Europarecht

Dublin-Verfahren (Italien)

Aktenzeichen  M 9 S 16.50442

Datum:
18.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ein alleinstehender Mann läuft im Falle seiner Rückkehr nach Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, wegen systemischer Mängel im dortigen Asylverfahren und/oder der Aufnahmebedingungen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, weil er die elementaren Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrungsaufnahme, Hygienebedürfnis, medizinische Grundversorgung) in noch zumutbarer Weise befriedigen kann. (redaktioneller Leitsatz)
2 Italien verfügt über eine umfassende Gesundheitsfürsorge, die für italienische Staatsbürger sowie Flüchtlinge, Asylbewerber und unter humanitärem Schutz stehende Personen gleichermaßen zugänglich ist. Eine kostenfreie medizinische Versorgung steht auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der 1981 geborene Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am 21. September 2015 in das Bundesgebiet ein. Er beantragte am 23. Februar 2016 Asyl (Bl. 15 des Behördenakts). Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Nigerias. Nach eigenen Angaben hat er am 8. Juni 2015 in Italien internationalen Schutz beantragt (Bl. 4 des Behördenakts).
Aufgrund dessen und wegen eines Eurodac-Treffers wurde am 17. März 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet (Bl. 42ff. des Behördenakts). Die italienischen Behörden haben bis dato nicht geantwortet.
Mit Bescheid vom … Juni 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1.), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 2.) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Der Asylantrag sei unzulässig, da Italien zuständig sei, § 27a AsylG. Außergewöhnliche humanitäre Gründe für ein Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO seien nicht ersichtlich. Auf die Gründe des Bescheids wird Bezug genommen.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers hat mit Schriftsatz vom 27. Juni 2016 Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom … Juni 2016, Az. …, anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Es werde nicht abgestritten, dass Italien grundsätzlich als der Staat der ersten Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei. Eine Überstellung des Antragstellers nach Italien sei jedoch wegen systematischer Schwachstellen des italienischen Asylsystems, v.a. im Hinblick auf die Unterbringungsbedingungen von Asylsuchenden, derzeit unmöglich. Die Kapazität Italiens sei erschöpft. Die positiven Ausführungen des Bescheids zur Lage in Italien korrespondierten nicht mit der Praxis. Der Antragsteller sei krank und müsse operiert werden. Die Operation solle am 15. Juli 2016 stattfinden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung werde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach § 27a AsylG a. F. bzw. nach – im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgebenden Zeitpunkt nunmehr einschlägigen – § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat u. a. aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, v.a. nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO. Die italienischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch vom 17. März 2016 nicht geantwortet.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Zusätzliche Aufnahmezentren sind geschaffen worden. Aktuelle Erkenntnisse diesbezüglich liegen den neueren Entscheidungen zugrunde (BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NRW, U. v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden.
Auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 4. November 2014 – 29217/12 – juris ergibt sich nichts anderes. Der EGMR hat hier keine systemischen Mängel in Italien gesehen, sondern lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller des dortigen Verfahrens in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien, wohingegen der Antragsteller eine volljährige Einzelperson ist. Ein alleinstehender Mann gehört nicht zu den besonders schutzwürdigen Personen im Sinn der genannten Entscheidung des EGMR (EGMR, E.v. 5.2.2015 – 51428/10 – juris; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris).
Aus diesen Gründen bestand für die Beklagte auch keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer Reiseunfähigkeit im engeren Sinne – Transportunfähigkeit – oder in Form einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne – erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands als unmittelbare Folge der Abschiebung – (BVerfG, B. v. 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14 – BeckRS 2014, 56447) wurde nicht belegt. Zu den Akten gegeben wurde lediglich ein Überweisungsschein, aus dem sich die Diagnose Pterygium nasale ergibt, der aber keine Hinweise auf eine deswegen bestehende Reiseunfähigkeit enthält. Es ist nicht dargelegt worden, wieso ein als Pterygium (Flügelfell) bezeichnetes Aufwachsen der Bindehaut auf die Hornhaut eine Reiseunfähigkeit bedingen sollte. Eine nur in ausgeprägten Fällen notwendige operative Entfernung des Pterygiums kann auch in Italien erfolgen. Sollte im Falle des Antragstellers am 15. Juli 2016 bereits eine entsprechende Operation in Deutschland durchgeführt worden sein – Nachweise hierüber wurden dem Gericht nicht vorgelegt -, so kann auch eine etwaig erforderliche Nachbehandlung in Italien erfolgen. Für eine Reiseunfähigkeit aufgrund der im jetzigen Entscheidungszeitpunkt mehr als einen Monat zurückliegenden Operation wurde nichts vorgetragen, eine solche ist auch nicht ersichtlich.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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