Europarecht

Kein Schadensersatzanspruch des Käufers eines VW Golf mit einem Dieselmotor der Baureihe EA288

Aktenzeichen  32 O 274/19

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 36958
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Deggendorf
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826, § 831 Abs. 1 S. 1
VO (EG) 2007/715 Art. 5 Abs. 2 S. 2
StGB § 263
EG-FGV § 6, § 27

 

Leitsatz

1. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motors respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Herstellerin in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (ebenso OLG Köln BeckRS 2019, 15640 Rn. 5). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 2007/715 ist entgegen dem klägerischen Vortrag nicht zwingend dahingehend auszulegen, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz nur dann “notwendig” sein können, wenn keine andere konstruktive Lösung möglich ist, auch wenn diese erheblich teurer sein sollte (ebenso OLG Stuttgart BeckRS 2019, 17247 Rn. 66 ff.). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 29.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage hat weder nach dem Hauptantrag noch nach den Hilfsanträgen Erfolg und ist daher abzuweisen.
I.
Die Klage ist im Hinblick auf den Hauptantrag zulässig, insbesondere ist das angerufene Gericht sachlich und örtlich zuständig, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, §§ 1, 32 ZPO.
II.
Die Klage ist jedoch im Hinblick auf den Hauptantrag in der Hauptsache unbegründet. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
1. Für das Eingreifen vertraglicher oder quasivertraglicher Ansprüche fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten, da der Kläger das Fahrzeug nicht von der Beklagten, sondern von der A. GmbH & Co. KG erworben hat.
2. Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch folgt insbesondere auch nicht aus § 826 BGB.
a) Es kann hierbei letztlich dahinstehen, ob in der Verwendung von Thermofenstern eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen ist. Denn um einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB zu begründen, muss das schädigende Verhalten des Schuldners sittenwidrig sein. Hieran fehlt es vorliegend aber in jedem Fall.
aa) Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (BGH, Urteil vom 19.11.2013 – VI ZR 336/12). Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19). Insbesondere die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten ist im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist (BGH, Urteil vom 19.10.1987 – II ZR 9/87). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 13.12.2011 – XI ZR 51/10; Urteil vom 03.12.2013 – XI ZR 295/12; Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12).
Subjektiv ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss aber grundsätzlich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 13.09.2004 – II ZR 276/02).
Eine Sittenwidrigkeit kommt danach nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Das ist jedoch nicht der Fall.
bb) Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motors respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn man mit dem Kläger von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausginge, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Umstände, die das in Frage stellen würden, sind vom Kläger weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Gesetzeslage ist an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig. Wenn die Beklagte davon ausgeht, es handele sich beim Einsatz von Thermofenstern nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, so ist dies aus den nachfolgenden Erwägungen unter juristischen Gesichtspunkten zumindest gut vertretbar.
Nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen VO (EG) 715/2007 für Typengenehmigungen von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen ist eine Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Der Begriff des Emissionskontrollsystems ist in der Verordnung nicht definiert.
Die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen regelt Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715. Dieser lautet: „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
b) die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
Es ist festzuhalten: Nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 ist die Verwendung einer Abschalteinrichtung also zulässig ist, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Auf diese Erlaubnisgründe beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall.
Die Norm ist entgegen dem klägerischen Vortrag nicht zwingend dahingehend auszulegen, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz nur dann „notwendig“ sein können, wenn keine andere konstruktive Lösung möglich ist, auch wenn diese erheblich teurer sein sollte. Gegen eine solche Auslegung spricht der Aufbau des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 sowie dessen Zweck (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Denn gemäß Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 sind Fahrzeuge vom Hersteller so auszurüsten, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Darüberhinausgehende Anforderungen werden von der Verordnung nicht vorgegeben. Abschalteinrichtungen sind generell unzulässig und nur im in der Verordnung in Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 beschriebenen Ausnahmefall erlaubt. Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 will danach nicht die Entwicklung aufwändigerer Konstruktionen eines Motors vorgeben, sondern für Motoren, die grundsätzlich den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 genügen, zum Schutz vor Beschädigung oder Unfall und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs einen Handlungsspielraum in Form einer ansonsten verbotenen Abschalteinrichtung einräumen. Diesem Ziel der Norm, den Fahrzeugherstellern ausnahmsweise eine konstruktive Freiheit einzuräumen, würde es widersprechen, dem Wort „notwendig“ in Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 einen eigenen, unter Umständen sogar über die Anforderung des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 hinausgehenden Konstruktionsauftrag der Verordnung zu entnehmen. Mit dem Wort „notwendig“ wird lediglich klargestellt, dass die Abschalteinrichtung dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb dienen muss und eine reine Zweckmäßigkeit nicht genügt, sondern sie dafür erforderlich sein muss (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
Sieht man Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 aber nicht als Verpflichtung der Autohersteller an, Motoren zu entwickeln, die nur im äußersten Notfall eine Abschalteinrichtung benötigen, sondern von seinem Sinn und Zweck her eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Autohersteller zum Schutz der von ihnen im Einklang mit Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 tatsächlich entwickelten und verwendeten Motoren, so erscheint die Annahme, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor, sogar mehr als nur gut vertretbar (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
Dass die Gesetzeslage an dieser Stelle gerade nicht eindeutig ist, zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wie auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des sogenannten „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können. Insbesondere ist ein verbindlicher behördlicher Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeuges unstreitig bis heute nicht erfolgt.
Sollte entgegen den vorstehenden Erwägungen aber tatsächlich eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, so hätte die Beklagte die Rechtslage allenfalls fahrlässig verkannt. In diesem Fall fehlt es sowohl am erforderlichen Schädigungsvorsatz als auch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 826, Rn. 8) wie der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände. Dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden war, ist weder hinreichend dargetan noch ersichtlich.
Eine Auslegung, wonach ein „Thermofenster“ keine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls gut vertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann jedoch nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
b) Ferner fehlt es an einem entsprechenden Schädigungsvorsatz der Beklagten.
Der erforderliche Schädigungsvorsatz im Rahmen von § 826 BGB, der getrennt von der Sittenwidrigkeit – auch von deren subjektiver Seite – festzustellen ist (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.1966 – VI ZR 1/65), bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Fahrlässigkeit, auch grobe, genügt nicht (BGH, Urteil vom 06.06.1962 – V ZR 125/60). Der Vorsatz muss sich auf den Schaden erstrecken, eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht (BGH, Urteil vom 24.04.2001 – VI ZR 36/00). Andererseits ist Schädigungsabsicht nicht erforderlich. Es genügt, dass der Schädiger den Schadenseintritt vorausgesehen und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder jedenfalls im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urteil vom 20.11.2012 – VI ZR 268/11). Maßgeblich ist dabei allein der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
Vorliegend kann jedoch – wie bereits dargelegt – nicht davon ausgegangen werden, dass auf Seiten der Beklagten bewusst eine – unterstellt – objektiv unzulässige Abschalteinrichtung verwendet wurde. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist allenfalls von einer fahrlässigen Verkennung der Rechtslage auszugehen. Dann fehlt es aber am notwendigen Schädigungsvorsatz, da dieser das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben erfordert (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
Selbst wenn man der Beklagten unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen keineswegs derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung nicht vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (OLG Nürnberg, Endurteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18)
2. Die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. § 826 BGB sind nicht gegeben. Es fehlt auch insoweit an den subjektiven Voraussetzungen für ein deliktisches Handeln. Wie bereits ausgeführt, war die Auslegung, dass es sich bei einem Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 handelt, jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine zulässige – und überdies gut vertretbare – Auslegung des Gesetzes. Dies bedeutet, dass weder die Mitarbeiter noch eventuelle Repräsentanten der Beklagten in dem Bewusstsein handelten, mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs, das unstreitig mit einem sogenannten Thermofenster ausgerüstet ist, möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und diesen Gesetzesverstoß sowie eine Schädigung des Klägers als Käufer des Fahrzeugs zumindest billigend in Kauf genommen haben (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
3. Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung in Gestalt eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB) ergibt sich nichts anderes, denn hiernach wäre eine vorsätzliche Täuschung im Sinne eines Betruges erforderlich, die das Gericht nach den vorstehenden Ausführungen ebenfalls nicht festzustellen vermag.
Wie bereits ausgeführt, stellte die Annahme der Beklagten, dass es sich bei dem in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, in jedem Fall zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs eine zulässige Auslegung des Gesetzes dar, sodass die Verantwortlichen nicht mit dem Vorsatz handelten, den Kläger über eine Eigenschaft des Fahrzeugs zu täuschen und ihm dadurch einen Vermögensschaden zuzufügen (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19; OLG Nürnberg, Endurteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18).
4. Entsprechendes gilt für §§ 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV.
a) Unabhängig davon, ob die Beklagte diese Vorschrift verletzt hat, fehlt ihr der von § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzte Schutzgesetzcharakter. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Norm als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Bei Vorschriften, die – wie hier die §§ 6, 27 EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der Richtlinie 2007/46/EG – an (vgl. BGH, EuGH-Vorlage vom 09.04.2015, VII ZR 36/14). Den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) zufolge bezweckt diese Richtlinie die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen (Erwägungsgrund (2) der Richtlinie). Weder an diesen Stellen noch unter den anderen Erwägungsgründen der Richtlinie lässt sich demgegenüber ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (Seite 36 der BR-Drucks. 190/09) in Übereinstimmung damit ausführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll (so jeweils LG Braunschweig, Urteil vom 27.10.2017 – Az. 3 O 136/17; Urteil vom 10.01.2018 – Az. 3 O 622/17; Urteil vom 17.01.2018 – Az. 3 O 3447/16; Urteil vom 14.02.2018 – Az. 3 O 1915/17).
b) Ferner fehlt es ohnehin auch nicht an einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung.
Gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typengenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Art. 18 i. V. m. Anhang IX dar Richtlinie 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen. Nach der Definition in Art. 3 Nr. 36 der Richtlinie 2007/46/EG ist eine Übereinstimmungsbescheinigung „das in Anhang IX wiedergegebene, vom Hersteller ausgestellte Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht“. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV dürfen neue Fahrzeuge, für die eine Übereinstimmungsbescheinigung vorgeschrieben ist, im Inland zur Verwendung im Straßenverkehr nur feilgeboten, veräußert oder in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind.
Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet hätte, so fehlt es aber nicht an einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung. Denn die Bescheinigung ist bereits dann gültig, wenn der Hersteller sie unter Verwendung des vorgeschriebenen Formulars ausgestellt hat und wenn sie fälschungssicher sowie vollständig ist. Es gilt daher ein formeller Gültigkeitsbegriff (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17). Danach fehlt es aber an einem tatbestandlichen Verstoß gegen die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
5. Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ergeben sich weiterhin nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007.
Denn Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 stellt kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17).
Wie sich aus der VO (EG) 715/2007 nach deren einleitender Bemerkung (1) bis (4) sowie zusammengefasst nochmals in (27) ergibt, zielt die VO (EG) 715/2007 auf die Harmonisierung des Binnenmarktes bzw. dessen Vollendung durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Fahrzeugemissionen. Zwar werden neben der Vereinheitlichung der Rechtsregelungen ein hohes Umweltschutzniveau (1) als Ziel und die Reinhaltung der Luft als Vorgabe für Regelungen zur Senkung der Emissionen von Fahrzeugen (4) beschrieben, doch folgt aus den Ausführungen unter (7), die die Verbesserung der Luftqualität in einem Zug mit der Senkung der Gesundheitskosten (und dem Gewinn an Lebensjahren) nennen, dass es auch insoweit nicht um individuelle Interessen, sondern letztlich um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele geht. Dass der europäische Gesetzgeber im Sinne der Definition des Schutzgesetzes dem einzelnen Verbraucher die Rechtsmacht in die Hand geben wollte, mit Mitteln des Privatrechts gegen denjenigen vorzugehen, der in dieser Verordnung zur Umsetzung dieser Ziele geregelte Verbote übertritt und sein Rechtsinteresse beeinträchtigt, geht aus den Vorbemerkungen nicht hervor. Vielmehr spricht stattdessen der Umstand, dass die Ziele in (7) in Beziehung gesetzt werden zu den Auswirkungen der Emissionsgrenzwerte auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern, gegen einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers. Dies gilt umso mehr, als auch die Regelungen der VO (EG) 715/2007 selbst keinen Bezug zu Individualinteressen des einzelnen Bürgers aufweisen (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, 8 U 1449/19; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
6. Darauf, dass dem Kläger auch kein Schaden entstanden sein dürfte, weil nicht zu erkennen ist, dass seinem Fahrzeug die Entziehung der Betriebserlaubnis droht, und weil ein etwaiger genereller Wertverfall gebrauchter Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor jedenfalls nicht auf ein Verhalten der Beklagten zurückgeführt werden könnte, kommt es mangels eines haftungsbegründenden Verhaltens der Beklagten nicht mehr an.
7. Die Klage ist daher im Hinblick auf den Hauptantrag unbegründet. Über das – lediglich hilfsweise geltend gemachte – Feststellungsbegehren hinsichtlich eines Annahmeverzugs der Beklagten war deshalb mangels Bedingungseintritts nicht mehr zu entscheiden.
III.
Da die Klage im Hinblick auf den Hauptantrag unbegründet ist, ist jedoch über den weiteren Hilfsantrag des Klägers, wonach die Beklagte verurteilt werden soll, Schadensersatz in Höhe von mindestens 8.700,00 € nebst Zinsen zu bezahlen, zu entscheiden.
1. Die Klage ist auch insoweit zulässig. Die von der Beklagten im Hinblick auf die Zulässigkeit geäußerten Bedenken vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen.
2. Die Klage ist jedoch auch insoweit unbegründet. Zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen wird auf die Ausführungen zum Hauptantrag vollumfänglich Bezug genommen.
IV.
Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
V.
1. Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO
2. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 S. 1, S. 2 ZPO
3. Streitwert: §§ 63 Abs. 2 GKG, 3 ZPO


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