeswohl notwendig oder förderlich ist.
Unabhängig davon ist der Antragsteller auch im Hinblick auf den künftigen Umgang mit seinem Sohn auf gegebenenfalls ausländerrechtliche Möglichkeiten zu verweisen. Jedenfalls ist es ihm auch in Bezug von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zumutbar, das gegebenenfalls notwendige Visumsverfahren von der Schweiz aus zu betreiben, sodass eine Überstellung des Antragstellers in die Schweiz nicht zu einer dauerhaften Vereitelung des Umgangsrechts von Vater und Kind führen muss. Die bis zur Erfüllung der entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen temporäre Trennung ist grundsätzlich zumutbar (so VG Würzburg, B.v. 6.3.2019 – W 2 E 19.50143 – juris; vgl. auch VG München, B.v. 6.2.2019 – M 10 S7 19.50049 – juris; G.v. 29.2.2016 – M 12 K 15.50784 – juris). Denn eine bloße vorübergehende Trennung allein reicht nicht für die Annahme einer Unzumutbarkeit im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, wobei es auch hier auf den Einzelfall ankommt (vgl. Kluth/Breidenbach in BeckOK, AuslR, Kluth/Heusch, 26. Edition, Stand: 1.7.2020, § 60a AufenthG Rn. 15; Bruns in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 60a AufenthG Rn. 19).
Nach alledem ist die Abschiebung des Antragstellers in die Schweiz weiterhin rechtlich zulässig und möglich.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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