Europarecht

Dublin-Verfahren (Bulgarien)

Aktenzeichen  M 1 K 16.51259

Datum:
6.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2

 

Leitsatz

Trotz punktueller Defizite leiden das bulgarische Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen nicht an systemischen Mängeln.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Gem. § 101 Abs. 2 VwGO konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da beide Parteien auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid ist recht-mäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein an-derer Staat nach Maßgabe der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfah-rens zuständig ist. Gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt in ei-nem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
1. Vorliegend ist Bulgarien als erster Mitgliedstaat, in dem der Kläger ausweislich des Eurodac-Treffers der Kategorie 1 für Bulgarien einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin-III-VO zuständig. Die bulgarischen Behörden haben das Übernahmeersuchen vom 21. November 2016 am 1. Dezember 2016 akzeptiert.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers ist auch nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen. Die Überstellungsfrist ist noch nicht abgelaufen, da sie ordnungsgemäß nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO auf 18 Monate verlängert wurde.
Der Kläger ist am 19. Januar 2017 untergetaucht und war daher zum Zeitpunkt der Verlängerung der Überstellungsfrist durch die Beklagte am 30. Januar 2017 flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO. Erst nach erfolgter Verlängerung der Überstellungsfrist unter ordnungsgemäßer Beteiligung der bulgarischen Behörden erhielt die Beklagte am 20. April 2017 Kenntnis vom Eintritt des Klägers ins Kirchenasyl bzw. von seinem neuen Aufenthaltsort. Ermessensfehler im Hinblick auf das der Beklagten in Bezug auf die Verlängerung der Überstellungsfrist eingeräumte Ermessen sind nicht erkennbar.
2. Besondere Umstände, welche die ausnahmsweise Zuständigkeit der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin-III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Kläger seiner Überstellung nach Bulgarien nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Bulgarien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin-III-VO).
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtli-chen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Bulgarien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. insoweit die ausführliche Begründung im Beschluss vom 28. Dezember 2016 im Eilverfahren M 1 S. 16.51260 – S. 6 bis S. 11 – sowie BayVGH, U.v. 29.01.2015 – 13a B 14.50039 – juris Rn. 27 ff.; VG München, B.v. 11.10.2016 – M 24 S. 16.50485; B.v. 6.9.2017 – M 1 S. 17.52228; Gerichtsbescheid v. 11.4.2017 – M 24 K 16.50488).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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