Europarecht

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Abschalteinrichtung in einem Porsche Cayenne

Aktenzeichen  83 O 2259/20

Datum:
29.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24339
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826

 

Leitsatz

1. Die bloße Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ stellt ohne die erforderliche Behauptung unter die Fahrzeugemissionen-VO subsumtionsfähiger Tatsachen eine reine Rechtsbehauptung dar. Schlüssiger Vortrag zu einer angeblich unzulässigen Abschalteinrichtung erfordert vielmehr konkreten Vortrag dazu, dass erstens ein Konstruktionsteil im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden ist (wobei es sich auch um eine Software handeln kann), das zweitens in bestimmten, konkret darzulegenden Umwelt- oder Fahrsituationen die Abgasreinigung abschaltet, und dies drittens nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Partei kann zwar unter bestimmten Umständen genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Jedoch wird ein solches prozessuales Vorgehen dann unzulässig, wenn eine Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Dies ist der Fall, wenn sich die Klagepartei nicht einmal die Mühe macht, substantiiert und konkret zum verbauten Motor vorzutragen, sondern lediglich – ohne nähere Ausführungen hierzu – die Behauptung aufstellt, erkannt zu haben, dass auch das verfahrensgegenständliche Fahrzeug von den Auswirkungen des „Diesel-Skandals“ betroffen sei. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hat das Kraftfahrtbundesamt in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell insbesondere im Hinblick auf die Schadstoffemissionen den Anforderungen genügt, so sind die Zivilgerichte aufgrund der Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes daran gehindert, etwas anderes anzunehmen. Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes besagt, dass dann, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde einen wirksamen Verwaltungsakt erlassen hat, der ein bestimmtes Verhalten ausdrücklich erlaubt, etwa durch eine Genehmigung, die Zulässigkeit des betreffenden Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte so lange entzogen ist, als der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
I.
Das Landgericht Regensburg ist sachlich und örtlich zuständig.
Das Landgericht Regensburg ist insbesondere gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig. Der Prüfung ist insoweit der klägerische Sachvortrag zugrunde zu legen (vgl. BGH, Beschluss v. 25. März 2014, Az. VI ZR 271/13). Die Klagepartei hat einen Anspruch (auch) aus § 826 BGB schlüssig vorgetragen. Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Der Begehungsort liegt dabei überall dort, wo ein Teilakt der unerlaubten Handlung verwirklicht worden ist (vgl. BGH, Urteil v. 23.03.2010, Az. VI ZR 57/09; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. A. 2016, § 32 Rn. 16). Gehört der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsverletzung, ist damit (auch) der Ort des Schadenseintritts Begehungsort im Sinne des § 32 ZPO (vgl. MüKoZPO/Patzina, 5. A. 2016, § 322 Rn. 20; Zöller/Vollkommer, a.a.O.). Werden Ansprüche – wie vorliegend der Fall – auf § 826 BGB gestützt, ist Begehungsort folglich (auch) der Belegenheitsort des Vermögens des Geschädigten, mithin in der Regel dessen Wohnsitz, denn geschütztes Rechtsgut der vorgenannten Vorschriften ist das Vermögen als solches (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O.). Ort des Schadenseintritts ist demnach der Wohnort des Klägers/der Klägerin als Geschädigte/r (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.07.2017, Az. 13 SV 6/17; LG Offenburg, Urteil v. 12.5.2017, Az. 6 O 119/16), welcher sich jedenfalls auch zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im hiesigen Gerichtsbezirk befand.
II.
Die Klage ist in der Sache jedoch nicht begründet.
1. Der Klagepartei steht – unabhängig von der Frage der in Streit stehenden Aktivlegitimation – gegen die Beklagte nach Auffassung des Gerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz zu mit der Begründung, im verfahrensgegenständlichen Fahrzeug finde sich eine unzulässige Abschalteinrichtung, welche dafür sorgen würden, dass erkannt werde, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, und dass in diesem Fall die Abgasreinigung technisch anders erfolge als im Straßenbetrieb, denn insoweit ist der klägerische Sachvortrag aus Sicht des Gerichts bereits erkennbar ohne Substanz und willkürlich aus der Luft gegriffen; er rechtfertigt auch keine Beweisaufnahme. Im Übrigen kann sich die Beklagte im hier zu entscheidenden Fall mit Erfolg darauf berufen, dass für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell eine bestandskräftige Typgenehmigung des Kraftfahrt-Bundesamtes vorliegt, und dass den im verfahrensgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor nicht sie, sondern die … entworfen und hergestellt hat.
a) Grundsätzlich ist bei der Annahme einer „ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht, da es einer Partei durchaus möglich sein muss, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (vgl. etwa BeckOK-ZPO/von Selle, Ed. 34, § 138 ZPO Rdnr. 32 m.w.N.). Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (so auch OLG Nürnberg, Urteil vom 07.06.2019 – 5 U 1670/18; LG Stuttgart, Urteil vom 03.05.2019 – 22 O 238/18). Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufstellt (vgl. etwa BGH NJW-RR 2003, 69; BGH NJW-RR 2002, 1419). Dies ist dann der Fall, wenn jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkt für den Einsatz einer Manipulationssoftware entsprechend der Ausstattung des Motortyps EA 189 im klägerischen Fahrzeug fehlt, was auch im hier zu entscheidenden Fall anzunehmen ist (vgl. hierzu u.a. OLG Brandenburg, Hinweisbeschluss v. 20.04.2020 – 1 U 103/19; OLG Koblenz, Urteil v. 18.06.2019 – 3 U 416/19).
Unstreitig ist das streitgegenständliche Fahrzeug nicht mit einem EA 189 ausgestattet. Es sind keine greifbaren Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, nach denen davon ausgegangen werden könnte, dass der hier streitgegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, wie dies bei den Motoren EA 189 der Fall ist, ausgestattet ist. Diese Behauptung der Klagepartei ist reine Spekulation. Bezeichnend hierfür ist insbesondere, dass sich die Klagepartei nicht einmal die Mühe macht, substantiiert und konkret zum verbauten Motor vorzutragen, sondern lediglich – ohne nähere Ausführungen hierzu – die Behauptung aufstellt, erkannt zu haben, dass auch das verfahrensgegenständliche Fahrzeug von den Auswirkungen des „Diesel-Skandals“ betroffen sei. Die Beklagte kann daher mit Erfolg darauf verweisen, dass das Kraftfahrtbundesamt bislang keinen Bescheid für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp wegen dessen Emissionsverhalten erlassen und dementsprechend auch keinen verpflichtenden emissionsbedingten Rückruf für diesen angeordnet hat.
Auch nach der Einreichung der Klage ist seitens des Kraftfahrtbundesamtes noch keine Rückrufaktion angekündigt worden ist. Dies spricht dagegen, dass die Behörde sich hinsichtlich dieses Fahrzeugtyps getäuscht sieht oder aus sonstigen Gründen von einer Rechtswidrigkeit der erteilten Typengenehmigung ausgeht und deshalb Beschränkungen drohen. Sieht also die zuständige Behörde die Funktionsweise des Motors als zulässig an, sind die Fahrzeughalter nicht der Gefahr einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung ausgesetzt mit der Folge, dass sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche gegen die Beklagte ausgeschlossen sind (vgl. OLG Brandenburg, Hinweisbeschluss v. 20.04.2020 – 1 U 103/19).
b) Die bloße Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ stellt überdies ohne die erforderliche Behauptung unter die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 subsumtionsfähiger Tatsachen eine reine Rechtsbehauptung dar. Schlüssiger Vortrag zu einer angeblich unzulässigen Abschalteinrichtung erfordert vielmehr konkreten Vortrag dazu, dass erstens ein Konstruktionsteil im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden ist (wobei es sich auch um eine Software handeln kann), das zweitens in bestimmten, konkret darzulegenden Umwelt- oder Fahrsituationen etc. i.S.v. Art. 3 Nr. 10 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 die Abgasreinigung abschaltet, und dies drittens nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Trotz der Formulierung von Art. 5 Abs. 2 lit. a) Verordnung (EG) Nr. 715/2007 („Dies ist nicht der Fall, wenn […]“) trägt dabei die Klagepartei im Rahmen einer unerlaubten Handlung grundsätzlich auch für das Nichteingreifen der Ausnahmeregelung als weitere Anspruchsvoraussetzung die volle Darlegungs- und Beweislast. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten scheidet aus, da dies den Beibringungsgrundsatz aushöhlen und dem beklagten Autohersteller eine der deutschen Zivilprozessordnung fremde allgemeine Aufklärungspflicht auferlegen würde; zudem ist es der Klagepartei nicht unmöglich, den maßgeblichen Sachverhalt von sich aus zu ermitteln, da sie – soweit es keine öffentlich zugänglichen Erkenntnisse zum konkreten Motor gibt – ggf. zu ihrem bloßen Verdacht zunächst ein Privatgutachten erholen muss (vgl. OLG München, Beschl. v. 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19). Nach diesen Grundsätzen ist der klägerische Vortrag zu der geltend gemachten unzulässigen Abschalteinrichtung nach Auffassung des Gerichts völlig unsubstantiiert, da bezogen auf den hier zu entscheidenden Fall nicht hinreichend konkret vorgetragen wird, warum diese jeweils nicht notwendig sein sollten, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Hinreichend subsumtionsfähiger Tatsachenvortrag zum Nichteingreifen der Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 2 lit. a) Verordnung (EG) Nr. 715/2007 erfolgt aus Sicht des Gerichts vorliegend nicht.
c) Über die vorgenannte Behauptung der Klagepartei war nach Ansicht des Gerichts kein Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben. Zwar darf eine Klagepartei – wie bereits ausgeführt – im Rechtsstreit auch solche Tatsachen behaupten, über deren Vorliegen sie kein sicheres Wissen hat und ein solches auch nicht erlangen kann. Eine Partei kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (vgl. BGH NJW-RR 2015, 829). So liegt grundsätzlich auch der hierzu entscheidende Fall. …. Jedoch wird ein solches prozessuales Vorgehen dann unzulässig, wenn eine Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Bezeichnend hierfür ist insbesondere, dass sich die Klagepartei nicht einmal die Mühe macht, substantiiert und konkret zum verbauten Motor vorzutragen, sondern lediglich – ohne nähere Ausführungen hierzu – die Behauptung aufstellt, erkannt zu haben, dass auch das verfahrensgegenständliche Fahrzeug von den Auswirkungen des „Diesel-Skandals“ betroffen sei. Im vorliegenden Fall fehlt es daher nach Auffassung des Gerichts an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten zur Untermauerung der klägerischen Behauptung der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagte, so dass eine Beweiserhebung insoweit nicht geboten erscheint und sich letztlich als reine, jedoch unzulässige Ausforschung darstellen würde (vgl. OLG Brandenburg, Hinweisbeschluss v. 20.04.2020 – 1 U 103/19; OLG Koblenz, Urteil v. 18.06.2019 – 3 U 416/19).
d) Die Anwendung der Rechtsprechung, welche zu Fahrzeugen des … Konzerns ergangen ist, die mit dem Motor EA189 ausgestattet sind, auf den Streitfall scheitert daran, dass nicht nur nicht feststeht, dass das Fahrzeug der Klagepartei mit einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, sondern das Gericht das Gegenteil zugrunde zu legen hätte.
Die Beklagte weist aus Sicht des Gerichts zu Recht darauf hin, dass für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell eine bestandskräftige Typgenehmigung des Kraftfahrt-Bundesamtes vorliegt, welche auch nicht durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkt wurde. Mit der Erteilung der Typgenehmigung hat das Kraftfahrt-Bundesamt dem Hersteller – vorliegend der Beklagten – bestätigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell die Anforderungen der „einschlägigen Vorschriften“ erfüllt, mithin auch diejenigen der Verordnung 715/2007/EG hinsichtlich der Schadstoffemissionen. Unzweifelhaft handelt es sich dabei um einen Verwaltungsakt des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber dem Fahrzeughersteller, welchem hierdurch ermöglicht wird, die dem genehmigten Typ entsprechenden Fahrzeuge unter Ausstellung und Beifügung einer EG-Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr zu bringen. Hat aber die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell insbesondere im Hinblick auf die Schadstoffemissionen den Anforderungen genügt, so sind die Zivilgerichte aufgrund der sog. Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes daran gehindert, etwas anderes anzunehmen. Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes besagt, dass dann, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde einen wirksamen Verwaltungsakt erlassen hat, der ein bestimmtes Verhalten ausdrücklich erlaubt, etwa durch eine Genehmigung, die Zulässigkeit des betreffenden Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte so lange entzogen ist, als der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist (vgl. BGH NJW 1998, 3055; BGH NVwZ-RR 2010, 272). Mit der Tatbestandswirkung der vom Kraftfahrt-Bundesamt bestandskräftig erteilten und unverändert wirksamen Typgenehmigung wäre aber nicht vereinbar, wenn das Gericht annähme, die Beklagte habe (auch) der Klagepartei gegenüber mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, welches dem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen sogenannten Abschalteinrichtung versehen sei, die der Erteilung einer Genehmigung entgegenstünde (vgl. OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 08.09.2020, Az. 5 U 4359/19; OLG Celle, Hinweisbeschluss v. 07.08.2019, Az. 7 U 626/19). Auf die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung könnte sich die Beklagte dann nicht berufen, wenn sie diese Genehmigung durch eine arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes erschlichen hätte, wie das der Bundesgerichtshof im Fall des … Konzerns in seinem Urteil vom 25.05.2020 angenommen hat. Derartiges wird von der Klagepartei im vorliegenden Fall aber bereits nicht schlüssig behauptet.
Darüber hinaus dürfte der Klagepartei auch kein Schaden entstanden sein, weil mangels einer die streitgegenständliche Fahrzeugserie betreffenden Maßnahme des Kraftfahrt-Bundesamtes nicht zu erkennen ist, dass dem Fahrzeug die Entziehung der Betriebserlaubnis droht oder sie wenigstens damit rechnen muss, zur Aufrechterhaltung der Betriebserlaubnis technische Veränderungen an ihrem Fahrzeug vornehmen lassen zu müssen, die sich auf die Lebensdauer oder sonstige Eigenschaften des Fahrzeuges negativ auswirken könnten (vgl. OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 08.09.2020, Az. 5 U 4359/19).
e) Schließlich kann sich die Beklagte im hier zu entscheidenden Fall mit Erfolg – jedenfalls einen etwaigen Vorsatz ausschließend – darauf berufen, dass den im verfahrensgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor nicht sie, sondern die … entworfen und hergestellt hat.
Zwar kann das auf der Grundlage einer im eigenen Gewinninteresse getroffenen grundlegenden Entscheidung durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA erfolgte systematische und umfangreiche Inverkehrbringen von Fahrzeugen, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschaltvorrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, ein objektiv als sittenwidrig zu qualifizierendes Verhalten darstellen (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19). Allerdings müsste die Klagepartei substantiiert darlegen und ggf. nachweisen, dass Personen, deren Wissen der Beklagten zuzurechnen wäre, eine solche strategische Entscheidung getroffen und umgesetzt hätten oder zumindest dies gewusst und gebilligt hätten. Daran fehlt es.
Die Klagepartei hat lediglich pauschal und ohne Substanz behauptet, die Vorstände der Beklagten hätten gewusst, dass auch der verfahrensgegenständliche Motor eine unzulässige Abschaltvorrichtung aufweise. Die Beklagte ist der behaupteten Kenntnis von einer unzulässigen Software entgegengetreten und hat detailliert zur Entwicklung und Produktion des streitgegenständlichen Fahrzeugs vorgetragen. Eine weitergehende sekundäre Darlegungslast der Beklagten kann vorliegend nicht angenommen werden. Anders als im vom BGH (vgl. Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19) entschiedenen Fall hat die Beklagte den streitgegenständlichen Motor gerichtsbekannt weder selbst entwickelt noch hergestellt, sondern sich lediglich von der … einem selbständigen Unternehmen, liefern lassen. Es liegt damit gerade nicht auf der Hand, dass „jedenfalls irgendwer“ im Unternehmen der Beklagten eine Entscheidung zur Entwicklung einer etwaigen Abschaltautomatik und zur Verwendung in den dann zum Kauf angebotenen Fahrzeug getroffen haben muss. Aus diesem Grund kommt es auf die nähere Darstellung von Entscheidungsabläufen o.Ä. innerhalb der Beklagten nicht an. Es obläge vielmehr nach den allgemeinen Regeln der Klagepartei, unter Beweisangebot zunächst substantiiert dazu vorzutragen, wer innerhalb der Beklagten davon gewusst habe, dass eine (welche?) Abschalteinrichtung in dem gelieferten Motor eingebaut gewesen sei (vgl. hierzu OLG München, Hinweisbeschluss v. 28.05.2020. Az. 5 U 1005/20).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die den Motor liefernde … wie die Beklagte selbst ein Tochterunternehmen des … Konzerns ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte gegenüber der … eine Wissensorganisationspflicht traf, auf deren Grundlage die Beklagte Zugriff auf die bei der … vorhandenen Informationen hatte und vorwerfbar nicht nutzte (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 04.09.2019, Az. 13 U 136/18), sind von der Klagepartei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Letztlich kann auch offenbleiben, ob tatsächlich eine Pflicht der Beklagten bestand, die von der … bezogenen Motoren zu überprüfen, was auch das hiesige Gericht mit Blick auf die insoweit mangelnde Kompetenz der Beklagten, welche gerade der Grund für den Bezug des Motors von anderen Firmen war, bezweifeln würde. Denn jedenfalls könnte eine Verletzung einer etwaigen Überwachungs- oder Überprüfungspflicht grundsätzlich allenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf, nicht jedoch den Vorwurf eines vorsätzlichen sittenwidrigen Verhaltens begründen. Für eine bewusste Verletzung von Überprüfungspflichten im Sinne eines vorsätzlichen Wegschauens bestehen wiederum keine Anhaltspunkte (vgl. hierzu OLG München, Hinweisbeschluss v. 28.05.2020, Az. 5 U 1005/20).
f) Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheidet nach den vorgemachten Ausführungen bereits deshalb aus, weil es jedenfalls an einem etwaigen Täuschungsvorsatz der Beklagten fehlen würde (so auch OLG Nürnberg, Urteil vom 07.06.2019, Az. 5 U 1670/18).
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 kommt ebenfalls nicht in Betracht, da diese Vorschriften schon nicht dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt und damit keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sind (vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 03.05.2019 – 22 O 238/18, BeckRS 2019, 11522).
Die Klage war daher abzuweisen, zumal auch andere Anspruchsgrundlagen, welche im hier zu entscheidenden Fall den klägerischen Schadensersatzanspruch tragen könnten, nicht ersichtlich sind.
2. Da ein Anspruch in der Hauptsache nicht besteht, war die Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Nebenforderungen abzuweisen.
3. a)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1, 2 ZPO.
4. Der Streitwert war auf … Euro festzusetzen. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert (vgl. BGH, NJW-RR 2010, 1295 f.).


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