Europarecht

Keine Rückführung einer irakischen Familie im Dublin-Verfahren nach Rumänien

Aktenzeichen  M 22 K 15.50586

Datum:
7.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 545
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, § 34a
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13

 

Leitsatz

1 Trotz Zustimmung Rumäniens zum Wiederaufnahmeersuchen stellt sich eine Überstellung der Kläger wegen der dort bestehenden systemischen Schwachstellen hinsichtlich der Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte, soweit es sich um Familien mit Kindern handelt, als nicht zulässig dar. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Kann der Schutzberechtigte im zuständigen Mitgliedsstaat keine Aufnahmebedingungen vorfinden, die einen Verbleib dort zumutbar erscheinen lassen, ist die sich daraus ergebende Zwangslage in ihren Wirkungen einem Refoulement vergleichbar, weil der Betroffene, um nicht zugrunde zu gehen, sich veranlasst sehen wird, ggf. in sein Heimatland zurückzukehren. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Umstand, dass bei Anwendung der Dublin-Regelungen regelmäßig noch nicht feststeht, ob der Antragsteller als international Schutzberechtigter anzuerkennen ist, kann nicht dazu führen, dass die Gefahr des mittelbaren Refoulement wegen defizitärer Aufnahmebedingungen für Schutzberechtigte bei der Zuständigkeitsprüfung außer Betracht bleibt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4 Es kann dahinstehen, ob bezüglich des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Rumänien systemische Mängel vorliegen; jedenfalls ist prognostisch davon auszugehen, dass es den Klägern, die über keine besondere berufliche Qualifikation verfügen, aufgrund der sozioökonomischen Verhältnisse in Rumänien mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht gelingen dürfte, sich eine Existenz aufzubauen, sollten sie als Schutzberechtigte anerkannt werden. (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Juni 2015 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, da der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist Rumänien für die Prüfung des Antrags der Kläger auf internationalen Schutz nicht zuständig. Dahinstehen kann weiter, ob die Zuständigkeit eines anderen Dublin-Mitgliedstaates im Raum gestanden hat, da mittlerweile davon auszugehen ist, dass die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylantrags nach den Vorgaben der Dublin III-VO zuständig (geworden) ist. Die Kläger können daher eine sachliche Prüfung ihres Asylbegehrens durch das Bundesamt verlangen. Angesichts dessen fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung wie auch die Abschiebungsanordnung. Der angefochtene Bescheid war daher antragsgemäß aufzuheben.
1. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist, wenn eine mündliche Verhandlung nicht stattfindet, der Zeitpunkt der Entscheidungsfällung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG). Hinsichtlich der Ablehnung des Antrags als unzulässig ist danach auf § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG in der seit dem 6. August 2016 gültigen Fassung (vgl. BGBl. I 2016, 1939, 1946) abzustellen. Nach dieser Bestimmung ist ein Asylantrag u.a. dann unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
2. Auf der Grundlage der im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen wäre an sich von einer Zuständigkeit Rumäniens nach Art. 13 Abs. 1 bzw. Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-VO auszugehen gewesen und Rumänien hat dem Wiederaufnahmeersuchen auch zugestimmt. Eine Überstellung der Kläger nach Rumänien stellt sich aber wegen der dort bestehenden systemischen Schwachstellen hinsichtlich der Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte – jedenfalls soweit es wie hier um Familien mit Kindern geht – und der für die Kläger daraus folgenden Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta als nicht zulässig dar.
2.1 Wie der EuGH im Urteil vom 21.12.2011 – C 411/10 u.a. – (NVwZ 2012, 417) noch zur Dublin II-VO ausgeführt hat, ist Art. 4 EU-Grundrechtecharta dahingehend auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich den nationalen Gerichten obliegt, einen Asylbewerber nicht an den nach den Dublin-Regelungen zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragssteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden (siehe hierzu auch EGMR, U.v. 21.01.2011 – Az. 30696/09 – NVwZ 2011, 413, zu Art. 3 EMRK).
Der Unionsgesetzgeber hat mit der Regelung des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO diese Rechtsprechung aufgenommen und dazu klargestellt, dass für einen solchen Fall, wenn sich die Überstellung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat als unmöglich darstellt, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung ggf. fortsetzt, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
2.2 Das Urteil des EuGH wie auch die Regelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO beziehen sich nur auf Fallgestaltungen, bei denen systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingen für Antragsteller vorliegen und nicht auch auf die Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte (zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hierzu siehe Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU). Das erkennende Gericht ist aber der Auffassung, dass die im Urteil des EuGH entwickelten Grundsätze im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin III-VO auch mit Blick auf die im betreffenden Mitgliedstaat bestehenden Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte dann Anwendung finden müssen, wenn die Lebensumstände, mit denen sich Schutzberechtigte konfrontiert sähen, mangels gebotener staatlicher Unterstützungs- bzw. Integrationsleistungen sich als mit den Anforderungen des Art. 4 EU-Grundrechtecharta nicht vereinbar darstellen würden oder hierin eine Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung (Refoulementverbot; vgl. Art. 33 Abs. 1 GFK und Art. 21 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU) vor allem mit Blick auf eine faktisch erzwungene Rückkehr des Betroffenen in den Herkunftsstaat zu sehen wäre (siehe hierzu auch das Vorabentscheidungsersuchen des VGH BW v. 15.3.2017 – 2151/16 – juris Rn. 25 ff.; zu den in der Sache inhaltsgleichen Voraussetzungen für die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zugunsten eines international Schutzberechtigten in Bezug auf den Zufluchtsstaat vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – juris; dazu, dass bei relevanten Gefahrenlagen, die ihre Ursachen nicht in systemischen Mängeln haben, gleichfalls Abschiebungsschutz zu gewähren wäre, EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPI (C.K., H.F. und A.S. ./. Slowenien) – NVwZ 2017, 691).
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O. Rn. 75 m.w.N.- zum Schutz nach der GFK) oder ihm ein ernsthafter Schaden nach Maßgabe der Regelungen über den subsidiären Schutz drohen würde (vgl. Kapitel V der Richtlinie 2011/95/EU). Dies ist aber nur gewährleistet, wenn der Schutzberechtigte in dem zuständigen Mitgliedstaat Aufnahmebedingungen vorfindet, die einen Verbleib dort zumutbar erscheinen lassen, also davon ausgegangen werden kann, dass dieser dort eine Existenzgrundlage zu finden vermag. Ist dies nicht der Fall, ist die sich daraus ergebende Zwangslage für den Betroffenen in ihren Wirkungen einem Refoulement (Weiterschiebung ohne vorangehende Prüfung des Asylbegehrens) vergleichbar, denn fehlt es im Zufluchtsstaat an einer materiellen Lebensgrundlage, wird der Betroffene, um nicht zugrunde zu gehen, sich veranlasst sehen, ggf. in sein Heimatland zurückzukehren, da sich ein anderer Staat, der ihn aufzunehmen bereit ist, kaum finden wird (zur Berücksichtigung einer solchen Situation als eigene Fallgruppe, die eine Ausnahme von den Vorgaben des Konzepts der normativen Vergewisserung bei Anwendung der Drittstaatenregelung des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG rechtfertigen würde, vgl. Moll/Pohl, ZAR 2012, 102, 105 f).
Der Umstand, dass bei Anwendung der Dublin-Regelungen regelmäßig noch nicht feststeht, ob der Antragsteller als international Schutzberechtigter anzuerkennen ist, kann dabei nach Auffassung des Gerichts nicht dazu führen, dass die Gefahr eines mittelbaren Refoulement wegen defizitärer Aufnahmebedingen für Schutzberechtigte bei der Zuständigkeitsprüfung außer Betracht zu bleiben hätte. Eine solche Rechtsauffassung erscheint schwerlich vertretbar, weil damit dem Schutzsuchenden das Risiko einer faktischen Rechtschutzverweigerung bedingt durch Mängel des GEAS aufgebürdet würde, da Antragsteller, die tatsächlich schutzberechtigt sind, dann bei einer Überstellung in den betreffenden Mitgliedstaat (im Grunde sehenden Auges) in die vorbeschriebene Lage verbracht würden. Eine Feststellung dazu aber, dass eine Schutzberechtigung nicht besteht, kann im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nicht getroffen werden, so dass im Ergebnis auch Antragsteller, denen ein Schutzanspruch in der Sache nicht zusteht, begünstigt werden, was aber im Hinblick auf das Gebot, tatsächlich Schutzberechtigten eine effektive Durchsetzung ihrer Rechte zu gewährleisten, hingenommen werden muss.
2.3 Zur Streitsache ist vor diesem Hintergrund Folgendes festzustellen:
Dahinstehen kann, ob bezüglich des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Rumänien systemische Mängel vorliegen, was in der neueren Rechtsprechung ganz überwiegend verneint wird (vgl. etwa VG Bayreuth, B.v. 14.11.2017 – B 6 S 17.50926 – BeckRS 2017, 142246; VG Karlsruhe, B.v. 12.09.2017 – A 1 K 10625/17 – juris Rn. 5 – 11; VG Göttingen, B.v. 4.10.2017 – 2 B 683/17 – juris Rn. 12 – 19), denn ungeachtet der Entscheidung zu dieser Frage ist auf der Grundlage der vorstehend dargelegten Rechtsauffassung davon auszugehen, dass eine Abschiebung der Kläger wegen der in Bezug auf ihre spezifische Situation zu bejahenden Mängel hinsichtlich der Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte nicht zulässig wäre.
Zu den sozioökonomischen Verhältnissen in Rumänien ist anzumerken, dass das Land zu den ärmsten Mitgliedsstaaten der EU zählt (beim BIP pro Kopf liegt es an vorletzter Stelle). Die Anzahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen ist nach wie vor außerordentlich hoch. 2015 waren das etwa 37% der Bevölkerung. Der Anteil der unter „erheblicher materieller Deprivation“ leidenden Menschen, deren Lebensbedingungen aufgrund fehlender Mittel erheblich eingeschränkt waren, belief sich 2015 auf 22,7% der Bevölkerung (eurostat Pressemitteilung vom 17.10.2016).
Im Jahr 2016 betrug die Beschäftigungsquote bezogen auf das Arbeitskräftepotential (Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren) einschließlich der im informellen Sektor Tätigen 61,6%, die Arbeitslosenquote belief sich auf 5,9%, bei den jungen Erwachsenen auf 20,6% (Presseveröffentlichung des National Institute of Statistics, Romania, vom 18.04.2017). Der informelle Sektor (Schwarzarbeit, nicht angemeldete selbständige Tätigkeit, Subsistenzlandwirtschaft u.a.) ist außerordentlich groß. Es gibt Schätzungen, wonach bis zu 31,5% der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung ganz oder teilweise im diesem Bereich tätig ist (eurofound, Trade union study on the informal economy, Romania, 02.06.2013; niedrigere Zahlen – um die 10% der erwerbstätigen Bevölkerung – sind der EU/OECD-Studie „Kurzdossier zum informellen Unternehmertum“, 2015, zu entnehmen).
Die Gehälter, die in Rumänien gezahlt werden, wie auch die Lebenshaltungskosten sind deutlich niedriger als in Westeuropa. Der Durchschnittslohn belief sich im Juli 2017 netto auf 2391 Lei (ca. 531 Euro; Pressemitteilung des National Institute of Statistics vom 07.09.2017). Der Mindestlohn wurde zum 1. Januar 2018 auf brutto 1900 Lei (ca. 422 Euro) bei Vollzeittätigkeit erhöht (netto ca. 1140 Lei bzw. 253 Euro).
Das Preisniveau lag 2014 um 46,9% unter dem EU-Durchschnitt (Statistisches Bundesamt, Kaufkraftparitäten und vergleichende Preisniveaus 2014 in Europa, Juni 2016).
Die große Mehrzahl der Rumänen lebt in Wohneigentum und nicht zur Miete. Hinsichtlich der Mieten für eine kleine Wohnung kann in ländlichen Gebieten von einem mittleren Wert von ca. 950 Lei (ca. 211 Euro) ausgegangen werden (bei einer Spanne zwischen 500 und 1300 Lei). In innerstädtischen Bereichen liegt der Mittelwert bei ca. 1310 Lei bzw. 291 Euro (vgl. die Webseite Numbeo, Cost of Living in Romania, Stand: Februar 2018). Zur Zahl der Obdachlosen liegen keine belastbaren statistischen Daten vor. Die Zahl liegt aber sicherlich bei deutlich über 10.000. Der zusätzliche Bedarf an Sozialwohnungen wird auf ca. 60.000 Einheiten geschätzt. Zur Verfügung stehen etwa 29.000 Wohnungen (vgl. Feantsa Country Fiche Romania, Januar 2017).
Die medizinische Versorgung ist von Notfällen abgesehen nicht kostenfrei. Die Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenversicherung setzt voraus, dass in den vergangenen 12 Kalendermonaten mindestens sechs Monatsbeiträge gezahlt wurden (10% des Lohnes bei Beschäftigen, ansonsten 5,5% des Mindestlohnes; vgl. Europäische Kommission, Ihre Rechte der sozialen Sicherheit in Rumänien 2017, S. 17 ff.; Ro Connect, Löhne und Gehälter, Sozialabgaben Rumänien, Stand: 23.11.2017).
Um Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu beziehen, müssen in den letzten 24 Monaten vor der Inanspruchnahme mindestens 12 Monate Beiträge bezahlt worden sein (Europäische Kommission a.a.O. S. 39).
Die Sozialhilfe beläuft sich für eine Person auf höchstens 142 Lei im Monat (ca. 32 Euro; vgl. Europäische Kommission a.a.O. S. 33 ff.; siehe dort auch zum Kindergeld und zu Familienbeihilfen für Bedürftige S. 8 ff. und 11 ff.).
Personen, die als international schutzberechtigt anerkannt wurden, haben Zugang zum Arbeitsmarkt und zu den sozialen Sicherungssystemen zu denselben Bedingungen wie Rumänen. Darüber hinaus können sie an einem Integrationsprogramm teilnehmen (das Sprachkurse und diverse Beratungsmaßnahmen enthält). Für diesen Fall erhalten sie bei Hilfsbedürftigkeit bis zu maximal einem Jahr eine staatliche Unterstützung in Höhe von 540 Lei (ca. 120 Euro) pro Monat (Stellungnahe des Auswärtigen Amtes vom 05.12.2017 an das VG Ansbach). Bis zu einem Jahr nach der Anerkennung können Schutzberechtigte auch weiter in einer staatlichen Flüchtlingsunterkunft wohnen bleiben, müssen hierfür allerdings Miete in Höhe von ca. 170 Lei (ca. 36 Euro) im Sommer und ca. 200 Lei (ca. 42 Euro) im Winter bezahlen (vgl. AIDA, Country Report Rumänien, 02/2018, S. 115). Unter Umständen kann, wenn der Schutzberechtigte nach Beendigung der Integrationsmaßnahme eine Wohnung gefunden hat, auch befristet (bis zu einem Jahr) ein Zuschuss zu den Kosten gezahlt werden (vgl. hierzu die Informationen auf der Webseite des General Inspectorate for Immigration, abgerufen am 25.02.2018; AIDA a.a.O. S. 115). Bei der in der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5. Dezember 2017 erwähnten Möglichkeit der Zuweisung einer staatlichen Wohnung dürfte es sich um einen Verweis auf die Regelungen für die Bezugsberechtigung von Sozialwohnungen handeln. Insoweit ist aber davon auszugehen, dass wegen der großen Nachfrage die Aussichten, an eine solche Wohnung zu gelangen, äußerst gering sein dürften (zur Situation etwa in Timisoara vgl. AIDA a.a.O. S. 116).
Informationen dazu, in welchem Umfang es Schutzberechtigten gelungen ist, sich in Rumänien eine Lebensgrundlage aufzubauen, liegen nicht vor. Dass sehr viele anerkannte Schutzberechtigte augenscheinlich nicht auf Dauer in Rumänien bleiben, dürfte wesentlich durch die schwierige wirtschaftliche Situation bedingt sein, denen sich die Betroffenen ausgesetzt sehen. Insbesondere ist es für Schutzberechtigte nach wie vor schwierig, legale Arbeit zu finden. Der Mangel an Arbeitsangeboten, ungenügende Sprachkenntnisse sowie das Fehlen der nötigen Qualifikationen haben häufig zur Folge, dass Schutzberechtigte keine Arbeit finden oder sich genötigt sehen, auf dem Schwarzmarkt nach Arbeit zu suchen (vgl. US Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2016 – Romania, S. 11; amnesty international; Jahresbericht 2016). Wenn ein Schutzberechtigter doch eine legale Arbeit findet, dürfte es sich zumeist so verhalten, dass die Entlohnung, wenn es sich nicht um eine Tätigkeit, die spezielle Qualifikationen erfordert, handelt, nicht oder nur geringfügig über dem Mindestlohn liegen wird, der aber zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten (insbesondere wegen der Aufwendungen für Unterkunft) in der Regel nicht ausreichen wird. Bei einem Ausweichen in den informellen Sektor dürfte die Entlohnung noch niedriger sein. Insoweit wäre auch zu berücksichtigen, dass damit der Zugang zur Gesundheitsversorgung entfiele.
Auf der Grundlage dieser Informationen liegt auf der Hand, dass ein (mittelloser) Schutzberechtigter, dem es nicht gelingt, eine entsprechend entlohnte Arbeit zu finden, mangels ausreichender staatlicher oder sonstiger Unterstützungsleistungen in eine extrem prekäre Situation geraten wird. Ob angesichts dieses Befundes angenommen werden kann, dass bestimmten Gruppen von Schutzberechtigten – etwa „alleinstehenden, jungen, gesunden Erwachsenen“ – trotz der bestehenden Schwierigkeiten, sich eine Existenzgrundlage zu sichern, gleichwohl eine Rückkehr nach Rumänien zumutbar ist, kann hier dahinstehen. Jedenfalls für die Gruppe schutzberechtigter Familien mit schulpflichtigen Kindern wäre eine solche Wertung zur Überzeugung des Gerichts aber nicht mehr vertretbar. Hinsichtlich dieser Personengruppe wäre mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass neben den Schwierigkeiten beim Finden einer geeigneten (ausreichend großen und finanzierbaren) Wohnung regelmäßig die Gefahr bestehen dürfte, dass diese nicht erhalten werden kann und damit Obdachlosigkeit drohen würde, selbst wenn ein Familienmitglied eine Vollzeitarbeitsstelle finden sollte, da bei einer Entlohnung entsprechend dem Mindestlohn dieser kaum für die Bestreitung allein der Mietkosten ausreichen würde und etwaige staatliche Hilfen (nach Auslaufen der spezifischen Förderung für international Schutzberechtigte) für die Deckung des weiteren Bedarfs offenkundig nicht ausreichend wären. Für den Fall einer längerfristigen Arbeitslosigkeit, gleichfalls ein durchaus realistisches Szenario, wäre ohnehin evident, dass die Betroffenen dann ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht mehr sichern könnten. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang schließlich noch, dass international Schutzberechtige anders als rumänische Arme (deren Zahl wie oben dargestellt außerordentlich groß ist), die zumeist auf verwandtschaftliche Unterstützung bauen können, auf ein solches soziales Netzwerk, durch das die aus Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung folgenden Härten abgemildert werden könnten, in der Regel nicht zurückgreifen können. Es ist auch nicht ersichtlich, dass durch im Bereich der Flüchtlingshilfe tätige Hilfsorganisationen in solchen Fällen relevante Hilfe, was die materiellen Bedürfnisse angeht, geleistet werden könnte.
Besondere Umstände, die im Falle der Kläger eine andere – positivere – Beurteilung rechtfertigen könnten, sind für das Gericht nicht ersichtlich. Tendenziell ist sogar von besonders ungünstigen Voraussetzungen auszugehen, da der Kläger zu 1) über keine besonderen beruflichen Qualifikationen verfügt (er war in der Heimat als Hilfsarbeiter tätig) und bei ihm gesundheitliche Einschränkungen vorliegen (siehe dazu die vorgelegten ärztlichen Atteste). Soweit ersichtlich verfügt auch die Klägerin zu 2) über keine besonderen beruflichen Qualifikationen.
Nach alledem ist (prognostisch) davon auszugehen, dass es den Klägern, sollten sie als Schutzberechtigte anerkannt werden, mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht gelingen dürfte, sich in Rumänien eine Existenz aufzubauen und beachtlich wahrscheinlich damit zu rechnen wäre, dass die sie dort erwartenden Lebensverhältnisse sich als Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (sowie das Refoulementverbot) darstellen würden und daher eine Abschiebung der Kläger nach Rumänien nicht zulässig ist. Die Gefahr einer Verletzung der entsprechenden Rechte ist wie bereits ausgeführt im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren bereits dann zu berücksichtigen, wenn eine Schutzberechtigung möglich erscheint, was vorliegend zweifellos der Fall ist.
Da eine Rückführung der Kläger im Vollzug der Dublin-Regelungen nach Rumänien nicht zulässig war (und ist), hätte es im Verfahren einer Prüfung bedurft, ob die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates in Betracht kommt. Insoweit steht aber außer Frage, dass die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs längst abgelaufen wären, so dass im Ergebnis von einem Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 3 Dublin III-VO auszugehen ist.
3. Den Klägern steht folglich ein Anspruch auf sachliche Prüfung ihrer Asylanträge durch das Bundesamt zu. Der angefochtene Bescheid kann daher keinen Bestand haben und war antragsgemäß aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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