Europarecht

Kein Schadensersatz für Kauf eines vom Diesel-Abgasskandal erfassten Gebrauchtwagens im März 2017 (Motor Typ EA 189)

Aktenzeichen  8 O 5338/18

Datum:
5.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 36759
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Beim Kauf eines gebrauchten, vom Diesel-Abgasskandal erfassten Fahrzeugs im März 2017 scheiden sämtliche auf Schadensersatz gegenüber der Fahrzeugherstellerin gerichteten Anspruchsgrundlagen wegen Nichtvorliegens des jeweiligen subjektiven Tatbestandes aus. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bejaht man eine Schadensersatzansprüche begründende Täuschungshandlung der Fahrzeugherstellerin im Zusammenhang mit der verwendeten Motorsteuerungssoftware, indem man seitens der Organmitglieder der Herstellerin vorgenommene Handlungen oder Unterlassungen auf den jeweiligen Endkunden bezieht, müssen entsprechende Kriterien auch für die Beseitigung der Täuschungshandlung oder -unterlassung gelten (hier: Ad-hoc-Meldung vom 22.09.2015). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Begegnet auch eine grundsätzlich der sekundären Darlegungslast unterworfene Partei mit zumutbarem Aufwand nicht überwindbaren Schwierigkeiten und kann der entscheidungserhebliche Sachverhalt von keiner Partei aufgeklärt werden, so geht dies zu Lasten der Partei, die die (primäre) Darlegungslast trägt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Schaden des Käufers kann nicht auf einen dauerhaften merkantilen Minderwert oder eine Bemakelung der vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge gestützt werden, da es angesichts der derzeitigen Diskussion hinsichtlich Fahrverboten in Innenstädten faktisch nicht möglich ist, das etwaige sinkende Käuferinteresse an vom Abgasskandal betroffenen Diesel-Fahrzeugen zu trennen von der Entwicklung des Käuferinteresses an Diesel-Fahrzeugen generell. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München II folgt aus § 32 ZPO. Die Klagepartei ist und war im Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Bezirk des Landgerichts München II wohnhaft. Der Belegenheitsort des klägerischen Vermögens befindet sich daher im hiesigen Bezirk. Darüber hinaus wurde auch der Kaufvertrag im hiesigen Bezirk abgeschlossen. Handlungs- und Erfolgsort gemäß § 32 ZPO liegen nach dem klägerischen Vortrag – auf den es insoweit allein ankommt – im hiesigen Bezirk.
II.
Die Klage ist nicht begründet.
Im Hinblick auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages, mit welchem die Klägerin das streitgegenständliche Fahrzeug am 20.03.2017 bei der Firma Auto-Heilbrunner erwarb, scheiden sämtliche von der Klägerin angeführten Anspruchsgrundlagen wegen Nichtvorliegens des jeweiligen subjektiven Tatbestandes aus. Seitdem die beklagte Partei die verfahrensgegenständliche Problematik durch ihre gerichtsbekannte Ad-hoc-Meldung vom 22.09.2015 öffentlich bekanntgemacht hatte, war der sogenannte Dieselskandal Gegenstand breitester öffentlicher und medialer Diskussion. Es war gerichtsbekannt so gut wie ausgeschlossen, während der ca. 1 1/2 Jahre zwischen Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals und dem Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrages nicht von der Thematik erfahren zu haben. Auch die Klägerin selbst hat bei ihrer Anhörung im Termin vom 08.08.2019 bestätigt, den damaligen Dieselskandal mitbekommen zu haben.
Es liegt daher keine Täuschung der Beklagtenpartei im Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs vor.
Hiervon zu trennen ist die Frage der Herstellung eines Bezuges zu dem konkreten, jeweils erworbenen Fahrzeug. Auch insoweit ist der Beklagten ein Vorwurf jedoch nicht zu machen. Denn dann, wenn man überhaupt die vor Bekanntwerden des Dieselskandals seitens der Beklagten vorgenommenen Handlungen und Äußerungen als für eine auf den Endkunden bezogene Täuschungshandlung im Sinne von § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB ausreichen ließe, so muss dies spiegelbildlich auch dann gelten, wenn die Beklagte den Dieselskandal offenlegt. Die Bejahung einer Täuschungshandlung setzt voraus, dass seitens der Organmitglieder der Beklagten vorgenommene Handlungen oder Unterlassungen auf den jeweiligen Endkunden bezogen werden. Würde man dies bejahen, müssen entsprechende Kriterien auch für die Beseitigung der Täuschungshandlung oder -unterlassung gelten.
Wenn somit die Beklagte ab dem 22.09.2015 den Sachverhalt offenlegt, kann ihr keine auf den jeweiligen Endkunden bezogene Täuschungshandlung vorgeworfen werden. Dies gilt umso mehr für den subjektiven Tatbestand auf Seiten der Beklagtenpartei hinsichtlich sämtlicher infrage kommender Anspruchsgrundlagen.
III.
Die Klage ist aus den nachfolgenden weiteren Erwägungen unabhängig von der vorstehend erörterten Problematik nicht begründet.
1. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 826 BGB, da jedenfalls das Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes in Person eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten gemäß § 31 BGB nicht dargetan ist.
Erforderlich für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 826 BGB ist, dass das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu werten ist und dass sie mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Beide Voraussetzungen sind getrennt und kumulativ festzustellen.
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12, Rz. 8 m.w.N.).
Vorliegend erscheint es zwar vertretbar, das Herstellen und Inverkehrbringen eines Kfz-Motors, dessen Funktionsweise so manipuliert ist, dass er nur in einem besonderen Prüfstandmodus, der im normalen Betrieb nicht zum Einsatz kommt, die gesetzlich vorgegebenen Emissionswerte einhält, in – soweit die Anstandsformel dies überhaupt erlaubt – objektiver Hinsicht für sittenwidrig zu halten.
Dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, da es jedenfalls an den weiteren Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädigung fehlt.
b) Zunächst setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter gemäß § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15, Rn. 13, juris). Dies ist vorliegend nicht hinreichend dargetan.
aa) Zwar hat die Klagepartei ausgeführt, dass sich aus der Berichterstattung ergebe, dass Vorstandsmitglieder der Beklagten und derer Tochtergesellschaften die Abgasprobleme bei Dieselfahrzeugen erkannten und hat hierfür Zeugen benannt. Es obliege der Beklagten, substantiiert darzulegen, dass eine Information tatsächlich nicht vorlag und auch kein Anlass für den Vorstand bestanden habe, Informationsdefizite durch konkrete Nachfrage zu beheben. Darüber hinaus behauptet die Klagepartei pauschal, der Vorstand habe von Anfang an Kenntnis von den rechtswidrigen Abgasmanipulationen gehabt. Jedenfalls müsse sich der Vorstand an einer etwaigen Kenntnislücke festhalten lassen.
Es ist insoweit bereits fraglich, ob hierin ein substantiierter Vortrag für eine Kenntnis auf Vorstandsebene liegt. Jedenfalls ist mit der behaupteten Kenntnis aber ein konkreter Schädigungsvorsatz im Hinblick auf eine konkrete Person, die Mitglied eines Organs der Beklagten und dies wiederum im Hinblick auf den Kläger, nicht dargelegt.
Bei dem Eintritt der Manipulationssoftware dürfte es der Beklagten vorrangig darum gegangen sein, ohne den Aufwand technischer Innovationen die Emissionsgrenzwerte auf dem Prüfstand für den im Zeitpunkt des Erwerbs geltenden Fahrzyklus einhalten zu können. Es ist nicht dargetan und unter Würdigung deren Gesamtumstände auch nicht ersichtlich, dass auf Vorstandsebene zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Klagepartei deren konkrete Schädigung zumindest als potentiellem Kunden durch eine erschlichene Typengenehmigung bewusst billigend in Kauf genommen wurde.
bb) Auch unter dem Gesichtspunkt der sog. Eviktionshaftung kommt es nicht zu einer Haftung der Beklagten. Diese Lehre wurde im Zusammenhang mit der Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten entwickelt. Eine weitere Fallgruppe sind Pflichten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung ehr- und persönlichkeitsrechtsgefährdender Beiträge. Derartige Konstellationen liegen nicht vor. Auch eine Wissenszurechnung scheidet im Rahmen des § 31 BGB aus, denn über eine Wissenszusammenhangrechnung führt jedenfalls kein Weg zu dem für das Merkmal der Sittenwidrigkeit erforderlichen moralischen Unwerturteil (BGH, Urteil vom 28.06.2010 – VI ZR 536/15, Rn. 13, juris). Dieses muss aber in der Person eines Organmitgliedes der Beklagten vorgelegen haben, was nicht dargetan ist.
cc) Auch im Hinblick auf die Ausführungen zur Beweislastumkehr bzw. zur sekundären Darlegungslast ergibt sich nichts anderes.
Die Regelung gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG ist vorliegend nicht anwendbar. Die Vorschrift legt die allgemeine Sorgfaltspflicht der Vorstandsmitglieder bei der Geschäftsführung fest und regelt ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft (Münchner Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 1, 298 ff).
Die Beklagte trifft auch keine sekundäre Darlegungslast. Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH NJW 2018, 2412, 2414 m.w.N.). Zwar hat sich der Vorgang um die Verwendung der streitgegenständlichen Software vorliegend außerhalb der Wahrnehmungssphäre der Klagepartei abgespielt, so dass ihr ein Vortrag hierzu nur begrenzt möglich ist. Auf der anderen Seite müsste allerdings die Beklagte, um einer etwaigen sekundären Darlegungslast gerecht zu werden, ggf. die Unkenntnis der Vorstandsmitglieder von dem Einsatz der Software und mithin eine negative Tatsache darlegen. Insoweit gilt aber, dass der für die Darlegung negativer Tatsachen maßgebliche Gesichtspunkt der Möglichkeit und Zumutbarkeit nicht auf die darlegungs- und beweispflichtige Partei beschränkt ist, sondern auch auf Seiten der anderen Partei – hier der Beklagten – zu berücksichtigen ist. Begegnet im Einzelfall die nicht beweispflichtige Partei im Hinblick auf eine ihr obliegende Substantiierungslast ebenfalls Schwierigkeiten, kann von ihr eine solche Substantiierung nicht gefordert werden. Andernfalls würde in einem solchen Fall, in dem sowohl der darlegungs- und beweisbelasteten Partei als auch der Gegenpartei Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, letztlich die Darlegungslast umgekehrt und der Gegenpartei – unabhängig von ihren Kenntnissen und Erkenntnismöglichkeiten – auferlegt. Dies wäre durch die Darlegungsschwierigkeiten des Anspruchsstellers bei negativen Tatsachen nicht gerechtfertigt. Die nach Lage des Falles und im Rahmen des Zumutbaren strengere Substantiierungslast der für die negative Tatsache nicht beweispflichtigen Partei hat nur den Sinn, die Schwierigkeiten des sog. Negativbeweises auszugleichen. Begegnet auch sie mit zumutbarem Aufwand nicht überwindbaren Schwierigkeiten und kann der entscheidungserhebliche Sachverhalt von keiner Partei aufgeklärt werden, so geht dies zu Lasten der Partei, die die Darlegungslast trägt. Das ist, soweit die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten betroffen ist, der Anspruchsteller (BGH NJW-RR 2017, 1520).
c) Ferner ist der Haftungsumfang von § 826 BGB wie bei allen Ansprüchen aus unerlaubter Handlung nach Maßgabe des Schutzzwecks der Norm zu beschränken. Auf eine derartige Eingrenzung der Haftung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden. Die Ersatzpflicht beschränkt sich in einem solchen Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen. Dabei kommt es nicht auf die ratio des § 826 BGB an, sondern auf den Schutzzweck der konkret verletzten Verhaltensnorm (BGH NJW 1986, 837, 838; Münchner Kommentar, BGB, 7. Aufl. 2017, § 826, Rn. 46).
Auch bei Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung und einer Verletzung der VO(EG) 715/2007 würde sich nichts anderes ergeben. Insoweit kann dahinstehen, ob es sich bei der Software um eine solche Abschalteinrichtung handelt. Jedenfalls dient die Verordnung primär dem Umweltschutz und nicht dem Schutz der hier geltend gemachten Vermögensinteressen. Dies ergibt sich bereits aus Ziffer (4) bis (7) der Präambel der Verordnung. Daneben dient die Verordnung der Harmonisierung nationaler Regelungen und damit der Stärkung des Binnenmarktes (vgl. Ziffer (1) der Präambel. Ob dem Einzelnen daraus überhaupt ein Beseitigungs- oder Schadensersatzanspruch zustehen kann, kann offenbleiben. Da vom Schutzzweck der Norm weder das Vermögen noch die freie Willensbildung umfasst sind, kann auf eine Verletzung der technischen Normen weder ein Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrages noch ein Ausgleich einer behaupteten Vermögensminderung verlangt werden.
2. Der Klagepartei steht gegen die beklagte Partei auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 263 StGB wegen Täuschung über die Gesetzeskonformität des Fahrzeuges zu.
Es fehlt insoweit an den Voraussetzungen des Betrugstatbestandes. Insbesondere fehlt eine ausreichende Darlegung in Bezug auf den nach § 31 BGB verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten für die bei der Absicht rechtswidriger Bereicherung erforderliche Stoffgleichheit.
Bereicherungsabsicht setzt voraus, dass die Tat subjektiv auf die Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils für den Täuschenden oder einen Dritten gerichtet ist. Dabei muss der Vorteil die Kehrseite des Schadens und ihm „stoffgleich“ sein, er muss also unmittelbare Folge der täuschungsbedingten Verfügung sein, die den Schaden des Opfers herbeiführt; maßgeblich ist die Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung. Dem Täter muss es darauf ankommen, sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen. An der erforderlichen Absicht fehlt es, wenn der Täter die Vorteilserlangung nur als notwendige Folge eines anderen Zwecks in Kauf nimmt.
Soweit die Klagepartei einen Schaden durch den Vertragsschluss über das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem Händler und die Belastung mit der Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises geltend macht, fehlt es an der Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung. Der Vertragsschluss mit dem Autohändler stellt insoweit die mittelbare Folge der von der Beklagtenpartei primär beabsichtigten (unmittelbaren) Veräußerung des Fahrzeugs an dem Händler bzw. Erstkäufer dar. Die Beklagte hat durch die Manipulation nicht einen Vorteil zu Lasten der Zweiterwerber oder sonstiger Kunden erzielen wollen. Vielmehr ging es der Beklagten darum, das Fahrzeug möglichst kostengünstig im Wettbewerb zu platzieren, ohne dass die Beklagte deutliche Investitionen in Forschung und Entwicklung vornehmen musste, welche den Kaufpreis der jeweiligen Fahrzeuge negativ hätte beeinflussen können. Die Beklagte hat durch die Manipulation insofern versucht, korrekte Werte bei der Abgasmessung auf dem Prüfstand zu verhindern, um die Zulassung zu erlangen. Wenngleich dies dazu geführt haben mag, dass die Beklagte wusste, dass dies letztlich zu höheren Abgasemissionen im Realbetrieb führt, denen die Endkunden ausgesetzt sind, stellt dies keinen stoffgleichen Vermögensvorteil dar. Der Gewinn liegt vorliegend in eingesparten Forschungs- und Entwicklungskosten, welche nicht die Kehrseite des Schadens der Klagepartei darstellen (LG Hagen (Westfalen), Urteil vom 16.06.2017 – 8 U 218/16 – Rn. 196, 197, juris m.w.N. bei Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 263 Rn. 187, 190).
3. Auch ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV besteht nicht. Diese Vorschriften sind nicht drittschützend, weshalb Schadensersatzansprüche diesbezüglich ebenfalls ausscheiden.
a) Der EuGH hat zur Frage des Drittschutzes bereits Stellung bezogen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen eine auf einer europäischen Richtlinie beruhende Norm geeignet ist, Schadensersatzansprüche auszulösen, unterliegt vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht (EuGH, Urteil vom 16.02.2017 – C-219/15- TÜV, Rn. 60). Weder aus dem Umstand, dass eine Richtlinie bestimmten Stellen Überwachungspflichten auferlegt noch daraus, dass dieser Richtlinie auch den Schutz der Geschädigten bezweckt, ergibt sich nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH zwingend, dass sie die Rechte zu Gunsten der Geschädigten für den Fall schaffen soll, dass die betreffenden Stellen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, was insbesondere dann gilt, wenn die Richtlinie keine ausdrückliche Bestimmung enthält, die derartige Rechte gewährt (EuGH, a.a.O.; EuGH, Urteil vom 12.10.2004 – C-222/02- Paul).
Folglich ist auch hier nach nationalem Recht zu beurteilen, ob die verletzte Norm drittschützend ist. Die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität stehen dabei weder im Grundsatz entgegen noch ist vorgetragen oder aus den Umständen ersichtlich, dass sie im vorliegenden Fall tangiert sind.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (EuGH – Vorlage vom 09.04.2015 – VII ZR 36/15 -, juris Rn. 20, 23) ist eine Norm als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder zumindest mitgewollt hat. Per Vorschriften, die – wie hier die EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der Richtlinie 2007/46/EG – an. Den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) zufolge bezweckt die Richtlinie 2007/46/EG die Vollendung des Binnenmarktes und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit komme, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen. An keiner Stelle lässt sich hingegen ein Hinweis darauf finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (BR-Drucksache 190/09, S. 36) in Übereinstimmung hiermit ausgeführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll (vgl. LG Braunschweig, Urteil vom 17.01.2018 – 3 O 1138/16 – Rn. 58, 59, juris m.w.N.).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem durch die VO (EG) Nr. 385/2009 geänderten Anhang IX der RL 2007/46/EG. Zwar spricht der neu eingefügte Passus „Die Übereinstimmungsbescheinigung stellt eine Erklärung des Fahrzeugherstellers dar, in der er dem Fahrzeugkäufer versichert, dass das von ihm erworbene Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmte“ seinem Wortlaut nach zunächst für einen Individualrechtsschutz. Den Erwägungsgründen der VO (EG) Nr. 385/2009 lässt sich jedoch entnehmen, dass die Neuregelung der Anpassung an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt und dem reibungslosen Ablauf des gemeinschaftlichen Typengenehmigungsverfahrens dienen sollte. Dagegen war keine grundsätzlich neue Ausrichtung der Richtlinie beabsichtigt. Soweit durch die zitierte Formulierung hervorgehoben wird, dass die Übereinstimmungsbescheinigung eine Versicherung gegenüber dem Fahrzeugkäufer darstellt, legt eine Zusammenschau der Erwägungsgründe insbesondere Ziffer (2) und (3), vielmehr nahe, dass der Fahrzeugkäufer hierdurch in die Lage versetzt werden soll, die Bescheinigung gegenüber den Behörden der Mitgliedstaaten zum Nachweis der Einhaltung der Typengenehmigungsvorschriften zu verwenden. Dies wiederum dient dem Zweck der Verringerung der Verwaltungslasten für die europäischen Bürger, dem ausweislich Ziffer (5) auch die Aufnahme weiterer technischer Informationen in die Bescheinigung geschuldet ist. Die Vermögensinteressen des einzelnen Bürgers spielen bei diesen Erwägungen demgegenüber keine Rolle.
Es bestehen auch keine Ansprüche der Klagepartei gegenüber der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 Abs. 1 UWG. Insoweit fehlt es bereits an der Bezugnahme auf konkrete öffentliche Werbeaussagen der Beklagten.
4. Die Klage erweist sich auch deshalb als unbegründet, da das Tatbestandsmerkmal des Schadens, welches sämtlichen gesetzlichen Anspruchsgrundlagen innewohnt, vorliegend nicht dargetan ist.
Soweit sich die Klagepartei darauf stützt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund des Vorliegens einer Abschalteinrichtung in seiner Software mangelbehaftet gewesen sei, ist selbst bei Wahrunterstellung dieses Vortrages nicht von einem (verbleibenden) Schaden der Klagepartei auszugehen. Das vom Kraftfahrtbundesamt zugelassene Software-Update beseitigt den konkret vorliegenden Mangel in der Software des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Ob und ggf. welche (weiteren) Mängel die Folge des Software-Updates am streitgegenständlichen Fahrzeug auftreten, ist konkret nicht vorgetragen.
Soweit die Klagepartei auf einen dauerhaften merkantilen Minderwert oder eine Bemakelung des streitgegenständlichen Fahrzeuges als Betroffenes des sog. Diesel-Skandals abstellt, führt dies auch nicht zu einer anderen Beurteilung. Insoweit ist es faktisch nicht möglich, das etwaige sinkende Käuferinteresse an Diesel-Fahrzeugen mit dem vom Hersteller entwickelten EA-189-Motor zu trennen von der Entwicklung des Käuferinteresses an Diesel-Fahrzeugen generell. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die derzeitige Diskussion hinsichtlich Fahrverboten in Innenstädten bzw. betreffend die von Diesel-Fahrzeugen ausgestoßenen Abgase, nichts mit der streitgegenständlichen „Abschalteinrichtung“ zu tun hat, sondern mit einem auf europäischem Recht basierenden System einer Abgaseinstufung von Kraftfahrzeugen allein auf Basis eines nicht praxisgerechten Prüfzyklus. Die derzeitige öffentliche Diskussion ist daraus begründet, dass eine Vielzahl von Diesel-Fahrzeugen zwar auf einem Prüfstand die vorgesehenen Abgaswerte eingehalten haben, dies im Straßenverkehr jedoch nicht tun. Wie sich das Käuferverhalten künftig vor diesem Hintergrund darstellt und ob und inwieweit die Vornahme oder Nicht-Vornahme von Software-Updates oder Hardware-Lösungen hinsichtlich der vorliegenden Problematik auf das Käuferinteresse und damit die Gebrauchtwagenpreise sich auswirken wird, ist derzeit nicht prognostizierbar und insbesondere eine Beweiserhebung (etwa durch Sachverständigenbeweis) nicht zugänglich. Eine derartige Beweiserhebung würde auf reine Spekulation und Ausforschung hinauslaufen.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
Ein Schaden lässt sich nach der herrschenden Differenzhypothese nicht begründen:
Nach der sogenannten Differenzhypothese würde ein Schaden nur vorliegen, wenn ein Missverhältnis von Leistung (Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges) und Gegenleistung (Kaufpreis) vorliegt. Dieses lässt sich nicht schlüssig darlegen:
Der Kläger hat durch den Abschluss des Kaufvertrages und die Eingehung der Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises einen objektiv gleichwertigen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Pkws erworben. Es ist zur nicht schlüssig darlegbar, dass der Kläger gerade durch die im streitgegenständlichen Fahrzeug ursprünglich verbaute Abschaltsoftware einen Minderwert am Fahrzeug „erlitten“ hat:
Sofern tatsächlich eine schlechtere Weiterverkaufsmöglichkeit des Fahrzeuges (im hypothetischen Fall der Veräußerung) entstehen sollte, kann nicht dargelegt werden, dass sich dieser adäquat-kausal zurechenbar auf Handlungen der Beklagten gründet. Es können vielmehr verschiedene und vielfältige Ursachen als sogenannte wertbildende Faktoren Einfluss auf die Kaufpreisentwicklung des Fahrzeuges im Fall der Wiederveräußerung nehmen. Insbesondere ist festzustellen, dass die in der Gesellschaft einsetzende allgemeine Diskussion über die Werthaltigkeit von Dieselfahrzeugen nicht unerheblichen Einfluss auf die Marktentwicklung des Wertes des Fahrzeuges haben kann (vgl. hierzu insbesondere LG Braunschweig, Urteil vom 25.04.2017, Az.: 11 O 4/17).
Insofern kann der Kläger nicht darlegen, dass etwaige Wertverschiebungen sich gerade auf die verfahrensgegenständliche Software gründen und nicht etwa darauf, dass aus anderen Gründen die Gunst von Dieselfahrzeugen im Rahmen des Automobilmarktes nachgelassen hat.
Ein sogenannter merkantiler Minderwert kann ebenfalls nicht schlüssig zur Überzeugung des Gerichts dargelegt werden:
Ein merkantiler Minderwert kommt nur dann in Betracht, wenn eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung der Kaufsache vorliegt (vgl. Oetker, MüKo-BGB, 7. Auflage 2016, § 249 BGB, Rz. 55).
Im vorliegenden Fall ist dieser Grad der Beeinträchtigung nicht überschritten. Sowohl in Literatur als auch in Rechtsprechung ist hierbei von einem unbeachtlichen Bagatelleschaden auszugehen, wenn die aufzuwendenden Reparaturkosten 10% des Wiederbeschaffungswertes nicht übersteigen (vgl. hierzu Palandt-Grüneberg, 77. Auflage, § 251 Rz. 16).
Die zu veranschlagenden Kosten für ein Software-Update betragen lediglich 35,00 Euro netto, so dass sie jedenfalls unterhalb der Bagatellgrenze liegen.
Auch nach der sogenannten normativen Korrektur der Differenzhypothese lässt sich ein dem Kläger angeblich entstandener Schaden nicht schlüssig begründen:
Nach der sogenannten normativen Korrektur der Differenzhypothese kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Schaden ausnahmsweise dann angenommen werden, wenn zwar die Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung objektiv gegeben ist, das streitgegenständliche Fahrzeug jedoch für die subjektiven Zwecke des Anspruchstellers nicht oder nicht voll brauchbar ist (vgl. hierzu BGH, Az.: VI. ZR 306/03). Hierfür muss jedoch die Tauglichkeit des Kaufgegenstandes zu dem gewöhnlichen oder dem individuell vorausgesetzten Gebrauch aufgehoben oder gemindert sein (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.1997, Az.: V ZR 112/96).
Vorliegend ist die seitens des Klägers vorausgesetzte Tauglichkeit zum Gebrauch des streitgegenständlichen Fahrzeuges durch die verbaute Software nicht negativ beeinträchtigt. Das Fahrzeug ist im Straßenverkehr ohne Weiteres nutzbar.
Auch unter verkehrstechnischer und sicherheitsrechtlicher Sicht ist das Fahrzeug in vollem Umfang im Straßenverkehr einsetzbar und benutzbar. Es verfügt darüber hinaus auch über eine für die Emissionsklasse erforderliche EG-Typengenehmigung, einen wirksamen Versicherungsschutz und eine grüne Umweltpalette.
Der Kläger nutzt das Fahrzeug dementsprechend bis zum heutigen Zeitpunkt ohne jegliche Beeinträchtigung.
Bei dieser Sachlage lässt sich auch unter dem Gesichtspunkt einer normativen Korrektur der Differenzhypothese keinerlei Schaden des Klägers feststellen.
Da sämtliche denkbaren Schadensersatzansprüche des Klägers die schlüssige Darlegung eines Schadens im Sinne der §§ 249 ff. BGB voraussetzen und sich ein solcher nicht feststellen lässt, war die Klage auch aus diesem Gesichtspunkt als unbegründet abzuweisen.
IV.
Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Verkündet am 05.09.2019


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