Europarecht

Kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus einem Kaufvertrag über ein Diesel-Fahrzeug, Marke VW Caddy 2.0 TDI

Aktenzeichen  23 O 8151/19

Datum:
27.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 55700
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10
ZPO § 3, § 4, § 5

 

Leitsatz

Eine Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB erfordert, dass der Schädiger bzw. dessen gesetzlicher Vertreter den objektiven Tatbestand des § 826 BGB in Kenntnis der Tatumstände, die sein Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, vorsätzlich verwirklicht hat. Der Handelnde muss die Umstände der sittenwidrigen Schädigung eines anderen im Zeitpunkt seines Handelns gekannt bzw. vorausgesehen und in seinem Willen aufgenommen haben. Auch hierfür trägt die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast. Eine etwaige sekundäre Darlegungslast kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Anspruchsteller zumindest hinreichende greifbare Anhaltspunkte dafür darlegt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 29.270,23 € festgesetzt.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klagepartei steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 8.382,40 €, auf Freistellung von Pflichten aus einem Darlehensvertrag sowie auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu. Auch besteht kein Anspruch der Klagepartei auf den hilfsweise geltend gemachten Schadensersatz in Höhe von mindestens 5.934,01 €. Mangels Vertragsverhältnis zwischen den Parteien kommen nur deliktische Ansprüche in Betracht. Die Klagepartei hat eine unerlaubte Handlung der Beklagten nicht hinreichend dargelegt.
1. Es ist nicht schlüssig vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Dieselmotor EA 288 eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist und die Beklagte somit eine Schädigungshandlung im Sinne des § 826 BGB begangen hat.
a) Der Klagevortrag erschöpft sich in der Darstellung, dass bei obigem Motor ein sog. „Thermofenster“ bei der Abgasregulierung zur Anwendung komme. Eine Abgasregulierung, deren Wirkkreis von der Temperatur beeinflusst werde, sei eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne europarechtlicher Vorgaben und nicht gesetzeskonform.
b) Eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 liegt nur vor, wenn ein Konstruktionsteil im genau zu bezeichnenden Motor des jeweiligen Fahrzeugs vorhanden ist (1), dass in bestimmten genau zu bezeichnenden Umwelt- oder Fahrsituationen die Abgasreinigung reduziert oder abschaltet (2) und dies nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten (3).
c) An diesen Grundsätzen gemessen, ist der klägerische Vortrag nicht ausreichend substantiiert. Die Klagepartei stellt weder Konstruktionsteile oder spezielle Umwelt- und Fahrsituationen näher dar noch setzt sie sich mit der Notwendigkeit der gewählten Ausgestaltung auseinander. Sie behauptet im Wesentlichen lediglich, dass das klägerische Verhalten nicht erlaubt sei und zudem andere – wenn auch kostenträchtigere – Lösungen bestünden. Die Klagepartei ist ihrer vollen Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Sie trägt ins „Blaue“ hinein vor, ohne zumindest greifbare Anhaltspunkte aufzeigen.
d) Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten besteht nicht. Den beklagten Fahrzeughersteller kann im Einzelfall eine sekundäre Darlegungslast zur technischen Notwendigkeit einer Abschalteinrichtung erst dann betreffen, wenn zumindest Anhaltspunkte vorliegen. Es ist der Beklagten nicht zumutbar, auf die bloße pauschale Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung hin im Einzelnen darzulegen, welche konkreten Abschalteinrichtungen ein bestimmter Motor enthält, und warum diese gegebenenfalls für notwendig gehalten werden, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten. Dies würde den Beibringungsgrundsatz aushöhlen und dem beklagten Fahrzeughersteller eine, der deutschen Zivilprozessordnung fremde, allgemeine Aufklärungspflicht auferlegen.
Die Klagepartei könnte den maßgeblichen Sachverhalt auch selbst ermitteln. Soweit keine öffentlich zugänglichen Erkenntnisse zum konkreten Motor vorliegen, müsste die Klagepartei zu ihrem bloßen Verdacht zunächst ein Privatgutachten einholen (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, Aktenzeichen 8 U 1449/19, NJW-RR 2019, 1497).
e) Für die behauptete Schädigungshandlung der Beklagten spricht daher – außer der klägerischen Behauptung – nichts. Die Klagepartei hat ein Fahrzeug der Marke Volkswagen erworben, welches die EU-Typengenehmigung nach der Euro-6-Norm erhielt und für das es weder Anordnungen seitens des Kraftfahrtbundesamtes noch eine Rückrufaktion der Beklagten noch eine Aufforderung zu irgendeinem Softwareupdate oder ähnliches gibt. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer etwaigen Schädigungshandlung der Beklagten war daher nicht geboten.
2. Die Klagepartei hat zudem in subjektiver Hinsicht bezüglich einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung nicht ausreichend vorgetragen. Eine Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB erfordert, dass der Schädiger bzw. dessen gesetzlicher Vertreter den objektiven Tatbestand des § 826 BGB in Kenntnis der Tatumstände, die sein Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, vorsätzlich verwirklicht hat. Der Handelnde muss die Umstände der sittenwidrigen Schädigung eines anderen im Zeitpunkt seines Handelns gekannt bzw. vorausgesehen und in seinem Willen aufgenommen haben. Auch hierfür trägt die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast. Eine etwaige sekundäre Darlegungslast kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Anspruchsteller zumindest hinreichende greifbare Anhaltspunkte dafür darlegt.
a) Die Klagepartei trägt vor, dass im Herbst 2017 der von 2007 bis 2011 bei der Beklagten amtierende Leiter der Motorenentwicklung „im Rahmen einschlägiger strafrechtlicher Untersuchungen in Untersuchungshaft genommen“ worden sei. Es ist nicht dargelegt, welche strafrechtlichen Untersuchungen konkret gemeint sind und inwieweit der im Jahre 2011 ausgeschiedene Leiter der Motorenentwicklung in die Entwicklung und das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors EA 288, der erst 2016 im klägerischen Fahrzeug verbaut wurde, involviert war.
b) Es fehlt an einer konkreten Darlegung, warum und welche Organe der Beklagten die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines sogenannten „Thermofensters“ mindestens billigend in Kauf genommen haben sollen. Hinzu kommt, dass für einen etwaigen Vorsatz nicht auf den heutigen Meinungsstand, sondern auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs durch die Beklagte abgestellt werden müsste.
c) Es ist gerichtsbekannt, dass sog. „Thermofenster“ von mehreren Fahrzeugherstellern unter Verweis auf den Bauteilschutz verwendet werden, auch wenn dies rechtlich umstritten ist. Insbesondere das Kraftfahrtbundesamt hält die Gestaltung für zulässig. Ein Auslegungsstreit, bei dem das richtige Ergebnis keineswegs auf der Hand liegt, stellt das Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten durchgreifend in Frage.
d) Selbst wenn sich die konkrete Ausgestaltung des „Thermofensters“ bei dem Dieselmotor EA 288 als unzulässig herausstellen sollte, lässt dies nicht auf ein vorsätzlich und sittenwidriges Verbauen einer Vorrichtung schließen, die ausschließlich der Umgehung der Grenzwerte dient. Denn anders als im Falle des Motors EA 189 – bei dem die Software erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Abgasprüfstand steht und dann die Abgasreinigung optimierte – kann die Klagepartei hier keine Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass eine solche bewusste Verschleierung auch in der vorliegenden Fallgestaltung anzunehmen ist.
e) Unter diesen Voraussetzungen, nämlich keine greifbaren Anhaltspunkte für ein vorsätzlich sittenwidriges Handeln, war der Beklagten dann auch keine sekundäre Darlegungslast aufzuerlegen.
3. Mangels unerlaubter Handlung seitens der Beklagten war auch für den gestellten Hilfsantrag kein Raum.
4. Die begehrten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
III. Die vorläufige Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV. Der Streitwert wurde nach §§ 3, 4 und 5 ZPO festgesetzt.


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