Europarecht

Feststellung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Kapitalgesellschaft

Aktenzeichen  7 O 2141/17

Datum:
30.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151255
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 110 Abs. 1

 

Leitsatz

Der Antrag auf Leistung einer Prozesskostensicherheit ist unbegründet, wenn die Beklagtenseite nicht nachweisen kann, dass die klagende (Kapital-) Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union hat; der tatsächliche Verwaltungssitz liegt im Inland, wenn hier Entscheidungen der Unternehmensleitung – wo immer diese getroffen wurden – in Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. (Rn. 15 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag der Klageparte, gem. § 280 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzuordnen, zur Hauptsache zu verhandeln, wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Beklagte auf Einräumung einer Schriftsatzfrist wird zurückgewiesen.

Gründe

Der zulässige Antrag der Beklagten, der Klägerin die Leistung von Sicherheit für die Prozesskosten aufzuerlegen, ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 110 ZPO, unter denen die Beklagten die Leistung von Prozesskostensicherheit beanspruchen können, liegen nicht vor.
Der gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin liegt nicht außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union. Bei (Kapital-)Gesellschaften tritt an die Stelle des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des § 110 Abs. 1 ZPO der tatsächliche Verwaltungssitz, nicht der satzungsmäßige Sitz. Dies gilt jedenfalls dann, wenn am satzungsmäßen Sitz keine zustellfähige Adresse vorhanden ist (OLG Karlsruhe NJW-RR 2008, 944). Die Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz entspricht der Intention des Gesetzgebers, die Prozesskostensicherheit nicht mehr von der Staatsangehörigkeit des Klägers, sondern nur noch von den aus seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort folgenden Schwierigkeiten der Anerkennung und Vollstreckung eines Kostentitels abhängig zu machen. Der Beklagte soll lediglich vor den typischen Schwierigkeiten bei der Anerkennung und Vollstreckung geschützt werden, die dadurch entstehen, dass er seinen Anspruch auf Kostenerstattung im Ausland realisieren muss (OLG Karlsruhe, NJW-RR 2008, 944, 945).
Der tatsächliche Verwaltungssitz ist „der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden“ (BGH GRUR 2016, 1204, 1205 – Prozesskostensicherheit). Dass ein Verwaltungssitz in diesem Sinne nicht in Deutschland vorhanden wäre, haben die Beklagten nicht nachgewiesen.
I. Insbesondere steht nicht fest, dass Zustellungen am registermäßigen Sitz der Klägerin nicht bewirkt werden könnten. Das Vorhandensein eines Briefkastens für die Klägerin und eines Klingelschildes ihres Mitgeschäftsführers … spricht vielmehr für eine Erreichbarkeit der Klägerin an ihrem Sitz.
II. Des Weiteren steht auch nicht fest, dass die Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv außerhalb der Europäischen Union in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt würden. Die Klägerin hat vielmehr ausgeführt, dass der Geschäftsführer … formale Akte der Geschäftsführung in Deutschland vornehme. Darüber hinaus setze er Entscheidungen in Deutschland um. Damit wurden unwiderlegt Entscheidungen der Unternehmensleitung im Inland in Geschäftsführungsakte umgesetzt. Entgegen der weiteren schriftsätzlichen Ausführungen der Beklagten kommt es schlichtweg nicht darauf an, wo die Entscheidungen getroffen werden. Die beklagtenseits vorgetragenen Indizien, dass der unternehmensinterne Willensbildungsprozess außerhalb der Bundesrepublik stattfinde, mögen alle zutreffen. Entscheidend ist aber vorliegend, dass die Umsetzung dieser Entscheidungen – also die nach außen ersichtlichen Geschäftsführungsakte – in Deutschland erfolgen.
III. Auch stellt sich das Vorgehen der Klägerin nicht als rechtsmissbräuchlich dar. Insbesondere steht nicht fest, dass die Gründung der GmbH allein der Vermeidung der Prozesskostensicherheit diente. Dies kann schon im Hinblick darauf nicht angenommen werden, dass die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen mehrere Patente innehat und sie teilweise auch lizensiert. Die Gründung der Klägerin diente mithin offensichtlich nicht lediglich dazu, in bestimmten Prozessen der Verpflichtung zur Leistung von Prozesskostensicherheit zu entkommen. Zumindest ist das nicht nachgewiesen.
IV. Die Kammer übt ihr Ermessen nach § 280 Abs. 2 Satz 2 ZPO dahingehend aus, von einer Anordnung der Fortsetzung des Rechtsstreits abzusehen. Die Auslegung des Klagepatents gestaltet sich als ausgesprochen schwierig, weshalb die Kammer den Parteien auch eine einvernehmliche Aussetzung bis zum Vorliegen eines qualifizierten Hinweises des Bundespatentgerichts nach § 83 Abs. 1 PatG angeraten hat. Die Kammer erhoffte sich hierdurch Erkenntnisse zum fachmännischen Verständnis des Klagepatents, im Hinblick auf die nur noch geringe Restlaufzeit des Patents binnen der nächsten Monate.
Unabhängig hiervon tendiert die Kammer vorläufig dazu, das Klagepatent in der von der Beklagten erläuterten Weise auszulegen. Eine substantiierte und in sich geschlossene Darstellung der Klägerin, dass das Klagepatent auch auf Basis der beklagtenseitigen Auslegung verletzt wird, liegt allerdings nicht einmal in einer für die Beauftragung eines Sachverständigen hinreichenden Weise vor. Die Kammer hat von einer Endentscheidung nur deshalb abgesehen, weil auch die Beklagten im Termin noch weiteren Aufklärungsbedarf gesehen und um Schriftsatzfrist gebeten hatten. Die Klägerin wird im Anschluss an die Rechtskraft dieses Zwischenurteils demnach den Versuch unternehmen müssen, in strukturierter und verständlicher Weise darzustellen, weshalb aus ihrer. Sicht eine Verletzung des Streitpatents nach der weiter verfolgten Auslegungsalternative vorliegt. Der Beklagten wird dann Gelegenheit gegeben werden, hierauf im Zusammenhang zu erwidern.
V. Der Einräumung einer Schriftsatzfrist für die Beklagten bedurfte es daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht.


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