Europarecht

Erfolgloses Eilverfahren gegen eine Abschiebungsanordnung nach Italien

Aktenzeichen  W 2 S 19.50137

Datum:
6.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 4459
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a
Duiblin III-VO Art. 13, Art. 18

 

Leitsatz

Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.
Der Antragsteller, ein nach eigenen Angaben am … … 1994 in San Pedro/Elfenbeinküste geborener ivorischer Staatsangehöriger, vom Volk der Malinke und islamischer Religionszugehörigkeit, reiste am 20. Januar 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte ein Asylgesuch, das dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch behördliche Mitteilung am 21. Januar 2019 zugeleitet wurde. Am 30. Januar 2019 stellte er einen förmlichen Asylantrag.
Nach einem Abgleich der Fingerabdrücke mit der Eurodac-Datenbank ergaben sich Anhaltspunkte für die Zuständigkeit Italiens für die Bearbeitung des Asylantrags. Auf das im Rahmen des Dublin III-Verfahrens am 7. Februar 2019 an Italien gerichtete Aufnahmegesuch hin erklärten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 11. Februar 2019 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und erkannten nach Art. 18. Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO ihre Verpflichtung an, den Antragsteller wieder aufzunehmen.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2019, dem Antragsteller am 13. Februar 2019 übergeben, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Der Asylantrag sei gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des dort gestellten Asylantrags für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei gem. Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung). Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Am 20. Februar 2019 erhob der Antragsteller zur Niederschrift des Urkundsbeamten beim Verwaltungsgericht Würzburg Klage (W 2 K 19.50136) gegen diesen Bescheid und beantragte zugleich im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes:
„Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.“
Zur Begründung wurde auf das Vorbringen beim Bundesamt Bezug genommen. Der Antragsteller sei in Italien nicht gut behandelt worden. Die Bedingungen in den dortigen Einrichtungen seien sehr schlecht. Er habe keine schulische Bildung und keine zahnmedizinische Versorgung erhalten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie bezog sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren der Hauptsache (W 2 K 19.50136) sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakte des Bundesamtes, welche dem Gericht in elektronischer Form vorliegen, Bezug genommen.
II.
Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung ist zulässig (§ 34a Abs. 2 AsylG), insbesondere fristgerecht (§ 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 74 Abs. 1, § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG).
Er ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 11. Februar 2019 erweist sich bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Soll ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG als unzulässig abgelehnt, weil ein anderer Staat – hier Italien – aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist aufgrund des dort gestellten und bearbeiteten Asylantrags nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Italien hat auf das gestellte Aufnahmegesuch reagiert, und mit Schreiben vom 15. Januar 2019 seine Zuständigkeit anerkannt. Damit ist Italien gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs wieder aufzunehmen. Diese Frist, nach deren Ablauf die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), ist noch nicht abgelaufen.
Es liegt auch kein Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO vor. Die Überstellung an Italien ist nicht rechtlich unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Diese Vorschrift entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (z.B. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 411/10 u.a. – juris). Danach ist die Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedsstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der rücküberstellten Asylsuchenden im Sinne von Art. 4 GK-Charta zur Folge hätten.
Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden.
Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus: In Italien existiert ein rechtstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Laut Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Italien, Stand: 27. September 2018, Seite 7, und AIDA vom 21.3.2018 (Asylum Information Database: Italian Council for Refugees/ Association for Legal Studies on Immigration: Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download /aida_it_ 2017 update.pdf) beginnen bei Rückkehrer, die wie der Antragsteller unter Art. 18 Abs. 1 Buchts. d Dublin III-VO fallen und welche Italien verlassen haben, bevor sie über eine negative erstinstanzliche Entscheidung informiert werden konnten, die Rechtsmittelfristen erst zu laufen, nachdem der Rückkehrer von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurden. Wenn der Rückkehrer beim ersten Aufenthalt in Italien von einer negativen Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde und diese Entscheidung bestandskräftig wurde, kann er zur Außerlandesbringung in ein Schubhaftlager gebracht werden. Hatte sich der Rückkehrer beim ersten Aufenthalt in Italien dem persönlichen Interview nicht gestellt und sein Antrag wurde daher negativ beschieden, kann er nach Rückkehr ein neues Interview beantragen. Diese Vorgehensweisen entsprechen rechtsstaatlichen Maßstäben und sind nicht zu beanstanden. So trifft die Angabe des Antragstellers, dass er aufgrund der Löschung seines Namens in Italien keine Leistungen mehr erhalten werde, nicht zu.
Die größten Probleme, denen sich Dublin-Rückkehrer nach einer Überstellung gegenübersehen, sind im Bereich der Aufnahmebedingungen zu verorten. Allerdings hat sich der starke Zustrom an Flüchtlingen nach Italien reduziert. Laut Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Länderinformationsblatt Italien, Stand: 27.9.2018, S. 13) waren mit Stand 31. August 2018 155.619 Migranten in staatlichen italienischen Unterbringungseinrichtungen untergebracht. Damit ist im Vergleich zu 2017 ein Rückgang von ca. 30.000 zu verzeichnen. Zudem hat Italien seine Unterbringungskapazitäten in den letzten drei Jahren massiv gesteigert (a.a.O., S. 14). Zwar kam es in der Vergangenheit vor, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung mehrere Tage am Flughafen (ohne Schlafplätze) verbringen mussten, bis sie in einer Unterkunft untergebracht werden konnten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 14). Während das österreichische Bundesamt auf der Grundlage der Erfahrungen eines Verbindungsbeamte bei der Überstellung einer Familie keine Defizite bei den Informations- und Übersetzungsangeboten bei der Ankunft am Flughafen feststellen konnte (a.a.O., S. 22), führt AIDA aus, dass die Dauer bis zu einer Unterbringung von Dublin-Rückkehrern nach ihrer Ankunft am Flughafen oft zu lang sei, jedoch nicht einheitlich beurteilt werden könne. Grund seien Engpässe bei den Aufnahmeeinrichtungen und die Fragmentierung des Unterbringungssystems. Für Dublin-Rückkehrer, die wie der Antragsteller vor ihrer Ausreise in Italien bereits in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht waren, komme erschwerend hinzu, dass ihnen der Auszug aus der Unterkunft vor ihrer Ausreise als Verzicht auf die Unterbringung ausgelegt werden könne und ihnen der erneute Zugang zu Unterbringungseinrichtungen verweigert würde (AIDA, a.a.O., S. 65). Dabei müssten jedoch die konkreten Bedingungen des Einzelfalls geprüft werden. Gegen eine solche Ablehnung stehe den Betroffenen der Rechtsweg offen, wobei sie kostenlose Rechtsberatung in Anspruch nehmen könnten (AIDA, a.a.O., S. 67). In der Praxis sei die (weiteren) Unterbringung vorwiegend bei Asylbewerbern abgelehnt worden, die sich im Vorfeld an Protesten gegen die Unterbringungsbedingungen beteiligt hätten. Auch im Hinblick auf das parallel zum staatlichen Unterbringungssystem bestehende Netzwerk an kirchlich oder sonst gemeinnützig betriebenen Unterbringungseinrichtungen (dazu: AIDA, a.a.O., S. 72) erreicht das Risiko für den Antragsteller, bei einer Wiederaufnahme seines Asylverfahrens auch mittelfristig keine Unterkunft zu finden und ohne jede Anlaufstelle auf der Straße zu verelenden, deshalb nicht das für die Annahme von systemischen Mängeln ausreichende Maß.
Grundsätzlich erhalten Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern es nach wie vor dazu kommt, dass vulnerable Personen wie Familien mit kleinen Kindern oder andere der Personen mit besonderen Bedürfnissen nach einer Überstellung nicht angemessen untergebracht werden (vgl. die Fallbeispiele in: Danish Refugee Council/Schweizer Flüchtlingshilfe, Is mutual trust enough? The situation of persons with special reception need upon return to Italy, 9. Februar 2017) gehört der Antragsteller als alleinstehender junger Mann ohne ärztlich nachgewiesene Einschränkungen gerade nicht zum betroffenen Kreis der vulnerable Personen.
Ausgehend von diesen rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten ist nicht erkennbar, dass die italienische Asylverfahrenspraxis bzw. die dortigen Aufnahmebedingungen regelhaft die Grenzen des europäischen Rechts überschreiten würden.
Zudem ist weder substantiiert dargelegt worden noch sonst erkennbar, dass gerade der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen würde. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass der Antragsteller in Italien weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk zurückgreifen kann. Jedenfalls wenn er sich dem Asylsystem in Italien unterwirft, hat er im Falle einer Überstellung nach Italien als Asylbewerber Anspruch auf Unterbringung und Verpflegung, dessen Erfüllung – wie bereits ausgeführt – auch zur Überzeugung des Gerichts hinreichend gesichert ist.
Nach alledem ist der Asylantrag des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell zu prüfen.
Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin bei einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG selbst zu berücksichtigten hat, sind nicht erkennbar.
Auch die vor dem Bundesamt behaupteten gesundheitlichen Probleme des Antragstellers (Zahnschmerzen) führen nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Da sie – ihr Bestehen unterstellt – weder lebensbedrohlich oder schwerwiegend im Sinne der Vorschrift sind, kommt es nicht darauf an, dass der Antragsteller weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG vorgelegt und daher die Vermutung § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG nicht widerlegt hat.
Bei der im einstweiligen Rechtschutz alleine möglichen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. Damit liegen die Voraussetzungen für den Erlass der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG vor.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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