Europarecht

Einstellung des Asylverfahrens nach Untertauchen des Asylbewerbers

Aktenzeichen  RO 3 K 17.31202

Datum:
19.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150269
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Die Fiktion nach § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG kann der Asylbewerber nicht dadurch entkräften, dass er wieder „auftaucht“ sondern nur dadurch, dass er schlüssig darlegt, nicht untergetaucht gewesen zu sein. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 § 33 AsylG dient der Verfahrensbeschleunigung und -konzentration, die unterlaufen würde, wenn man dem Bundesamt Nachforschungspflichten zum Verbleib des untergetauchten Asylbewerbers auferlegen würde. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist in Ziffer II vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Es konnte ohne Teilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung entschieden werden, da ein entsprechender Hinweis in der Ladung enthalten war. Zudem war der Kläger anwaltlich vertreten und sein Prozessbevollmächtigter hat an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.
Der Klägervertreter hat sich in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf seinen mit Schreiben vom 16. März 2017 gestellten Klageantrag bezogen. Der Feststellungsantrag wird – da er ausdrücklich gestellt wurde -, hierbei nicht lediglich als deklaratorischer Antrag aufgefasst.
Soweit der Kläger die Feststellung beantragt, dass die Beklagte verpflichtet ist, das mit Bescheid vom 3. März 2017 eingestellt Verfahren des Klägers fortzuführen, fehlt der Klage das Rechtsschutzbedürfnis, sie ist insofern nicht zulässig. Denn diese Folge ergibt sich nach Aufhebung des angefochtenen Bescheids aus §§ 5 ff., 24 und 31 AsylG. Zudem gilt für die Feststellungsklage § 43 Abs. 2 VwGO.
Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet.
Ihr fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, nachdem der Kläger einen Fortführungsantrag beim Bundesamt gestellt hat (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 20.7.2016, 2 BvR 1385/16).
Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er untergetaucht ist.
Hierauf stellt der angefochtene Bescheid ab. Hierbei bezieht sich das Bundesamt auf das Schreiben des Landratsamts Neumarkt i.d.OPf. vom 1. März 2017. Danach ist der Antragsteller seit 1. Februar 2017 unbekannten Aufenthalts und von Amts wegen abgemeldet worden, weil er seinen Aufenthaltsort geändert hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Dies war vorliegend der Fall.
Zwar mag sich im Verlauf des Klageverfahrens durch Nachfrage des Gerichts beim Landratsamt Neumarkt i.d.OPf und dessen Nachforschungen bei der Unterkunftsleitung herausgestellt haben, dass der Kläger für die Zeit ab 20. Februar 2017 rückwirkend durch Erklärung wieder in der Unterkunft durch den Unterkunftsleiter angemeldet wurde, was dem Landratsamt 29. März 2017 bekannt wurde (vgl. Schreiben des Landratsamts Neumarkt vom 29.3.2017 und 29.5.2017), denn die angebliche Email vom 27. Februar 2017 kam beim Landratsamt nicht an, insbesondere weder in der Einwohnermeldebehörde noch in der Ausländerbehörde. Es steht jedoch sogar nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten fest, dass der Kläger im Zeitraum 5. Februar bis 20. Februar 2017 untergetaucht war, da er unbekannten Aufenthalts war. Nach Mitteilung der Ausländerbehörde an das Bundesamt vom 1. März 2017 war der Kläger bereits am 1. Februar unbekannten Aufenthalts. Dieser Zeitraum entspricht der Mitteilung des Unterkunftsleiters (s. Schreiben des Landratsamts Neumarkt vom 29.5.2017). Nach Mitteilung der Klägerseite war er vom 5. bis 20. Februar in Stuttgart. Damit befand sich der Kläger nicht in der Unterkunft. Er hatte seinen Aufenthaltsort geändert, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Weder dem Unterkunftsleiter, dem Landratsamt (u.a. der Ausländerbehörde) noch der Beklagten war der Aufenthaltsort des Klägers im fraglichen Zeitraum bekannt. Er war somit unbekannten Aufenthalts und damit untergetaucht.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Schreiben des Landratsamts Neumarkt i.d.OPf. vom 29. Mai 2017 mit Anlagen. Sonach hat der Kläger die bis 22. April 2017 gültige und bereits vorbereitete Aufenthaltsgestattung am 27. Februar 2017 und damit erst nach dem o.g. Zeitraum des Untertauchens abgeholt. Daraus, dass der Kläger erst verspätet seine Aufenthaltsgestattung verlängern ließ, ergibt sich gerade nicht, dass er im fraglichen Zeitraum nicht untergetaucht war. Aus der Anlage 9, die die Klägerseite vorgelegt hat ergibt sich nicht, wann die Verlängerung der Aufenthaltsgestattung ausgestellt wurde. Auf der Aufenthaltsgestattung, die bis 24. Januar 2017 gültig ist, befindet sich lediglich ein Stempel vom 15. Dezember 2016, die auch auf der Kopie der Aufenthaltsgestattung erkennbar ist, die bis 22. April 2017 gilt. Es ist daher deswegen gerade nicht davon auszugehen, dass der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgestattung im Zeitraum 1. Februar bis 1. März 2017 gestellt wurde.
Die Ausländerbehörde hat die Meldung vom Untertauchen an das Bundesamt abgegeben, weil nach ihrer Kenntnis, der Ausländer auch tatsächlich unbekannten Aufenthalts war. Das Bundesamt musste keine Zweifel an der Meldung der Ausländerbehörde haben. Die Korrespondenz des Bundesamts mit dem Prozessbevollmächtigen des Klägers wie auch ggf. der bestehende Kontakt des Klägers mit dem Prozessbevollmächtigen in Karlsruhe schließen ein zwischenzeitliches Untertauchen gerade nicht aus. Einem Untertauchen und der in § 33 Abs. 1 AsylG genannten Folge steht auch nicht entgegen, wenn der Kläger nach mehrwöchiger Abwesenheit wieder Wohnsitz in seiner früheren Unterkunft genommen hat, mithin wieder aufgetaucht ist.
Damit war die Fiktion des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 1 AsylG bereits eingetreten, als der Kläger nach mehrwöchiger Abwesenheit in der Unterkunft wieder aufgetaucht ist. Diese Fiktion kann der Kläger nicht dadurch entkräften, dass er wieder „auftaucht“ sondern nur dadurch, dass er schlüssig darlegt, nicht untergetaucht gewesen zu sein, was vorliegend nicht der Fall ist. § 33 AsylG geht vorliegend davon aus, dass auch untergetauchte Asylbewerber wieder auftauchen und ihr Verfahren fortführen können. Denn § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG schreibt gerade auch für Fälle wie dem vorliegenden vor, dass der Asylbewerber, dessen Verfahren gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 und 3 AsylG eingestellt wurde, einen Wiederaufnahmeantrag hinsichtlich des Verfahrens stellen kann. Würde aber bei Wiederauftauchen des Asylbewerbers das Verfahren automatisch fortgesetzt bzw. die Fiktion entkräftet, hätte es einer anderweitigen gesetzlichen Regelung in § 33 AsylG bedurft. Auch trifft § 33 AsylG keine Regelung dahingehend, dass ein Untertauchen von nahezu drei Wochen unschädlich oder unbeachtlich sei. Vielmehr handelt es sich vorliegend um einen nicht unbeachtlichen Zeitraum, der den Schluss zulässt, dass der Kläger nicht nur vorübergehend unbekannten Aufenthalts ist und an seinem Verfahren kein Interesse mehr hat.
Auch die Voraussetzungen nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG lagen nicht vor.
Der Kläger hat auch nicht unverzüglich nachgewiesen, dass das Untertauchen auf Umständen beruht, auf die er keinen Einfluss hatte (§ 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Er konnte bzw. kann dies auch nicht, weil das Verlassen seines Aufenthaltsorts durch eine von ihm willentlich und wissentlich herbeigeführte Handlung, nämlich zu verreisen, verursacht wurde.
Gemessen an obigen Ausführungen wirkt sich auch nicht zugunsten des Klägers aus, wenn sein Wiederauftauchen in der Unterkunft bereits früher stattfand, jedoch dem Landratsamt – Ausländerbehörde – erst am 29. März 2017 durch Umstände bekannt wurde, die er nicht zu vertreten hat. Denn zum einen haben weder die Beklagte noch das Landratsamt – Ausländerbehörde oder Einwohnermeldeamt – oder der Unterkunftsleiter eine Nachforschungspflicht bezüglich des Verbleibs jedes Asylbewerbers. Dass der Kläger als unbekannt verzogen geführt wurde, beruht zum anderen allein auf seinem Verhalten. Es hätte allein an ihm gelegen, dem Unterkunftsleiter oder den Behörden seinen aktuellen Wohnsitz und Aufenthaltsort rechtzeitig und vollständig mitzuteilen. Demgegenüber ist der jeweilige Zeitpunkt des Schreibens der Ausländerbehörde an das Bundesamt (hier vom 1.3.2017) und die Tatsache, dass die email des Unterkunftsleiters vom 27. Februar 2017 die Ausländerbehörde nicht erreichte, zufällig.
Stellt die Ausländerbehörde das Untertauchen eines Ausländers fest, ergibt sich nicht, weshalb ihr eine gesteigerte Pflicht zur Suche nach dem Ausländer obliegt, ggf. um ihn vor für ihn negativen Folgen im Asylverfahren zu bewahren. Des Weiteren ergibt sich nicht, dass das Bundesamt in Anbetracht der eindeutigen Mitteilung der Ausländerbehörde vom 1. März 2017 Bemühungen hätte anstellen sollen, den Antragsteller zu finden. Es wäre in Anbetracht der enorm großen Zahl von Asylbewerbern für das Bundesamt geradezu unzumutbar dem jeweiligen Verbleib nachzuforschen, zumal wenn wie vorliegend der Asylbewerber seine Unterkunft mehrfach nach Gutdünken verlässt (vgl. Schreiben des Landratsamts Neumarkt vom 29.5.2017 mit Anlagen, insbesondere Datenausdruck und emailAusdrucke zum Aufenthalt des Klägers vom 3. bis 12.5.2017 in der Aufnahmeeinrichtung in Z.). § 33 AsylG dient gerade der Verfahrensbeschleunigung und –konzentration, die unterlaufen würde, würde man im Hinblick auf § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG der Beklagten Nachforschungspflichten zum Verbleib des Asylbewerbers auferlegen. Auch § 10 AsylG spricht gegen eine Nachforschungspflicht des Bundesamts und legt die Pflicht zur Erreichbarkeit und zur Mitteilung der aktuellen Anschrift dem Ausländer auf; ihn treffen die Obliegenheiten nach §§ 10 und 15 AsylG. Es liegt auch allein an ihm, sich um die zeitgerechte Verlängerung seiner Aufenthaltsgestattung zu kümmern. Soweit der Asylbewerber in der Unterkunft nicht erreichbar ist – etwa weil er auswärtige Verwandte und Freunde oder seinen auswärtig ansässigen Prozessbevollmächtigten aufsucht -, obliegt es ihm, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, dass u.a. Mitteilungen und Schreiben des Bundesamts ihn erreichen können, mithin dass er für Behörden erkennbar verfügbar bleibt.
Der Kläger ist auch im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG schriftlich und gegen Empfangsbestätigung belehrt worden. Unter dem 18. Juli 2016 wurde er über die Folgen belehrt, wenn er sich nicht persönlich bei der Außenstelle des Bundesamts melden würde. Unter dem 22. Juli 2016 wurde er über die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 und 3 AsylG ausdrücklich belehrt. Die Belehrungspflicht nach § 33 Abs. 4 AsylG sieht auch (nur) vor, dass der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Folgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen ist. Inhaltlich wurde der Kläger zudem darüber belehrt, dass die Unterlassung über die Mitteilung des Wohnungswechsels erhebliche Folgen haben könne, u. a., dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte. Dass er die Belehrung schriftlich erhalten hatte, hat er unter dem 22. Juli 2016 mit seiner Unterschrift bestätigt.
Dass der Bescheid vom 3. März 2017 weiterhin die letzte bekannte Anschrift des Klägers nennt, steht dem Bescheidsinhalt nicht entgegen.
Das Bundesamt hat daher das Asylverfahren zu Recht eingestellt (§ 32 AsylG).
Auch nach dem Schreiben des Klägervertreters vom 11. Juli 2017 und nach der mündlichen Verhandlung ergibt sich keine andere Einschätzung.
Dass Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, wurde ebenfalls zu Recht festgestellt. Insofern wird auf den Bescheid vom 3. März 2017 verwiesen. Die vom Kläger vorgetragene Erkrankung wurde nicht näher durch Atteste belegt. Außerdem hat er angegeben, nicht einmal Medikamente nehmen zu müssen.
Die Abschiebungsandrohung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von einer Woche beruht auf § 38 Abs. 2 AsylG. Auch Fehler hinsichtlich Ziffer 4 des Bescheids ergeben sich nicht.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge von § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Nach § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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