Europarecht

Erfolgreiche Klage gegen Dublin-Bescheid: Systemische Mängel des Asylverfahrens in Ungarn

Aktenzeichen  W 1 K 17.50011

Datum:
10.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1
AsylG AsylG § 83b

 

Leitsatz

Eine Überstellung nach Ungarn ist wegen bestehender systemischer Mängel des dortigen Asylsystems und der dortigen Aufnahmebedingungen gem. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO derzeit nicht möglich (ebenso BayVGH BeckRS 2017, 113723). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Dezember 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, nachdem der Klägerbevollmächtigte hierzu unter dem 1. Juli 2017 sein Einverständnis erteilt hat und die Beklagte im Rahmen ihrer allgemeinen Prozesserklärung vom 27. Juni 2017.
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 27. Dezember 2016 ist im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 2 AsylG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Eine Zuständigkeit Ungarns nach den Regelungen der Dublin III-VO ist jedenfalls im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) gegeben, da eine Überstellung nach Ungarn wegen bestehender systemischer Mängel des ungarischen Asylsystems und der dortigen Aufnahmebedingungen gem. Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO, welche eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechte-Charta begründen, derzeit nicht möglich ist. Anhaltspunkte für die vorrangige Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates sind weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. Art. 3 Abs. 2 UA. 2 a.E. Dublin III-VO). Wegen des Vorliegens systemischer Mängel schließt sich das erkennende Gericht vollumfänglich der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an (U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.50003) und macht sich diese zu eigen. Auf die Gründe des genannten Urteils wird daher Bezug genommen (vgl. insoweit BVerwG, B.v. 27.5.1988 – 9 CB 19/88; BayVGH, B.v. 18.8.2010 – 2 ZB 07.2052, Eyermann, VwGO, 13. Auflage, § 117 Rn. 11). Insbesondere ist hinsichtlich des Vorliegens systemischer Mängel festzustellen, dass für den Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn die ernsthafte Gefahr besteht, dort ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden, nachdem die diesbezüglichen Verhältnisse in Ungarn ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet sind. Ein weiterer Grund für die Annahme, dass das Asylverfahren in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist, die zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung führen, ist die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK. Dem Kläger würde im Ergebnis eine quasi automatische Zurückweisung und Abschiebung ohne inhaltliche Überprüfung seiner Schutzbedürftigkeit nach Serbien drohen, wo derzeit kein Schutz verfügbar ist und zudem die Gefahr einer Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot besteht (vgl. BayVGH, a.a.O.; vgl. auch: VGH Baden-Württemberg, U.v. 13.10.2016 – A 11 S 1596/16; OVG Niedersachsen, U.v. 15.11.2016 – 8 LB 92/15; OVG Sachsen, U.v. 6.6.2017 – 4 A 584/16.A – jeweils juris).
Der streitgegenständliche Bescheid war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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