Europarecht

Kein Anspruch auf Sachleistungsaushilfe eines privat krankenversicherten Mehrfachrentners mit Wohnsitz in Deutschland zu Lasten einer österreichischen Krankenkasse

Aktenzeichen  L 4 KR 58/15

Datum:
23.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 13991
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) 883/2004 Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3, Art. 5 b), Art. 11, Art. 14 Abs. 2 S. 1, Art. 16 Abs. 2, Art. 17, Art. 23, Art. 24 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der Umstand, dass im Rahmen der PKV grundsätzlich das Kostenerstattungsprinzip gilt, steht der Annahme, dass der (nur) privat krankenversicherte Kläger in Deutschland einen Anspruch auf Sachleistungen im Sinne der VO (EG) 883/2004 hat, nicht entgegen. (Rn. 40)
2. Die PKV ist seit dem 1. Januar 2009 zumindest insoweit als ein Zweig sozialer Sicherheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. A der VO (EG) 883/2004 anzusehen, als mit privaten Krankenversicherungsunternehmen abgeschlossene Krankenversicherungsverträge auch den Basiskrankenversicherungsschutz mit abdecken. Der Kläger hat damit grundsätzlich einen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats. (Rn. 49 – 50)
3. Zur Anwendung des Art. 56 und Art. 23 VO (EG) 883/2004. (Rn. 51)

Verfahrensgang

S 29 KR 1417/13 2015-01-22 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.01.2015 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 05.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2014 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das Sozialgericht München hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Durchführung von Sachleistungsaushilfe zu Lasten der österreichischen Gebietskrankenkasse.
Der Kläger beruft sich für den von ihm geltend gemachten Sachleistungsaushilfeanspruch auf die Koordinierungsvorschriften der VO (EG) 883/2004. Da er Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, ist deren Anwendungsbereich grundsätzlich eröffnet (Art. 2 Abs. 1 der Verordnung).
Art. 11 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004 ordnet als allgemeine Regelung an, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegen.
Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 der Verordnung unterliegen nicht erwerbstätige Personen, die – wie der Kläger – nicht unter Art. 11 Abs. 3 lit. a) bis d) der Verordnung fallen, unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihnen Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates (Art. 11 Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004, sog. „Wohnlandprinzip“, vgl. Steinmeyer in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Aufl. Art. 11 Rn. 32 f.). Dies sind im Falle des Klägers die deutschen Rechtsvorschriften.
Der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004 kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er nach Art. 16 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 verlangen könne, von der Anwendung der Rechtsvorschriften im Wohnstaat freigestellt zu werden. Die Regelung des Art. 16 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 ist schon nach ihrem Wortlaut im vorliegenden Fall nicht einschlägig.
Art. 16 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 lautet:
Wohnt eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält, in einem anderen Mitgliedstaat, so kann sie auf Antrag von der Anwendung der Rechtsvorschriften des letzteren Staates freigestellt werden, sofern sie diese Rechtsvorschriften nicht aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit unterliegt.
Die Freistellung von der Anwendung der Rechtsvorschriften des Wohnstaates kann nach dieser Bestimmung also nur ein Rentner verlangen, der seine Rente bzw. seine Renten aus einem anderen Mitgliedstaat bzw. aus anderen Mitgliedstaaten als dem Wohnstaat bezieht. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht, da er unbestritten eine Rente nach den Rechtsvorschriften seines Wohnstaates Deutschland erhält.
1. Als Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Sachleistungsaushilfe durch die Beklagte zu Lasten der C. kommt allein Art. 24 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 in Betracht, der den Sachleistungsanspruch für Ein- oder Mehrfachrentner regelt, die keinen Sachleistungsanspruch nach dem Recht des Wohnmitgliedstaates haben.
Art. 24 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 hat folgenden Wortlaut:
Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat, erhält dennoch Sachleistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte. Die Sachleistungen werden vom Träger des Wohnorts für Rechnung des in Absatz 2 genannten Trägers erbracht, als ob die betreffende Person Anspruch auf Rente und Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hätte.
Der Kläger ist Mehrfachrentner im Sinne dieser Vorschrift, da er Renten nach den Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten erhält, nämlich eine deutsche gesetzliche Rente sowie eine österreichische Pension.
Damit kommt es für den geltend gemachten Anspruch auf Sachleistungsaushilfe gegen den Träger des Wohnorts maßgeblich darauf an, ob der Kläger „keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates“ hat. Dies ist nach Überzeugung des Senats zu verneinen. Der Kläger kann durchaus Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates beanspruchen.
a) Art. 1 lit. va) Nr. i) VO (EG) 883/2004 definiert den Ausdruck „Sachleistungen“ für Titel III Kapitel 1 der Verordnung (Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft) als Leistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgesehen sind und den Zweck verfolgen, die ärztliche Behandlung und die diese Behandlung ergänzenden Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen oder direkt zu bezahlen oder die diesbezüglichen Kosten zu erstatten.
Für die Einordnung einer Leistung als „Sachleistung“ in diesem Sinne ist es also unbedeutend, ob die (ärztlichen und pflegerischen) Dienste im Rahmen ambulanter oder stationärer Behandlung sowie die Bereitstellung der diese Dienste begleitenden Produkte (Arz-nei-, Heil- und Hilfsmittel) nach dem Sachleistungsprinzip gewährt werden oder ob die Kosten für deren Beschaffung erstattet werden (Kahil-Wolff in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Aufl., Art. 1 Rn 37). Damit ist – anders als nach deutschem Verständnis – keine Grenzziehung zwischen Sachleistungs- und Kostenerstattungsprinzip vorzunehmen, sondern zwischen Sachleistungen und Leistungen, die nicht unmittelbar der medizinischen Versorgung dienen wie z.B. Entgeltersatzleistungen (Naumann in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, Art. 30 VO (EG) 883/2004, Rn 21). Der Umstand, dass im Rahmen der PKV grundsätzlich das Kostenerstattungsprinzip gilt, steht somit der Annahme, dass der (nur) privat krankenversicherte Kläger in Deutschland einen Anspruch auf Sachleistungen im Sinne der Verordnung hat, nicht entgegen.
b) Bei den so verstandenen Sachleistungen, die der Kläger von seiner privaten Krankenkasse beanspruchen kann, handelt es sich um „Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates“.
Nach Art. 1 lit. l) VO (EG) 883/2004 bezeichnet der Ausdruck „Rechtsvorschriften“ für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit (u.a. Leistungen bei Krankheit, Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung).
Zu den Rechtsvorschriften im Leistungsbereich „Krankheit“ zählen in Deutschland insbesondere die Vorschriften des SGB V. Aber auch die von einem privaten Träger erlassenen Versicherungs-Statuten können als Satzungen eines Trägers sozialer Sicherheit zu beurteilen sein.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kommen in privater Trägerschaft stehende Einrichtungen durchaus als Träger sozialer Sicherheit in Betracht (vgl. EuGH, Slg 1966, 584 (Vaassen-Göbbels). Der EuGH verwies in dieser Entscheidung insbesondere auf den Sprachgebrauch der VO (EWG) Nr. 3/58, welche zwischen Behörden und Einrichtungen unterscheide. Zu ersteren zählten die Dienststellen öffentlich-rechtlicher Träger, zu letzteren dagegen gehörten die Einrichtungen privaten Rechts. Auch die VO (EG) 883/2004 unterscheidet in Art. 1 lit. p), der den Ausdruck „Träger“ definiert, zwischen einer Einrichtung oder einer Behörde, der die Anwendung aller Rechtsvorschriften oder eines Teils hiervon obliegt. Demnach kann allein aus der privatrechtlichen Trägerschaft der privaten Krankenkassen nicht abgeleitet werden, dass diese nicht in die soziale Sicherung einbezogen sind (vgl. dazu Eichenhofer, MedR (2010) 298, 301).
Ob die Voraussetzungen des Art. 24 der VO (EG) 883/2004 im Falle des Klägers vorliegen, hängt demnach maßgeblich davon ab, ob die PKV als Bestandteil des deutschen Systems der sozialen Sicherheit im Sinne der VO (EG) 883/2004 anzusehen ist und die privaten Krankenkassen damit als „Träger“ im Sinne von Art. 1 lit. p) der Verordnung zu beurteilen sind, denen die Anwendung zumindest eines Teils der in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften in Bezug auf den Leistungsbereich Krankheit obliegt und deren selbst erlassene Regelungen Rechtsvorschriften im Sinne von Art. 1 lit. l) der Verordnung darstellen können.
Lange Zeit bestand für die deutsche – in gesetzliche und private Zweige – unterteilte Krankenversicherung weitgehendes Einverständnis, dass die europäischen Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit lediglich für die gesetzliche Krankenversicherung bedeutsam sind. Das Europäische koordinierende Sozialrecht sollte nach dieser Auffassung für die private Krankenversicherung keinerlei Bedeutung haben (vgl. Eichenhofer, MedR (2010) 298, 299).
Mit Einführung eines verpflichtenden Krankenversicherungsschutzes für alle Einwohner im Zuge der Gesundheitsreform auf Basis des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) wurde das Verhältnis von GKV und PKV allerdings neu bestimmt. Seit dem 01.01.2009 ist jede Person mit Wohnsitz im Inland verpflichtet, krankenversichert zu sein (§ 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz – VVG). Personen, die nicht zu den in § 193 Abs. 3 Satz 2 VVG aufgeführten Personengruppen mit anderweitigem Krankenversicherungsschutz gehören, müssen bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen eine Krankenkostenversicherung abschließen und aufrechterhalten, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst (§ 193 Abs. 3 Satz 1 VVG).
Parallel dazu wurden die privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet, einen Versicherungsschutz im Basistarif nach § 12 Abs. 1a des Versicherungsaufsichtsgesetzes – VAG – (seit 01.01.2016: nach § 152 VAG) anzubieten, der sich in Leistungsumfang wie Beitragshöhe an der gesetzlichen Krankenversicherung orientiert (§ 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG). Der Gesetzgeber hat also im Rahmen seiner Bemühungen, einen Versicherungsschutz für alle Einwohner verpflichtend einzuführen, auch die PKV in die Pflicht genommen. Insbesondere durch die Einführung eines der GKV angeglichenen Basistarifs im Rahmen der PKV sind wesentliche Elemente sozialer Sicherung in die private Krankenversicherung übernommen worden (Eichenhofer, a.a.O., S. 302).
Die PKV ist daher nach Überzeugung des Senats seit dem 01.01.2009 zumindest insoweit als ein Zweig sozialer Sicherheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung anzusehen, als mit privaten Krankenversicherungsunternehmen abgeschlossene Krankenversicherungsverträge auch den Basiskrankenversicherungsschutz mit abdecken (vgl. Eichenhofer, a.a.O., S. 302).
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die private Krankenversicherung des Klägers sehr wohl als Träger sozialer Sicherheit im Sinne der VO (EG) 883/2004 anzusehen ist. Die von ihr geschuldeten Sachleistungen sind – zumindest soweit sie den Basiskrankenversicherungsschutz abdecken – nach den in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften (u.a. des VVG und des VAG) bzw. nach den von ihr erlassenen Satzungsbestimmungen zu erbringen. Damit hat der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats. Die Voraussetzungen für die von ihm begehrte Sachleistungsaushilfe nach Art. 24 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 liegen daher nicht vor.
2. Wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat, sind vielmehr die Voraussetzungen des Art. 23 VO (EG) 883/2004 gegeben, der folgenden Wortlaut hat:
Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten erhält, wovon einer der Wohnmitgliedstaat ist, und die Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hat, erhält wie auch ihre Familienangehörigen diese Sachleistungen vom Träger des Wohnorts für dessen Rechnung, als ob sie allein nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats Anspruch auf Rente hätte.
So liegt es hier. Der Kläger erhält als Mehrfachrentner eine Rente nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaates Deutschland und eine Rente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates (Österreich). Er hat überdies einen Sachleistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaates Deutschland (s. unter 1.). Dies hat nach Art. 23 VO (EG) 883/2004 zur Folge, dass er keinen Sachleistungsanspruch nach österreichischem Recht hat. Der zuständige Träger im Wohnmitgliedstaat Deutschland ist vielmehr kollisionsrechtlich ausschließlich (endgültig) leistungszuständig und kostentragungspflichtig.
Soweit die Klägerseite dagegen eingewandt hat, dass im Falle des Klägers Art. 23 VO (EG) 883/2004 wegen der Regelung des Art. 14 Abs. 2 der VO nicht anwendbar sei, geht dieser Hinweis fehl.
Die Vorschrift des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 der VO, nach der eine Person, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates der Pflichtversicherung in diesem Mitgliedstaat unterliegt, in einem anderen Mitgliedstaat keiner freiwilligen Versicherung oder freiwilligen Weiterversicherung unterliegen darf, greift schon deshalb nicht, weil der Kläger nicht in Österreich wohnt, daher grundsätzlich nicht den österreichischen Rechtsvorschriften unterliegt (Art. 11 Abs. 1 und Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004) und daher nur nach den Regelungen des europäischen Koordinationsrechts der Sozialsysteme (ausnahmsweise) der österreichischen Pflichtversicherung unterliegen könnte. Letzteres ist nicht der Fall, weil die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 der VO nicht gegeben sind (s. unter 1.)
Außerdem handelt es sich bei seiner privaten Krankenversicherung in Deutschland – wie dargelegt – zumindest insoweit nicht um eine freiwillige Versicherung, als der in Deutschland lebende Kläger nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG verpflichtet ist, eine Krankenkostenversicherung abzuschließen und aufrechtzuerhalten, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst (s. unter 1. b)).
Der vom SG zitierte Art. 17 VO (EG) 883/2004 ist ebenfalls nicht einschlägig, da Deutschland nach den oben dargelegten Ausführungen zuständiger Mitgliedstaat ist und der Kläger damit nicht in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt.
Auch der vom SG in Bezug genommene Art. 5b) VO (EG) 883/2004 greift nicht. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
„Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären“.
Die Vorschrift wendet sich an den zuständigen Mitgliedstaat bzw. an dessen zuständigen Träger und betrifft die Anwendung des eigenen mitgliedstaatlichen Rechts. Der in Art. 5 der VO verankerte Grundsatz der Tatbestandsgleichstellung erstreckt sich nicht auf das Kollisionsrecht und soll auch keine kollisionsrechtlichen Wirkungen entfalten. Seine Anwendung darf nicht dazu führen, dass kollisionsrechtliche Zuständigkeiten geändert werden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 11; Schuler in: Fuchs, Europ. Sozialrecht, Art. 5 Rn. 4).
Art. 5 b) VO (EG) 883/2004 erstreckt das Gleichstellungsgebot auf alle Sachverhalte und Ereignisse, deren Erfüllung von Normen des inländischen Sozialrechts vorausgesetzt werden (Schuler, a.a.O., Rn 11). Im vorliegenden Fall steht jedoch nicht die Frage inmitten, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer deutschen Rechtsvorschrift gegeben sind und in diesem Rahmen ein Sachverhalt, der sich in Österreich zugetragen hat, zu berücksichtigen ist. Streitig ist vielmehr, ob der Kläger nach den kollisionsrechtlichen Bestimmungen Anspruch auf Sachleistungsaushilfe zu Lasten eines österreichischen Trägers hat. Damit ist der Anwendungsbereich des Art. 5 b) VO (EG) 883/2004 nicht eröffnet.
Im Übrigen führte der Bezug der österreichischen Rentewie dargelegt – keineswegs dazu, dass der Kläger pflichtversichertes Mitglied der C. geworden ist. Damit fehlt es überdies – ungeachtet der fehlenden Anwendbarkeit des Art. 5 b) VO (EG) 883/2004 – an einem Sachverhalt in Österreich, der vom Träger der deutschen Krankenkasse zu berücksichtigen wäre.
Die Berufung hat daher in vollem Umfang Erfolg.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).


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