Europarecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Dublin-Bescheid (Portugal)

Aktenzeichen  AN 17 S 19.51203

Datum:
27.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1152
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1. S. 3, § 76 Abs. 4 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 59 Abs. 7
VwGO § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen sind für die Portugiesische Republik nicht festzustellen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 59 Abs. 7 AufenthG findet auf Abschiebungsanordnungen nach § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG keine Anwendung. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Eilantrag gegen die sie betreffende Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) im Zuge eines Dublin-Verfahrens mit dem Rückführungszielland Portugal.
Die Antragstellerin, die nach eigener Angabe am …1994 in …, Nigeria, geboren wurde, katholischen Glaubens ist und dem Volk der Ibo angehört, reiste am 10. November 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte ein Asylgesuch. Am 25. November 2019 stellte sie einen förmlichen Asylantrag. Nach ihrer Angabe führte ihr vorheriger Reiseweg, beginnend mit der Ausreise von … am 2. September 2019 per Flugzeug nach …, Spanien, mit Umstiegen in …, Vereinigte Arabische Emirate, und …, Portugal, und von … mit dem Bus nach …, Italien, dortige Ankunft am 5. September 2019.
Die Ermittlungen des Bundesamtes ergaben keinen Treffer in der EURODAC-Datenbank, jedoch im Europäischen Visainformationssystem (VIS). Demnach wurde der Antragstellerin am 19. August 2019 in …, Nigeria, ein Visum für den Schengen-Raum durch die Portugiesische Republik für eine einmalige Einreise in den Schengen-Raum mit einer maximalen Aufenthaltsdauer von acht Tagen ausgestellt, welches vom 19. August 2019 bis 10. September 2019 gültig war.
Das Bundesamt befragte die Antragstellerin am 25. November 2019 zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates und zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages. Am 4. Dezember 2019 hörte das Bundesamt die Antragstellerin zur Zulässigkeit des Asylantrages an sowie vorsorglich zu ihren Asylgründen. In die letzte Anhörung wurde eine Sonderbeauftragte des Bundesamtes für Opfer von Menschenhandel in das behördliche Verfahren mit einbezogen. Der Antragstellerin wurde durch das Bundesamt im weiteren Verlauf des Dublin-Verfahrens eine Liste mit Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel zur Verfügung gestellt.
In den Anhörungen und Befragungen durch das Bundesamt gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, dass die Angaben zum durch die Portugiesische Republik ausgestellten Visum für den Schengen-Raum zutreffend seien. Zu Portugal wisse sie aber nichts und kenne auch nichts, wo sie hingehen könne. Die Reise sei zunächst per Flugzeug von Nigeria nach Barcelona gegangen, mit Zwischenlandungen in Dubai und Porto, letztere am 3. September 2019. Von Barcelona aus sei sie mit Bus und Auto nach Neapel in Italien weiter gereist. In Italien habe sie vom 5. September 2019 bis 9. November 2019 gelebt und dann den Zug nach Deutschland genommen. Die gesamte Reise und die Beschaffung des Visums sei von einer Frau, die “Madame” oder “Mrs. .” genannt worden sei, und einem Mann als ihrem Helfer organisiert worden. Sie habe sie auch überzeugt, nach Europa zu gehen, dort gäbe es Arbeit in einem von ihr in Italien geführten Friseursalon und die Antragstellerin könne die Abendschule besuchen. So könne sie auch die Schulden für die Reisekosten abbezahlen. In . habe die Antragstellerin in einem von der Frau organisierten Haus gelebt. Nähere Angaben zum Auffinden des Hauses könne sie nicht machen. Die “Madame” habe ihr, der Antragstellerin, bevor sie nach Deutschland weitergereist sei, ein Tüte Kondome gegeben und ihr gesagt, sie solle damit arbeiten. Da sei ihr klar geworden, dass es um Prostitution ginge. Auf ihre anfängliche Weigerung hin habe die Frau sie geohrfeigt und entgegnet, sie habe keine Wahl. Am Folgetag habe die “Madame” ihr Männer auf das Zimmer geschickt, in dem sie geschlafen und das sie mit einem weiteren Mädchen geteilt hätte. Am ersten Tag seien es drei Männer gewesen, am nächsten vier bis fünf und nach der zweiten Woche sechs bis sieben Männer. Die “Madame” habe es damit begründet, dass die Antragstellerin sich daran gewöhnen solle und dann selbst auf die Straße gehen und Männer suchen könnte. Nachdem sie über Schmerzen geklagt habe, habe die Frau an einem Mittwoch für den folgenden Sonntag eine Beschneidung organisiert, die ihrer Ansicht nach die Schmerzen der Antragstellerin beseitigen hätte können. Am Freitag sei sie dann aus dem Haus geflohen und mit Hilfe von …, den sie bei einem Friseurbesuch kennengelernt und der wie sie Ibo gesprochen habe, in dessen Camp für Asylbewerber untergekommen. … sei mittlerweile ihr Freund und Verlobter, er habe von Heirat gesprochen. Nachdem sie nach ihrer Flucht aus dem Haus von der “Madame” per Anruf bedroht worden sei, diese auch ihren Bruder habe schlagen lassen und ihm den Tod angedroht habe, sollte die Antragstellerin nicht zu ihr zurückkehren, und … sich außerhalb des Camps von zwei Männern verfolgt gesehen habe, hätte … angeregt, Italien zu verlassen. Zu ihrem Bruder habe sie seitdem keinen Kontakt mehr, auch ihre noch in Nigeria lebende Schwester könne keinen Kontakt herstellen. Die Polizei in Italien habe sie nicht informieren wollen, da sie keine genauen Angaben zu “Mrs. …” machen könne und außerdem Angst habe. Am 10. November 2019 sei sie dann aus Italien in die Bundesrepublik Deutschland per Zug eingereist. Die Antragstellerin verneinte auf Befragen, an Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder einer Behinderung zu leiden. Auch Kinder habe sie keine. Sonstige schutzwürdige Belange habe sie in Deutschland nicht.
Am 9. Dezember 2019 richtete das Bundesamt hinsichtlich der Antragstellerin ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO) an die Portugiesische Republik unter Verweis auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO. Portugal stimmte diesem Übernahmeersuchen am 16. Dezember 2019 zu und erklärte seine Zuständigkeit für das Asylverfahren der Antragstellerin.
Daraufhin erließ die Antragsgegnerin am 16. Dezember 2019 einen Bescheid, mit dem der Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig abgelehnt wurde (Ziffer 1.), festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2.), die Abschiebung nach Portugal angeordnet (Ziffer 3.) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4.) wurde. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheids verwiesen.
Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 19. Dezember 2019 durch Aushändigung bekannt gegeben.
Hiergegen erhob die Antragstellerin zu Protokoll der Rechtsantragsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach am 20. Dezember 2019 Klage und stellte einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Eine Klage- bzw. Antragsbegründung erfolgte bislang nicht.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Die Antragsgegnerin erwiderte mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2019 und beantragte,
Der Antrag wird abgelehnt.
Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid unter Bezugnahme auf dessen Gründe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte elektronische Behördenakte des Bundesamtes verwiesen.
II.
Der Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2019 ist dahingehend auszulegen, dass er sich sachgerecht nur auf die Abschiebeanordnung in Ziffer 3 beziehen kann (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO).
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Die Entscheidung ergeht durch die stellvertretende Berichterstatterin als Einzelrichterin gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG, da der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 5 AsylG rechtlich verhindert ist.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist statthaft. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung entfaltet wegen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. In diesem Fall kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Die Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG wurde eingehalten.
2. Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Ermessensentscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 85 ff.). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Hauptsacheklage dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 93).
Nach diesen Maßgaben ist der klageweise angegriffene Bescheid unter Ziffer 3. seines Tenors aller Voraussicht nach rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung nach Portugal ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt in Fällen eines unzulässigen Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG. Die Abschiebungsanordnung erweist sich nach summarischer Prüfung unter Beachtung des Vortrags der Antragstellerin weder deshalb als rechtswidrig, weil bereits die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des Tenors des beklagten Bescheids rechtswidrig ist (dazu unter II. 2. a)). Die Abschiebungsanordnung ist auch nicht aus sonstigen Gründen, insbesondere aufgrund der Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG hinsichtlich der Portugiesischen Republik, oder eines noch nicht erfolgten Ablaufs einer der Antragstellerin zukommenden Erholungs- und Bedenkfrist im Sinne des § 59 Abs. 7 AufenthG rechtswidrig (dazu unter II. 2. b)).
a) aa)
Die Antragsgegnerin ist auf Grundlage ihrer Ermittlungen zutreffend davon ausgegangen, dass die Bundesrepublik Deutschland für das Asylgesuch der Antragstellerin nach der hier anwendbaren Dublin III-Verordnung unzuständig ist, stattdessen die Portugiesische Republik über das Asylgesuch inhaltlich zu entscheiden hat und daher der Asylantrag der Antragstellerin nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG unzulässig war. Nach Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ist, wenn der Antragsteller ein Visum besitzt, das seit weniger als sechs Monaten abgelaufen ist und aufgrund dessen er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates einreisen konnte, der Mitgliedsstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, der das Visum erteilt hat, solange nicht der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten verlassen hat. Der Begriff des Visums bestimmt sich nach Art. 2 Buchst. m Dublin III-VO, worunter auch Visa für den kurzfristigen Aufenthalt von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum ab dem Zeitpunkt der ersten Einreise fallen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Bestimmung des nach Kapitel III zuständigen Mitgliedsstaates ist gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO der Zeitpunkt der ersten Stellung eines Gesuchs auf internationalen Schutz in einem Mitgliedsstaat, nicht der Zeitpunkt der förmlichen Stellung des Asylantrags (vgl. EuGH, U.v. 26.7.2017 – Mengesteab, C-670/16 – NVwZ 2017, 1601 Rn. 75 ff.). Der Antragstellerin wurde am 19. August 2019 ein Visum für den Schengen-Raum durch die Portugiesische Republik für eine einmalige Einreise in den Schengen-Raum mit einer maximalen Aufenthaltsdauer von acht Tagen ausgestellt, welches vom 19. August 2019 bis 10. September 2019 gültig war. Selbst wenn man auf die förmliche Asylantragsstellung am 25. November 2019 abstellt, wäre das Visum nicht bereits sechs Monate oder länger im Sinne des Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 Dublin III-VO abgelaufen. Seine Zuständigkeit nach Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO hat Portugal gegenüber der Antragsgegnerin am 16. Dezember 2019 anerkannt.
Die Fristen im Zusammenhang mit dem Dublin-Verfahren nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1, Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO, deren Ablauf zu einem Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Staat führen würde, wurden nach Aktenlage gewahrt und auch von der Antragstellerin nicht gerügt.
bb) Es liegen auch weder Umstände noch eine diesbezügliche Rüge der Antragstellerin vor, dass Portugal ausnahmsweise gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht für die inhaltliche Prüfung ihres Asylantrags zuständig ist. Gleiches gilt hinsichtlich der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO durch die Antragsgegnerin.
Eine Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO setzte systemische Schwachstellen im Asylverfahren oder bei den Aufnahmebedingungen im ersuchten Staat Portugal voraus. Nach dem System der normativen Vergewisserung (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – NVwZ 1996, 700/704 f.) respektive dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10, C-493/10 – NVwZ 2012, 417/419) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU) den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) entspricht. Die Vermutung ist jedoch dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK bergen (EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10, C-493/10 – NVwZ 2012, 417).
Derartige systemische Mängel sind für die Portugiesische Republik nicht festzustellen. Nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel (s. etwa: Amnesty International Report Portugal 2017/18, Stand: 23.5.2018; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Portugal, Stand: 5.7.2017; Bundesverwaltungsgericht Österreich, Entscheidung v. 6.6.2018 – W184 2167471-1, abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/ dokumente/bvwg#; United States Department of State, Portugal Human Rights Report 2018) schließt sich das Gericht der aktuellen und, soweit ersichtlich, einhelligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an, die systemische Mängel für Portugal verneint (VG Bayreuth, B.v. 7.3.2017 – B 3 S 17.50067 – juris Rn. 26 ff.; VG Ansbach, B.v. 26.9.2017 – AN 14 E 17.51100 u. AN 14 E 17.51101 – BeckRS 2017, 129442 Rn. 22; VG Magdeburg, B.v. 10.10.2017 – 9 B 483/17 – BeckRS 2017, 132003 Rn. 17 f.; VG Arnsberg, U.v. 30.1.2018 – 2 K 9246/17.A – BeckRS 2018, 16374; VG Würzburg, B.v. 27.11.2018 – W 10 S 18.50534 – BeckRS 2018, 38267 Rn. 20).
cc) Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin statt der Portugals ergibt sich auch nicht aus einem Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO wegen einer Ermessenreduzierung auf Null. Obgleich Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO grundsätzlich eine Ermessensvorschrift darstellt, bezüglich derer nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 40 VwVfG) besteht, kann sich im Einzelfall bei einer Grundrechtsverletzung als Folge der Überstellung, insbesondere in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GRCh, wohl ein Anspruch auf Selbsteintritt ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B15.50124 – BeckRS 2016, 43629; offengelassen von BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – NVwZ 2019, 304 Rn. 38). Für einen solchen reicht der Vortrag der Antragstellerin in der Anhörung vor dem Bundesamt, der Anhaltspunkte für das Vorliegen von Menschenhandel gibt, nicht aus. Zwar sind die Mitgliedsstaaten durch die Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (Menschenhandels-RL) gemäß deren Art. 1, 11 ff., 18 und der Erwägungsgründe 1, 4, 14, 18, 19, 20, 25 vor allem zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und dem Opferschutz verpflichtet. Allerdings liegen ausweislich der genannten Erkenntnismittel keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Portugal seinen Verpflichtungen zur Umsetzung der Richtlinie aus Art. 288 Abs. 3 AEUV nicht grundsätzlich nachgekommen wäre. Wenn der Antragstellerin auch in Portugal die in der Richtlinie niedergelegten Rechte zustehen, ergibt sich für die Antragsgegnerin keine Pflicht zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO. Ähnliches gilt für die Verpflichtungen aus der Konvention des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels vom 16. Mai 2005 (https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/rms/090000168008371d), die die Bundesrepublik Deutschland am 19. Dezember 2012 und die Portugiesische Republik am 27. Februar 2008 ratifiziert haben und die nach deren Art. 1 ebenfalls der Bekämpfung und Prävention von Menschenhandel sowie dem Opferschutz und der internationalen Kooperation dient. Nach Erwägungsgrund 32 der Dublin III-VO sind Mitgliedsstaaten an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen bei der Behandlung von unter die Dublin-Verordnung fallenden Personen gebunden. Da Portugal ebenfalls Signatarstaat der Konvention ist und ausweislich der genannten Erkenntnismittel keine systematischen Konventionsverletzungen ersichtlich sind, droht durch die Überstellung dorthin keine Verkürzung der Konventionsrechte für die Antragstellerin, weswegen keine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO angenommen werden kann.
Dazu tritt mit Blick auf das im Rahmen des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuübende Ermessen, dass die von der Antragstellerin in der Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragenen Anhaltspunkte für Menschenhandel sich auf den Staat Italien als Ausübungsort von Zwangsprostitution bezogen. Dafür, dass Entsprechendes auch in Portugal droht, ist nichts vorgetragen und nichts ersichtlich.
Die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags in Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin erweist sich demnach voraussichtlich als rechtmäßig. In der Folge ist die antragsgegenständliche Abschiebungsanordnung nicht schon aus diesem Grunde als voraussichtlich rechtswidrig zu beurteilen und erweist sich die Sach- und Rechtslage auch nicht als offen.
b) aa)
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der EMRK besteht nicht, insbesondere droht der Antragstellerin in Portugal keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK. Das ergibt sich aus den bereits dargestellten Erkenntnismitteln zur Portugiesischen Republik.
Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG sind wieder substantiiert vorgetragen noch erkennbar. Es besteht keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Antragstellerin bei einer Abschiebung nach Portugal.
bb) Ebenso wenig kommt der Antragstellerin eine Ausreisefrist von mindestens drei Monaten gemäß § 59 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zugute. Die Regelung dient der Umsetzung der RL 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren (Opferschutz-RL), insbesondere deren Art. 6, der die Mitgliedsstaaten verpflichtet, drittstaatsangehörigen Opfern von Menschenhandel eine Bedenkzeit einzuräumen, in der sie sich erholen, dem Einfluss der Täter entziehen und entscheiden können, ob sie mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten wollen.
Die Regelung des § 59 Abs. 7 AufenthG findet nur für Abschiebungsandrohungen im Sinne des § 59 AufenthG Anwendung, nicht aber für Abschiebungsanordnungen nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, der gemäß § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG überhaupt keine Ausreisefristen vorsieht. Bestätigt wird dies durch einen Umkehrschluss aus § 34 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 AsylG, der die Abschiebungsandrohung außerhalb des Dublin-Verfahrens betrifft. In Satz 3 ist geregelt, dass “im Übrigen die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig [bleibt].” Ansonsten ist nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt nach den § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG zu erlassen und somit auch unter Beachtung des § 59 Abs. 7 AufenthG (s. VG Düsseldorf, GB v. 12.6.2017 – 7 K 6086/17.A – BeckRS 2017, 114915 Rn. 18). Ein anderer Schluss lässt sich auch nicht aus der durch die Rechtsprechung anerkannten Pflicht des Bundesamtes gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG zu prüfen, ob die Abschiebung rechtlich und tatsächlich durchführbar ist, ziehen. Diese Prüfungspflicht umfasst den Duldungstatbestand des § 60a Abs. 2 AufenthG (Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 34a AsylG Rn. 5; NK-Aus-länderR/Müller, 2. Aufl. 2016, § 34a AsylG Rn. 12; BVerfG (2. Senat, 3. Kammer), B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – BeckRS 2014, 56447 Rn. 9 ff.; BayVGH, B.v. 14.10.2015 – 10 CE 15.2165, 10 C 15.2212 – juris Rn. 7 m.w.N. zur Rspr.). Nicht aber umfasst sie eine etwa zu gewährende Ausreisefrist nach § 59 Abs. 7 AufenthG, was angesichts der im Rahmen der Abschiebungsanordnung wegen § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG generell entbehrlichen Fristsetzung systemlogisch ist. Dieses Ergebnis entspricht auch den europarechtlichen Vorgaben: Die Dublin III-VO enthält keine dem § 59 Abs. 7 AufenthG entsprechende Bedenkensfrist für Opfer von Menschenhandel, die im Rahmen der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG zu beachten wäre. Dem liegt aber kein “Weniger” an Schutz vor Menschenhandel im Dublin-Verfahren zugrunde, da sämtliche Mitgliedsstaaten an die RL 2011/36/EU (Menschenhandels-RL) und die RL 2004/81/EG (Opferschutz-RL) gebunden sind und da Deutschland und Portugal zusätzlich die völkerrechtliche Konvention des Europarates zur Bekämpfung von Menschenhandel vom 16. Mai 2005 zu beachten haben. Den betroffenen Personen werden deshalb durch die Überstellung in den für die inhaltliche Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedsstaat keine Rechte aus den Schutzvorschriften gegen Menschenhandel abgeschnitten. Anders wäre dies eventuell bei einer Abschiebungsandrohung in einen Drittstaat, weshalb dann, wie dargelegt, das Bundesamt § 59 Abs. 7 AufenthG möglicherweise prüfen müsste.
cc) Die von der Antragstellerin behauptete Verlobung mit ihrem Freund . . kann vorliegend kein wegen § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durch das Bundesamt zu beachtender Duldungsgrund nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sein. In tatsächlicher Hinsicht ist das Verlöbnis nicht substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin schildert nur, dass . ihr gegenüber von Heirat gesprochen habe. Daraus lässt sich kein Verlöbnis ableiten. Daher kann offenbleiben, ob eine ernsthaft beabsichtigte Eheschließung ein zeitweiliges Bleiberecht begründet. Für eine unzumutbare Trennung einer durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten familiären Lebens- und Beistandsgemeinschaft ist ebenso wenig vorgetragen wie ersichtlich.
dd) Da die portugiesischen Behörden gegenüber dem Bundesamt ihre Zuständigkeit und Übernahmebereitschaft hinsichtlich der Antragstellerin erklärt haben, stehen der Abschiebungsanordnung keine tatsächlichen Hindernisse im Weg. Sie erweist sich nach alledem als voraussichtlich rechtmäßig.
3. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war damit abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 80 AsylG.


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