Europarecht

Dublin-Verfahren, Abschiebungsandrohung nach Belgien, keine drohende unmenschliche Behandlung

Aktenzeichen  AN 14 K 20.50126

Datum:
24.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 32151
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a)
Dublin III-VO

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
5. Die Kläger können die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig (hierzu 1.), aber unbegründet (hierzu 2.)
1. Die Kläger begehren die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 27. Februar 2020. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart bei einer Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG (BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris LS 1 und Rn. 13; U.v. 8.01.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 13). Denn die gerichtliche Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung mittels einer Anfechtungsklage hat zur Folge, dass das Bundesamt das Verfahren fortführen und eine Sachentscheidung treffen muss.
Die Klage ist auch innerhalb der Klagefrist erhoben und im Übrigen zulässig.
2. Die Klage ist unbegründet, da der Bescheid vom 27. Februar 2020 im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG rechtmäßig ist und die Kläger dadurch nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Die Voraussetzungen für die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte Ablehnung des Asylantrags der Kläger als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG i.V.m. der Dublin III-VO liegen vor.
aa) Belgien ist der nach der Dublin III-VO für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständige Mitgliedsstaat. Dies ergibt sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 2.4.2019 – C-582/17 und C-583/17 – juris Rn. 67 und 80) bereits daraus, dass Belgien auf das vom Bundesamt gestellte Wiederaufnahmegesuch nach Art. 23 Dublin III-VO seine Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO anerkannt hat: Denn danach steht die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedsstaats grundsätzlich fest, wenn der ersuchte Mitgliedsstaat das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats zum Abschluss gebracht hat und er seine Zuständigkeit für die (inhaltliche) Prüfung des Antrags anerkennt. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b-d) Dublin III-VO können nämlich nur zur Anwendung kommen, wenn der Mitgliedsstaat, in dem zunächst der Antrag gestellt wurde, das Verfahren zur Prüfung der Zuständigkeit abgeschlossen und seine Zuständigkeit bejaht hat (EuGH a.a.O. Rn. 52).
Daneben ergäbe sich eine Zuständigkeit Deutschlands aber auch nicht aus den in Kapitel III der Dublin III-VO enthaltenen Kriterien. Vielmehr ist Belgien als der Staat, in dem die Kläger auch nach ihrem eigenen Vortrag erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 2 Buchst. b) Dublin III-VO) gestellt haben, hier der nach Anwendung der Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO zuständige Mitgliedsstaat, vgl. Art. 3 Abs. 2 UA 1 Dublin III-VO.
bb) Deutschland ist nicht wegen einer verspäteten Stellung des Wiederaufnahmegesuchs zuständig geworden. Dieses stützte sich vorliegend auf einen EURODAC-Treffer der Kategorie 1 bzgl. Belgiens. Damit galt die 2-Monatsfrist des Art. 23 Abs. 2 UA 1 Dublin III-VO, die eingehalten wurde: Der EURODAC-Treffer wurde vom Bundesamt am 9. Dezember 2019 festgestellt, das Wiederaufnahmegesuch erfolgte am 28. Januar 2020.
cc) Die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ist auch noch nicht abgelaufen.
Grundsätzlich beginnt die Überstellungsfrist mit der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs zu laufen, Art. 29 Abs. 1, 1. Alt. Dublin III-VO.
Allerdings hat das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid nach § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Schwangerschaft der Klägerin zu 2) statt einer Abschiebungsanordnung eine Abschiebungsandrohung erlassen (Ziff. 3 des Bescheids). Der Klage hiergegen kommt nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG aufschiebende Wirkung zu, da hier einer der in § 38 Abs. 1 AsylG geregelten Fälle vorliegt, (vgl. VG Würzburg, U.v. 3.4. 2020 – W 10 K 19.30677 – juris Rn. 34 m.w.N.). Damit ist hier die 2. Alternative des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO einschlägig, die Überstellungsfrist beginnt daher erst mit der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, der gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (vgl. BVerwG, B.v. 10.8.2016 – 1 B 94/16 – juris Rn. 7; VG Frankfurt (Oder), Gerichtsbescheid v. 16.3.2021 – 2 K 885/19.A – juris Rn. 21), hier also der vorliegenden Klage.
Die Überstellungsfrist hat also noch gar nicht zu laufen begonnen.
b) Es liegen grundsätzlich im Hinblick auf das belgische Asylsystem keine außergewöhnlichen Umstände vor, welche die Zuständigkeit Belgiens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin III-VO entfallen ließen und zum Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte nach Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO führen würden. Daneben droht den Kläger bei einer Rückkehr nach Belgien dort auch im Falle ihrer Anerkennung als international Schutzberechtigte keine gegen Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung.
aa) Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für die Kläger führen, bei einer Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass Asylbewerbern im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14; B.v. 6.6.2014 – 10 B 25/14 – juris).
Mit Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – hat der Europäische Gerichtshof die Maßstäbe – aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 GRCh für Asylbewerber und Anerkannte in gleicher Weise – für Rückführungen im Dublin-Raum präzisiert. Aufgrund des fundamental bedeutsamen EU-Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens darf ein Asylbewerber hiernach grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin III-VO für die Bearbeitung seines Antrages zuständig ist bzw. ihm bereits Schutz gewährt hat, es sei denn, er würde dort ausnahmsweise aufgrund der voraussichtlichen Lebensumstände für längere Zeit dem „real risk“ einer Lage extremer materieller Not ausgesetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. des insoweit inhaltlich gleichen Art. 3 EMRK verstößt, das heißt seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtige oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. dazu VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 38).
Die vom Europäischen Gerichtshof geforderte besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland; vgl. auch BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris). Diese Schwelle ist selbst durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situation nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 93.).
bb) Das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen in Belgien stellen sich wie folgt dar:
Das Asylverfahren genügt rechtsstaatlichen Anforderungen und es kann insbesondere gegen negative Entscheidungen gerichtlicher Rechtsschutz eingelegt werden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Gesamtaktualisierung 26.11.2020, S. 7; aida country report: Belgium, 2020 update, S. 21ff; vgl. auch die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid auf S. 4/5).
Grundsätzlich hat jede um internationalen Schutz nachsuchende Person ab dem Zeitpunkt der Antragstellung einen Anspruch auf Unterkunft (aida country report; Belgium, 2020 update, S. 82). Antragsteller, die Interesse an einer Unterbringung durch den belgischen Staat haben, werden zunächst für (mindestens) drei Tage im Ankunftszentrum in Brüssel Klein Kasteeltje/Petit Chateau untergebracht. Personen, die es bevorzugen, nicht auf die staatliche Unterbringung zuzugreifen und stattdessen unter einer privaten Adresse wohnen, haben nach den geltenden Regeln allein Anspruch auf medizinische Versorgung und auf keine sonstigen Unterstützungsleistungen (aida country report; : Belgium, 2020 update, S. 83). Während des Aufenthalts im Ankunftszentrum wird den Antragstellern ein Platz in einem Aufnahmezentrum zugewiesen (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 83). Daneben existieren auch kleinere, von örtlichen Unterbringungsinitiativen oder Nichtregierungsorganisationen betriebene Unterkünfte, die im wesentlichen nur Personen mit besonderer Verletzlichkeit oder besonderen Bedürfnissen offenstehen (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 81).
Personen, die nach der Dublin III-VO nach Belgien rücküberstellt werden, deren Asylverfahren abgeschlossen worden ist, werden dort grundsätzlich als Folgeantragsteller behandelt. Diese haben erst dann einen Anspruch auf Unterbringung, wenn entschieden ist, dass der Folgeantrag zulässig ist (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 86). Eine Ausnahme hiervon bilden Personen, die Belgien bereits vor ihrem ersten Interview verlassen haben: In diesen Fall sieht das Gesetz vor, dass der Folgeantrag als zulässig zu behandeln ist, so dass früher als in den übrigen Fällen ein Anspruch auf Unterbringung besteht (BFA Länderinformationsblatt Belgien, S. 7; aida country report Belgium, 2020 update, S. 53f).
Während des Aufenthalts in einem Aufnahmezentrum erhalten Erwachsene und Kinder über 12 Jahren ein wöchentliches Taschengeld von 8,10 € (Stand 2021), jüngere Kinder von 4,90 € wöchentlich. Daneben wird der Lebensbedarf durch Sachleistungen gedeckt. In den kleinen, von örtlichen Initiativen oder Nichtregierungsorganisationen betriebenen Unterkünften erhalten die Antragsteller wöchentlich Geld in unterschiedlicher Höhe oder Essensgutscheine incl. Taschengeld. Wenn alle verfügbaren Unterkünfte voll oder für die speziellen Bedürfnisse nicht passend sind und die zuständige Behörde (Fedasil) sich dafür entscheidet, keine Unterkunft zuzuweisen, hat der Antragsteller Anspruch auf finanzielle Unterstützung in Höhe der Sozialhilfe, wie sie auch belgische Staatsangehörige bekommen (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 95f).
Asylbewerber, die vier Monate nach Antragstellung noch keine negative Entscheidung über ihren Antrag erhalten haben, haben das Recht zu arbeiten. Arbeitende Asylbewerber, die in einer Aufnahmeeinrichtung leben, müssen mit einem Anteil ihres Arbeitseinkommens zu den Kosten der Unterbringung beitragen und wenn das Einkommen einen bestimmten Betrag übersteigt werden sie von Sachleistungen ausgeschlossen (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 105). Die Schulpflicht gilt auch für die Kinder von Asylantragstellern(aida country report: Belgium, 2020 update, S. 106). Daneben haben Asylbewerber Anspruch auf die medizinische Versorgung, die für ein Leben in Würde notwendig ist. Soweit im Aufnahmezentrum kein Arzt ständig anwesend ist, wird jeweils mit niedergelassenen Ärzten kooperiert (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 107: BFA Länderinformationsblatt Belgien, S. 11). Wenn Asylantragsteller nicht in einem Aufnahmezentrum leben ist der Anspruch auf medizinische Unterstützung gleichwohl nicht reduziert; gleiches gilt, wenn das Recht auf Unterbringung als Sanktion aufgehoben ist (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 108).
Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Dauer von 5 Jahren, Inhaber des subsidiären Schutzstatus mit einer Dauer von einem Jahr, die nach einem Jahr (und anschließend nach zwei Jahren) verlängert wird, wenn die Einwanderungsbehörde nicht der Auffassung ist, dass die Verhältnisse sich geändert haben. Im letzteren Fall wird die zuständige Behörde aufgefordert, den Widerruf des Schutzstatus zu prüfen (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 133). International Schutzberechtigte genießen Freizügigkeit in Belgien (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 149).
Nach ihrer Anerkennung können international Schutzberechtigte noch für zwei Monate in einer Unterbringungseinrichtung (Aufnahmezentrum oder Unterbringungsinitiative) bleiben, danach müssen sie diese verlassen und sich eine eigene Unterkunft suchen. Problematisch ist dabei, dass allgemeine Wohnungsknappheit herrscht und manche Vermieter nicht an Schutzberechtigte vermieten wollen (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 150f; BFA Länderinformationsblatt Belgien, S. 11f). Sie haben Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialhilfe wie belgische Bürger (aida country report: Belgium, 2020 update, S. 153). Daneben können sie eine Krankenversicherung erhalten. Bei bedürftigen Personen kann das Sozialamt auch Behandlungskosten übernehmen, wenn keine Möglichkeit, eine Krankenversicherung abzuschließen, besteht und Bedürftigkeit vorliegt (BFA Länderinformationsblatt Belgien, S. 12).
cc) Auf dieser Tatsachengrundlage leiden das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen in Belgien nicht unter systemischen Mängeln im Sinne von Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung nach Art. 4 GRCh im Falle einer Überstellung der Kläger nach Belgien für diese mit sich brächten (vgl. auch VG Düsseldorf, B.v. 22.1.2019 – 29 L 3642/18.A – juris Rn. 44ff m.w.N.; VG Lüneburg, B.v. 1.3.2019 – 8 B 8/19 juris Rn. 13).
Nach den Aussagen des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung, denen die ebenfalls anwesende Klägerin zu 2) nicht widersprochen hat, haben beide aufgrund einer Konfliktsituation derzeit getrennte Wohnsitze. Sie würden die gemeinsamen Kinder aber weiterhin gemeinsam betreuen und erziehen, ob die eheliche Lebensgemeinschaft gescheitert sei könne derzeit nicht gesagt werden. Damit ist für die Rückkehr nach Belgien von einer weiterhin bestehenden Beistandsgemeinschaft auszugehen.
Aufgrund der Tatsache, dass die Kläger keine Unterlagen über den Ausgang des Asylverfahrens in Belgien vorgelegt haben, steht nicht fest, welchen Stand dieses Verfahren derzeit hat. Letztlich kann dies aber dahingestellt bleiben, da den Klägern in keinem Fall eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung bei einer Rückkehr nach Belgien droht. Daher waren insoweit auch keine weiteren Ermittlungen vorzunehmen.
Geht man davon aus, dass, wie die Klägerin zu 2) bei ihrer Anhörung am 26. Februar 2020 angab, sie in Belgien noch nicht zu den Asylgründen angehört wurden, dann ist nach der dargestellten Auskunftslage der Folgeantrag, den sie nach einer Rückkehr nach Belgien stellen würden, kraft Gesetzes als zulässig zu behandeln. Dies bedeutete, dass die Kläger auch einen Anspruch auf Unterbringung, zunächst im Ankunftszentrum in Brüssel und dann in einer Aufnahmeeinrichtung mit entsprechender Versorgung hätten. Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohte ihnen dann während des laufenden Folgeverfahrens nicht.
Geht man dagegen davon aus, dass die Asylanträge der Kläger bereits abgelehnt wurden, wie es der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angab (wobei es unglaubwürdig ist, dass den Klägern hierzu kein Schriftstück ausgehändigt worden sein soll), dann bestände ein Anspruch auf Unterbringung erst, wenn die zuständige belgische Behörde den Folgeantrag als zulässig ansieht. Ob dies der Fall sein wird, kann durch das Gericht nicht beurteilt werden. Allerdings könnten die Kläger – wie bei ihrem ersten Aufenthalt in Belgien – wiederum auf die Unterstützung durch die Familie des Klägers zu 1) in T. zurückgreifen. Ihre medizinische Versorgung wäre nach der Auskunftslage auch in dieser Zeit sichergestellt.
dd) Aber auch wenn die Kläger in Belgien als international Schutzberechtigte anerkannt würden, würde ihnen in der Folgezeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung drohen. Denn die Kläger hätten dann die Möglichkeit zu arbeiten und ihren Lebensunterhalt dadurch zu verdienen. Ob die Klägerin zu 2) allerdings arbeiten könnte, ist angesichts der Tatsache, dass sie neben dem demnächst auch in Belgien schulpflichtigen Kläger zu 3) noch für zwei weitere, betreuungsbedürftige Kleinkinder verantwortlich ist, für die nach der Auskunftslage eine Unterbringung in einer Krippe oder einem Kindergarten nicht gesichert ist, fraglich. Allerdings könnten die Kläger, falls das Einkommen für den Lebensunterhalt der inzwischen 5-köpfigen Familie nicht ausreichen würde, bei der Gemeinde Sozialhilfe wie belgische Staatsangehörige beantragen.
Soweit in den Auskünften ausgeführt wird, dass nach einer Anerkennung als international Schutzberechtigte nur für 2 Monate die Möglichkeit besteht, weiter in einer staatlichen Einrichtung zu wohnen und es schwer ist, eine Wohnung zu mieten, bestünde wiederum die Möglichkeit, auf die Verwandten des Klägers zu 1) in T. zurückzugreifen.
Es besteht daher nicht die Gefahr, dass die Kläger nach einer Anerkennung als international Schutzberechtigte in Belgien aufgrund der Gleichgültigkeit der dortigen Behörden als vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Personen sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befänden, die es ihnen nicht erlaubten, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Damit droht keine Verletzung von Art. 4 GRCh.
c) Schließlich ist auch die in Ziff. 2 des Bescheids getroffene Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht zu beanstanden. Da Art. 3 EMRK mit Art. 4 GRCh wortlautidentisch ist, können die obigen Ausführungen zu Art. 4 GRCh auf Art. 3 EMRK übertragen werden. Daher besteht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind weder schwere Krankheiten der Kläger vorgetragen, noch ergeben sich solche aus dem Akteninhalt.
d) Die in Ziff. 3 des Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Insoweit wird nach § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
e) Auch das in Ziff. 4 getroffene Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist rechtmäßig. Das Verbot ist nach dem Gesetzeswortlaut zwingend anzuordnen. Die Festsetzung der Frist erfolgt nach § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessenswege. Dass die festgesetzte Frist von 18 Monaten ab dem Tag der Abschiebung vorliegend ermessensfehlerhaft wäre, ist nicht erkennbar. Der Kläger zu 1) hat bei seiner Anhörung insoweit zwar angegeben, dass seine Mutter und eine Halbschwester in Deutschland lebten. Allerdings erfolgte diese Angabe nur „soweit er wisse“, also sehr vage. Außerdem wurden keinerlei Angaben dazu gemacht, ob diese Familienangehörigen über einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland verfügen. Daher konnten sie nicht berücksichtigt werden. Soweit die Klägerin zu 2) angegeben hat, dass eine Schwester ihres Großvaters in Deutschland lebe, liegen ebenfalls keine Angaben zu einem gesicherten Aufenthalt vor. Daneben handelt es sich um eine entfernte Verwandte, so dass die festgesetzte Frist dadurch nicht ermessensfehlerhaft wird.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.


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