Europarecht

Keine Haftung der Motor-Herstellerin für vom Diesel-Abgasskandal betroffenes gebrauchtes Fahrzeug bei Kauf im März 2017

Aktenzeichen  3 U 308/19

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48922
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 826
ZPO § 522 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Vgl. zum Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals: BGH BeckRS 2020, 19146; für Konzernmarken bestätigt mit BGH BeckRS 2020, 45195; OLG Frankfurt BeckRS 2020, 33026; OLG München BeckRS 2020, 33025; BeckRS 2020, 33054; BeckRS 2020, 34843; BeckRS 2020, 45188; BeckRS 2020, 45186; OLG Bamberg BeckRS 2020, 33158; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 40118; BeckRS 2020, 45120; KG BeckRS 2020, 16615; OLG Jena BeckRS 2020, 31770; BeckRS 2020, 41011; OLG Karlsruhe BeckRS 2020, 25600; BeckRS 2020, 6996; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 24162; sowie mit zahlreichen weiteren Nachweisen OLG Bamberg BeckRS 2020, 33154 (dort Ls. 1); OLG München BeckRS 2020, 27980 (dort Ls. 1); OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7457 (dort Ls. 4); noch weitergehend: OLG Braunschweig BeckRS 2020, 28511; zur früheren aA vgl. zusammenfassend OLG München BeckRS 2020, 33025 (Ls. 1 am Ende); OLG Oldenburg BeckRS 2020, 31981. (redaktioneller Leitsatz)
2. Gibt sich der Käufer eines (möglicherweise) vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs auf seine gezielten Fragen hin mit einer zweideutigen Antwort zufrieden und unterlässt er weitere Nachfragen, deutet dies darauf hin, dass er sich zwar Gedanken über die Betroffenheit des Fahrzeugs gemacht hat, die unzulässige Abschalteinrichtung sowie das Software-Update seine Kaufentscheidung jedoch letztlich nicht beeinflusst haben.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Trägt der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz vor, die – technisch mögliche, in seinem Fahrzeug aber nicht zum Einsatz gebrachte – Verwendung des SCR-Katalysators sei die einzige technische Möglichkeit, die Vorgaben der EU an die Abgaswerte einzuhalten, führt er einen neuen Lebenssachverhalt ein, der als Klageerweiterung in der Berufungsinstanz entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO seine Wirkung verliert, wenn die den erstinstanzlichen Beschluss betreffende Berufung durch einen einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird. (Rn. 13 und 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 U 308/19 2020-10-27 Hinweisbeschluss OLGBAMBERG OLG Bamberg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 13.05.2019, Aktenzeichen 43 O 259/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Bamberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 19.920,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 13.05.2019 sowie auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 27.10.2020 Bezug genommen. Lediglich ergänzend und erläuternd ist auszuführen:
Der Kläger erwarb am 07.03.2017 von einem nicht am Verfahren beteiligten Veräußerer ein Gebrauchtfahrzeug der Marke A. zum Kaufpreis von 24.900,00 €. In das Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
1. festzustellen, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs A. durch die Beklagtenpartei resultieren;
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.195,95 € freizustellen.
Die Beklagte hat
Klageabweisung beantragt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und den Streitwert auf 19.920,00 € festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei hinsichtlich des Feststellungsantrags unzulässig und im Übrigen unbegründet. Der Feststellungsantrag sei zu unbestimmt und ihm fehle das Feststellungsinteresse. Der Freistellungsantrag scheitere daran, dass ein außergerichtliches Vorgehen gegen die Beklagte nicht erfolgversprechend gewesen sei.
Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, der im Berufungsverfahren beantragt,
1. Das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 13.05.2019, 43 O 259/18 wird aufgehoben und wie folgt abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs A. durch die Beklagtenpartei resultieren.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.195,95 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt
Zurückweisung der Berufung.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 13.05.2019, Aktenzeichen 43 O 259/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 27.10.2020 Bezug genommen, indem der Senat dargelegt hat, dass die Berufung des Klägers schon deshalb keinen Erfolg haben kann, weil es sich um einen sog. „Spätfall“ handelt. Die Stellungnahme des Klägers vom 30.11.2020 hierzu veranlasst nur noch nachfolgende Anmerkungen:
1. Zunächst wiederholt und vertieft der Kläger seinen – knappen – erstinstanzlichen Vortrag, durch „das Software-Update“ habe die Beklagte eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters eingebaut. Die Beklagte täusche vor, dass durch dieses Update die Illegalität der Software beseitigt worden sei. Der Beklagten sei zum Zeitpunkt des Inverkehrbringen des Software-Updates bekannt gewesen, dass mehr als nur erhebliche Zweifel daran bestünden, dass die Verwendung eines Thermofensters gegen die europäischen Richtlinien verstoße.
Dies kann der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Angesichts der nicht angegriffenen Feststellung des Landgerichts, der Kläger habe sein Fahrzeug erst am 07.03.2017 erworben und der Einlassung des Klägers, das Software-Update sei bereits vor dem Kauf auf das Fahrzeug aufgespielt worden (Bl. 373), hätte es der näheren Darlegung bedurft, wieso die Kaufentscheidung des Klägers maßgeblich von der Vorstellung geprägt gewesen sein soll, das Software-Update habe jegliche Illegalität der bisherigen Abschalteinrichtung beseitigt.
Dies kann jedoch dahinstehen, da der Kläger auch angegeben hat: „Ich habe beim Verkäufer in dem relativ kurzen Verkaufsgespräch nachgefragt, ob das Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist und ob noch ein Update aufgespielt werden muss. Daraufhin erfolgte die Antwort ‘nein’. Wenn diese Antwort nur die zweite Frage betroffen haben sollte, was sie natürlich korrekt, aber es waren eben zwei Fragen gestellt worden.“ Zudem: „Wenn ich gewusst hätte, dass das Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen war, hätte ich das Fahrzeug nicht erworben. Hintergrund dafür ist insbesondere der Wertverlust der durch diese Problematik erreicht wird.“ (Protokoll vom 08.04.2019, dort S. 2,3 = Bl. 373 f.). Diese Angaben deuten darauf hin, dass sich der Kläger zwar Gedanken über die Betroffenheit des Fahrzeugs gemacht hat, die unzulässige Abschalteinrichtung sowie das Software-Update seine Kaufentscheidung jedoch letztlich nicht beeinflusst haben. Denn er hatte sich auf seine gezielten Fragen hin mit einer zweideutigen Antwort zufrieden gegeben und weitere Nachfragen unterlassen.
2. Der Kläger trägt weiter vor, die Beklagte täusche auch nach September 2015 alle Fahrzeugkäufer, indem sie den Fokus der Öffentlichkeit und der Behörden auf die von ihr verwendete Software lenke, obwohl gleichermaßen die Hardwareausstattung illegal sei. Die Beklagte habe unbrauchbare, veraltete und den gesetzlichen Vorgaben nicht im Ansatz entsprechende Technik in ihre Fahrzeuge verbaut. Dies betreffe insbesondere die Abgasreinigungsanlage, die Einspritzanlage und den Partikelfilter. Damit täusche die Beklagte bis heute über die technische Mangelhaftigkeit der Fahrzeuge. Diese seien zu keinem Zeitpunkt technisch auf der Höhe der Zeit gewesen. Vielmehr seien bewusst Teile verbaut worden, die niemals dafür vorgesehen und geeignet gewesen seien, im Rahmen der normalen Nutzung gesetzeskonform zu funktionieren. Insofern sei auch die Adhoc-Mitteilung vom 22.09.2015 falsch. Die – technisch mögliche – Verwendung des SCR-Katalysators sei die einzige technische Möglichkeit, die Vorgaben der EU an die Abgaswerte einzuhalten. Gleichwohl habe die Beklagte auf die Verwendung dieser Technologie verzichtet, um Kosten zu sparen und ihre Rendite zu erhöhen. Über diesen Sachverhalt habe der BGH in seiner Entscheidung vom 30.07.2020 nicht entschieden, dort sei es nur um die Software gegangen.
Auch dieses Vorbringen ist unbehelflich. Zunächst übersieht der Kläger, dass es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Fahrzeug um ein von der … . hergestelltes Fahrzeug handelt. Zwar führt der Kläger in seiner Klageschrift zutreffend aus, dass die Beklagte und die … . konzernrechtlich verflochten sind und konzernintern die sog. „Plattformstrategie“ verfolgt werde (Bl. 16). Die Abgasreinigungsanlage, die Einspritzanlage und den Partikelfilter benennt der Kläger aber nicht als Teil der „Plattformstrategie“, sodass seinem eigenen Vortrag nach davon ausgegangen werden muss, dass diese Fahrzeugteile von der … hergestellt und eingebaut wurden. Die … nimmt der Kläger jedoch nicht in Anspruch.
Letztlich kann auch dies dahingestellt bleiben. Es handelt sich um neuen Vortrag in der Berufungsinstanz (“A. Vorab: Neue Erkenntnisse“), der mit der erstinstanzlichen Klagebegründung nicht übereinstimmt, sondern vielmehr einen neuen Lebenssachverhalt einführt. Dies bestätigt der Kläger letztlich selbst, wenn er die Auffassung vertritt, der Bundesgerichtshof habe diesen Fall noch nicht entschieden. Eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz verliert entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung, wenn die den erstinstanzlichen Beschluss betreffende Berufung durch einen einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird (BGH, NJW-RR 2017, 56).
Somit besteht kein Anlass, von der im Hinweisbeschluss dargelegten Rechtsauffassung abzurücken. Die Berufung des Klägers ist unbegründet und damit ohne Aussicht auf Erfolg.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. Der Feststellungsantrag des Klägers wurde ausgehend von dem gezahlten Kaufpreis in Höhe von 24.900,00 € unter Berücksichtigung eines Abschlags von 20%, da nur Feststellung, nicht Leistung beantragt war, bewertet. Dem Freistellungsantrag kam als bloße Nebenforderung dabei keine streitwerterhöhende Bedeutung zu.


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