Europarecht

Dublin-Rückkehrer, in Wiederaufnahmeverfahren beschränkt sich die Prüfung des ersuchenden Mitgliedstaates im Grundsatz darauf, ob der ersuchte Mitgliedstaat (hier Frankreich) nach Art. 20 Abs. 5, Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d Dublin III-VO dazu verpflichtet ist, den Antragsteller wiederaufzunehmen, keine systemischen Mängel des französischen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen, unzureichend substantiierter Vortrag zu den geltend gemachten Erkrankungen, mangelnde Beachtlichkeit fremdsprachiger Unterlagen, keine zielstaatsbezogenen oder inlandsbezogenen Abschiebehindernisse

Aktenzeichen  AN 17 S 20.50405

Datum:
20.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53794
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 Buchst. d
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, 7 Satz 1
AufenthG § 60a
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung nach Frankreich.
Der 1993 geborene Antragsteller, nach eigenen Angaben gambischer Staatsangehörigkeit, reiste am 23. September 2020 nach Deutschland ein und äußerte am selben Tage ein Asylgesuch, von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch behördliche Mitteilung am selben Tag schriftlich Kenntnis erlangt hat. Die förmliche Asylantragstellung erfolgte am 3. Dezember 2020.
Die EURODAC-Abfrage der Beklagten vom 23. September 2020 ergab einen EURODAC-Treffer der Kategorie 1 für Italien vom 11. Juni 2015 und für Frankreich vom 15. April 2019. Das Bundesamt richtete mit Schreiben vom 17. November 2020 ein an die französischen Behörden gerichtetes Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO. Die französischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 25. November 2020 ihre Bereitschaft zur die Wiederaufnahme des Antragstellers nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Im Rahmen seiner Anhörungen und Befragungen vor dem Bundesamt am 3. und 9. Dezember 2020 führte der Antragsteller aus, dass er von Gambia über den Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger, Libyen am 31. Mai 2015 nach Italien gereist sei. Diesbezüglich legte er eine „Carta d‘ identita“, eine Art Personalausweis, gültig vom 21. Januar 2016 bis 12. Mai 2026, vor. Der Antragsteller gab weiter an, dass er bis zum 21. Januar 2019 in Italien geblieben sei. Er habe sowohl in Italien als auch in Frankreich internationalen Schutz beantragt. In Frankreich sei er am 21. Januar 2019 eingereist. Dort habe er in … in … in einem Asylcamp für ca. sechs bis sieben Monate bis zum Abschluss seines Asylverfahrens gelebt. Er habe eine Anhörung gehabt. Der Asylantrag sei abgelehnt worden. Gegen die Ablehnung habe er mit Hilfe eines Anwalts erfolglos geklagt. Dann habe er auf der Straße gelebt. Eines Tages sei er ohne Papiere von der Polizei aufgegriffen worden und habe eine Nacht im Gefängnis verbracht. Nach der Entlassung habe man ihm gesagt, dass er Frankreich verlassen müsse. Weiter habe er Arztbriefe aus Frankreich. Auf die Frage, ob neue Umstände eingetreten seien, die seinen Asylantrag in Deutschland begründen, gab der Antragsteller an, dass er gesundheitliche Probleme habe und medizinische Hilfe benötige. Er leide unter Schlafmangel und chronischen Magenbeschwerden und sei drei- bis viermal in der Notaufnahme des Krankenhauses behandelt worden. Stationär sei er nicht behandelt worden. Die Krankheiten habe er von seinem Vater geerbt, der daran verstorben sei. Auch seine Schwester sei an dieser Krankheit gestorben. Er nehme Schlaftabletten, Novaminsulfon, Pantoprazol und Clindasol. Der Antragsteller führte weiter aus, dass er in Frankreich nach Verlassen des Asylcamps drei bis vier Monate auf der Straße gelebt habe. Hilfsorganisationen hätten Essen verteilt, geschlagen habe er auf einem Karton auf der Straße. Da er einen Haarschneider gehabt habe, konnte er mit Haareschneiden Geld verdienen. Er könne nicht nach Frankreich zurück, denn dort gebe es keine gute medizinische Behandlung. Er möchte wieder gesund werden. Weitere Gründe gebe es nicht. Es gehe nur um die Gesundheit. Er habe eine Cousine in Frankreich, die ihm geholfen habe, wenn er Hilfe benötigte. Die Cousine habe aber ihr eigenes Leben, er habe nur mit ihr telefoniert. Am liebsten würde er in Deutschland bleiben. Würde er in Deutschland abgelehnt, könne er nach Italien zurückkehren. Er möchte aber in Deutschland eine medizinische Behandlung. Auf die Frage, warum er Italien verlassen habe, gab der Antragsteller an, dass sein Asylverfahren dort beendet gewesen sei. Er habe eine Anhörung gehabt und sei abgelehnt worden. Sein Anwalt habe ihm gesagt, dass auch die Klage abgewiesen worden sei. Deshalb habe er Italien verlassen.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2020, dem Antragsteller zugestellt am 21. Dezember 2020, wurden der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegen (Ziffer 2) und seine Abschiebung nach Frankreich angeordnet (Ziffer 3). Unter Ziffer 4 des Bescheides wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Antragsteller erhob am 22. Dezember 2020 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Ansbach Klage und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2020 begründete der Antragsteller Antrag und Klage und führte aus, dass er ein ernstes Magenproblem habe. Er versuche, es seit seiner Kindheit behandeln zu lassen. Er fürchte um sein Leben. Er sei in Italien und Frankreich behandelt worden, doch es habe nicht geholfen. Hier in Deutschland helfe es schon. Sein Vater und seine Schwester hätten das gleiche Problem. Der Vater sei daran gestorben. Er habe Dokumente anbei. Der Antragsteller gab weiter an, dass er Schlafprobleme habe und oft erst nach drei oder fünf Stunden einschlafen könne. Dem Schreiben beigefügt waren diverse französischsprachige medizinische Dokumente, eines davon wurde bereits dem Bundesamt vorgelegt.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung bezog sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
Das Gericht wies den Antragsteller mit Schreiben vom 20./22. Januar 2021 im Hinblick auf die französischsprachigen Unterlagen darauf hin, dass die Gerichtssprache deutsch sei, § 55 VwGO i.V.m. § 184 VwGO, und er nicht dargetan habe, inwieweit die Unterlagen entscheidungserheblich seien. Die Antragsgegnerin führte mit Schriftsatz vom 22. Januar 2021 ebenso aus, dass die Gerichtssprache deutsch sei. Auch könne ohne nähere Erläuterung über deren Inhalt nicht beurteilt werden, inwiefern die französischsprachigen Unterlagen relevant seien. Zudem sei Seite 5 der Unterlagen nicht leserlich. Ohnehin seien die Ausführungen zu den Magenbeschwerden bereits im Bescheid berücksichtigt worden. Eine weitere Beurteilung der Erkrankung(en) des Antragstellers könne nur nach Vorlage aktueller deutscher Nachweise erfolgen. Der Antragsteller, dem der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2021 mit der Gelegenheit zur Stellungnahme übermittelt wurde, gab keine Stellungnahme ab.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die in elektronischer Form vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der sich bei sachgerechter Auslegung allein gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG richtet, ist statthaft. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung entfaltet gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. In diesem Fall kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Die Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG wurde eingehalten.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Interessensabwägung des Gerichts ein Überwiegen des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers ergibt. Im Rahmen der vorzunehmenden gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine maßgebliche Rolle. Die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt hier zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheklage aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) nämlich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG. Diese Voraussetzungen liegen nach summarischer Prüfung vor.
a) Frankreich ist für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig.
Nach dem EURODAC-Treffer mit der Kennzeichnung „F1“ hatte der Antragsteller in Frankreich bereits einen Asylantrag gestellt. Dieser wurde nach Angaben des Antragstellers abgelehnt, was sich auch mit der Auskunft der französischen Behörden, die der Wiederaufnahme nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO zustimmten, deckt. Damit handelt es sich um ein Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Art. 23 ff. Dublin-III-VO, wonach der ersuchte Mitgliedstaat (Frankreich) verpflichtet ist, den Antragsteller, dessen Antrag in Frankreich abgelehnt wurde und der in Deutschland einen neuen Asylantrag gestellt hat, wiederaufzunehmen. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 58 ff.) folgend ist in derartigen Wiederaufnahmeverfahren der ersuchende Staat – anders als im Aufnahmeverfahren – nicht verpflichtet, anhand der in Kapitel III der Dublin-III-VO niedergelegten Kriterien zu bestimmen, ob der ersuchte Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist (vgl. hierzu auch: VG Frankfurt, B.v. 1.3.2021 – VG 10 L 33/21.A – juris Rn. 5; VG München, B.v. 27.11.2020 – M 1 S 20.50531 – juris Rn. 20; VG Aachen, U.v. 6.3.2020 – 9 K 3086/18.A – juris Rn. 22 ff.).
Dies gilt ohne Einschränkungen dann, wenn ein Fall nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d Dublin-III-VO gegeben ist, d.h. die Zuständigkeitsüberprüfung nach Kapitel III der Dublin-III-VO in dem ersuchten Mitgliedstaat bereits abgeschlossen ist, vgl. EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 65 ff., 77. Sofern ein Fall des Art. 20 Abs. 5 Dublin-III-VO gegeben ist, d.h. die Zuständigkeitsüberprüfung im Mitgliedstaat der ersten Antragstellung noch nicht abgeschlossen ist, gebietet eine (unions-)grundrechtskonforme Auslegung der Dublin-III-VO es dem ersuchenden Mitgliedstaat demgegenüber ausnahmsweise zu prüfen, ob die Zuständigkeitskriterien der Art. 8 bis 10 Dublin-III-VO nach Maßgabe der durch die betroffene Person übermittelten Gesichtspunkte offensichtlich dazu führen, dass der ersuchende Mitgliedstaat und nicht der Mitgliedstaat der ersten Antragstellung als der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedstaat anzusehen ist, vgl. EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 83.
Vorliegend wurde die Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III der Dublin III-VO in Frankreich bereits abgeschlossen, wie sich der Übernahmeerklärung Frankreichs nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO entnehmen lässt. Die Prüfung des ersuchenden Staates, hier Deutschland, beschränkt sich damit darauf zu prüfen, ob der andere Mitgliedstaat, hier Frankreich, nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO dazu verpflichtet ist, den Antragsteller nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin-III-VO wiederaufzunehmen, was zu bejahen ist. Die Antragsgegnerin hat das Wiederaufnahmeverfahren ordnungsgemäß durchgeführt. Das Wiederaufnahmegesuch an Frankreich wurde am 17. November 2020 und damit innerhalb der zweimonatigen Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO gestellt, die mit dem EURODAC-Ergebnis am 23. September 2020 an- und noch nicht abgelaufen war. Somit ist kein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO eingetreten. Das Übernahmeersuchen wurde von Frankreich fristgerecht, Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO, akzeptiert, somit ist Frankreich verpflichtet, den Antragsteller wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen.
Die Zuständigkeit ist nicht zwischenzeitlich auf Deutschland übergegangen, insbesondere nicht aufgrund der Regelung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, wonach die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs, hier am 25. November 2020, durch einen anderen Mitgliedstaat, hier Frankreich, oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat, zu erfolgen hat (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO). Der vor Ablauf der Überstellungsfrist gestellte zulässige Eilantrag gegen die Abschiebungsanordnung hat den Lauf der Überstellungsfrist unterbrochen, weil dann bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Überstellung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist.
b) Der Antragsteller kann sich nicht auf Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO und das Vorliegen systemischer Schwachstellen im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen in Frankreich, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen, berufen. Im Übrigen besteht auch kein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Ausübung des ihr zustehenden Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO bzw. hat die Antragsgegnerin das ihr diesbezüglich zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
Es liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit Frankreichs in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen ließen. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für die Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O. sowie Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B.v. 6.6.2014, 10 B 25/14 – juris). Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Ein systemischer Mangel liegt nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. Derlei Mängel treffen den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9). Grundrechtsverletzungen in Einzelfällen sind daher nicht geeignet, systemische Schwachstellen zu begründen. Systemische Schwachstellen können aber lediglich eine bestimmte, z. B. nur besonders schutzbedürftige Personengruppe, betreffen.
Diesen strengen Beurteilungsmaßstab zugrunde gelegt und auch unter Berücksichtigung von gefahrerhöhenden individuellen Besonderheiten des Antragstellers ist eine unmenschliche bzw. erniedrigende Situation i.S.v. Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh für den Antragsteller bei einer Rücküberstellung nach Frankreich nicht anzunehmen (vgl. hierzu auch: VG Karlsruhe, B.v. 27.1.2021 – A 8 K 1948/20; VG München, U.v. 22.7.2020 – M 2 K 19.50619 – juris; VG Würzburg, B.v. 2.3.2020 – W 8 S 20.50081, B.v. 15.6.2020 – W 8 S 20.50166; VG Ansbach, B.v. U.v. 17.8.2020 – AN 17 K 19.51230, B.v. 10.8.2020 – AN 17 S 20.50245, B.v. 21.5.2020 – AN 17 S 20.50147, U.v. 23.1.2020 – 19.51152 – alle juris).
Das erkennende Gericht legt nach den bestehenden Erkenntnissen zu Frankreich seiner Entscheidung folgende aktuelle Lage für Dublin-Rückkehrer zu Grunde:
(1) Allgemein ist in Frankreich ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit gegeben (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand: 25.6.2021, S. 6; sehr detailliert zum Verfahren: Asylum Information Database [AIDA], Country Report: France, Update 2020, S. 31 ff.). Asylanträge von Dublin-Rückkehrern werden wie jeder andere Asylantrag behandelt. Kommt der Betreffende aus einem sicheren Herkunftsstaat, wird das beschleunigte Verfahren angewandt. Hat der Rückkehrer bereits eine endgültige Entscheidung der 2. Instanz (CNDA -Cour nationale du droit s’asile) erhalten, kann er einen Folgeantrag stellen, wenn dieser neue Elemente enthält (vgl. BFA a.a.O., S. 6 f., AIDA a.a.O., S. 58). Rücküberstellte Dublin-Rückkehrer werden von der Grenzpolizei in Empfang genommen. Die Grenzpolizei informiert sie, welcher Präfektur sie zugeteilt werden und stellt einen Passierschein aus. Bei Ankunft am Flughafen … kann die Unterstützung des französischen Roten Kreuzes in Anspruch genommen werden (vgl. Raphaelswerk e.V., Informationen für Geflüchtete, die nach Frankreich rücküberstellt werden, August 2019, S. 3 f., BFA a.a.O, S. 7) bzw. muss sich der Rückkehrer an eine sog. Orientierungsplattform wenden (vgl. BFA a.a.O., S. 7). Für die Fahrt zur Präfektur gibt es keine offizielle finanzielle Unterstützung. Bei einer Einreise über Land werden Dublin-Rückkehrer möglicherweise zu nicht zu weit entfernt liegenden Präfekturen begleitet (vgl. Raphaelswerk e.V., Informationen für Geflüchtete, die nach Frankreich rücküberstellt werden, August 2019, S. 3 f.).
Was die humanitäre Lage für Dublin-Rückkehrer anbelangt, so werden diese hinsichtlich Unterkunft und Versorgung grundsätzlich wie reguläre Asylbewerbern behandelt (vgl. BFA a.a.O. S. 7, 11). Dublin-Rückkehrer erhalten damit wie reguläre Asylbewerber Zugang zum finanziellen Beihilfeprogramm für Asylbewerber (ADA – Allocation pour demandeurs d’asile). Dessen Höhe ist von verschiedenen Faktoren wie der Art der Unterkunft, dem Alter, der Anzahl der Kinder usw. abhängig. In der Regel erhalten untergebrachte Asylbewerber monatlich eine finanzielle Unterstützung von 204,00 EUR. Sind sie nicht staatlich untergebracht erhöht sich der Betrag auf 426,00 EUR pro Monat (vgl. AIDA a.a.O., S. 97). Zum Erhalt des Geldes ist nicht zwingend die Eröffnung eines Bankkontos nötig, den Asylbewerbern wird eine Karte ausgestellt, mit der die Leistungen bezogen werden können, allerdings nur dergestalt, dass damit in Läden oder Online-Shops bezahlt, aber das Geld nicht am Geldautomaten abgehoben werden kann (vgl. AIDA a.a.O., S. 97 ff.).
Frankreich verfügt dank verstärkter Bemühungen des französischen Staates als Reaktion auf die zu geringen Kapazitäten mittlerweile, Stand: Ende 2020, über insgesamt 98.564 Unterbringungsplätze (vgl. AIDA a.a.O, S. 101 ff.). Stand: Anfang 2017 waren es im Vergleich hierzu nur etwa 56.000 Plätze (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand: 29.1.2018, S. 9). Die Schaffung weiterer 4.500 Plätze ist für 2021 geplant (vgl. AIDA a.a.O, S. 101 ff.). Die Zentren zur Notfallunterbringung verfügen dabei über 51.796 Plätze (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand: 25.6.2021, S. 11). Asylbewerber, die unter das Dublin-Verfahren fallen, haben in Frankreich Anspruch auf Unterbringung in den Zentren der Notfallunterbringung. Dublin-Rückkehrer werden dagegen wie reguläre Asylbewerber behandelt und unterfallen daher denselben Aufnahmebedingungen wie reguläre Asylbewerber (vgl. AIDA a.a.O., S. 104). Allerdings wird auch berichtet, dass nur 51% der Asylbewerber, die Anspruch auf eine Unterbringung haben, auch untergebracht waren und komplementär hierzu größere informelle Camps insbesondere in Paris und Calais entstanden sind sowie Asylbewerber etwa in Nantes, Grande Synthe und Metz auf der Straße leben (vgl. AIDA a.a.O., S. 104 ff.). Hinsichtlich des Verhältnisses von (Erst-)Asylbewerbern und zur Verfügung stehenden Plätzen wurde erstmals 2020 die Situation erreicht, dass mehr Unterbringungsplätze als Bewerber zur Verfügung stehen. Ende 2020 schließlich waren 4% der Unterbringungsplätze frei (vgl. AIDA a.a.O., S. 102 f.). Dublin-Rückkehrer können auch in Obdachloseneinrichtungen unterkommen, wenngleich die Kapazitäten begrenzt sind (vgl. Raphaelswerk a.a.O., S. 10). Auch private Unterkünfte und die Hilfe von NGOs stehen zur Verfügung (vgl. BFA a.a.O., S. 5 f., 11; Raphaelswerk a.a.O., S. 15 ff.) stehen zur Verfügung. Im Falle von Folgeantragstellern, bei denen der Antrag mangels neuer Gründe als unzulässig abgelehnt wird (vgl. BFA a.a.O., S. 7, 11), können Leistungen entzogen oder vermindert werden, wobei Rechtschutz besteht (vgl. AIDA a.a.O., S. 58, 99 f.; BFA a.a.O., S. 7, 11). Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung liegen keine Erkenntnisse für eine Einschränkung des Platzangebots in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen oder hinsichtlich Schwierigkeiten beim Registrierungsprozess in Folge der Corona-Pandemie mehr vor, die letzten derartigen Angaben stammen von Mai 2020 (vgl. AIDA a.a.O., S. 96).
Dublin-Rückkehrern steht der Zugang zum französischen Arbeitsmarkt offen, wenn die Asylbehörde nicht binnen sechs Monaten seit der Antragstellung über den Asylantrag entschieden hat und wenn die Verzögerung nicht dem Asylbewerber anzulasten ist (vgl. AIDA a.a.O., S. 109; BFA a.a.O., S. 10).
Was die medizinische Versorgung anbelangt, so können Asylbewerber (und somit auch Dublin-Rückkehrer) den allgemeinen Krankenversicherungsschutz in Anspruch nehmen. Sie haben drei Monate nach Antragstellung die Möglichkeit, sich hierfür anzumelden. Während der ersten drei Monate besteht Zugang zu medizinischer Notfallversorgung in Krankenhäusern. Abgelehnte Asylbewerber verlieren nach sechs Monaten die Berechtigung, den genannten allgemeinen Krankenversicherungsschutz in Anspruch zu nehmen. Danach können sie von der sog. staatlichen medizinischen Hilfe profitieren, welche medizinische Behandlung in Krankenhäusern und bei Ärzten ermöglicht. Es besteht Zugang zu den in Krankenhäusern eingerichteten Bereitschaftsdiensten zur ärztlichen Versorgung der Bedürftigsten. Vom Krankenversicherungsschutz umfasst ist grundsätzlich auch die Behandlung psychischer Erkrankungen (vgl. BFA a.a.O., S. 12).
(2) Zusammenfassend sind daher systemische Schwachstellen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen, im französischen Asylsystem für den Antragsteller als Dublin-Rückkehrer nicht ersichtlich (vgl. auch: VG Karlsruhe, B.v. 27.1.2021 – A 8 K 1948/20 – juris; VG Ansbach, U.v. 17.8.2020 – AN 17 K 19.51230 – juris; VG München, U.v. 22.7.2020 – M 2 K 19.50619 – BeckRS 2020, 18796; VG Würzburg, B.v. 15.6.2020 – W 8 S 20.50166 – juris; B.v. 2.3.2020 – W 8 S 20.50081 – juris, sogar für eine Mutter eines knapp drei Monate alten Säuglings), auch wenn er im Vergleich zu vulnerablen Personengruppen bei der Unterbringung wohl nicht priorisiert behandelt werden wird. Für den Antragsteller ergibt sich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bei einer Rückkehr nach Frankreich. Es ist nicht davon auszugehen, dass er in Frankreich unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und seine Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ nicht wird befriedigen können.
Zwar sind nach den vorliegenden Erkenntnismitteln durchaus Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Dublin-Rückkehrern sichtbar. Gleichwohl geht das Gericht davon aus, dass dem Antragsteller nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Schicksal unfreiwilliger Obdachlosigkeit droht. Das Gericht verkennt nicht, dass der Zugang zu staatlicher organisierter Unterbringung im Einzelfall schwierig sein kann. Jedoch wird hierdurch bei summarischer Prüfung nicht die oben dargelegte hohe Eingriffschwelle hinsichtlich Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh in Bezug auf die Bejahung systemischer Schwachstellen des französischen Asyl- und Aufnahmeverfahrens erreicht. Dies gilt umso mehr als der französische Staat, wie ausgeführt, kontinuierlich und erfolgreich Unterbringungskapazitäten aufgebaut hat. Es wird berichtet, dass Ende 2020 4% der Unterbringungsplätze frei waren (vgl. AIDA a.a.O., S. 103). Die französischen Behörden haben zwischenzeitlich, das heißt insbesondere seit den Jahren 2013 bis 2015, auf die sich die Verurteilung Frankreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bezog (vgl. EGMR, Urteil vom 2.7.2020 – 28220/13 [N.H. u.a.]; dazu Pressemitteilung ECHR 202 [2020] vom 2.7.2020), erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Unterbringungssituation zu verbessern, und damit die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze deutlich ausbauen können. Frankreich hat sich nicht gleichgültig gezeigt, sondern mit entsprechenden Maßnahmen zur Verbesserung der Unterbringungssituation reagiert (vgl. BFA a.a.O., S. 10 f.). Dem Antragsteller als alleinstehendem, jungen und gesunden (vgl. hierzu die Ausführungen unter d)) Mann ist es zudem zuzumuten, falls erforderlich, Unterschlupf in Obdachlosenunterkünften zu suchen (vgl. BFA a.a.O., S. 5 f., Raphaelswerk a.a.O., S. 10) und die Hilfe von NGOs in Anspruch zu nehmen, die im Bereich der sozialen Unterstützung, Nahrungsmittelhilfe, teils auch in der Unterbringung aktiv sind (vgl. eine Übersicht findet sich in: Raphaelswerk a.a.O., S. 15 ff.) in Anspruch zu nehmen. Der Jesuitische Flüchtlingsdienst bietet befristete Unterbringung bei Gastfamilien an (vgl. BFA a.a.O., S. 11). Soweit der Antragsteller vorträgt, nach seiner Ablehnung in Frankreich auf der Straße geschlafen zu haben, kann dies angesichts der obigen Ausführungen systemische Mängel nicht begründen. Auch medizinische Hilfe ist für den Antragsteller, soweit erforderlich, zu erreichen (vgl. BFA a.a.O., S. 12). Der Antragsteller ist auch nicht als sog. Folgeantragsteller einzuordnen, dem nach oben Gesagtem bei Rückkehr nach Frankreich im Falle eines unzulässigen Folgeantrags Leistungen entzogen werden könnten. Es ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass bei dem Antragsteller bereits eine bestandskräftige Entscheidung des CNDA, der zweiten Instanz, vorliegt, so dass ihm entsprechend der Regelung in Art. 18 Abs. 3 Dublin III-VO ein wirksamer Rechtsbehelf gegen die Ablehnung seines Asylantrages zusteht und er bei Rückkehr nach Frankreich nicht als Folgeantragsteller behandelt wird. Wie bereits ausgeführt wird ein Rückkehrer erst nach einer endgültigen Entscheidung der zweiten Instanz (CNDA -Cour nationale du droit s’asile) auf das Folgeantragsverfahren verwiesen (vgl. BFA a.a.O., S. 6 f., AIDA a.a.O., S. 58). Ohnehin begründet die (gerichtlich überprüfbare) Möglichkeit der Leistungseinschränkung, -ausschlusses bei unzulässigem Folgeantrag ebenso wenig einen systemischen Mangel wie der Umstand, dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Herkunftsland zu rechnen haben. Vielmehr ist nach der Auskunftslage davon auszugehen, dass in Frankreich ein rechtstaatliches Erst- und gegebenenfalls auch Folgeverfahren durchgeführt wird.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in Frankreich. Zwar ist Frankreich von COVID-19 wieder stärker betroffen, jedoch regional sehr unterschiedlich. Die Zahl der Neuinfektionen beträgt in den Regionen Korsika, Okzitanien, Provence-Alpes-Côte d’Azur sowie einigen französischen Überseegebieten mehr als 100 Fälle pro 100.000 Einwohner auf sieben Tage, weshalb diese als Hochrisikogebiet eingestuft sind (vgl. Auswärtiges Amt, Frankreich, Reise- und Sicherheitshinweise vom 20. August 2021). Selbst diesbezüglich ist nach der Erkenntnislage zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt jedoch keine Überlastung staatlicher Strukturen, insbesondere im Bereich der Unterkünfte und des Gesundheitssystems, zu befürchten.
c) Dem Antragsteller droht auch nach einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigte in Frankreich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob ein Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
Auch im Falle einer eventuellen Anerkennung eines internationalen Schutzstatutes in Frankreich sind keine systemischen Mängel in Frankreich gegeben. Denn Personen, die während des Asylverfahrens untergebracht werden, können nach der Gewährung eines Schutzstatus weitere drei Monate (um drei Monate verlängerbar) und im Falle der Ablehnung des Asylantrags einen Monat lang weiterhin in der ursprünglichen Unterkunft bleiben. Des Weiteren können sie einen Willkommens- und Integrationsvertrag unterschreiben, welcher der Integration in die französische Gesellschaft durch maßgeschneiderte Unterstützung beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Bildung dient. Im Rahmen des Integrationsvertrags besteht die Möglichkeit auf eine temporäre Unterbringung für neun Monate mit einer Verlängerungsmöglichkeit um weitere drei Monate. Nichtregierungsorganisationen bieten weitere Integrationsprogramme an. International Schutzberechtigte haben wie französische Staatsbürger auch Zugang zu sozialen Rechten wie Krankenversicherung, Familien- und Wohngeld, Mindesteinkommen und Zugang zu Sozialwohnungen (vgl. BFA a.a.O., S. 13 f.). Schließlich haben anerkannte Schutzberechtigte wie französische Staatsbürger Zugang zum Arbeitsmarkt, wobei tatsächliche Hürden, wie mangelnde Sprachkenntnisse, bestehen können (vgl. AIDA a.a.O., S. 154 f.; BFA a.a.O., S. 13). Hinsichtlich der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie gilt das unter b) Ausgeführte entsprechend. Auch hat die Pandemie zwar negative Auswirkungen auf den französischen Arbeitsmarkt (vgl. BFA a.a.O., S. 13), jedoch lässt sich den Berichten nicht entnehmen, dass im Fall des Antragstellers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten ist.
d) Auch die übrigen Voraussetzungen neben der Zuständigkeit Frankreichs für die in Ziffer 3 verfügte Abschiebungsanordnung liegen vor. So muss feststehen, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies bedeutet nach der Rechtsprechung u.a. des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427; B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257; ebenso OVG Lüneburg, U.v. 4.7.2012 – 2 LB 163/10; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.2.2012 – OVG 2 S 6.12, alle juris), dass die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung zu prüfen ist.
Als zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kommt zwar grundsätzlich ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Betracht. Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Gründen, die ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. EMRK rechtfertigen, sind nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte kann eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn der Antragsteller im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt. Dies ist hinsichtlich Frankreichs, auch unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Antragstellers, nicht der Fall. Auf die Ausführungen unter b), c) wird entsprechend verwiesen.
Auch die vorgetragenen Erkrankungen des Antragstellers führen nicht zu einem Abschiebeverbot. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, wobei nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG gilt entsprechend, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Erforderlich aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich eine vorhandene lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, ohne dass es jedenfalls in einem Teil des Zielstaats eine ausreichende medizinische Versorgung gäbe (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 19.8.2016 – 8 ME 87/16 – juris – sowie noch zur alten, aber übertragbaren Rechtslage BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris).
Nach diesen Maßstäben ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass hinsichtlich des Antragstellers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der von ihm geltend gemachten Erkrankungen vorliegt.
Zwar hat der Antragsteller angegeben, unter Schlafmangel zu leiden, chronische Magenbeschwerden zu haben und Schlaftabletten sowie Novaminsulfon, Pantoprazol und Clindasol einzunehmen. Sein Vater und seine Schwester hätten das gleiche Problem. Während der Antragsteller vor dem Bundesamt noch angab, Vater und Schwester seien daran gestorben, führte er später nur noch aus, dass sein Vater daran gestorben sei. Jedenfalls hat der Antragsteller die Erkrankungen nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht, §§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, 60a Abs. 2 c Satz 1 AufenthG. Die Gerichtssprache ist deutsch, § 55 VwGO i.V.m. § 184 GVG. Die eingereichten französischsprachigen Unterlagen genügen nicht. Für die Übersetzung fremdsprachlicher Schriftstücke haben grundsätzlich die Beteiligten selbst und auf eigene Kosten zu sorgen. Von diesem Grundsatz war im hier zu entscheidenden Verfahren auch nicht abzuweichen. Trotz entsprechenden Hinweises des Gerichts hat der Antragsteller nicht hinreichend dargetan, inwiefern die vorgelegten fremdsprachigen Schriftstücke für das gerichtliche Verfahren von Bedeutung sind. Dass der Antragsteller aufgrund einer finanziellen Notlage zur Anfertigung einer Übersetzung nicht in der Lage ist, wurde ebenso weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich (vgl. Kimmel in BeckOK, VwGO, Posser/Wolff, 58. Ed. Stand: 1.1.2021, § 55 Rn. 26). Zudem waren die aus 2019 und Anfang 2020 datierenden Unterlagen nicht mehr aktuell. Eine aktuellere deutschsprachige ärztliche Bescheinigung hat der immerhin seit dem 23. September 2020 in Deutschland verweilende Antragsteller nicht eingereicht.
Ohne dass es noch darauf ankommt wird angemerkt, dass selbst bei Vorliegen der geltend gemachten Erkrankungen dies ein Abschiebeverbot nicht zu begründen vermag. Wie bereits ausgeführt, sind die Erkrankungen in Frankreich behandelbar und dies auch gleich nach der Ankunft. Es ist nicht zu befürchten, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Antragstellers droht, ohne dass es jedenfalls in einem Teil des Zielstaats eine ausreichende medizinische Versorgung gäbe. Es ist zudem nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat Frankreich mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG. Auch ist es ausreichend, wenn die medizinische Versorgung nur in einem Teil Frankreichs zur Verfügung stünde, § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG. Dass sich der Antragsteller in Deutschland eine bessere medizinische Behandlung erhofft, kann ein Abschiebeverbot nicht begründen.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenso wenig erfüllt. Hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat, etwa verursacht durch das Corona-Virus oder die humanitäre Lage, sind die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13), so dass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris). Eine sonstige dem Antragsteller individuell drohende Extremgefahr für dessen Leib, Leben oder Freiheit ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Die Gefahr in Frankreich am Corona-Virus SARS-CoV-2 zu erkranken oder gar zu versterben ist für den jungen Antragsteller bei weitem nicht im Bereich eines „real risk“ bzw. einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit.
e) Mit der Zustimmung des angefragten Staates Frankreich zur Aufnahme des Antragstellers steht auch die tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung i.S.v. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest. Etwaige inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse wie etwa eine fehlende Reisefähigkeit, die im Rahmen der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG anders als bei der Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt zu prüfen sind, sind weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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