Europarecht

Kein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG

Aktenzeichen  10 CS 19.882

Datum:
16.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15916
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 2 Abs. 7, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 38a, § 82 Abs. 1 S. 1
AufenthV § 39 Nr. 6, § 41 Abs. 3
RL 2003/109/EG Art. 2 lit. b, Art. 15 Abs. 2 lit. a, Art. 25

 

Leitsatz

Die mehrfache Bestätigung der (zuständigen) italienischen nationalen Kontaktstelle ist – jedenfalls im Rahmen der im Eilverfahren möglichen summarischen Prüfung – hinreichend geeignet, den Entzug bzw. Verlust der Rechtsstellung iSv Art. 9 RL 2003/109/EG zu belegen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 S 18.5049 2019-04-15 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, ein 36-jähriger kosovarischer Staatsangehöriger, verfolgt mit seiner Beschwerde den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Oktober 2018 gerichteten Klage (M 4 K 18.5048) weiter. Mit diesem Bescheid hat der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm unter Bestimmung einer Ausreisefrist die Abschiebung in den Kosovo angedroht.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss vom 15. April 2019 abgelehnt. Die Klage werde voraussichtlich erfolglos bleiben, weil der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union langfristig Aufenthaltsberechtigte nach § 38a AufenthG das Nichtvorliegen der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) entgegenstehe. Der Antragsteller habe trotz Aufforderung des Antragsgegners vom 27. August 2018 zur Vorlage des Arbeitsvertrags bzw. von Lohnbescheinigungen entgegen seiner Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG keine Nachweise zur Sicherung seines Lebensunterhalts vorgelegt. Somit bedürfe es auch keiner Klärung, ob er im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union noch innehabe. Es spreche vorliegend allerdings viel dafür, dass diese Rechtsstellung nicht mehr bestehe.
Zur Begründung seiner Beschwerde macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, als Inhaber einer Grenzübertrittsbescheinigung dürfe er derzeit nicht arbeiten. Für den Fall der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe er jedoch eine in der Anlage beigefügte Einstellungszusage für eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung mit einem Bruttolohn in Höhe von 2.700 Euro und könne daher seinen Lebensunterhalt sofort sichern. Auch verfüge er über ausreichenden Wohnraum. Seinen bei der Antragstellung vorgelegten italienischen Aufenthaltstitel (Daueraufenthaltserlaubnis-EU) habe das Landratsamt einbehalten. Er habe von Anfang an geltend gemacht, dass ihm ein Widerruf seiner Daueraufenthaltserlaubnis in Italien niemals zugestellt worden sei. Auch einem anwaltlichen Vertreter sei ein solcher Widerruf nicht zugestellt worden. Daher sei weiterhin von der Gültigkeit dieses italienischen Daueraufenthaltstitels auszugehen. Demgemäß habe seine Klage jedenfalls nach summarischer Prüfung Erfolgsaussichten.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 7. Mai 2019 legte der Antragsteller eine Erklärung einer italienischen Rechtsanwaltskanzlei vom 2. Mai 2019 (nebst Übersetzung) vor, worin bestätigt wird, dass der Abschluss des Verfahrens bzw. der Vollzug des angekündigten Widerrufs (der italienischen Daueraufenthaltserlaubnis) weder dem Antragsteller selbst durch das Polizeipräsidium noch dem Rechtsanwalt „bis zum heutigen Tage“ zugestellt worden sei.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen. Die Voraussetzungen zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis seien nicht innerhalb der Geltungsdauer der ausländischen Aufenthaltserlaubnis sowie des Zeitraums, in dem sich der Ausländer aufgrund dieses Aufenthaltstitels in Deutschland aufhalten darf, belegt worden. Die zum Nachweis der Lebensunterhaltssicherung vorgelegte Bescheinigung stamme von der zukünftigen Ehefrau des Antragstellers und sei wohl lediglich eine Gefälligkeitsbescheinigung. Zum Zeitpunkt der Einreise des Antragstellers ins Bundesgebiet habe im Übrigen eine aktuelle SIS-Ausschreibung durch die Schweiz und damit ein Einreiseverbot bestanden, weshalb infolge der unerlaubten Einreise auch ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG bestehe. Aufgrund der vorliegenden Auskünfte der italienischen Kontaktstelle im Sinne des Art. 25 der Richtlinie 2003/109/EG, wonach die italienische Daueraufenthaltskarte-EU widerrufen und der Widerruf dem Antragsteller am 1. April 2017 gegen Unterschrift persönlich übergeben worden sei, sei davon auszugehen, dass er diese aktuell jedenfalls nicht mehr innehabe.
Hiergegen erwiderte der Antragsteller, er habe seine Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter durch Vorlage des physischen Aufenthaltstitels nachgewiesen. Die bloße Behauptung einer Kontaktstelle ohne entsprechende Belege, dass diese Rechtsstellung nicht mehr bestehe, sei nicht geeignet, den von ihm geleisteten Nachweis zu erschüttern.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht ist bei seiner im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO durchgeführten Interessenabwägung zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage des Antragstellers auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird.
§ 38a Abs. 1 AufenthG begründet für Ausländer, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehaben, bei Vorliegen der besonderen und der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Der Kläger hat jedoch schon die langfristige Aufenthaltsberechtigung im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 7 AufenthG und Art. 2 Buchst. b) der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. L 16 v. 23.01.2004, S. 44 – Richtlinie 2003/109/EG) nicht nachgewiesen (s. § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG; zum Nachweis der langfristigen Aufenthaltsberechtigung und den Mitwirkungspflichten des Ausländers vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2014 – 10 CS 14.1581 – juris). Langfristig Aufenthaltsberechtigter im Sinne dieser Bestimmungen ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union diese Rechtsstellung verliehen und nicht entzogen wurde. Der Antragsteller war zwar bis zur Einbehaltung durch die Ausländerbehörde des Antragsgegners im Besitz einer italienischen Daueraufenthaltskarte-EU und kann sich infolge des Besitzes des entsprechenden Aufenthaltstitels grundsätzlich auf die Vermutungswirkung berufen, dass ihm diese Rechtsstellung bisher nicht entzogen worden ist (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 2 Rn. 153). Ausweislich der Behördenakten hat die nach Art. 25 der Richtlinie 2003/109/EG eingerichtete nationale Kontaktstelle Italiens für den Austausch von Auskünften und Informationen zur Durchführung der Richtlinie 2003/109/EG über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) als nationale Kontaktstelle (s. § 91c AufenthG) – auch auf dezidierte Nachfragen – mehrfach bestätigt, dass die dafür zuständige Behörde (Italiens) die Daueraufenthaltskarte-EU aufgrund eines entsprechenden Verfahrens widerrufen, der Antragsteller eine Kopie des Widerrufs unterzeichnet, aber den Daueraufenthaltstitel gleichwohl nicht zurückgegeben habe und somit diese Rechtsstellung offensichtlich nicht mehr besitze (vgl. Bl. 189 ff., 277 ff. der Ausländerakte). Demgegenüber genügt es mit Blick auf die materielle Beweislast (vgl. dazu Dollinger in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2018, AufenthG, § 38a Rn. 6 m.w.N.) nicht, wenn der Antragsteller – auch durch Vorlage einer entsprechenden rechtsanwaltlichen Bestätigung vom 2. Mai 2019 (Bl. 39 ff. der VGH-Akte) – geltend macht, der Abschluss des Verfahrens bzw. der Vollzug des angekündigten Widerrufs des Aufenthaltstitels sei ihm oder seinem Rechtsverteidiger zu keinem Zeitpunkt durch das Polizeipräsidium zugestellt bzw. mitgeteilt worden. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die angeführte mehrfache Bestätigung der (zuständigen) italienischen nationalen Kontaktstelle jedenfalls im Rahmen der im Eilverfahren möglichen summarischen Prüfung hinreichend geeignet, den Entzug bzw. Verlust der Rechtsstellung beim Antragsteller im Sinne von Art. 9 Richtlinie 2003/109/EG zu belegen.
Der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht haben darüber hinaus zu Recht festgestellt, dass der Antragsteller (jedenfalls) innerhalb des dafür maßgeblichen Zeitraums die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 38a Rn. 23; BayVGH, B.v. 11.9.2014 – 10 CS 14.1581 – juris Rn. 30 f.), insbesondere die erforderliche Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG; Art. 15 Abs. 2 Buchst. a) Richtlinie 2003/109/EG), nicht nachgewiesen hat. Zwar wäre er als Anspruchsberechtigter nach § 38a AufenthG grundsätzlich nicht visumpflichtig, sondern gemäß § 39 Nr. 6 AufenthV berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen bzw. zu beantragen. Allerdings setzt § 39 Nr. 6 AufenthV – neben der sich aufgrund des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels ergebenden Aufenthaltsberechtigung – voraus, dass im Zeitpunkt der Antragstellung oder spätestens mit Ablauf der 90-Tage-Frist nach § 39 Nr. 6 Satz 2, § 41 Abs. 3 Satz 1 AufenthV in Verbindung mit Art. 21 SDÜ alle Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2014 – 10 CS 14.1581 – juris Rn. 35; VG Augsburg, U.v. 15.3.2011 – Au 1 K 10.1462 – juris Ls. 1, Rn. 21; VG Aachen, U.v. 23.4.2014 – 8 K 1515/12 – juris Rn. 31; vgl. auch OVG NW, B.v. 6.1.2011 – 18 B 1662/10 – juris Ls. 1, Rn. 6; Dollinger in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, a.a.O., § 38a Rn. 13). Soweit mit der Beschwerde nunmehr auf die vorgelegte Einstellungszusage für eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung des Antragstellers vom 29. April 2019 verwiesen wird, genügt dies den dargelegten Anforderungen nicht. Im Übrigen verweist der Antragsgegner bei dieser zudem nicht unterzeichneten Bestätigung der Lebensgefährtin des Antragstellers wohl nicht zu Unrecht darauf, dass es sich hier lediglich um eine Gefälligkeitsbescheinigung handelt.
Ob darüber hinaus durch die (erneute) Einreise des Antragstellers in das Bundesgebiet am 21. März 2017 aufgrund einer aktuellen SIS-Ausschreibung durch die Schweiz und ein infolgedessen bis 17. Oktober 2017 bestehendes Einreiseverbot ein der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegenstehendes Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 95 Abs. 2 Nr. 1, § 11 Abs. 1 AufenthG besteht, wie der Antragsgegner nunmehr geltend macht, kann somit dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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