Europarecht

Erschütterung der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens des Käufers eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs

Aktenzeichen  8 U 5307/19

Datum:
2.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 384
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 138, § 142, § 286, § 427
BGB § 249, § 823, § 826

 

Leitsatz

1. Wenn ein Autokäufer zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs Kenntnis davon gehabt hat, dass in seinem Fahrzeug eine Manipulationssoftware verbaut gewesen ist, entfällt zwangsläufig die Kausalität einer unerlaubten Handlung für den Kaufentschluss und damit für den behaupteten Schaden. (Rn. 8)
2. Den Käufer trifft eine sekundäre Darlegungslast zu seinem Kenntnisstand zur Zeit des Kaufs von dem „Dieselskandal“ allgemein und zur Betroffenheit des gekauften Fahrzeugs im Besonderen. Kommt ein Käufer dieser sekundären Darlegungslast trotz Hinweis des Gerichts nicht nach, ist das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe zur Zeit des Kaufs Kenntnis von der Betroffenheit des Fahrzeugs von dem Dieselskandal gehabt, gem. § 138 ZPO als zugestanden zu behandeln. (Rn. 12 – 15)
3. Außerdem kann das Gericht in diesen Fällen gem. § 142 ZPO anordnen, dass der Autokäufer innerhalb einer Frist den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug vollständig in beglaubigter Abschrift vorlegt. Eine Weigerung des Käufers, den Kaufvertrag vorzulegen, kann das Gericht gem. §§ 286, 427 ZPO frei würdigen. (Rn. 19 – 20)
4. Der Ersatz eines angeblichen „Minderwerts“ kommt nach der Differenzhypothese nur in Betracht, wenn der Geschädigte nachweist, dass er ohne die unerlaubte Handlung einen anderen, günstigeren Vertrag – mit dem Verkäufer oder einem Dritten – abgeschlossen hätte. (Rn. 24 – 26)

Verfahrensgang

29 O 17363/18 2019-08-23 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Kläger wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23.08.2019, Az. 29 O 17363/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 25.01.2020.
3. Innerhalb dieser Frist können sich die Parteien auch zum Streitwert äußern, den der Senat beabsichtigt auf bis zu 10.000,- € festzusetzen.

Gründe

I.
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche nach einem PKW-Kauf in Zusammenhang mit dem sog. „VW-Abgasskandal“ geltend. Die Klagepartei kaufte am 13.09.2016 beim A. Zentrum M. ein Fahrzeug der Marke Audi Q3, 2.0 TDI zu einem Kaufpreis in Höhe von 26.447,00 € mit einem Kilometerstand von 18.034 km. Die Beklagte ist Herstellerin des Motors Typ EA 189 des streitgegenständlichen Pkw.
II.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen, da er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung im Ergebnis offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
1. Die Entscheidung des Landgerichts erscheint zumindest im Ergebnis offensichtlich zutreffend. Die hiergegen von der Berufung erhobenen Einwendung greifen im Ergebnis nicht durch:
a) Zwar enthält – bzw. enthielt jedenfalls bis zu einem etwaigen Update – der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute, von der Beklagten hergestellte Motor des Typs EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 – VIII ZR 225/17 – Rn. 13, zum selben Motor). Wegen des Einsatzes einer derartigen „Manipulationssoftware“ kommt mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien allenfalls eine deliktische Haftung der Beklagten nach § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV in Betracht (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 – 13 U 142/18; OLG Köln, Beschluss vom 3.1.2019 – 18 U 70/18, je zum selben Motor). Das kann aber hier alles dahinstehen, da der Kläger seiner diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast trotz Hinweis des Senats nicht genügt hat:
b) Zu seinem Schaden behauptet der Kläger hier, er hätte vom Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs abgesehen, wenn er von der darin verbauten Manipulationssoftware Kenntnis gehabt hätte (Klageschrift S. 28 unten). Der klägerseits geltend gemachte Schaden liegt somit – ähnlich wie in den Kapitalanlagefällen (vgl. dazu z.B. BGH vom 12.05.2009, Gz. XI ZR 586/07, Rz. 22) – bereits im Erwerb des Fahrzeugs und der Belastung mit der Kaufpreisverbindlichkeit (vgl. z.B. OLG Köln, Beschluss vom 3.1.19, Gz. 18 U 70/18).
Für eine deliktische Haftung der Beklagten trägt der Kläger grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 218/03). Das gilt somit grundsätzlich auch für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Rechtsgutsverletzung und behauptetem Schaden (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 78. A. 2019, vor § 249 Rz. 24). Die Frage, wie sich ein Anspruchsteller bei korrekter Aufklärung verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die grundsätzlich der Anspruchsteller nach § 287 ZPO zu beweisen hat. Grundsätzlich reicht dabei allerdings eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden entstanden ist, für die richterliche Überzeugungsbildung aus (z.B. BGH NJW 2005, 3275 [3277] für Anwaltshaftung; BGH NJW 2009, 1591 Rnr. 14, für Steuerberaterhaftung).
Das erforderliche Beweismaß kann jedoch durch die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens noch weiter herabgesetzt werden. So besteht bei einer unrichtigen oder unvollständigen Darstellung von für die Anlageentscheidung wesentlichen Umständen nach st. Rspr. des BGH eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die mangelhafte Prospektdarstellung für die Anlageentscheidung ursächlich war. Denn durch unzutreffende oder unvollständige Informationen des Prospekts wird in das Recht des Anlegers eingegriffen, in eigener Entscheidung und Abwägung des Für und Wider darüber zu befinden, ob er in das Projekt investieren will oder nicht (z.B. BGH, WM 2009, 789).
c) Jedenfalls dann, wenn der Kläger zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs Kenntnis davon gehabt haben sollte, dass die Manipulationssoftware in seinem Fahrzeug verbaut gewesen ist, würde die behauptete Kausalität einer Täuschung bzw. einer sittenwidrigen Schädigung oder Rechtsgutsverletzung für seinen Kaufentschluss und damit für seinen behaupteten Schaden zwangsläufig entfallen (volenti non fit iniuria, vgl. Heese NJW 2019, 257, 262). Denn die behauptete Schädigung des Klägers würde dann nicht mehr auf dem heimlichen Einbau der Manipulationssoftware durch die Beklagten beruhen, sondern auf seinem freien Entschluss, das Fahrzeug trotz der Ausstattung mit dieser Software zu erwerben.
Wie der Senat bereits in seinem Hinweis vom 03.12.2019 ausgeführt hat, erscheint aber zweifelhaft, ob in Fällen der vorliegenden Art die auf Tatsachenerfahrung beruhende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens gilt (so für Ansprüche aus § 826 BGB im Bereich der Kapitalanlage z.B. BGH, Urteile vom 21. Februar 2013 – III ZR 139/12 -, Rn. 15, und vom 21. Februar 2013 – III ZR 94/12 -, Rn. 14; BGH, Urteil vom 16. Oktober 2001 – XI ZR 25/01 -, Rn. 18).
aa) Zwar spricht für die Annahme eines entsprechenden Erfahrungssatzes auch in Fällen der vorliegenden Art, dass die Beklagte durch den versteckten Einbau der Manipulationssoftware in vergleichbarer Weise wie im Kapitalanlagerecht (s.o.) in das Recht der Autokäufer eingegriffen hat, in eigener Entscheidung und Abwägung des Für und Wider darüber zu befinden, ob sie ein derart manipuliertes Fahrzeug erwerben wollen oder nicht. Jedenfalls vor Bekanntwerden des sog. „Dieselskandals“ bei der Beklagten durch die Presserklärung der Beklagten vom 22.09.2015 hatten die Kaufinteressenten auch keinerlei Anlass oder Möglichkeit, eine derartige Manipulation zu vermuten oder gar selbst festzustellen. Angesichts der mit dieser Manipulation bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung verbundenen Gefahren (z.B. Gefahr des Zulassungsentzugs und der Wertminderung) – wobei es nicht darauf ankommt, ob sich diese Gefahren später realisiert haben – dürfte nach der Lebenserfahrung eine hinreichende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass ein entsprechend informierter Kaufinteressent von dem Erwerb Abstand genommen hätte.
bb) Das kann jedoch nach Auffassung des Senats nicht in gleicher Weise für die Fälle gelten, in denen der Kauf – wie vorliegend am 13.09.2016 – erst mehr oder weniger deutlich nach Bekanntwerden des sog. „Dieselskandals“ bei der Beklagten erfolgt ist. Wie die Beklagte in der Berufungserwiderung (dort S. 11 ff.) unwidersprochen vorgetragen hat, erfolgte ab der Presserklärung der Beklagten vom 22.09.2015 eine umfangreiche Presseberichterstattung über den sog. „Dieselskandal“. Ab Oktober 2015 hatten Kaufinteressenten auch die Möglichkeit, durch Eingabe der Fahrgestellnummer in eine von der Beklagten zur Verfügung gestellte Eingabemaske im Internet noch vor dem Kauf festzustellen, ob das in Aussicht genommene Fahrzeug vom dem Dieselskandal betroffen ist. Wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist, haben zumindest einige Vertragshändler der Beklagten in der Folgezeit sogar entsprechende ausdrückliche Hinweise in die Kaufverträge aufgenommen.
cc) Aus alledem lässt sich zwar – entgegen der Auffassung der Beklagten – noch keine zwingende positive Kenntnis der einzelnen Käufer herleiten. Die sich daraus ergebende konkrete Möglichkeit, dass ein Kaufinteressent vor dem Erwerb von der Betroffenheit des Fahrzeugs Kenntnis erlangt haben könnte – sei es durch eigene Recherche, sei es durch Hinweis des Verkäufers – erschüttert aber – je nach zeitlichem Abstand des Erwerbs zum Bekanntwerden des Dieselskandals – nach Auffassung des Senats jedenfalls den oben angenommenen Erfahrungssatz; die Vermutung verblasst sozusagend mit zunehmendem zeitlichem Abstand des Erwerbs zum Bekanntwerden des Dieselskandals.
(1) Dies führt in der ersten Stufe zu einer entsprechenden sekundären Darlegungslast des jeweiligen Käufers zu seinem Kenntnisstand von dem „Dieselskandal“ allgemein und zur Betroffenheit des gekauften Fahrzeugs im Besonderen zur Zeit des Kaufs. Denn dass ein Gläubiger, soweit es wie hier um Umstände aus seiner Sphäre geht, an der Sachaufklärung mitzuwirken hat, ist in der Rspr. des BGH anerkannt (vgl. z.B. BGH vom 03.06.2008, Gz. XI ZR 318/06, Rnr. 32, zur Verjährung).
Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 18.1.2018 – I ZR 150/15, Rz. 30). So liegt es hier. Die Beklagte kann nicht wissen, ob und wie sich der Kläger konkret informiert hat, dem Kläger dagegen sind konkrete Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar.
Kommt ein Käufer dieser sekundären Darlegungslast trotz Hinweis des Gerichts nicht nach, ist das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe zur Zeit des Kaufs Kenntnis von der Betroffenheit des Fahrzeugs von dem Dieselskandal gehabt, gem. § 138 ZPO als zugestanden zu behandeln (BGH, Urteil vom 18.1.2018 – I ZR 150/15, Rz. 30).
(2) Außerdem kann das Gericht in diesen Fällen gem. § 142 ZPO anordnen, dass der Kläger innerhalb einer Frist den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug vollständig in beglaubigter Abschrift vorlegt. Dies ist schon deshalb geboten, weil – wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist – zumindest einige Vertragshändler der Beklagten in der Folgezeit entsprechende ausdrückliche Hinweise in die Kaufverträge aufgenommen haben. Eine „Bezugnahme“ i.S.v. § 142 ZPO liegt vor, wenn eine Partei ausdrücklich oder konkludent auf eine Urkunde verweist, deren Existenz sich aus dem Parteivortrag ergibt. Es genügt, wenn sich die Bezugnahme sinngemäß aus dem Sachvortrag oder eingereichten Urkunden ergibt (Musielak/Voit/Stadler, 16. Aufl. 2019, ZPO § 142 Rn. 4). Das ist hier durch Darstellung des Kaufs (vgl. LGU S. 2) und Verweis auf einen – nicht vorgelegten – „Kaufvertrag vom 13.09.2016“ in der allein vorgelegten Lieferbestätigung Anlage K 1 geschehen.
Eine Weigerung des Klägers, den Kaufvertrag vorzulegen, kann das Gericht gem. §§ 286, 427 ZPO frei würdigen (Zöller/Greger, ZPO, 33. A. 2020, § 142 Rz. 15). Diese freie Würdigung kann nach Auffassung des Senats insbesondere dazu führen, dass eine etwaige, auf Tatsachenerfahrung beruhende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens jedenfalls als widerlegt anzusehen wäre mit der Folge, dass der Kläger für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Rechtsgutsverletzung und behaupteten Schaden wieder voll beweispflichtig wäre.
d) Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall nunmehr folgendes:
aa) Der Kläger wurde mit Verfügung des Vorsitzenden vom 03.12.2019 auf seine sekundäre Darlegungslast zu seinem Kenntnisstand von dem „Dieselskandal“ allgemein und zur Betroffenheit des gekauften Fahrzeugs im Besonderen zur Zeit des Kaufs hingewiesen. Weiter wurde ihm dort gem. § 142 ZPO aufgegeben, innerhalb der Frist den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug vollständig in beglaubigter Abschrift vorzulegen, da Anlage K 1 nur eine Lieferbestätigung darstellt.
Auf diesen Hinweis hat der Kläger in seinem Schriftsatz vom 09.12.2019 in keiner Weise ausreichend reagiert. Weder hat er den Kaufvertrag vorgelegt, noch hat er die Nichtvorlage entschuldigt. Konkrete Ausführungen zu seinem Kenntnisstand zum „Dieselskandal“ allgemein und zur Betroffenheit des gekauften Fahrzeugs im Besonderen zur Zeit des Kaufs finden sich dort nicht, sondern nur sehr allgemeine Ausführungen zu den angeblich fehlenden Erkenntnismöglichkeiten und -pflichten eines Käufers. Auch ein Beweisangebot für die behauptete Kausalität findet sich dort nicht.
bb) Da der Kläger somit seiner sekundären Darlegungslast trotz Hinweis des Gerichts nicht nachgekommen ist, ist das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe zur Zeit des Kaufs Kenntnis von der Betroffenheit des Fahrzeugs von dem Dieselskandal gehabt, gem. § 138 ZPO zugestanden und die Berufung bereits deshalb zurückzuweisen.
Außerdem führt die freie Würdigung der Weigerung des Klägers, den Kaufvertrag vorzulegen, im vorliegenden Falle dazu, dass eine etwaige, auf Tatsachenerfahrung beruhende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens jedenfalls als widerlegt anzusehen wäre mit der Folge, dass der Kläger für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Rechtsgutsverletzung und behauptetem Schaden wieder voll beweispflichtig ist. Da er trotz Hinweis kein entsprechendes Beweisangebot unterbreitet hat, ist er nunmehr auch beweisfällig.
2. Zu den Berufungsanträgen des Klägers in der Berufungsbegründung vom 15.10.19 sei daher der Vollständigkeit halber nur kurz noch folgendes angemerkt:
a) Die Klage hätte mit dem vorliegenden Berufungsantrag zu 1), die Beklagte zu verurteilen, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25% des Kaufpreises des Fahrzeugs, mindestens somit 6.611,75 € nebst Zinsen, zu bezahlen, von vorneherein keinen Erfolg haben können, da dieser Antrag auf den Ersatz eines angeblichen „merkantilen Minderwerts“ von mindestens 25% abzielt (vgl. Klageschrift S. 12), der vorliegend nicht geschuldet sein kann:
Wie den Klägervertretern bereits aus einem Hinweis des 18. Zivilsenats des OLG München vom 02.06.2019 zum Gz. 18 U 4477/19 bekannt ist, ist die Frage, ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, nach der so genannten Differenzhypothese grundsätzlich durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen. Deshalb steht einem arglistig getäuschten Käufer gegen einen Dritten, der die Täuschung verübt hat, ggf. nur ein Anspruch zu, der darauf gerichtet, dass der Käufer so gestellt wird, wie er stünde, wenn er nicht getäuscht worden wäre – er hier also das Fahrzeug nach eigener Behauptung nicht erworben hätte. Davon zu unterscheiden ist der Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. Dieses ist zu ersetzen, wenn der Geschädigte verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob eine Verbindlichkeit ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. So ist anerkannt, dass die Anwendung der Differenzhypothese in dem Fall, in dem der Geschädigte nachweist, dass er ohne die für den Abschluss des Vertrages ursächliche Täuschungshandlung einen anderen, günstigeren Vertrag – mit dem Verkäufer oder einem Dritten – abgeschlossen hätte, im Ergebnis das Erfüllungsinteresse verlangen kann, und zwar deswegen, weil der Schaden in diesem Ausnahmefall dem Erfüllungsinteresse entspricht (BGH, Urteil vom 18. Januar 2011 – VI ZR 325/09, Rz. 8 ff.).
Einen derartigen Nachweis, dass er ohne die für den Abschluss des Vertrages ursächliche Täuschungshandlung einen anderen, um mindestens 25% günstigeren Vertrag abgeschlossen hätte, hat der Kläger hier nicht erbracht, sodass für den Ersatz eines „Minderwerts“ die Voraussetzungen fehlen. Der Kläger hat Derartiges hier schon nicht – auch nicht hilfsweise – behauptet, sondern nur geltend gemacht, er hätte vom Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs abgesehen, wenn er von der darin verbauten Manipulationssoftware Kenntnis gehabt hätte (Klageschrift S. 28 unten). Dann wäre ihm der behauptete Minderwert aber nicht entstanden. Daher fehlt es hier im Sinne der Differenzhypothese schon an der Darlegung einer entsprechenden hypothetischen Vermögenslage und kann dahinstehen, ob der Kläger ansonsten auch im Bereich der unerlaubten Handlung verlangen könnte, so behandelt zu werden, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen (so BGH, Urteil vom 19.05.2006, Gz. V ZR 264/05, Rz. 22, für einen Kaufrechtsfall; darauf verweisend Heese, NJW 2019, 257; nunmehr in einem Abgasfall auch OLG Stuttgart vom 11.12.2019, Gz. 9 U 3/19, Rz. 56 ff.).
Im Übrigen ist der Antrag auch unbestimmt und somit unzulässig, soweit er eine höhere Verurteilung in das Ermessen des Senats stellen will. Die Voraussetzungen für einen derartigen unbestimmten Zahlungsantrag (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 40. A. 2019, § 253 Rz. 12) liegen hier offensichtlich nicht vor.
b) Für den Berufungsantrag zu 2) gilt ähnliches. Der Kläger hat schon keine Anspruch auf einen angeblichen Minderwert (s.o.) und daher erst recht nicht auf einen „darüber hinausgehenden Schaden“. Welche weiteren, über den behaupteten Minderwert von 25% noch hinausgehenden Schäden durch das Softwareupdate drohen könnten, ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Da die Berufung aber schon aus anderen Gründen (s.o. 1.) unbegründet ist und die Klägervertreter vor Abfassung der hiesigen Berufungsbegründung vom 15.10.2019 bereits vom 18. Zivilsenat des OLG München am 02.06.2019 entsprechende Hinweise erhalten hatten, bedurfte es hier insoweit keines vorherigen Hinweises mehr.
3. Den Streitwert für das Berufungsverfahren beabsichtigt der Senat auf bis zu 10.000.- € festzusetzen. Er legt dabei nur den bezifferten Minderungsbetrag zugrunde sowie 10% des Kaufpreises für den Feststellungsantrag.
4. Bei dieser Sachlage wird schon aus Kostengründen empfohlen, die Berufung zurückzunehmen; es kommt hinzu, dass vorliegend angesichts des relativ geringen Streitwerts die Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig sein dürfte. Im Fall der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren vorliegend von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
5. Zu diesen Hinweisen kann der Berufungsführer binnen der oben gesetzten Frist Stellung nehmen – zum Streitwert innerhalb der gleichen Frist auch der Gegner. Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zurückweisen, wenn sich Änderungen nicht ergeben. Mit einer einmaligen Verlängerung dieser Frist um maximal 3 Wochen ist daher nur bei Glaubhaftmachung konkreter, triftiger Gründe zu rechnen (vgl. OLG Rostock, OLGR 2004, 127 ff.).


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