Europarecht

Kein Anspruch auf Schadensersatz bei im Januar 2016 erworbenem, vom Abgasskandal betroffenem (Gebraucht-)Fahrzeug

Aktenzeichen  19 U 4025/19

Datum:
30.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29072
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 3, § 4, § 296 Abs. 1, § 522 Abs. 2 S. 4, § 530
BGB § 826

 

Leitsatz

1. Vgl. zum Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals im Ergebnis wie hier: BGH BeckRS 2020, 19146; OLG Frankfurt BeckRS 2020, 18189; BeckRS 2019, 43569; OLG Bamberg BeckRS 2020, 29275; BeckRS 2020, 29353; sowie mit zahlreichen weiteren Nachweisen OLG München BeckRS 2020, 27980 (dort Leitsatz 1); OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7457 (dort Leitsatz 4); noch weitergehend: OLG Braunschweig BeckRS 2020, 28511; a.A. noch: OLG Köln BeckRS 2020, 7312; OLG Hamm BeckRS 2019, 20495; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 280; BeckRS 2020, 6021; OLG Dresden BeckRS 2020, 4135; OLG Koblenz BeckRS 2020, 5086; BeckRS 2020, 17856; differenzierend OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5609 (Kenntnis erst ab März 2016). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch des Käufers eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB scheitert jedenfalls an der fehlenden Kausalität einer unterstellten sittenwidrigen vorsätzlichen Täuschung der Herstellerin für den Willensentschluss des Käufers, das Fahrzeug zu erwerben, wenn dieser vor dem Kauf Kenntnis von der „Dieselproblematik“ hatte, nachdem im Zuge der Adhoc-Mitteilung der Herstellerin vom 22.09.2015 die Dieselproblematik in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert und in Presse, Funk und Fernsehen ausführlich darüber berichtet wurde. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine eingeräumte Frist zur Stellungnahme gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO ermöglicht nicht eine „zweite Berufungsbegründung“. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 O 4860/17 2019-07-04 Urt LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 04.07.2019, Aktenzeichen 11 O 4860/17 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu bis zu 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Tatsächliche Feststellungen
Der Kläger verfolgt mit der Berufung seine erstinstanzlich geltend gemachten vermeintlichen Ansprüche auf Schadensersatz wegen des Erwerbs eines gebrauchten … mit einem Dieselmotor vom Typ … am 13.01.2016 weiter.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 04.07.2019 Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Dagegen richtet sich die die Berufung des Klägers, der beantragt,
1.Das Urteil des LG München II, Az.: 11 O 4860/17 vom 04.07.2019 wird aufgehoben.
2.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.835,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2017 Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs … mit der Fahrzeug-Ident.-Nr.: … zu bezahlen.
3.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.242,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2017 zu bezahlen.
4.Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 2 genannten … mit der Fahrzeug-Ident.-Nr.: … Im Annahmeverzug befindet.
Vorsorglich:
5.die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 28.05.2020 (Bl. 171/178 d.A.), auf die Bezug genommen wird, wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, seine Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
In seiner Stellungnahme vom 26.06.2020 (Bl. 179/183) wiederholt der Kläger, er habe zum Zeitpunkt des Kaufs nicht gewusst, dass das von ihm erworbene Fahrzeug mit einem Motor … ausgestattet sei. Erst im September 2016 sei ihm klar geworden, dass sein Passat Variant hinsichtlich der Stickoxidproblematik betroffen sei.
Erstmals trägt er vor, selbst wenn er gewusst hätte, dass sein Fahrzeug mit dem betroffenen Motor ausgestattet sei, wäre er gutgläubig gewesen. Sowohl die Vorstandsvorsitzenden und der gesamte Vorstand hätten weiterhin bis ins Jahr 2017 hinein die Fahrzeuge mit dem Motor … ausgerüstet an die Käufer verkauft und insoweit bewusst wahrheitswidrig vorgegeben, dass mit diesen Motoren alles in Ordnung sei und die Fahrzeuge einwandfrei seien. Zum Nachweis dafür biete er die Einvernahme der Zeugen … und … an (KlSS vom 26.06.2020 Seite 3).
Auch durch das Software – Update sei kein ordnungsgemäßer Zustand hergestellt worden.
Im Übrigen und ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren eingegangenen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II, Aktenzeichen 11 O 4860/17, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Der Senat hält das angefochtene Urteil des Landgerichts München II für offensichtlich zutreffend und nimmt auf dieses Bezug. Bezug genommen wird ferner auf den Hinweis des Senats vom 28.05.2020, wonach er die Berufung im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält.
Ergänzend ist noch auszuführen:
1. Auch die weiteren Ausführungen des Klägers vermögen keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB begründen. Dieser scheitert jedenfalls an der fehlenden Kausalität einer unterstellten sittenwidrigen vorsätzlichen Täuschung der Beklagten für den Willensentschluss des Klägers, das streitgegenständliche Fahrzeug zu erwerben. Auf Ziffer 1.1. des Hinweises vom 28.05.2020 wird Bezug genommen.
Den Ausführungen des Senats, dass nach der Adhoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 die Dieselproblematik in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert und in Presse, Funk und Fernsehen ausführlich darüber berichtet wurde und der Kläger vor dem Kauf Kenntnis von der „Dieselproblematik“ hatte, tritt der Kläger auch in seiner Stellungnahme nicht entgegen. Trotz dieser Kenntnis kaufte der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug, ohne sich darüber zu informieren, ob dieses ebenfalls betroffen war. Daraus ergibt sich eindeutig, dass für den Kläger nicht relevant war, ob das von ihm erworbene Fahrzeug ebenfalls vom „Dieselskandal“ betroffen war.
Darauf, ob der Kläger bei Kauf konkret wusste, dass in das streitgegenständliche Fahrzeug ein Motor … eingebaut war, kommt es daher nicht an.
Daher gehen die Ausführungen des Klägers zu seiner Gutgläubigkeit für den Fall, er hätte von dem Einbau des Motors … Kenntnis gehabt, bereits deshalb ins Leere.
Soweit der Kläger nunmehr noch im Berufungsverfahren neu vorträgt, sowohl die Vorstandsvorsitzenden und der gesamte Vorstand hätten weiterhin bis in Jahr 2017 hinein die Fahrzeuge mit dem Motor … ausgerüstet an die Käufer verkauft und insoweit bewusst wahrheitswidrig vorgegeben, dass mit diesen Motoren alles in Ordnung sei und die Fahrzeuge einwandfrei seien und zum Nachweis die Einvernahme der Zeugen … und … anbietet, ist vorauszuschicken, dass die dem Kläger eingeräumte Frist zur Stellungnahme gem. § 522 II 2 ZPO nicht etwa eine Art „zweite Berufungsbegründung“ ermöglicht. Soweit in dem weiteren Schriftsatz im Berufungsverfahren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind, sind diese deshalb gem. §§ 530, 296 I ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 530 Rnr. 4; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 522 Rnr. 28; BGH, Beschluss vom 18.7.2019 – IX ZR 276/17). Darauf hatte der Senat als nobile officium auch bereits in seinen Allgemeinen Verfahrenshinweisen ausdrücklich aufmerksam gemacht.
Zudem stünde insbesondere die Pressemitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 dem entgegen. Dieser war eindeutig zu entnehmen, dass bei 11 Millionen Fahrzeugen mit Motoren vom Typ … eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt wurde. Mithin ergab sich daraus deutlich, dass jedenfalls die bis zu diesem Zeitpunkt von der Beklagten in Verkehr gebrachten Fahrzeuge mit dem Motor … und damit auch das von dem Kläger erworbene Fahrzeug mit Erstzulassung vom 18.12.2012 (vgl. Anlage K 1) betroffen war.
2. Den weiteren Ausführungen des Senats unter Ziffern 1.2. – 1.4, 2 und 3 des Hinweises tritt der Kläger nicht entgegen.
3. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind – anders als der Kläger ausführt (KlSS vom 26.06.2020, Seite 5) – nicht gegeben.
Es liegt weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 522 Abs. Nr. 2 und 3 ZPO).
(1) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – II ZR 76/16, Rn. 12).
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage im Übrigen nur dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen u.a. dann, wenn die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – II ZR 76/16, Rn. 12; Beschluss vom 22. September 2015 – II ZR 310/14, ZIP 2016, 266 Rn. 3 mwN). Dies ist nicht der Fall. Der Umstand, dass eine einheitliche Entscheidung des Revisionsgerichts in mehreren denselben Sachverhalt betreffenden Parallelverfahren angestrebt wird, gibt der Sache keine allgemeine, mithin grundsätzliche Bedeutung (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – II ZR 76/16, Rn. 14; Beschluss vom 22. September 2015 – II ZR 310/14, ZIP 2016, 266 Rn. 5).
(2) Die Revision ist nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung wegen Divergenz zuzulassen.
Das wäre dann der Fall, wenn in der Entscheidung des Berufungsgerichts ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt würde, der von einem in anderen Entscheidungen eines höheren oder eines gleichgeordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – II ZR 76/16, Rn. 10; Beschluss vom 29. Mai 2002 – V ZB 11/02, BGHZ 151, 42, 45; Beschluss vom 1. Oktober 2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 186; Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 293 mwN; Beschluss vom 9. Juli 2007 – II ZR 95/06, ZIP 2007, 2074 Rn. 2).
Eine solche Abweichung ist nicht ersichtlich und wird von der Berufung auch nicht vorgetragen. Der Senat weicht in seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ab. Insbesondere liegt auch keine Divergenz zu Urteilen anderer Oberlandesgerichte (OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18; OLG Oldenburg, Urteil vom 16.01.2020 – 14 U 166/19; OLG Köln, Urteil vom 04.01.2019 – 19 U 98719 und OLG Stuttgart, Urteil vom 02.04.2020 – 2 U 249/19) vor.
Der Senat nimmt vielmehr lediglich eine tatrichterliche Würdigung im Einzelfall vor und stellt keinen abstrakten und für eine Vielzahl von Fällen gültigen Rechtssatz auf. Wenn aber gegensätzliche Urteile auf einer unterschiedlichen Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht beruhen, begründet dies keine Divergenz (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2007 – II ZR 95/06; BGH, Beschluss vom 22. September 2008 – II ZR 235/07).
(3) Die Fortbildung des Rechts erfordert ebenfalls keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. Hierzu besteht nur dann Anlass, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – II ZR 76/16, Rn. 15; Beschluss vom 4. Juli 2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 225). Dies ist nach Ansicht des Senats und – soweit bekannt – erkennbar auch der überwiegenden Mehrheit der Oberlandesgerichte nicht der Fall.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
Der Streitwert von bis zu 25.000,00 € (Berufungsantrag 2:22.835,01 €; Berufungsanträge 1, 3 und 4: 0,00 €) das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 40, 47, 48 GKG, § 3, 4 ZPO bestimmt.


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