Europarecht

Frist zur Geltendmachung von Entschädigung wegen Verstoßes der Besoldung gegen das Verbot der Altersdiskriminierung

Aktenzeichen  M 5 K 15.1829

Datum:
14.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AGG AGG § 15 Abs. 2, Abs. 4 S. 1
VwGO VwGO § 116 Abs. 1, § 117 Abs. 6

 

Leitsatz

Die Ausschlussfrist von zwei Wochen für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs wegen der an das Alter anknüpfenden Besoldung (Altersdiskriminierung) beginnt – dem BVerwG folgend (BeckRS 2015, 41911) – mit der Klärung der Rechtslage durch die Entscheidung des EuGH vom 8.9.2011 (BeckRS 2011, 81324)und nicht erst mit der Entscheidung des EuGH vom 19.6.2014 (BeckRS 2014, 81016), unabhängig davon, ob der Beamten davon tatsächlich Kenntnis hatte.  (redaktioneller Leitsatz)
Der Dienstherr ist auch unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, den Beamten über die Rechtsprechung betreffend die Besoldung umfassend aufzuklären. (redaktioneller Leitsatz)
Einem anderen Anspruch auf höhere Besoldung als dem Entschädigungsanspruch des Art. 15 Abs. 2 AGG steht jedenfalls das fehlende Verschulden des Dienstherren entgegen, da die Verwaltungsgerichte bislang von der Rechtmäßigkeit des bisherigen Besoldungssystems ausgegangen sind. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

1. Die im Hauptantrag zulässige Leistungsklage ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 i. V. m. § 24 Nr. 1 AGG wegen des Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG. Der Widerspruchsbescheid vom 7. April 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
a) Auch wenn ein solcher Anspruch hinsichtlich der Anknüpfung der Besoldung an das Lebensalter bis zum Inkrafttreten des Bayerischen Besoldungsgesetztes am 1. Januar 2011 grundsätzlich in Betracht kommt (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2014 – 2 C 6/13 – BVerwGE 150, 234 – juris Rn. 15 ff., 45 ff.), hat die Klägerin den Anspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss auch ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von 2 Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Nach § 15 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 AGG beginnt die Frist zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt (der Fall der Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs nach Halbsatz 1 dieser Vorschrift liegt nicht vor).
Der Betroffene hat nach der Rechtsprechung Kenntnis von der Benachteiligung, wenn er die anspruchsbegründenden Tatsachen kennt. Dass er aus diesen Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht, ist nicht erforderlich. Für den Fall einer – hier zunächst anzunehmenden – unsicheren und zweifelhaften Rechtslage ist von diesem Grundsatz eine Ausnahme geboten. Der Lauf der Ausschlussfrist beginnt dann zu dem Zeitpunkt, ab dem die Erhebung einer Klage für den Betroffenen zumutbar ist, das heißt die Klage hinreichend aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos ist. In diesen Fällen ist danach die objektive Klärung der Rechtslage durch höchstrichterliche Entscheidungen maßgeblich. Die entscheidungserhebliche Rechtslage ist hier durch die Verkündung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Hennigs/Mai“ am 8. September 2011 (C-297/10 und C-298/10) geklärt worden (ausdrücklich: BVerwG, U.v. 30.10.2014 – a. a. O. Rn. 51 ff.; vgl. auch: VG Bayreuth, U.v. 14.4.2015 – B 5 K 14.537 – juris sowie U.v. 24.3.2015 – B 5 K 12.458 – juris; VG Arnsberg, U.v. 29.5.2015 – 13 K 3070/12 – juris sowie U.v. 5.6.2015 – 13 K 308/13 – juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 28.7.2015 – 12 K 3415/12 – juris; VG Bremen, U.v. 25.8.2015 – 6 K 274/14 – juris). Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die positive Kenntnis von der objektiven Klärung der Rechtslage beim einzelnen Beamten Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG ist. Vielmehr unterstreicht der in der neueren Rechtsprechung (vgl. BGH, U.v. 23.7.2015 – III ZR 4/15 – juris Rn. 14; VG Arnsberg, U.v. 5.6.2015 – a. a. O.) betonte Zweck der Frist des § 15 Abs. 4 AGG, innerhalb einer kurzen Zeitspanne Rechtssicherheit und Rechtsklarheit herbeizuführen, die Ansicht, dass die Frist mit der objektiven Klärung der Rechtslage beginnt, unabhängig davon, ob der einzelne Betroffene von der Klärung tatsächlich Kenntnis hat. Denn andernfalls würde die Frist – entgegen ihrem Zweck – zu jeweils individuellen Zeitpunkten früher oder später anlaufen, was zu nicht hinnehmbaren unterschiedlichen Ergebnissen führen würde. Ebenso traf den Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht keine Pflicht zur Aufklärung der Beamten über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. September 2011. Denn der Dienstherr ist in diesem Rahmen nicht zu einer umfassenden Aufklärung über die höchstrichterliche Rechtsprechung betreffend die Besoldungsansprüche verpflichtet. Es kann erwartet werden, dass sich ein Beamter um Angelegenheiten, die in seinem eigenen Interesse liegen, selbst bemüht (Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Februar 2016, § 45 BeamtStG, Rn. 180 ff.).
Der demgegenüber abweichenden Auffassung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (U.v. 6.8.2015 – 1 A 290/14 – juris Rn. 45 ff.), für den Zeitpunkt der entscheidungserheblichen Klärung der Rechtslage auf das Ergehen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Juni 2014 (C-501/12 – C-506/12, C-540/12 und C-541/12 – NVwZ 2014, 1294, juris) abzustellen, kann nicht gefolgt werden. Es ist vielmehr der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 30. Oktober 2014 (a. a. O.) zu folgen. Dort ist ausdrücklich zu § 15 Abs. 4 AGG angegeben, dass die entscheidungserhebliche Rechtsfrage mit Ergehen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 8. September 2011 (C-297/10 und C-298/10) geklärt wurde. Denn die vom Europäischen Gerichtshof im späteren Urteil vom 19. Juni 2014 (a. a. O.) entschiedene maßgebliche Frage war, ob sich durch die Umstellung auf ein neues Besoldungssystem eine Altersdiskriminierung fortsetzt bzw. dies gerechtfertigt sein könnte. Das geht über die Problematik, die dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. September 2011 (a. a. O.), zugrunde lag – nämlich, ob eine Altersdiskriminierung durch eine an das Lebensalter anknüpfende Bezahlung stattfindet und diese eventuell gerechtfertigt sein könnte – hinaus. Bereits das Urteil vom 8. September 2011 (a. a. O.) musste daher dem einzelnen Beamten Anlass geben, eine Altersdiskriminierung bei der Besoldung zu rügen, um einen Anspruch nach § 15 Abs. 2 i. V. m. § 24 Nr. 1 AGG rechtzeitig geltend zu machen.
Dass in dem späteren Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Juni 2014 (a. a. O.) nochmals unter mehrfacher Bezugnahme auf das frühere Urteil vom 8. September 2011 (a. a. O.) die Problematik der Altersdiskriminierung durch eine an das Lebensalter anknüpfende Besoldung angesprochen wird, ändert daran nichts (vgl. bereits VG München, U.v. 22.9.2015 – M 5 K 15.1896 und M 5 K 15.1901).
Soweit demgegenüber argumentiert wird, dass für die Berufsgruppe der Beamten und Soldaten erst durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Juni 2014 (a. a. O.) die Rechtslage hinreichend geklärt worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass der Europäische Gerichtshof gerade in dieser Entscheidung (a. a. O., Rn. 104 ff.) in Bezug auf §§ 27, 28 BBesG a. F. zum Ausdruck gebracht hat, dass spätestens mit dem 8. September 2011 geklärt gewesen sei, dass ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt.
Da das maßgebliche Unionsrecht (Art. 3 Abs. 1 RL 2000/78/EG) für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen Anwendung findet, hat hier nicht erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Juni 2014 (a. a. O.) die erforderliche Klärung der Rechtslage herbeigeführt.
Soweit angeführt wird, dass es darauf ankäme, wann der Betroffene von der klärenden höchstrichterlichen Entscheidung Kenntnis erlangt habe, ist dem entgegen zu halten, dass dieser nicht anders behandelt werden dürfe, wie ein Betroffener, der bei klarer Rechtslage aus Rechtsunkenntnis keine Rechtsmittel ergreift (gegen OVG Saarland v. 6.8.2015, a. a. O.; daher zurecht auch: HessVGH, U.v. 15.9.2015 – 1 A 861/15 – ZBR 2016, 175, 176 sowie juris, Rn. 24 sowie U.v. 11.5.2016 – 1 A 1926/15 – juris, Rn. 43; VG Weimar, U.v. 21.1.2016 – 4 K 223/14 We – juris, Rn. 26).
b) Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch erst mit Schreiben vom 28. Dezember 2012, beim Landesamt für Finanzen am 2. Januar 2013 eingegangen, geltend gemacht. Das liegt mehr als 15 Monate nach der Verkündung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Hennigs/Mai“ am 8. September 2011 und damit weit nach Ablauf der Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG. Dabei kann offenbleiben, ob für den Fristbeginn das Datum der Verkündung des Urteils herangezogen wird (somit Fristbeginn am 9.9.2011, 0.00 Uhr, so: VG Bayreuth, U.v. 14.4.2015 – a. a. O., Rn. 16). Selbst wenn man für den Beginn des Fristlaufs auf die Veröffentlichung dieses Urteils im Amtsblatt der Europäischen Union abstellen wollte (ABl. EU 2011, Nr. C 311 vom 22.10.2011, S. 12) ergibt sich nichts anderes.
2. Auch der weitere, auf erneute Verbescheidung des Antrages der Klägerin vom 28. Dezember 2012 gerichtete Hilfsantrag bleibt ohne Erfolg.
Denn einem Anspruch auf eine höhere Besoldung aus einem anderen Gesichtspunkt als dem (vorstehend unter 1.) dargestellten immateriellen Entschädigungsanspruch des Art. 15 Abs. 2 AGG steht jedenfalls der Umstand des fehlenden Verschuldens entgegen. Denn wie auch die Klägerin ausgeführt hat, sind im streitgegenständlichen Zeitraum bis 31. Dezember 2010 die Verwaltungsgerichte von der Rechtmäßigkeit des bis dato geltenden Besoldungssystems ausgegangen, so dass es auf Seiten des Dienstherrn an einem schuldhaften Handeln fehlt.
3. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 Vewaltungsgerichtsordnung/VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.
Die Berufung ist nach §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben