Europarecht

Kein Schadensersatzanspruch im sog. Diesel-Skandal nach dessen Bekanntwerden

Aktenzeichen  31 O 5692/20

Datum:
5.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25294
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249, § 826m

 

Leitsatz

1. Das Gericht schließt sich der Entscheidung des BGH vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 an, wonach Schadensersatzansprüche bei Kauf eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagens nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verneint werden. (Rn. 18 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Etwas anders ergibt sich auch nicht durch das Aufspielen des Updates, wodurch keine (neuen) Ansprüche der Klagepartei entstanden sind. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, wobei sich die örtliche Zuständigkeit des LG München I aus § 32 ZPO ergibt.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keine Ansprüche aus dem Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Urteil des BGH vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 (siehe auch Pressemitteilung des BGH Nr. 101/2020 vom 30.07.2020) von welchen abzuweichen keine Veranlassung besteht.
Hierin verneint der BGH Schadensersatzansprüche bei Kauf eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagens nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals.
So sei es nicht zu beanstanden, dass das dortige Berufungsgericht Ansprüche aus § 826 BGB deshalb verneint hat, weil das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht (mehr) als sittenwidrig anzusehen ist. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB sei in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies werde insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat.
War das Verhalten der Beklagten gegenüber Käufern, die ein mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug vor dem 22. September 2015 erwarben, sittenwidrig (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.), so seien durch die Verhaltensänderung der Beklagten wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber diesen Käufern nicht mehr gerechtfertigt ist.
So sei bereits die Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 objektiv geeignet gewesen, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung sei typischerweise nicht mehr damit zu rechnen gewesen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit sei damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein. Käufern, die sich, wie der Kläger, erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihr Verhalten geändert hatte, sei deshalb – unabhängig von ihren Kenntnissen vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen – nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt worden. Auch Ansprüche aus sonstigen Vorschriften hat der Senat verneint.
Sofern der Kläger sich u.a. darauf stützt, dass Vorsatz und die Schädigungsabsicht der Beklagten bzw. ihrer Vorstände und Mitarbeiter zum Zeitpunkt vorlag, als das streitgegenständliche Fahrzeug im Jahr 2013 gebaut wurde, so ist dies unerheblich. Denn maßgeblich ist das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen zum Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeuges, also zum 21.12.2015. Der Kläger behauptet ja auch nicht, im Jahr 2013 getäuscht und geschädigt worden zu sein, sondern anlässlich des Kaufes im Jahr 2015. Zu diesem Zeitpunkt jedoch verneint der BGH zutreffend grundsätzlich das Fortbestehen des früheren Täuschungs- und Schädigungsvorsatzes seitens der Beklagten.
Dies entspricht u.a. auch der Ansicht des OLG München:
Vgl. OLG München Endurteil v. 16.12.2019 – 21 U 2850/19 (Zurechnungszusammenhang unterbrochen), Beschlüsse v. 16.09.2019 – 27 U 3017/19; v. 14.08.2020 – 3 U 3018/20, v. 03.12.2019 – 20 U 5741/19), das sich bei den sog. Fällen „Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals“ einer Vielzahl anderer obergerichtlicher Entscheidungen angeschlossen hat, denen ähnliche Fallgestaltungen zugrunde lagen, so u.a. OLG Frankfurt, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 156/19; OLG Saarbrücken, Urteil vom 28.08.2019 – 2 U 94/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 07.08.2019, 9 U 9/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019 – 10 U 199/19; OLG Köln, Urteil vom 06.06.2019 – 24 U 5/19; OLG Dresden, Urteil vom 24.07.2019 – 9 U 2067/18; OLG Celle, Urteil vom 29.04.2019 – 7 U 159/19; OLG Braunschweig, Urteil vom 02.11.2017 – 7 U 69/17; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.11.2019 – 1 U 32/19 und OLG Koblenz, Urteil vom 25.10.2019 – 3 U 948/19.
Etwas anders ergibt sich auch nicht durch das Aufspielen des Updates, wodurch keine (neuen) Ansprüche der Klagepartei entstanden sind. Denn die Beklagte konnte – entsprechend der Rechtsprechung des OLG München – berechtigt davon ausgehen, dass die von ihr im Update eingesetzte und vom Kraftfahrtbundesamt geprüfte Software den gesetzlichen Vorschriften entspricht, so dass ein Schädigungsvorsatz in jedem Fall ausscheidet (vgl. z.B. OLG München, Beschluss v. 03.06.2019 – 19 U 4356/18; OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 03.06.2020 – 17 U 583/19; ähnlich BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 für nach dem 22.09.2015 erworbene Fahrzeuge).
Kosten: § 91 ZPO; vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO; Streitwert: § 3 ZPO. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs erhöht den Streitwert nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25.08.2020 – XI ZR 108/20).


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