Europarecht

Frage der Störung eines Gewerbebetriebs

Aktenzeichen  2 ZB 18.2561

Datum:
17.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 54346
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 64 Abs. 2 S. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 1, § 10, § 13a S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 8 K 17.1082 2018-07-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung (§§ 124, 124a Abs. 4 VwGO) hat keinen Erfolg, weil keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils vom 16. Juli 2018 bestehen. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 27. Februar 2017 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil die Klägerin keinen Anspruch auf Neuverbescheidung des Bauantrags vom 19. Januar 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hat.
1. Das Erstgericht hat seine Entscheidung selbständig tragend damit begründet, dass der Nachweis entsprechend der Fahrradstellplatzsatzung der Beklagten über die Herstellung und Bereithaltung von Abstellplätzen für Fahrräder vom 6. August 2012 fehlt. Gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO sind mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen. Der Bauherr ist im Rahmen seiner Mitwirkungsobliegenheit verpflichtet, richtige, in den Maßen vollständige und genaue sowie nachprüfbare Bauvorlagen einzureichen bzw. der Genehmigungsentscheidung zugrundezulegen. Die eingereichten Bauvorlagen, die als Grundlage der Stellplatzberechnung dienen sollen, genügen diesen Anforderungen hinsichtlich des Fahrradstellplatznachweises jedoch nicht.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass zwar die eingereichte Bauvorlage den Anforderungen hinsichtlich des Fahrradstellplatznachweises nicht genügt habe, dies aber im Rahmen der Berufungsinstanz nachgeholt werde. Das Nachreichen des Fahrradstellplatznachweises sei keine Änderung des Bauantrags, sondern eine Ergänzung. Für Fälle, in denen der Rechtsmittelführer nach Erlass der angegriffenen Entscheidung selbst eine veränderte Sachlage schafft, um vom Verwaltungsgericht angenommene Genehmigungshindernisse auszuräumen, hat der Senat jedoch bereits mehrfach entschieden, dass darauf mit Erfolg ein Zulassungsantrag nicht gestützt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 21.2.2000 – 2 ZB 00.316 – juris m.w.N.; zuletzt B.v. 25.11.2019 – 2 ZB 18.2461 – n.v.). Mit einem geänderten Bauantrag, über den die Behörde noch nicht entschieden hat und der noch nicht Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gewesen ist, können ernstliche Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht begründet werden. Dies gilt auch, wenn der Bauantrag, wie im vorliegenden Fall in wesentlichen Teilen ergänzt wird. Andernfalls würde ein neuer Sachverhalt der Überprüfung durch die Berufungsinstanz zugeführt werden, ohne dass weder die Erstinstanz hinsichtlich des geänderten Bauantrags noch die Behörde Gelegenheit gehabt hätte, darüber zu befinden. Im System der Zulassungsbedürftigkeit der Berufung sollen ernstliche Zweifel nicht geschaffen, sondern nur aufgezeigt werden können. Dies gilt besonders dann, wenn der neu eingeführte Gesichtspunkt zu neuen Zweifelsfragen führt. Insbesondere verdeutlicht dies der vorliegende Fall, in dem die Klägerin meint, dass für das Vorhaben keine zusätzlichen Stellplätze erforderlich seien, weil es sich bei dem nicht störenden Gewerbebetrieb in Anlehnung an Ziffer 6.3 Fahrradstellplatzsatzung um ein Motel handle. Dies wird von der Beklagten bestritten, weil bei der beantragten Ferienwohnung ein einer Wohnnutzung entsprechender Fahrradabstellplatzbedarf entstehen dürfte. Es kann nicht Aufgabe des Zulassungsverfahrens sein, diese erhebliche Frage zu klären.
2. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die streitgegenständliche Betriebsbeschreibung zu unbestimmt sei, so dass keine eindeutige Abgrenzung zwischen sonstigem nicht störenden Gewerbebetrieb im Sinn von § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO und einer Ferienwohnung im Sinn von § 10 BauNVO möglich sei. Die Wochenend- und Ferienhausnutzung werde von der Baunutzungsverordnung als städtebaulich relevante eigenständige Nutzungsart gewertet. Aus diesem Grund scheide auch eine ausnahmsweise Zulassung als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb im Sinn von § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO aus, da es sich bei einer Ferienwohnung ebenfalls um eine eigenständige Nutzungsart handle, die nicht unter den Begriff des nicht störenden Gewerbebetriebs subsummiert werden könne. Dem tritt die Klägerin auch unter Hinweis auf Rechtsprechung (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 19.7.2016 – 5 S 2220/15 – juris) entgegen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in der Konstellation der Drittanfechtung ergangen ist. Die Baugenehmigung wurde als zu unbestimmt angesehen, jedoch hatte die Beschwerde des Dritten keinen Erfolg, weil keine Regelungen betroffen waren, die seinem Schutz dienten. Darum geht es hier nicht. Auszugehen ist im vorliegenden Fall davon, dass die Klägerin mit Antrag vom 19. Januar 2017 die Nutzungsänderung eines aktuell genehmigten Ladens in einen sonstigen, nicht störenden Gewerbebetrieb beantragt hat. Auf Eindeutigkeit und Klarheit der Bauvorlagen und der Angaben in der Baubeschreibung kommt es besonders bei der Angabe der Nutzung an (vgl. Gaßner in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand August 2019, Art. 64 Rdnr. 75). Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Erstgerichts hinsichtlich der fehlenden Bestimmtheit nicht zu beanstanden.
Der Senat teilt die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass sich die Unterbringung einer Familie mit bis zu acht Personen nach der streitgegenständlichen Betriebsbeschreibung im Ergebnis nicht von der Nutzung als Ferienwohnung unterscheidet, auch wenn eine dieser Personen sich einer medizinischen Behandlung oder Untersuchung unterzieht. Dies kann entgegen der Ansicht der Klägerin nicht mit dem Argument in Frage gestellt werden, dass die Nutzer nicht zu eigenen Erholungszwecken, sondern zur Wahrnehmung wichtiger Aufgaben im Rahmen einer konkreten medizinischen Behandlung eines Patienten anreisen. Denn wenn eine Person eine ständige ärztliche Betreuung und Überwachung benötigt und sich deshalb zumindest während der akuten Behandlung in einem Krankenhaus aufhält, bleiben in der Wohnung nur die mitreisenden Angehörigen zurück. Für diese wird sich der Aufenthalt von einem gewöhnlichen Ferienaufenthalt – abgesehen von der Sorge um den betroffenen Angehörigen – nicht unterscheiden. Nicht verständlich ist, wieso das Mitreisen von Kindern und Jugendlichen schon deshalb erforderlich sein soll, da diese ohne ihre Eltern nicht in der Heimat bleiben können. In Krankheitsfällen kann einer Familie angesonnen werden, für eine Kinderbetreuung zu sorgen. Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass die Familie auch aus erwachsenen Mitgliedern bestehen könne, von denen jeder für sich eine Aufgabe übernehmen könne, wie Waschen des Patienten, Unterstützung beim Verrichten der Notdurft, das Anziehen, Kochen, Aufräumen usw. ist für den Senat nicht ersichtlich, wieso dafür bis zu acht Personen anreisen müssen.
3. Der Senat weist darauf hin, dass nach § 13a Satz 1 BauNVO Räume, die einem ständig wechselnden Kreis von Gästen gegen Entgelt vorübergehend gestellt werden und die zur Begründung einer eigenen Häuslichkeit geeignet und bestimmt sind (Ferienwohnungen) seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der RL 2014/52/EU und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt vom 4. Mai 2017 (BGBl. 1057) in der Regel zu den nicht störenden Gewerbebetrieben nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO gehören. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Klägerin eine Ferienwohnung beantragt (hätte), ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Im Ergebnis kann es dahinstehen, ob die streitgegenständliche Nutzung ein nicht störender Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ist. Die Beklagte hat ihr Ermessen auf jeden Fall fehlerfrei ausgeübt.
a.) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Beklagte auch bei Annahme eines nicht störenden Gewerbebetriebs ihr Ermessen gemäß § 31 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO fehlerfrei ausgeübt hat. Die Klägerin meint, die Beklagte hätte die Belange der verbrauchernahen Versorgung (§ 1 Abs. 6 Nr. 4 und 8a BauGB) nicht berücksichtigen dürfen, da sie selbst in den streitgegenständlichen Räumlichkeiten eine Wohnnutzung genehmigt habe. Jedoch hat die Beklagte bereits vor dem Verwaltungsgericht schriftsätzlich eingeräumt, dass die Genehmigung einer Wohnnutzung aufgrund einer fehlerhaften Einschätzung erfolgt sei. Zu der fehlerhaften Einschätzung sei es wegen der unvollständigen Pläne gekommen. Die Beklagte hat ausdrücklich klargestellt, dass der Vortrag im Ablehnungsbescheid, wonach die Einheit vorrangig einer Wohnnutzung zugeführt werden soll, nicht mehr aufrecht erhalten wird. Das Verwaltungsgericht hat beim Augenscheinstermin festgestellt, dass sich in der C …straße … und … … … in den Erdgeschossen jeweils gewerbliche Betriebe befinden, während in den Obergeschossen Wohneinheiten zu finden sind und auch das streitgegenständliche Ladengeschäft über bodentiefe Fenster und Eingangstüren an der Westseite sowie über große Schaufensterfronten an der Nordwestecke verfügt (vgl. Niederschrift über den Augenschein und die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2018 S. 4 ff). Das Erstgericht hat in seiner Entscheidung näher dargelegt, dass sich der konkrete Bereich bis heute als Versorgungsbereich für die Bewohner der näheren Umgebung darstellt (UA S. 20). Es sollte ein gebietsversorgender Zentralbereich geschaffen werden, in dem die verschiedenen Gebietsversorger zusammengefasst sind und das Versorgungsangebot möglichst zentral und zugleich umfassend abgedeckt wird. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass das streitgegenständliche Vorhaben die oben genannten städtebaulichen Belange, insbesondere die verbrauchernahe Versorgung der Wohnbevölkerung in einem für das Wohngebiet zentralen Versorgungsbereich beeinträchtigt.
Nicht zu beanstanden ist schließlich die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte habe in ihrem Schreiben vom 28. Mai 2018 in ihren Ermessenserwägungen zu Recht darauf abgestellt, dass durch eine derartige ausnahmsweise Zulassung Anreize für Bezugsfälle geschaffen würden, da die Vermietung an Medizintouristen finanziell ungleich einträglicher sei, als die Vermietung zu gewöhnlichen Wohn- und/oder gewerblichen Zwecken. Nach dem Internetauftritt der Klägerin solle die Übernachtung in dem streitgegenständlichen Vorhaben pro Nacht 360 € kosten. Daraus errechnet sich für einen Monat von 30 Tagen ein Mietbetrag von 10.800 €. Soweit die Klägerin im Berufungszulassungsverfahren meint, dass im Schnitt lediglich 5.500 € erzielt würden, die Einnahmen aus Gewerbebetrieb und keine Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung im Sinne des § 21 Einkommenssteuergesetz seien, so hat das Erstgericht auch berücksichtigt, dass das streitgegenständliche Vorhaben nicht lückenlos vermietet werden könne, aber die zu erzielenden Erträge die in der konkreten Lage erreichbaren Mieten bei Weitem übersteigen dürften, so dass mit einer Verdrängung von kleineren Läden, kleineren gewerblichen Einheiten und freiberuflichen Nutzungen zu rechnen sei.
b.) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Erstgerichts im Hinblick auf die Ermessensbestätigung nach § 31 Abs. 2 BauGB. Auf die obigen Ausführungen ist zu verweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.


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