Europarecht

keine Erledigung einer Abschiebungsanordnung im Dublin-Verfahren durch Vollzug während Gerichtsverfahren

Aktenzeichen  AN 17 K 19.50901

Datum:
11.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 29390
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO 2013/604/EU Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 12 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7
AsylG § 77 Abs. 1, § 34a

 

Leitsatz

1. Gegen einen Dublin-Bescheid ist nur die Anfechtungsklage sowie die Verpflichtungsklage auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten zulässig. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Abschiebungsanordnung erledigt sich durch ihren Voollzug nicht im Rechtssinne, denn sie bildet nach wie vor die Grundlage für die Rechtmäßigkeit der Abschiebung und darauf aufbauender Rechtsfolgen (Anschluss an BVerwG NVwZ 2018, 345). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Aufnahme- und Verfahrensbedingungen für Asylbewerber in der Republik Frankreich erweisen sich unter Heranziehung der aktuellen Erkenntnismittel zur Lage für Asylbewerber und anerkannt Schutzberechtigte in diesem Mitgliedsstaat als nicht regelhaft defizitär. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Die Entscheidung konnte im Einverständnis mit den Parteien ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ergehen, da die Klägerbevollmächtigte auf mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 11. Oktober 2019 und die Beklagte mittels allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 hierauf übereinstimmend verzichtet haben.
2. Die nur teilweise zulässige Klage ist insgesamt unbegründet, da der angegriffene Bescheid sich als rechtmäßig erweist und den Kläger nicht in dessen subjektiven Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Mithin war die Klage abzuweisen.
a) Die Klage erweist sich unter Zugrundelegung der anwaltlich angekündigten Klageanträge nur insoweit als zulässig, als mit ihr die Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 2. September 2019 sowie hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird. Soweit die Klageanträge darüber hinaus gehen, erweisen sie sich vor dem Hintergrund, dass der Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen einen Dublin-Bescheid mit der Aufhebung des Bescheids durch das Gericht sein Rechtsschutzziel auf Durchführung eines nationalen Asylverfahren erreicht hat und ein Durchentscheiden des Verwaltungsgerichts auch in materieller Hinsicht mangels Vorhandensein einer materiellen Behördenentscheidung nicht verlangen kann, bereits als unstatthaft (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 12. Aufl. 2018, AsylG § 29 Rn. 41 mit Rechtsprechungsnachweisen).
Die Klage ist darüber hinaus hinsichtlich der Anfechtung von Ziffer 3. des streitbefangenen Bescheids nicht dadurch in Unzulässigkeit erwachsen, dass die Abschiebungsanordnung nach erhobener Klage inzwischen vollzogen wurde. Die Abschiebungsanordnung als Maßnahme der Aufenthaltsbeendigung hat sich dadurch nicht im Rechtssinne erledigt, denn sie bildet nach wie vor die Grundlage für die Rechtmäßigkeit der Abschiebung und darauf aufbauender Rechtsfolgen, so dass die Abschiebungsanordnung auch weiterhin rechtliche Wirkungen zeitigt (BVerwG, U.v. 22.8.2017 – 1 A 3.17 – EZAR NF 53 Nr. 4, beck-online).
b) Die Klage ist im zulässigen Umfange im Zeitpunkt der Abschiebung (betreffend die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung) bzw. der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG unbegründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Durchführung des nationalen Verfahrens mit der inhaltlichen Prüfung und Bescheidung seines Asylantrages zu. Da es der anwaltlich vertretene Kläger versäumt hat, innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG die für seine Klage tragenden Erwägungen, Tatsachen und Beweismittel bei Gericht anzubringen, bleibt das Gericht hinsichtlich seiner Überprüfung des streitgegenständlichen Bescheides auf diejenigen Angaben beschränkt, die der Kläger in seinen Anhörungen vor dem Bundesamt bzw. durch seine Bevollmächtigte im behördlichen Verfahren vorgetragen hat. Die danach in die gerichtliche Entscheidung einzubeziehenden Umstände, die der Kläger geltend gemacht hat, vermögen es nicht, die angegriffene Entscheidung des Bundesamtes in Frage zu stellen. Diese erweist sich vielmehr als richtig, so dass das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen umfassend auf die Feststellungen und Gründe des Bescheids vom 2. September 2019 Bezug nimmt und sich diese zu Eigen macht (§ 77 Abs. 2 Alt. 1 AsylG).
Der Kläger kann sich insbesondere nicht erfolgreich auf Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO hin-sichtlich der Aufnahme- und Verfahrensbedingungen für Asylbewerber in der Republik Frankreich berufen. Diese erweisen sich nach Überzeugung des Gerichts unter Heranziehung der ak-tuellen Erkenntnismittel zur Lage für Asylbewerber und anerkannt Schutzberechtigte in diesem Mitgliedsstaat als nicht regelhaft defizitär. Die vom Bundesamt hierzu getätigten Ausführungen im angegriffenen Bescheid werden durch die aktuellen Erkenntnismittel des Gerichts zum Asylverfahren in Frankreich gestützt, auch, soweit dies die Gruppe der Dublin-Rückkehrer betrifft (vgl. etwa: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Frankreich, Ziffer 3. – Dublin-Rückkehrer, Stand: 29.1.2018; Raphaelswerk e.V., Informationen für Geflüchtete, die nach Frankreich rücküberstellt werden, Stand: Oktober 2018). Systemische Mängel im französischen Asylsystem werden auch von der überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung verneint, wobei sich der erkennende Einzelrichter diesen Einschätzungen anschließt (vgl. VG München, B.v. 19.1.2017 – M 25 S 16.51232 – BeckRS 2017, 126467; VG Würzburg, B.v. 15.11.2018 – W 10 S 18.50501 – BeckRS 2018, 38265 und B.v. 2.1.2019 – W 8 S 18.50584 – BeckRS 2019, 446; VG Augsburg, B.v. 25.6.2018 – Au 6 S 18.50604 – BeckRS 2018, 16993; VG Saarlouis, B.v. 4.1.2018 – 5 L 2332/17 – BeckRS 2018, 15; VG Ansbach, B.v. 26.7.2016 – 14 S 16.50240 – BeckRS 2016, 49529; U.v. 29.8.2019 – AN 17 K 19.50339 – unveröffentlicht). Dass es – wie der Kläger zutreffend vortragen lässt – dabei im Einzelfall aufgrund längerer Bearbeitungszeiten der Asylverfahren in Frankreich sowie damit einhergehender Probleme bei Zuweisungsentscheidungen an Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende zu Problemen hinsichtlich der Gewährung von Obdach durch staatliche Stellen kommen kann, was sich insoweit auch den Erkentnnismitteln des Gerichts entnehmen lässt, vermag der Klage gleichwohl nicht zum Erfolg zu verhelfen. Eine regelhaft defizitäres Verfahren oder ein systemisches Versagen ist unter Beachtung der hohen Anforderungen, die dazu durch die Rechtsprechung aufgestellt wurden (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – NVwZ 2014; EuGH, U.v. 16.2.2017, C-578/16 – ZAR 2017, 172), nicht belegt und durch den Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen worden. Darüber hinaus ist weder erkennbar noch behauptet, dass der Kläger zu einer besonders schutzwürdigen Personengruppe gehört, bei der die ernsthafte Gefahr besteht, dass sie den Folgen der Obdachlosigkeit von sich aus nicht mehr adäquat begegnen könnte, so dass die Gefahr einer Verelendung tatsächlich auch im Einzelfall naheliegt. Allein das junge Alter des volljährigen Klägers rechtfertigt ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine Zuordnung seiner Person zu einer solchen vulnerablen Personengruppe (vgl. auch: VG Ansbach, B.v. 13.08.2019 – AN 17 S 19.50767 – BeckRS 2019, 19437).
Gründe, die einen Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO möglich er-scheinen lassen, sind ohnedies nicht erkennbar oder durch den Kläger vorgetragen. Sein Vortrag, in Frankreich habe er Probleme zu erwarten, weil sein Herkunftsland eine ehemalige Kolonie Frankreichs war, ist ohne jede inhaltliche Substanz, zudem allgemeiner Natur und ohne substantiierten Bezug gerade zu seiner Person. Insoweit erweist sich der angegriffene Bescheid auch nicht als ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO).
Verfahrensfehler des Bundesamtes im Sinne der Dublin III-VO sind ebenfalls nicht behauptet oder ersichtlich. Dies betrifft vornehmlich die durch die Beklagte einzuhaltenden Fristen, auf deren Ablauf der Kläger sich erforderlichenfalls berufen könnte sowie die Übernahmebereitschaft der Republik Frankreich.
Ebenso wenig sind Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG für den Kläger bezogen auf den Rückführungsstaat Frankreich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ersichtlich bzw. substantiiert vorgetragen. Das Gericht nimmt dazu ebenfalls Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheides, die durch klägerischen Vortrag im Gerichtsverfahren nicht entkräftet wurden.
Im Zeitpunkt der Abschiebung erwies sich die Abschiebungsanordnung somit als rechtmäßig und durchführbar; dies auch, da der Kläger keinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsanordnung gestellt hatte. Seiner Klage kam insoweit keine aufschiebende Wirkung zu (§ 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.


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