Europarecht

Erfolglose Klage gegen Rücknahme von Aufenthaltserlaubnis bei Doppelehe

Aktenzeichen  AN 5 K 18.01024

Datum:
12.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48661
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 4, § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 95 Abs. 2 Nr. 2
BGB § 1306, § 1314 Abs. 1
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2, Abs. 4
GG Art. 6

 

Leitsatz

1. Eine Doppelehe entfaltet ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit zugunsten eines Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen. Etwas anderes gebietet weder Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung noch § 30 Abs. 4 AufenthG. (Rn. 36) (Rn. 38 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Konsequent und systematisch unzutreffende Angaben zum Familienstand schließen ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand eines Aufenthaltstitels aus. (Rn. 41 – 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.         
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte hat vorliegend zu Recht in dem angegriffenen Bescheid vom 15. Mai 2018 die dem Kläger erteilten Aufenthaltstitel zum jeweiligen Tag der Erteilung gemäß Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG zurückgenommen.
Bei der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheids, durch den – jedenfalls auch – eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen oder widerrufen wird, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.2010 – 1 C 10/09 – juris Rn. 11).
Gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nach Eintritt der Bestandskraft unter anderem mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Wenn er – wie hier im Fall des Visums und der (unbefristeten) Aufenthaltserlaubnis – ein Recht begründet, darf dies nach Satz 2 dieser Bestimmung jedoch nur unter den Einschränkungen des Art. 48 Abs. 2 bis 4 BayVwVfG geschehen.
Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beklagte war für die Rücknahme des dem Kläger am 30. Juni 2008 erteilten nationalen Visums, der am 11. August 2008 befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis, der am 10. Juni 2009 befristet verlängerten Aufenthaltserlaubnis und der am 10. Juli 2011 erteilten Niederlassungserlaubnis gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sachlich zuständig. Zwar war das nationale Visum im Sinne des § 6 Abs. 3 AufenthG dem Kläger am 30. Juni 2008 von der deutschen Botschaft … erteilt worden. Nachdem der Kläger jedoch von dem Visum Gebrauch gemacht hat, indem er im Jahr 2008 zum Familiennachzug in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seither hier aufhält, war die nunmehr zuständige Ausländerbehörde aufgrund der Sachnähe für die Entscheidung über die Rücknahme zuständig. Beteiligungserfordernisse wie etwa nach § 72 AufenthG sieht das Gesetz in Fällen der Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis nicht vor, so dass die Beklagte eine Zustimmung der jeweils früher zuständigen Erteilungsbehörde zur Rücknahme nicht gesondert einholen musste.
Die dem Kläger am 30. Juni 2008, 11. August 2008, 10. Juni 2009 und 14 Juli 2011 – befristet und unbefristet – erteilten bzw. verlängerten Aufenthaltstitel zum Ehegattennachzug waren rechtswidrig, weil der Kläger seit der Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen …am 2. Juni 2004 bis zur Scheidung seiner am 15. April 1997 in … geschlossenen Ehe mit der … Staatsangehörigen …am 22. November 2011 im Bundesgebiet eine Doppelehe geführt hat.
Das Führen einer Doppelehe steht zur Überzeugung des Gerichts fest, nachdem der Kläger letztlich persönlich am 14. August 2015 die Urkunde über die in dem Verwaltungsbezirk … registrierte Eheschließung mit der pakistanischen Staatsangehörigen …vom 15. April 1997 und die Geburtsurkunden seiner am … geborenen Tochter … und der am … … geborenen Tochter …vorgelegt hat. Nach Aktenlage und auch nach dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erstmals im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens am 9. Juli 2012 eingeräumt, dass er in* … noch verheiratet ist und zwei minderjährige Kinder hat (Bl. 712 der Behördenakte). Nach dem von dem Kläger vorgelegten „Divorce Certificate“ wurde die – offensichtlich bestehende – Ehe mit der …Staatsangehörigen … rechtskräftig am 22. November 2011 geschieden. Einen Nachweis dafür, dass die Ehe schon vor der rechtskräftigen Scheidung im Jahr 2011 aufgelöst worden wäre, hat der Kläger nicht erbracht. Der bloße schriftsätzliche Vortrag des Klägerbevollmächtigten unter Vorlage eines nicht lesbaren Schriftstücks, die Ehe sei durch notarielle Zeugenerklärung vom 11. September 2003 gelöst worden und habe nach dem Verständnis der Beteiligten nicht mehr bestanden, genügt insoweit nicht. Vielmehr ist sowohl die Tatsache, dass die Ehe mit der pakistanischen Staatsangehörigen im Jahr 2011 geschieden wurde als auch die Angabe des Klägers auf der Geburtsurkunde seiner Töchter – auch der vom 20. März 2005 – als deren Vater ohne weiteren Zusatz ein eindeutiger Hinweis dafür, dass der Kläger von 1997 bis zur Scheidung 2011 mit der pakistanischen Staatsangehörigen und Mutter seiner Töchter, …, verheiratet war.
Der Kläger war demnach sowohl zum Zeitpunkt der Erteilung des Visums am 30. Juni 2008, der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 11. August 2008 als auch zum Zeitpunkt der unbefristeten Verlängerung derselben am 14. Juli 2011 in Doppelehe mit der … Staatsangehörigen … (seit dem 14. April 1997) und der deutschen Staatsangehörigen … (seit dem 2. Juni 2004) verheiratet, so dass die Erteilung des Visums, der Aufenthaltserlaubnis im Jahre 2008, deren Verlängerung im Jahr 2009 und der Niederlassungserlaubnis im Jahr 2011 rechtswidrig erfolgt ist.
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit der deutschen Staatsangehörigen Karin Lauterbach, die diesen Maßnahmen zugrunde lag, stand nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Eine Doppelehe entfaltet – ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit (die Ehe war gemäß § 1314 Abs. 1 i.V.m. § 1306 BGB (nur) aufhebbar, nicht aber nichtig) zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen. Den ausländerrechtlichen Vorschriften zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Herstellung bzw. Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft liegt maßgeblich Art. 6 GG zugrunde, auf den § 27 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich verweist. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die Vorschriften über den Familiennachzug den verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe und Familie konkretisieren (Hailbronner, AuslR, April 2013, § 27 Rn. 13). Ausländischen Familienangehörigen soll nur im Hinblick auf die grundrechtliche Gewährleistung des besonderen Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 GG ein privilegiertes Zugangsrecht zum Bundesgebiet gewährt werden. So hat der Gesetzgeber schon in der Begründung zum Entwurf von § 17 AuslG 1990 darauf hingewiesen, dass maßgebend für dieses Zugangsrecht die Institution von Ehe und Familie, wie sie sich im abendländischen Rechts- und Kulturkreis gebildet hat, sein soll. „Das Prinzip der Einehe gehört zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland und damit zu den der ausländergesetzlichen Regelung vorgegebenen Wertsetzungen. Familienangehörige aus einer Mehrehe von Deutschen oder Ausländern sollen nicht nachzugsberechtigt sein (BT-Drs. 11/6321, S. 60). Auch das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, „dass Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene Lebensformen – etwa das Prinzip der Einehe – anknüpft“ (vgl. BVerfG, B.v. 30.11.1982 – 1 BvR 818/81 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 20.9.2012 – 19 ZB 12.1396 – juris Rn. 19).
Da damit im vorliegenden Fall eine Doppelehe vorlag, kommt es entgegen dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten schon nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob der Kläger – wie er in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat – mit der deutschen Staatsangehörigen Karin Lauterbach im Bundesgebiet tatsächlich eine Liebesbeziehung geführt hat oder ob es sich um eine sogenannte Scheinehe gehandelt hat und aus diesem Grund die Aufenthaltserlaubnis nicht zu erteilen gewesen wäre.
Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten gebietet auch der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht, die zivilrechtlich wirksame Eheschließung auch im Ausländerrecht als wirksam zu behandeln. Vielmehr ist es gerade nicht ausgeschlossen, die Wirkungen einer solchen Ehe für verschiedene Rechtsbereiche unterschiedlich auszugestalten (vgl. auch OVG Hamburg, B. v. 17.2.1998 – Bs VI (VII) 213/95 – juris Rn. 6). Auch wenn es im Fall einer unzulässigen Doppelehe für den Bereich des Zivilrechts zur Vermeidung von Härten naheliegt, diese nur mit Wirkung ex nunc aufzuheben, kann daraus nicht gefolgert werden, dass es geboten wäre, eine aufhebbare Doppelehe auch in anderen Rechtsbereichen, also etwa im Ausländerrecht, bis zu ihrer Aufhebung als wirksam zu behandeln (vgl. VGH BW, B.v.15.8.2005 – 13 S 951/04 – juris Rn. 6). Der Beweisanregung, die geschiedene Ehefrau des Klägers als Zeugin zu der Tatsache, dass die Ehe tatsächlich im Bundesgebiet gelebt wurde, zu vernehmen, war daher nach Auffassung der Kammer nicht näherzutreten.
Entgegen dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten ergibt sich eine andere Betrachtungsweise auch nicht aus § 30 Abs. 4 AufenthG. Wie der Klägerbevollmächtigte zutreffend ausführt, wird in § 30 Abs. 4 AufenthG nur das von einem in Deutschland lebenden Ausländer vermittelte Zugangsrecht seines weiteren Ehegatten geregelt, sofern nach dem Recht des Heimatlandes dort eine Mehrehe geführt wurde. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Rechtsposition einer Person, deren möglicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels von einem in Mehrehe lebenden Ausländer vermittelt wird. Vielmehr handelt es sich lediglich um ein Zuzugs- bzw. Aufenthaltsrecht des Klägers als bereits im Ausland verheirateten Ausländer. Insofern handelt es sich um eine nicht vergleichbare Konstellation (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, B. v. 20.9.2012 – 19 ZB 12.1396 – juris Rn 30).
Darüber hinaus erweisen sich die dem Kläger erteilten Aufenthaltstitel auch deshalb als rechtswidrig, weil bei deren Erteilung bzw. Verlängerung der Versagungsgrund des Vorliegens eines Ausweisungsinteresses gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegenstand. Wie oben ausgeführt hat der Kläger sowohl im Visumsverfahren gegenüber der Deutschen Botschaft … als auch gegenüber dem dort eingesetzten Vertrauensanwalt und wiederholt gegenüber der Beklagten falsche Angaben zu seinem Familienstand und seinen Kindern zur Erlangung eines Aufenthaltstitels gemacht und damit den Straftatbestand des Erschleichens eines Aufenthaltstitels gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht. Damit liegen schwerwiegende Ausweisungsinteressen im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG vor. Auch hat der Kläger damit einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen (§ 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG), da vorsätzliche Straftaten wie hier § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG regelmäßig schon keine geringfügigen Verstöße im Sinne dieser Vorschrift darstellen (vgl. Graßhof in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.2.2016, AufenthG § 54 Rn. 118; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG § 54 Rn. 80 jeweils m.w.N.). Auf die Tatsache, dass der Kläger im Bundesgebiet strafrechtlich nicht verurteilt wurde und die jeweiligen Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 153 Abs. 1 StPO (wegen Geringfügigkeit) und 170 Abs. 2 StPO (wegen Verfolgungsverjährung) eingestellt wurden, kommt es insoweit nicht an.
Der Kläger kann der Rücknahme auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der Aufenthaltstitel entgegenhalten, da er die Aufenthaltstitel durch arglistige Täuschung bzw. Angaben erwirkt hat, die unrichtig und unvollständig waren (Art. 48 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 BayVwVfG). Eine arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Kläger durch Angaben, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder die er zumindest für möglich hielt, jedoch in Kauf nahm, oder durch Verschweigen wahrer Tatsachen bei der Behörde einen Irrtum hervorruft im Bewusstsein, diese durch Täuschung zu veranlassen, ihm den beantragten Verwaltungsakt zu erteilen (vgl. BVerwG, U.v. 18.9.1985 – 2 C 30/84 – juris Rn. 24). Es ist demnach dann von Arglist auszugehen, wenn die (bedingt) vorsätzliche Irreführung darauf gerichtet ist, auf den Erklärungswillen der Behörden einzuwirken (vgl. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Komm. zum VwVfG, 7. Aufl., § 48 RdNr. 157). Unrichtige Angaben sind stets eine Täuschung, selbst wenn die Behörde nicht danach gefragt hat. Das Verschweigen von Tatsachen ist eine Täuschung, wenn der Antragsteller erkennt und in Kauf nimmt, dass die Behörde aufgrund seines Verhaltens für sie wesentliche Umstände als gegeben ansieht, die in Wahrheit nicht vorliegen oder umgekehrt hinderliche Umstände als nicht gegeben ansieht, obwohl solche in Wahrheit vorliegen (BVerwG v. 18.9.1985, a.a.O.). „Erwirkt“ ist der fehlerhafte Verwaltungsakt, wenn die Täuschung seinen Erlass verursacht hat und sie dem Begünstigten zuzurechnen ist (vgl. Stelkens, a.a.O., RdNr. 150).
Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger vor. Der Kläger hat konsequent und systematisch gegenüber verschieden Behörden unzutreffende Angaben zu seinem Familienstand gemacht und seine erste Ehe und die Kinder in … verschwiegen. Bereits im Rahmen der Eheanmeldung in der Bundesrepublik im Jahr 2003 hat er gegenüber dem Standesamt … wahrheitswidrig angegeben, dass er nicht verheiratet ist und keine Kinder hat. Diese Angaben hat er auch bewusst wahrheitswidrig im Rahmen des Visumverfahrens vor der deutschen Botschaft in I* … bei einer zeitgleichen Befragung des Klägers in* …und seiner deutschen Ehefrau in Deutschland am 8. März 2007 und – nach Einreise in das Bundesgebiet – gegenüber der Beklagten im Rahmen der Beantragung der Aufenthaltstitel gemacht. Er hat mehrfach, insbesondere nachdem zweimal anonyme Hinweise zum Verdacht des Vorliegens einer Scheinehe bei der Beklagten eingegangen waren, gegenüber der Beklagten versichert, dass er nicht schon in Pakistan verheiratet ist und keine Kinder hat. Erst nachdem dem Kläger die Niederlassungserlaubnis erteilt worden war, hat der Kläger im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens – unter Vorlage der Heiratsurkunde vom 15. April 1997 und der Geburtsurkunden seiner Kinder – die Ehe mit einer … Staatsangehörigen und die Vaterschaft von zwei Töchtern eingestanden. Aus alledem ergibt sich für das Gericht hinreichend deutlich, dass der Kläger in seinen jeweiligen Anträgen sowohl die zuständige Botschaft in* … als auch die Ausländerbehörde arglistig über die in Pakistan bestehende Ehe getäuscht und hierdurch die Erteilung der von ihm beantragten Aufenthaltstitel erwirkt hat. Die Erklärungen bzw. die fehlenden Angaben des Klägers zu seiner ersten Ehe waren schließlich auch kausal für die Fehlerhaftigkeit der Aufenthaltstitel, denn bei Kenntnis der bigamischen Ehe des Klägers wären diesem die Aufenthaltstitel zur Eheführung nicht erteilt worden.
Die Beklagte war auch nicht durch Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG an der Rücknahme der Aufenthaltstitel gehindert. Auch wenn die Beklagte letztlich bereits am 14. August 2015 die gesicherte Kenntnis von der Ehe des Klägers mit der … Staatsangehörigen und den zwei Töchtern erlangt hat, konnte sie die Rücknahme auch noch mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 15. Mai 2018 vornehmen. Denn nach Art. 48 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG gilt diese Jahresfrist dann nicht, wenn der Betroffene nach Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BayVwVfG den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt hat.
Die Ermessensentscheidung der Beklagten, die erteilten Aufenthaltstitel für die Vergangenheit zurückzunehmen, ist im Rahmen der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit (§ 114 Satz 1 VwGO) nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat ihr Rücknahmeermessen insoweit hinreichend und fehlerfrei ausgeübt. Sie hat – wenn auch in knapper Form – die öffentlichen Interessen und auch die schutzwürdigen privaten Belange des Klägers in eine Abwägung eingebracht. Dabei hat die Beklagte in die Ermessensentscheidung eingestellt, dass aufgrund der bigamischen Eheschließung dem daraufhin ermöglichten Aufenthalt des Klägers im Bundegebiet weniger Gewicht zukam. Es wurde auch gesehen, dass der Kläger im Bundesgebiet langjährig einer Beschäftigung nachgegangen ist und dass er keine Sozialleistungen in Anspruch genommen hat. Die im Bescheid angestellten Ermessenserwägungen der Beklagten sind insoweit nicht zu beanstanden.
Auch die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Ausweisung ist rechtmäßig. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 37; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 25).
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dies ist hier der Fall.
Im Fall des Klägers besteht ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, da er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Der Kläger hat – wie oben dargelegt – jedenfalls falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht (§ 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) und damit einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen. Es kann insofern dahingestellt bleiben, ob sich der Kläger als Ausländer mit der Heirat der deutschen Staatsangehörigen … im Ausland (* …*) auch nach § 172 Satz 1 Nr. 1 StGB wegen Doppelehe strafbar gemacht hat, § 7 Abs. 2 StGB.
Der weitere Aufenthalt des Klägers gefährdet auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG. Diese Bewertung wird bereits von generalpräventiven Erwägungen getragen. Das Bundesverwaltungsgericht hat zuletzt in den Urteilen vom 12. Juli 2018 und 9. Mai 2019 entschieden, dass sich auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht mit generalpräventiven Gründen ein Ausweisungsinteresse begründen lässt (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 17). Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass – über eine ggf. erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus – ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten, im öffentlichen Interesse liegende Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (BVerfG, B.v. 21.3.1985 – 2 BvR 1642/83 – juris Rn. 24). Zudem gehört der Kläger nicht zu den durch § 53 Abs. 3, Abs. 3a oder Abs. 3b AufenthG privilegierten Personengruppen, so dass auch insoweit das Abstellen auf generalpräventive Gründe nicht ausgeschlossen ist. Die generalpräventiven Erwägungen der Beklagten, andere Ausländer von der Begehung derartiger aufenthaltsrechtlicher und strafrechtlicher Verstöße, wie sie der Kläger wiederholt und beharrlich begangen hat, abzuhalten, sind im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Es ist rechtsfehlerfrei, diesem Umstand mit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung zu begegnen.
Wenn die Beklagte die Ausweisung zudem auf spezialpräventive Erwägungen stützt, so ist auch dies nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zu der Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris, Rn. 18).
Die Kammer geht mit der Beklagten im vorliegenden Fall davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Der Kläger hat vielfach und über Jahre hinweg falsche Angaben gegenüber den Behörden und staatlichen Stellen gemacht. Schon im Rahmen des Asylverfahrens 2001 hat der Kläger angegeben, dass er bereits 1997 versucht hat, bei der Deutschen Auslandsvertretung in Islamabad ein Visum zu erhalten. Angaben zu seiner Frau und der 1998 geborenen Tochter hat er schon im Asylverfahren nicht gemacht. Wie oben bereits ausgeführt hat der Kläger konsequent und systematisch über Jahre unrichtige Angaben gegenüber den Behörden gemacht. Seine zweite Tochter ist nach der Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen 2005 geboren. Noch im Rahmen einer Vorsprache bei der Beklagten am 9. März 2018 hat der Kläger erst auf die Vorhaltung der Beklagten, die Ausländerbehörde wisse durch die Einbürgerungsbehörde von der Eheschließung 1997, diese zugegeben und um eine letzte Chance gebeten (Bl. 821 der Behördenakte). Die Kammer geht daher von einer konkreten Wiederholungsgefahr beim Kläger aus.
Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt.
Dem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht im vorliegenden Fall kein vertyptes besonders schweres oder schweres Bleibeinteresse des Klägers nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG entgegen, da sowohl die Niederlassungserlaubnis des Klägers als auch die vormals erteilten Aufenthaltstitel – wie oben ausgeführt – in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zum Zeitpunkt der jeweiligen Erteilung bzw. Verlängerung zurückgenommen wurden, so dass der Kläger im insoweit maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Erlasses der Ausweisung nicht mehr im Besitz der Aufenthaltstitel war. Gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lässt die Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Rücknahme der Niederlassungserlaubnis wie auch der Ausweisung unberührt.
Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt.
Nach § 53 Abs. 2 AufenthG sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles, wie sie § 53 Abs. 1 AufenthG erfordert, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Die Beklagte hat in die Abwägung zutreffend eingestellt, dass sich der Kläger ca. 10 Jahre im Bundesgebiet aufhält und die gesamte Aufenthaltsdauer auf seinen unrichtigen und strafbaren Angaben beruht, er insoweit auch nicht auf einen weiteren Verbleib im Bundegebiet vertrauen durfte. Sie hat zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger von seiner deutschen Ehefrau geschieden und mittlerweile wieder mit seiner noch in … lebenden Erstfrau verheiratet ist. In Anbetracht der Tatsache, dass die Familie des Klägers in* … lebt, wird es ihm ohne größere Schwierigkeiten gelingen, sich dort wieder zu integrieren. Im Rahmen einer Gesamtabwägung kommt die Kammer damit unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu dem Ergebnis, dass vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Auch die von der Beklagten in Ziffer 3 getroffene Entscheidung, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von drei Jahren ab Abschiebung bzw. Ausreise zu befristen, begegnet keinen Bedenken begegnet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 15. August 2019 ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot hat nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass der Kläger nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Ihm darf selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Über die Länge der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf, wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56).
Gemessen an diesen Vorgaben sind Ermessensfehler insoweit nicht ersichtlich. Die Beklagte hat das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck herausgearbeitet und ist beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Befristung von drei Jahren angemessen ist. Dass nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 15. Mai 2018 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage war in der behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer enthalten (BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn. 23).
Sind die Rücknahme der Aufenthaltstitel und die Ausweisung nicht zu beanstanden, so sind auch die in Ziffern 4 und 5 des streitgegenständlichen Bescheids gemäß §§ 58, 59 AufenthG verfügten ausländerrechtlichen Annexentscheidungen rechtmäßig.
Im Übrigen folgt das Gericht der Begründung des Bescheides der Beklagten vom 15. Mai 2018 und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 117 Abs. 5 VwGO ab.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorliegen.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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