Europarecht

Dublin-Verfahren (Frankreich)

Aktenzeichen  W 8 S 17.50301

Datum:
31.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2

 

Leitsatz

Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, das französische Asylsystem leide an systemischen Mängeln, aufgrund derer dorthin zurücküberstellte Asylsuchende einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh ausgesetzt wären. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist armenischer Staatsangehöriger. Er reiste am … 2017 in die … ein und stellte am … 2017 einen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 18. Mai 2017 erklärten die französischen Behörden mit Schreiben vom 23. Mai 2017 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Frankreich wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf neun Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 29. Mai 2017 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 17.50300 Klage und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 23. Mai 2017 wird angeordnet.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 17.50300) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 23. Mai 2017 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.
Frankreich ist für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Frankreichs ergibt sich vorliegend aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das französische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta (GRCharta) ausgesetzt wären. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im französischem Asylsystem, zumal der Antragsteller nichts Dahingehendes vorgebracht hat.
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO gemacht hat.
Konkret sind insbesondere keine gewichtigen Erkrankungen ersichtlich – vorgebracht wurde im Wesentlichen eine Erkrankung des Herzens sowie der Schilddrüse -, die in Frankreich nicht behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnten. Ärztliche Atteste wurden keine vorgelegt.
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht ersichtlich. Eine Reise- oder Transportunfähigkeit wurde vom Antragsteller nicht substanziiert geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Auch der Umstand, dass der Antragsteller zusammen mit seinem Sohn eingereist ist, der ihn unterstützt, führt, nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn der Sohn ist volljährig, so dass dem Antragsteller die Vorschrift des § 43 Abs. 3 i.V.m. § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG nicht zugutekommt. Eine (vorübergehende) Trennung von Vater und volljährigem Sohn ist zumutbar und von Rechts wegen nicht ausgeschlossen. Auch Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO definiert volljährige Kinder nicht als Familienangehörige; eine schützenswerte Familieneinheit liegt demnach nicht vor.
Des Weiteren besteht auch kein Anspruch auf Selbsteintritt gemäß Art. 16 Dublin III-VO. Zweck des Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO ist es wegen einer aktuellen Hilfsbedürftigkeit Hilfeleistung, Unterstützung und familiäre Fürsorge, etwa auch durch ein volljährigen Kindes, zu ermöglichen; eine Trennung soll vermieden werden. Voraussetzung für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Dublin III-VO ist, dass anhand von – hier nicht vorliegenden – Attesten glaubhaft ist, dass der betreffende an einer schweren Krankheit leidet, aufgrund der er zwingend auf die Unterstützung angewiesen wäre. Dabei ist das die Zuständigkeit begründete Abhängigkeitsverhältnis auf Ausnahmesituationen besonderer Hilfsbedürftigkeit beschränkt. Allein das Vorhandensein – auch einer schweren Erkrankung – begründet noch keinen Anspruch auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts, wenn diese wie hier regelmäßig auch im zuständigen Mitgliedsstaat behandelbar ist (VG München, U.v. 6.5.2016 – M 12 K 15.50793 – juris).
Die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO liegen danach nicht vor. Erforderlich ist nämlich eine besondere Hilfsbedürftigkeit, die sich zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht feststellen lässt. Es fehlen jegliche Atteste, denen entnommen werden könnte, dass insofern eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr des Eintritts gravierender gesundheitliche Folgen im Fall der Trennung besteht, denen nicht anders begegnet werden könnte, als mit einer gemeinsamen Anwesenheit in Deutschland.
Des Weiteren befindet sich volljährige Sohn offenbar selbst im Dublin-Verfahren und hält sich nicht rechtmäßig in Deutschland auf. Denn die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Sohnes im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO setzt voraus, dass dieser durch einer exekutiven oder legislativen Akt legalisiert wurde. Eine Gestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG stellt keine derartige Legalisierung dar (vgl. VG München, B.v. 30.12.2015 – M 12 S. 15.50773 – juris). § 55 Abs. 1 AsylG vermittelt nur ein vorübergehendes verfahrensbegleitendes Aufenthaltsrecht, aber keinen dauerhaft rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des Art. 16 Dublin III-VO (VG Berlin, B.v. 20.8.2015 – 33 L 244.15 A – juris).
Abgesehen davon, dass selbst bei einer getrennten Überstellung des Antragstellers von seinem volljährigen Sohn eine (vorübergehende) Trennung zumutbar erscheint, ist weiter nicht ersichtlich, dass die vom Antragsteller seitens seines Sohnes benötigte Hilfe in Frankreich nicht auch anderweitig gewährt werden könnte.
Im Ergebnis hat der Antragsteller keinen Anspruch, dass die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung mit Rücksicht auf seinen Sohn vorläufig ausgesetzt wird.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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