Europarecht

Keine Eintragung im Ausländerzentralregister

Aktenzeichen  M 25 S 16.50960

Datum:
26.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 34a Abs. 2 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1, Art. 29

 

Leitsatz

Die fehlende Eintragung im Ausländerzentralregister liegt nicht in der Verantwortungssphäre des Asylsuchenden und kann sich somit nicht zu seinen Lasten bei Fragen der Auffindbarkeit auswirken. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom … Oktober 2016 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin … … als Prozessbevollmächtigte bewilligt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine drohende Überstellung nach Ungarn im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
Der nach eigenen Angaben 32-jährige Antragsteller gibt an, pakistanischer Staatsangehöriger zu sein. Er reiste nach seinen Angaben am 5. Dezember 2015 aus Österreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Eine Eurodac-Recherche der Antragsgegnerin am 14. Januar 2016 ergab einen HU1-Treffer für den 17. September 2015, einen HU2-Treffer für den 16. September 2015 und einen GR2-Treffer für den 24. Juli 2015. Danach hat der Antragsteller am 17. September 2015 in Ungarn einen Asylantrag gestellt.
Mit Bescheid vom … Januar 2016 wies die Regierung von Oberbayern den Antragsteller dem Landkreis E. zu. Als künftiger Wohnsitz wurde zugewiesen „Unterbringung durch KVB Landratsamt Landratsamt (sic!) E., …straße 5, …“. Die Antragsgegnerin erhielt einen Abdruck dieser Zuweisungsentscheidung am 28. Januar 2016.
Am 4. März 2016 richtete die Antragsgegnerin unter Berufung auf Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO ein Aufnahmegesuch an Ungarn und erhielt umgehend per E-Mail eine Empfangsbestätigung.
Mit Schreiben vom 23. Mai 2016 teilte die Antragsgegnerin den ungarischen Behörden mit, dass der Antragsteller flüchtig und eine Überstellung derzeit deshalb nicht möglich sei. Die Überstellung werde bis spätestens 19. September 2017 erfolgen. In der Akte befindet sich nachfolgend ein Vermerk vom selben Tag „keine ABH, keine Anschrift – AZR neg, D-Nummern-Suche neg“. Mit Schreiben vom 14. Juni 2016 bat die Antragsgegnerin das Landratsamt E. um Mitteilung der Adresse des Antragstellers.
Am 3. August 2016 fand die persönliche Befragung des Antragstellers zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates statt. Der Antragsteller gab eine Adresse innerhalb des Landkreises an.
Mit Bescheid vom … Oktober 2016, dem Kläger gegen Postzustellungsurkunde am 22. Oktober 2016 zugestellt, lehnte die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise-und Aufenthaltsverbot auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2016, bei Gericht per Telefax am selben Tag eingegangen, ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20.10.2016 (!) erheben (M 25 K 16. 50959) und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 17. Oktober 2016 anzuordnen und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu gewähren und Frau Rechtsanwältin … … als Prozessbevollmächtigte beizuordnen.
Zur Begründung wurde unter anderem vorgetragen, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Dublin-III-VO am 18. September 2016 und somit schon vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids am 17. Oktober 2016 abgelaufen sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 22. November 2016 wies der Prozessbevollmächtigte auf das Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2016 hin.
Am 4. November 2016 und am 11. November 2016 ging die Behördenakte in elektronischer Form ein.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2016 an die Antragsgegnerin wies das Gericht darauf hin, dass die Überstellungsfrist nach summarischer Prüfung des Bescheids schon im Zeitpunkt, als der Bescheid erlassen wurde, abgelaufen zu sein scheine und von daher eine Aufhebung des Bescheids angeregt werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch des Hauptsacheverfahrens und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen, hat Erfolg, weil er begründet ist.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist begründet. Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende gerichtliche Interessenabwägung fällt zulasten der Antragsgegnerin aus. Es bestehen durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Abschiebungsanordnung.
1. Die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Antragsgegnerin sowohl im Zeitpunkt des Bescheidserlasses als auch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung wegen Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig war und ist.
Nach Auffassung des Gerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist die Überstellungsfrist bereits am 18. September 2016 abgelaufen und die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers damit auf die Antragsgegnerin übergegangen.
1.1. Die Überstellungsfrist beträgt grundsätzlich sechs Monate (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO). Sie beginnt mit mit der Annahme des rechtzeitig gestellten (Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO) Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat (Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO). Der ersuchte Mitgliedstaat entscheidet über das Gesuch um Wiederaufnahme so rasch wie möglich, in jedem Fall aber nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde, stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen (Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO). Wird – wie vorliegend – innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird (Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO).
Die Antragsgegnerin hat auf der Grundlage eines Eurodac-Treffers vom 14. Januar 2016 am 4. März 2016 rechtzeitig ein Wiederaufnahmegesuch an Ungarns gerichtet, das nicht beantwortet wurde. Somit ist seit 18. März 2016 davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird. Die sechsmonatige Überstellungsfrist war mithin am 18. September 2016 abgelaufen.
1.2. Eine wirksame Verlängerung dieser Frist auf achtzehn Monate wegen Flüchtigseins des Antragstellers liegt nach Auffassung des Gerichts aufgrund summarischer Prüfung nicht vor.
Grundsätzlich ist eine Verlängerung der Überstellungsfrist nach Maßgabe von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Danach kann die Frist zur Überstellung auf höchstens ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.
Flüchtig ist eine Person dann, wenn sie über einen erheblichen Zeitraum hinweg aus von ihr zu vertretenden Gründen nicht auffindbar ist (VG München, Urt. v. 29.10.2015 – M 2K 15.50211 – juris Rn. 25; VGH Baden-Württemberg, B.v. 6.8.2013 – 12 S 675/13 – juris). Hierfür gibt es nach Auffassung des Gerichts vorliegend keine hinreichenden Anhaltspunkte. Der Aktenvermerk der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2016 und ihre Mitteilung an die ungarischen Behörden, dass ihr das Flüchtigsein des Antragstellers seit dem 23. Mai 2016 bekannt sei, genügen nicht.
Die Antragsgegnerin war über die Zuweisung des Antragstellers in den Landkreis E. seit Januar 2016 informiert. In Anbetracht dessen ist der Aktenvermerk der Antragsgegnerin „keine ABH“ für das Gericht nicht nachvollziehbar. Bei seiner Anhörung im August 2016 gab der Antragsteller eine Anschrift im zugewiesenen Landkreis an. Dass ihn Schreiben nicht erreichten, lässt sich der vorgelegten Behördenakten nicht entnehmen. Auf den gerichtlichen Hinweis vom Dezember 2016, dass die Überstellungsfrist abgelaufen zu sein scheint, hat die Antragsgegnerin nicht reagiert. Allein der Umstand, dass der Antragsteller womöglich im Ausländerzentralregister noch nicht vermerkt war, kann sich nicht zulasten des Antragstellers auswirken, da die Eintragung nicht in seiner Verantwortungssphäre liegt.
Bei einer solchen Sachlage genügt dem Gericht allein der Hinweis in der Akte ohne weitere Erläuterung oder Nachweis, weshalb ein Flüchtigsein angenommen wurde, nicht, um ein solches und damit eine rechtmäßige Verlängerung der Überstellungsfrist anzunehmen.
Mit dem Ablauf der Überstellungsfrist ist die Antragsgegnerin für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig geworden und eine Abschiebungsanordnung nach Ungarn unzulässig. Aus diesem Grund bestehen durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung.
1.3. Der Antragsteller kann sich auch auf den Ablauf der Überstellungsfrist und damit auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin berufen, jedenfalls dann, wenn – wie hier – nicht positiv feststeht, dass Ungarn auch nach Ablauf der Überstellungsfrist zur Wiederaufnahme des Antragstellers weiterhin bereit ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 – BeckRS 2016, 46151, VG Ansbach, B.v. 19.9.2016 – AN 11 S. 16.50301 – BeckRS 2016, 52387).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seine Prozessbevollmächtigte beizuordnen, weil er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 ZPO).
Dieser Bescheid ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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