Europarecht

Eilrechtsschutz bei Wiedereinreise nach einem ersten abgeschlossenen Dublin-Verfahren

Aktenzeichen  AN 17 S 20.50245

Datum:
10.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19876
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1, Abs. 2
VwVfG § 51
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 13 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1, Art. 23
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Januar 2018 (C-360/16 – juris) bedarf es auch im Falle der Abschiebung und Wiedereinreise nach einem ersten abgeschlossenen Dublin-Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit im Asylverfahren der Durchführung eines erneuten Wiederaufnahmeverfahrens nach der Dublin III-VO. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Regelungen der Dublin III-VO gehen davon aus, dass es grundsätzlich bei einer einmal festgelegten Zuständigkeit bis zum Abschluss des kompletten Asylverfahrens bleibt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Europäische Gerichtshofs hält ein erneutes Überstellungsverfahren bei einer Wiedereinreise nach vollzogener Abschiebung vor allem aus Gründen eines ausreichenden Rechtsschutzes für den Asylantragsteller für notwendig. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eines Rückgriffs auf die Auffangvorschrift des Art. 3 Abs. 2, Unterabsatz 1 Dublin III-VO, wonach der erste Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt worden ist, zuständig ist, bedarf es nicht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt Abschiebungsschutz im Hinblick auf Frankreich nach der Durchführung eines zweiten Dublin-Verfahrens nach vollzogener Abschiebung aufgrund eines ersten Dublin-Verfahrens und anschließender Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland.
Der 1985 im Iran geborene Antragsteller ist iranischer Staatsbürger persischer Volkszugehörigkeit. Er ist eigenen Angaben zufolge verheiratet aber alleinreisend.
Nach den Angaben des Antragstellers und den Ermittlungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) wurden dem Antragsteller bei seiner Einreise in den Geltungsbereich der Mitgliedsstaaten der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) am 15. Mai 2017 in der Republik Frankreich Fingerabdrücke abgenommen (EURODAC-Treffermeldung vom 15. Juni 2020). Die EURODAC-Datenbank weist ansonsten nur einen weiteren Treffer für die Bundesrepublik Deutschland mit Abgabe der Fingerabdrücke am 28. Mai 2019 aus. In Frankreich sei der Antragsteller gemäß seinen Angaben im ersten Dublin-Verfahren im Oktober 2016 eingereist und habe dort einen Asylantrag gestellt, wobei er den genauen Reiseweg von seinem Heimatland bis nach Frankreich nicht wiedergeben könne; er sei aber über die Türkei und Italien gereist, wo er in … auf der Straße gelebt habe. In Frankreich habe er vor seiner ersten Einreise nach Deutschland etwa zwei Jahre auch auf der Straße gelebt. Erstmals war der Antragsteller dann am 28. Mai 2019 aus Frankreich nach Deutschland eingereist und hatte am 11. Juni 2019 beim Bundesamt einen förmlichen Asylantrag gestellt (Az. d. BAMF: …*). Mit Bescheid vom 2. Juli 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Frankreich an, das zuvor seine Übernahmebereitschaft und seine Zuständigkeit für das Asylverfahren mit Schreiben vom 27. Juni 2019 anerkannt hatte. Ein gegen diesen Bescheid gerichtetes Klageverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach (Az. AN 17 K 19.50700; Klagerücknahme und Einstellungsbeschluss am 30. September 2019) sowie ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die Abschiebungsanordnung (Az. AN 17 S 19.50699; Beschluss vom 24. Juli 2019) blieben erfolglos. Der vorgenannte Bescheid ist seit dem 30. September 2019 bestandskräftig. Die Rückführung des Antragstellers nach Frankreich im Rahmen des ersten Dublin-Verfahrens erfolgte am 12. November 2019 innerhalb der sechsmonatigen regelmäßigen Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO.
Am 12. Mai 2020 reiste der Antragsteller erneut in das Bundesgebiet ein und stellte am 18. Mai 2020 einen weiteren Asylantrag (Az. d. BAMF-Akte:* …*). Der Antragsteller wurde zunächst schriftlich und sodann am 15. Juni 2020 auch persönlich zur Zulässigkeit des Asylantrages gehört. Er gab an, die Zeit in Frankreich überwiegend in Haft verbracht zu haben und legte zwei in französischer Sprache verfasste Dokumente vor, die das Bundesamt ins Deutsche übersetzen ließ. Es handelt sich hierbei zum einen um eine Bescheinigung über die Abgabe von Identitätspapieren, ausgestellt im Abschiebezentrum Nr. 3 in … sowie im Weiteren um eine Identitätskarte für den Antragsteller, ausgestellt im Abschiebezentrum Nr. 2A in Paris. Der Antragsteller gab in seiner Anhörung vor dem Bundesamt weiter an, Anhörungen vor französischen Gerichten zu seiner Haft seien erfolglos geblieben und er sei erst nach Auftreten des Corona-Virus aus der Haft entlassen worden. Es habe sich um Abschiebehaft gehandelt. Gegen die Ablehnung seines Asylantrages habe er in Frankreich auch geklagt, jedoch erfolglos. Eine Abschiebung in den Iran habe aber nicht stattfinden können, wobei er nicht wisse, was genau das Problem dabei gewesen sei. Nach Deutschland sei er zurückgekehrt, weil er in diesem Land eine Asylakte habe. Der Antragsteller verneinte in seiner Anhörung vor dem Bundesamt, aktuell an behandlungsbedürftigen Erkrankungen zu leiden oder sich in ärztlicher Behandlung zu befinden. Er gab schließlich an, keine Bekannten oder Verwandten in Deutschland zu haben.
Auf ein erneutes Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin am 16. Juni 2020 hin teilte die Republik Frankreich am 18. Juni 2020 mit, dass die Rückübernahme des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 d) Dublin III-VO akzeptiert werde.
Mit Bescheid vom 22. Juni 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2.), ordnete die Abschiebung nach Frankreich an (Ziffer 3.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die den Bescheid tragenden Feststellungen und Gründe verwiesen.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 25. Juni 2020 gegen Empfangsbestätigung in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf übergeben.
Zur Niederschrift der Rechtsantragsstelle am Verwaltungsgericht Ansbach erhob der Antragsteller am 30. Juni 2020 hiergegen Klage (Az. AN 17 K 20.50246) und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin äußerte sich mit Schriftsatz vom 7. Juli 2020 und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid unter Bezugnahme auf dessen Gründe.
Das Gericht hat die Verfahrensakte AN 17 S 19.50699/AN 17 K 19.50700 sowie die entsprechenden behördlichen Akten sowohl des ersten als auch des aktuellen Dublin-Verfahrens des Antragstellers beigezogen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte des laufenden Verfahrens und die beigezogenen Akten verwiesen.
II.
Der sachgerecht als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage – nur – gegen Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes vom 22. Juni 2020 auszulegende Antrag ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzulehnen.
Die vom Gericht im Rahmen des Eilrechtsschutzes vorzunehmende Interessensabwägung ergibt ein Überwiegen des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine maßgebliche Rolle. Die Überprüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheklage aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Ziffer 3. des Bescheids vom 22. Juni 2020 getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) nämlich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller damit nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG.
Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Januar 2018 (C-360/16 – juris) bedarf es auch im Falle der Abschiebung und Wiedereinreise nach einem ersten abgeschlossenen Dublin-Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit im Asylverfahren der Durchführung eines erneuten Wiederaufnahmeverfahrens nach der Dublin III-VO. Ein Verfahren nach Art. 23 Dublin III-VO wurde vorliegend aber ordnungsgemäß innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO durchgeführt und Frankreich hat seine Wieder-Aufnahmebereitschaft fristgerecht und ausdrücklich innerhalb von zwei Wochen nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erklärt.
Frankreich ist für das Asylverfahren des Antragstellers auch weiterhin zuständig und zur Rückübernahme der Person des Antragstellers verpflichtet.
Für die Frage der Zuständigkeit Frankreichs ist nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich auf den ersten Dublin-Bescheid vom 2. Juli 2019 zurückzugreifen, mit dem die Zuständigkeitsfrage zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin bestandskräftig festgestellt wurde (so auch VG München, B.v. 14.6.2016, M 25 S 16.50344 – juris Rn. 16; VG Ansbach, B.v. 15.4.2019, AN 17 S 19.50384 – BeckRS 2019, 7269). Die Zuständigkeit Frankreichs ergibt sich dementsprechend (weiter) aus Art. 13 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO (vgl. dazu die Gründe des Beschlusses vom 24. Juli 2019 im Verfahren AN 17 S 19.50699 – juris).
Die Regelungen der Dublin III-VO gehen davon aus, dass es grundsätzlich bei einer einmal festgelegten Zuständigkeit bis zum Abschluss des kompletten Asylverfahrens bleibt. Hiervon zeugt insbesondere die Regelung des Art. 18 Abs. 1 d) Dublin III-VO, die auch das Vollzugsverfahren noch in die Zuständigkeit des ersten Einreisestaates stellt. Nach Art. 19 Abs. 2 und Abs. 3 Dublin III-VO entfällt außerdem die Rückübernahmeverpflichtung des zuständigen Staates nur in den Fällen, in denen der Asylantragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (nicht aber eines einzelnen Mitgliedstaates!) nachweislich für mindestens drei Monate verlassen hat (Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO) oder der Asylantragsteller nach Abschiebung in sein Heimatland erneut in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist ist (Art. 19 Abs. 3 Dublin III-VO), nicht aber, wenn eine Abschiebung von einem Mitgliedstaat in den anderen Mitgliedstaat aufgrund der Dublin III-VO erfolgt ist. Nur in den erst genannten Fällen löst ein neuer Antrag eine neue Bestimmung der Zuständigkeit aus (vgl. jeweils Unterabsatz 2 von Art. 19 Abs. 2 und Abs. 3 Dublin III-VO). Auch aus Art. 20 Abs. 1 und 5 Dublin III-VO und Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ergibt sich der Grundsatz, dass es bei einer einmal festgelegten Zuständigkeit innerhalb der Dublin-Staaten grundsätzlich bleibt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des EuGH vom 25. Januar 2018. Zwar hält dieser ein erneutes Überstellungsverfahren bei einer Wiedereinreise nach vollzogener Abschiebung vor allem aus Gründen eines ausreichenden Rechtschutzes für den Asylantragsteller für notwendig – der Asylantragsteller muss sich nach den Ausführungen des EuGH aufgrund der Rechtsmittelgarantie des Art. 27 Dublin III-VO auf geänderte Umstände berufen können – und begründet eine erfolgte Überstellung des Asylantragstellers als solche keine endgültige Zuständigkeit des Erst-Mitgliedstaates, sondern ist dieser Mitgliedstaat vielmehr erneut mittels eines Verfahrens nach Art. 23 bzw. 24 Dublin III-VO anzugehen. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Zuständigkeit nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO und die Fristberechnung nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO neu aufgerollt werden müssten. Insoweit handelt es sich um einen abgeschlossenen, bereits endgültig – gegebenenfalls auch gerichtlich – überprüften Sachverhalt und nicht um eine Änderung des ursprünglichen Sachverhalts.
Eines Rückgriffs auf die Auffangvorschrift des Art. 3 Abs. 2, Unterabsatz 1 Dublin III-VO, wonach der erste Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt worden ist, zuständig ist, bedarf es demnach nicht.
Gemäß Art. 18 Abs. 1 d) Dublin III-VO ist Frankreich auch nach zwischenzeitlicher Ablehnung des Asylantrags dort weiter verpflichtet, den Antragsteller wiederaufzunehmen. Nach Art. 18 Abs. 1 d) Dublin III-VO ist ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin III-VO wiederaufzunehmen. Die Fortsetzung und zwischenzeitliche Beendigung des Asylverfahrens in Frankreich ändert an der Rücknahmeverpflichtung Frankreichs nichts. Sie besteht auch für den Vollzug einer negativen Asylentscheidung.
Durch den bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes vom 2. Juli 2019 ist vorliegend zu Grunde zu legen, dass zunächst – bis zum Abschluss des ersten Dublin-Verfahrens – keine Umstände vorgelegen haben, die ausnahmsweise die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2, Unterabsatz 2 Dublin III-VO begründet oder zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichtet haben.
Hieran hat sich zwischenzeitlich auch nichts geändert. Ein Wiederaufnahmegrund nach § 51 Abs. 1 VwVfG, der insoweit vorliegen müsste, ist nicht ersichtlich. Die Rechtsprechung der 17. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach und der überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Einzelrichter vorliegend anschließt, geht nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel weiterhin davon aus, dass systemische Mängel in Bezug auf Frankreich nicht vorliegen (vgl. VG Würzburg, B.v. 2.1.2019, W 8 S 19.50584; VG München, B.v. 14.8.2018, M 9 S 18.52509; VG Augsburg, B.v. 24.7.2018, Au 6 K 18.50603; VG Lüneburg, B.v. 14.3.2019, 8 B 41/19; VG Leipzig, GB v. 15.3.2019, 6 K 232/19.A; VG Arnsberg, B.v. 25.4.2019, 12 L 190/19.A – jeweils juris; VG Ansbach Urt. v. 20.8.2019 – 17 K 19.50538, BeckRS 2019, 20038).
Der Antragsteller hat keine neuen, die Wiederaufnahme rechtfertigenden individuellen Gründe vorgetragen oder substantiiert zu den Lebensverhältnissen oder Umständen in Frankreich etwas vorgetragen, was auf zwischenzeitlich eingetretene systemische Schwachstellen im dortigen Asylverfahren oder auf unmenschliche Lebensumstände dort schließen ließe. Die Ablehnung eines Asylantrags als solches lässt keine derartigen Rückschlüsse zu, nach erfolgslos abgeschlossenem Asylverfahren auch nicht eine drohende Abschiebung ins Heimatland oder die Anordnung von Abschiebehaft zu dessen Durchsetzung. Der Vortrag des Antragstellers zu seiner Haft in Frankreich weist demnach nicht per se auf Mängel im französischen Asylsystem hin. Weiteren Vortrag, wie er sein Leben zwischen seiner Haftentlassung und der Wiedereinreise nach Deutschland gemeistert hat, hat der Antragsteller vor dem Bundesamt nicht gehalten und dazu bislang auch keine Angaben im Rahmen einer Klage- oder Antragsbegründung gemacht.
Das Gericht sieht solche systemischen Mängel auch nicht von Amts wegen aufgrund der jüngsten Verurteilung der Republik Frankreich durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in den Rechtssachen N.H. u. Andere (Az. 28820/13, 75547/13 u. 13114/15; siehe Pressemitteilung des EGMR vom 2. Juli 2020 Nr. 202/2020, abrufbar unter https://hudoc.echr.coe.int/), denn der Entscheidung des EGMR lagen noch Verhältnisse prekärer Unterkunfts- und Versorgungssituationen von Flüchtlingen im Zeitraum 2013 bis 2015 zugrunde, die nach Mitteilung der gerichtlichen Erkenntnismittel zu Frankreich jedoch gerade Gegenstand von Verbesserungsbemühungen des französischen Staates in seinem Asylsystem waren und sind, wenn auch gerade die Frage der Versorgung mit Obdach weiterhin angespannt und oft prekär bleibt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Frankreich, Ziffer 6.1 Unterbringung, Stand: 29.01.2018, S. 9 f.). Ein Untätigbleiben des französischen Staates im Umgang mit Menschen, die auf seinem Hoheitsgebiet um internationalen Schutz nachsuchen, auch für die jüngste Vergangenheit lässt sich aus dem Urteil des EGMR nicht schließen und ist für das erkennende Gericht in der vorliegenden Sache auch nicht aus seinen Erkenntnismitteln ableitbar.
Genauso wenig bietet der Vortrag des Antragstellers Ansatzpunkte für ein nunmehr vorliegendes Abschiebungsverbot nach Art. 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
Nachdem Frankreich der erneuten Rücküberstellung des Antragstellers zugestimmt hat und die Rücküberstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO) noch nicht abgelaufen ist, ist die Abschiebung derzeit auch durchführbar. Der tatsächlichen Durchführbarkeit stehen dabei aktuell auch keine Reise- oder Grenzübertrittsbeschränkungen der Republik Frankreich von Deutschland aus aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie entgegen, denn Überstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens werden zwischen Deutschland und Frankreich nach Mitteilung der Regierung von Mittelfranken vom 8. Juli 2020 seit dem 15. Juni 2020 wieder vollzogen und kann eine Überstellung insbesondere auch auf dem Landweg am Grenzübergang Kehl ohne Inanspruchnahme eines Flugverkehrsmittels realisiert werden. Auf vertiefende rechtliche Fragen zur tatsächlichen Durchführbarkeit einer Abschiebungsanordnung kommt es somit nicht an. Die Abschiebungsanordnung erging rechtmäßig.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist damit abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
gez.

– …


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