Europarecht

Keine Schadensersatzansprüche bei im August 2016 erworbenem, vom Abgasskandal betroffenem (Gebraucht-)Fahrzeug (hier: VW Touran 2,0 TDI)

Aktenzeichen  5 U 4057/19

Datum:
4.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 42659
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
UWG § 16 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Weiß der Käufer bei Abschluss des Kaufvertrags positiv, dass das von ihm angekaufte Auto über einen Motor verfügt, der mit einer unerlaubten Abschaltvorrichtung ausgestattet ist, spielt für ihn beim Abschluss des Kaufvertrags die Frage ersichtlich keine Rolle, mit welchem Motor das Fahrzeug ausgerüstet ist und welche (umwelt-)technischen Eigenschaften dieser Motor aufweist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Käufer nimmt dann bewusst auch eine womöglich fehlende oder eingeschränkte Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit Normen des nationalen oder europäischen Zulassungsrechts in Kauf. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob in dem Motor zusätzlich auch ein Thermofenster verbaut ist und ob dieses eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, kann offen bleiben, da es insoweit auf Seiten der Herstellerin jedenfalls an einem sittenwidrigen Verhalten fehlt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. Vgl. zum Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals auch: OLG Frankfurt BeckRS 2019, 27981; OLG Saarbrücken, BeckRS 2019, 20813; OLG Stuttgart, BeckRS 2019, 21326; 2019, 29977; BeckRS 2019, 42386; BeckRS 2019, 42376; BeckRS 2019, 42380; OLG Köln, BeckRS 2019, 13405; OLG München, BeckRS 2020, 4669; BeckRS 2019, 40404; BeckRS 2020, 4671; BeckRS 2019, 41860; BeckRS 2020, 6258; OLG Braunschweig, BeckRS 2017, 147936; OLG Schleswig, BeckRS 2019, 33012; OLG Koblenz, BeckRS 2019, 36722; BeckRS 2019, 32689; BeckRS 2020, 6840; BeckRS 2019, 41978; BeckRS 2020, 6810; BeckRS 2020, 7303; BeckRS 2020, 7300; OLG Dresden BeckRS 2020, 6276; OLG Naumburg BeckRS 2020, 6836; OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 7194; BeckRS 2020, 7200; OLG Jena, BeckRS 2020, 6271; OLG Bamberg, BeckRS 2020, 8090; OLG Zweibrücken, BeckRS 2019, 42230; a.A.: OLG Hamm, BeckRS 2019, 20495; OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 280; BeckRS 2020, 6021; OLG Dresden, BeckRS 2020, 4135; OLG Koblenz BeckRS 2020, 5086. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 U 4057/19 2019-09-30 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München II vom 15.05.2019, Aktenzeichen 11 O 5273/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.161,62 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über die Einstandspflichten der beklagten Automobilherstellerin im Hinblick auf ein vom Kläger erworbenes, von dieser hergestelltes, gebrauchtes Dieselkraftfahrzeug.
Der Kläger kaufte am 07.08.2016 von einem Dritten ein Kraftfahrzeug der Marke VW Touran 2,0 TDI, das die Beklagte hergestellt hatte und das am 24.10.2012 erstmals zugelassen worden war.
Mit Schreiben vom 03.12.2018 (Anl. K 3) hat der Kläger von der Beklagten Schadensersatz verlangt.
Er hat behauptet, ihm sei beim Kauf ein Schreiben der Beklagten vom Februar 2016 an den Verkäufer (vgl. Anl. K 2) übergeben worden, aufgrund dessen er davon ausgegangen sei, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorgaben erfülle, technisch sicher und fahrbereit sei. Das Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung, um die Abgasgrenzwerte einhalten zu können. Die Beklagte habe mit dem Ziel gearbeitet, durch die Manipulation der Prüfwerte Kosten für anderweitige, teurere technische Lösungen einzusparen und um sich mit den scheinbar niedrigen Abgaswerten einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die Beklagte hafte dem Kläger unter deliktischen Gesichtspunkten. Sie habe getäuscht, weil sie die Abschalteinrichtung verschwiegen und das Fahrzeug als schadstoffarm und umweltfreundlich angepriesen habe.
Der Kläger hat beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 20.161,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basisdiskontsatz aus 11.12.2018 Zug um Zug gegen Rückübereignung des Pkw VW Touran 2,0 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr. …70 zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer I. genannten Pkw in Annahmeverzug befindet.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Zinsen i.H.v. 4% aus 18.500,00 € vom 07.08.2016 bis zum 10.12.2018 zu bezahlen.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 686,04 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.12.2018 zu bezahlen.
Die Beklagte hat
Klageabweisung beantragt.
Sie hat vorgetragen, eine Täuschung des Klägers sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger das Fahrzeug nach Bekanntwerden der Dieselthematik und in Kenntnis der Software und ihrer Funktionsweise erworben habe.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 15.05.2019 abgewiesen. Eine Täuschung des Klägers im Hinblick auf den Einbau der Software scheide aus, weil zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs im August 2016 die Beklagte den Einsatz der Software bereits eingeräumt habe und auch dem Kläger die Problematik bekannt gewesen sei. Hinsichtlich deliktischer Anspruchsgrundlagen fehle es am Vortrag dazu, dass ein bestimmter verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten die Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB oder des § 263 StGB im Zeitpunkt des Kaufs erfüllt habe. Eine Haftung aus § 826 scheitere auch, weil Schutzzweck der konkret verletzten Verhaltensnorm, auf den allein abzustellen sei, der Umweltschutz und nicht die Vermögensinteressen des Klägers sei. Es fehle überdies an einem Schaden; insbesondere liege es ausschließlich im Verantwortungsbereich des Klägers, dass dieser das Software-Update nicht aufspielen lasse.
Gegen dieses am 01.07.2019 zugestellte Endurteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die er am 26.07.2019 eingelegt und nach Fristverlängerung bis 02.10.2019 mit am 27.09.2019 eingegangenem Schriftsatz begründet hat. Das Landgericht habe den Rechtsgedanken des § 442 Abs. 1 BGB verkannt. Auch habe das Landgericht verkannt, dass auch die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien, gegen die die Beklagte verstoßen habe. Er habe ferner einen Anspruch aus § 826 BGB, weil das Verschweigen der vorsätzlich eingebauten Manipulationssoftware eine sittenwidrige Handlung sei. Dem Kläger stehe auch ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB zu, da die Beklagte besonderes persönliches Vertrauen für sich in Anspruch genommen habe und ein eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Verkauf des Fahrzeugs gehabt habe.
In der Berufungsinstanz beantragt der Kläger, unter Aufhebung des Urteils des Landgerichtes München II vom 15.05.2019 Az.: 11 O 5273/18 nach den erstinstanzlich gestellten Anträgen zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 30.09.2019 auf seine Absicht hingewiesen, die offensichtlich unbegründete Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Dem ist der Kläger mit Schriftsätzen vom 06.11.2019 und 28.11.2019 entgegengetreten. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Senat zu der Auffassung komme, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe, da nicht nur der Kläger, sondern eine Vielzahl von Verbrauchern getäuscht worden sei. Es sei nicht nur das schädigende Verhalten der Beklagten besonders verwerflich, sondern auch ihr Verhalten danach. Zum Zeitpunkt des Erwerbs habe der Kläger keine gesicherte Kenntnis über die Tatsache gehabt, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorliege, dass die Beklagte eine Software eingesetzt habe, die die Prüfstandswerte manipuliere, wie der Mangel beseitigt werden solle, dass mit dem beabsichtigten Software-Update weitere Mängel, nämlich ein sogenanntes Thermofenster verbaut werde, und dass bei Nichtdurchführung des Updates die Hauptuntersuchung versagt und die Betriebserlaubnis entzogen würden. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Senat dazu komme, dass hinsichtlich des Thermofensters nicht von vorsätzlichem Handeln der Beklagten ausgegangen werden könne. Aus der als Anlage K 36 vorgelegten Beschlussempfehlung und Bericht des 5. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages ergebe sich das Gegenteil.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf das Ersturteil, den zitierten Hinweisbeschluss des Senats sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 15.05.2019, Aktenzeichen 11 O 5273/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Mangels (vor-) vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien kommen vorliegend von vornherein nur deliktische Ansprüche in Betracht. Der Senat hält zwar einen Anspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB grundsätzlich für denkbar, da die Beklagte den mit der unzulässigen Abschaltsoftware ausgerüsteten Motor in Verkehr brachte und dabei verschwieg, dass die EG-Typengenehmigung erschlichen war. Dies kann eine sittenwidrige Handlung darstellen (so auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019, 17 U 160/18, Rn. 85 ff., juris m.w.N.).
Der Kläger hat jedoch vorliegend nicht nachweisen können, dass diese Handlung der Beklagten kausal für den von ihm abgeschlossenen und womöglich als Schaden zu qualifizierenden Kaufvertrag gewesen ist. In seiner Klageschrift (S. 2) hat er selbst ausgeführt, er sei beim Kauf des PKWs von dem Verkäufer darauf hingewiesen worden, dass es sich um einen sogenannten EA 189-Motor handle. Der Verkäufer habe ihm auch das Anschreiben der Beklagten (Anl. K 2) übergeben. Daraus geht zweifelsfrei hervor, „dass der […] eingebaute Dieselmotor von einer Software betroffen ist, durch welche die Stickoxidwerte (NOx) im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert“ würden. Die Beklagte arbeite „mit Hochdruck an der Organisation der Rückrufmaßnahme“, die Fahrzeuge würden in mehreren Stufen instandgesetzt, für die erforderlichen „Reparaturmaßnahmen in den Werkstätten“ werde mittels gesonderten Schreibens aufgefordert werden, einen Termin zu vereinbaren.
Da der Kläger bei Abschluss des Kaufvertrags positiv wusste, dass das von ihm angekaufte Auto über einen Motor verfügte, der mit der unerlaubten Abschaltvorrichtung ausgestattet war, spielte für ihn beim Abschluss des Kaufvertrags die Frage ersichtlich keine Rolle, mit welchem Motor das Fahrzeug ausgerüstet war und welche (umwelt-) technischen Eigenschaften dieser Motor aufwies. Etwaige Täuschungshandlungen der Beklagten im Zusammenhang mit der Entwicklung, der Beschaffung der Typengenehmigung und dem Inverkehrbringen des Motors wirkten sich damit nicht mehr auf die Willensbildung des Klägers anlässlich des Fahrzeugerwerbs aus.
Aus diesem Grund scheitern auch Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 16 Abs. 1 UWG. Infolge seiner Kenntnis von dem Dieselskandal hat der Kläger auch eine womöglich fehlende oder eingeschränkte Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit Normen des nationalen oder europäischen Zulassungsrechts in Kauf genommen. Folglich kommt es vorliegend nicht auf eine Schutzgesetzeigenschaft im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB der §§ 6 Abs. 1, Abs. 2, 27 Abs. 1, Abs. 2 EG-FGV, Art. 5 VO (EG) 715/2007 an (vgl. ablehnend z.B. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019, 7 U 134/17, Rn. 137-159, juris m. zahlr. w.N.).
2. Wie hingewiesen fehlt es bei der von dem Kläger behaupteten Verwendung eines sog. Thermofensters, also einer Steuerung, die die Abgasrückführung in den Verbrennungsraum temperaturabhängig regelt, an einer vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte.
Eine Sittenwidrigkeit kommt hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. Das ist jedoch nicht der Fall.
Ausführungen des Klägers hierzu fehlen fast vollständig. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motorrespektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters – etwa mit den Entscheidungen der 23. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart und (zum österreichischen Kaufrecht) des OLG Wien (Teilurteil vom 30.10.2019, 4 R 62/19w) – von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sein sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden. Umstände, die das in Frage stellen würden, sind vom Kläger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch das Oberlandesgericht Wien befasst sich in der zitierten Entscheidung nicht mit Vorsatzfragen, da diese für das dort angewendete österreichische Gewährleistungsrecht wohl nicht erheblich sind.
Hat die Beklagte aber die Rechtslage fahrlässig verkannt, dann fehlt es sowohl am erforderlichen Schädigungsvorsatz als auch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wie der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände. Dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden war, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Dass die Gesetzeslage an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig ist, zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO 2007/715/EG auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrt-Bundesamt wie auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des behaupteten sogenannten „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können und ein Rückruf sämtlicher betroffener Fahrzeuge behördlich bis heute gerade nicht angeordnet worden ist. Insbesondere ist ein verbindlicher behördlicher Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeuges unstreitig bis heute nicht erfolgt.
Nach der Einschätzung der vom BMVI eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt es im Bericht der Kommission zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO 715/2007/EG ausdrücklich (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, veröffentlicht unter https:// … .pdf? _blob=publicationFile, abgerufen am 27.11.2019):
„Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmung, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
Konsequenz dieser Unschärfe der europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so klein.“
Aus Sicht der Untersuchungskommission bedarf es der weiteren Untersuchung durch die Aufsichtsbehörden im Einzelfall, die für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp bisher offenbar nicht zur Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und zu einem Rückruf geführt hat.
Schließlich zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) und in den Entscheidungen der 23. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart betriebene – erhebliche – Begründungsaufwand, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist, gegen welche die Beklagte bewusst verstoßen hätte (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18, juris Rn. 6).
Eine Auslegung, wonach ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden.
Darauf, ob das Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, kommt es damit letztlich gar nicht an, da es insoweit auf Seiten der Beklagten jedenfalls an einem sittenwidrigen Verhalten fehlt (vgl. zum ganzen OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19, Rn. 81 – 91, juris m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert war in Höhe der im Berufungsrechtszug verlangten Klagesumme festzusetzen.
Entgegen der Auffassung des Klägers liegen die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO für eine Revisionszulassung nicht vor. Aus demselben Grund war eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung möglich, § 522 Abs. 2 Nr. 3, 4 ZPO, da eine Einzelfallentscheidung zu treffen war, die auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs getroffen wird. Mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil die Rechtsverfolgung für die Beklagte keine existentielle Bedeutung hat und das erstinstanzliche Urteil zutreffend begründet ist (§ 522 Abs. 2 S.1 Nr. 4 ZPO; vgl. dazu Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags vom 1. Juli 2011, BT-Drucks. 17/6406, Seite 9). Der Umstand, dass eine einheitliche Entscheidung des Revisionsgerichts in mehreren denselben Sachverhaltskomplex betreffenden Parallelverfahren angestrebt wird, gibt der Sache keine allgemeine, mithin grundsätzliche Bedeutung. Dies gilt auch dann, wenn es sich zwar um eine Vielzahl von Einzelverfahren handelt, es aber nicht ersichtlich ist, dass deren tatsächliches oder wirtschaftliches Gewicht Allgemeininteressen in besonderem Maße berührt (BGH, Beschluss vom 21.11.2018, VII ZR 1/18, Rn. 13, juris, m.w.N.). Es liegt auch kein Fall der Divergenz vor. Die Revision ist zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung wegen Divergenz zuzulassen, wenn in der Entscheidung des Berufungsgerichts ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird, der von einem in anderen Entscheidungen eines höheren oder eines gleichgeordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht. Eine solche Abweichung ist nicht ersichtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 28.06.2016, II ZR 290/15, Rn. 7, juris m.w.N.). Etwa die im Schriftsatz vom 06.11.2019, S.4 zitierte Entscheidung des OLG Hamm v. 10.9.2019, 13 U 149/18 geht von einem völlig anderen Sachverhalt aus; dort war der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin bei ihrem Kauf am 28.11.2016 nichts davon wusste, dass der erworbene VW Beetle vom Abgasskandal betroffen war. Etwaige Hinweise oder Äußerungen anderer Oberlandesgerichte in deren Sitzungen lösen keine Divergenz aus.


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